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Leider mit Leid

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Leider mit Leid

für T.L.

Schleimig, triefend ekeln mich wie nackte Schnecken
   Menschen, die ihr Schicksal in die Welten kreischen,
hemmungslos in eigner Schwäche sich noch recken
   und dann bettelnd Mitgefühl und Tränen heischen.

Sich an Unzulänglichkeiten fest zu klammern,
   scheint die neue Tugend unsrer Weltenheuler.
Will ich mit den armen Seelchen gar nicht jammern,
   reißen sich die Mitleidsboten ihre Mäuler.

Einig geifernd haben diese sich verschworen,
   Sympathie durch leeres Mitleid zu ersetzen,
haben sich zu neuen Helden auserkoren,
   deren Mastgedärm die Würmer schon zerfetzen.

Nein! ich will euch euer tragisch‘ Los nicht neiden;
hattet ihr ein Leben lang doch nichts als Leiden.

XVI | Aug. 2004

Zur Entstehung

Wenn jemandem Leid geschieht, dann ist das eine tragische Sache und deshalb sollte sich jeder Mensch aktiv darum bemühen, seinen Mitmenschen kein Leid zuzufügen, besonders dann nicht, wenn er sie doch eigentlich liebt. Menschen, denen Leid geschieht, sind arme, bemitleidenswerte Schweine. Menschen, die sich in ihrem Leid aalen, um Mitleid, Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung zu erheischen, sind dumme Idioten und verdienen, dass man Gedichte wie das obige über sie schreibt. Solche Menschen gibt es wirklich und man muß leider sagen, dass ihre Masche in unserer Gesellschaft ziemlich salonfähig ist. Der Spitzenverdiener jammert, dass er mehr Steuern zahlen muß, als die armen Schlucker. Teenager rutschen aufgeregt übers Fernseh-Sofa, als sie mit anschauen, wie die Protagonistin ihrer Lieblingssoap vom Arzt darüber aufgeklärt wird, dass sie einen Tumor in der Brust hat. Werbeplakate mit verhungerten, afrikanischen Kindern animieren Bürger dazu, den Kopf zu schütteln und: „Das ist alles furchtbar!“, auszurufen, bevor sie in ihrem Mercedes weiter zur Arbeit fahren. Und auf jeder zweiten Knuddels-Homepage schwadroniert irgendein Emo-Kid über Borderline, Boulemie, Depression oder SVV (das ist Selbstverletzendes Verhalten, Ritzen, etc.), weil die coolen Kids in der Bravo das auch immer machen.

Jean Paul Sartre hat einen Essay über Baudelaire geschrieben, in dessen ersten Absätzen er reflektierte, wie widerlich er dieses Rumgejammer des französischen Poeten fände. Er argumentierte, wenn einen etwas wirklich stört, wenn man ein Problem hat, na dann tut man doch etwas dagegen und lehnt sich nicht zurück, um mit wallenden Worten das eigene Leid zu ästhetisieren. Damals war ich enttäuscht, dass mein Lieblingsphilosoph über meinen Lieblingsdichter so gemeine Sachen sagt, aber inzwischen weiß ich, Sartre hat an sich vollkommen recht. Trotzdem finde ich Baudelaires schwülstige Worte des Ekels so hervorragend, dass ich diesen Stil für mein Gedicht verwandte. Passivität ist etwas Schreckliches. Wir müssen unser Leben nicht geschehen lassen – ich bin davon überzeugt, dass wir es selbst bestimmen können.

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Gewissensbisse I

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Gewissensbisse I

Dumpf und dunkel von der Stadt herüber
   dringt der zwölfte Glockenschlag zum Feld.“
Hin zum Bodennebel, tiefer, trüber,
   hat ein Schatten einsam sich gesellt.

Je, ich ahn es doch, man sieht mich fliehen;
   daß ich hier auf freiem Feld mich treib.
Könnte dichtrer Nebel mich umziehen,
   wär‘ die Nacht doch dunkler – schwarz mein Leib!

An den Händen klebt noch feuchte Erde,
   jeder wird die Schandtat an mir seh’n.
Glaubte mich alleine, doch die Herde
   meiner Geister läßt mich nun nicht geh’n.

In der Einsamkeit klingt leises Pochen
   her vom Herz der schattigen Gestalt.
Unter ihrem Fuße ruh’n die Knochen.
   Einst ein Mensch – nun leblos, freudlos, kalt

XV | Jul. 2004

Zur Entstehung

Als ich im Juni 2004, wohlweislich ohne Geld, eine größere Buchhandlung betrat, entdeckte ich auf dem Ramschtisch einen dicken Hardcoverband mit Zeichnungen von Aubrey Beardsley. Der Künstler war mir schon als Illustrator der Salomé (Oscar Wilde) gut bekannt und geliebt. Als ich mich durch das Buch stöberte, stieß ich auf nebenstehendes Bild, das mich auf ganz wundersame Weise beeindruckte. Da ich ja kein Geld dabei hatte, konnte ich das Buch nicht kaufen, also ging ich nach hause, immer wieder diese Zeichnung in meinem Kopf hin und her wälzend. Das Gedicht war ausgearbeitet, bevor ich dazu kam, es aufzuschreiben. Erst Monate später kaufe ich dann auch das Buch.

Remorse - Aubrey Beardsley
Aubrey Beardsley ~ Remorse

Ursprünglich gab es einen zweiten Teil zu diesem Gedicht, den ich aber wieder zurückgezogen habe, weil er mir noch nicht ausgereift genug erschien. Die Idee dazu schellt aber immer noch in meinem Hinterkopf und der Wunsch, irgendwann mal wieder einen zweiten Teil zu schreiben, besteht nach wie vor.

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Begrüßungsgedicht

Donnerstag, 10. Mai 2007

So seid gegrüßt ihr Leser, Leserinnen,

wer mich schon kennt, der sei auch lieb gedrückt! Wer nicht, den will ich hier und jetzt gewinnen, empfehlen mich durch Wort von Form geschmückt. Man nennet mich mit Namen LeVampyre und von Berufung bin ich wohl Ästhet. Verzeiht, daß ich kein Wort darob verliere, wie’s um mein Alter, mein Geschlecht denn steht! Gewiss, an Schönheit kenn’ ich keinen Makel. Ich strebe nach dem hohen Ideal. Denn stetig Wasser regen in mir Ekel; ein Leben ohne Stil scheint mir fatal. Doch um zu leben muß ich euch verführen, bis ihr euch freien Willens mir ergebt. Dann öffne ich euch ungeahnte Türen in fremde Welten, die die Kunst erhebt. Ich sauge (Laßt euch dadurch nicht verdrießen!) mit eurem Blut den reinen Lebenssaft. Ihr aber sollt die Freuden voll genießen, denn daraus schöpf ich neue Geisteskraft. Doch Vorsicht! ich bin gleichsam wie die Schlange, die euch den Apfel des Erkennens reicht. Ist euch auf Kurs des Lebens gar zu bange, laßt ab von mir, bevor die Unschuld weicht!

Juni 2004

Zur Enstehung

Nachdem ich es bei gedichte.com, meinem traditionellen Heimatforum, zu einem gewissen Bekanntheitsgrad geschafft hatte, wollte ich mich auch in weiteren Lyrikforen umschauen. Bei gedichteforen.de wurde man angehalten, sich als neues Mitglied erst einmal vorzustellen. Da sich das Klientel beider Foren bis heute gut überschneidet, aber doch nicht ganz deckungsgleich ist, wollte ich nicht das übliche Blabla bringen. Ich dachte, dass man sich in einem Forum, dessen Thema Gedichte sind, nicht besser vorstellen könne, als mit einem Gedicht. Voilà.

Übrigens, der Vers, „Gewiss an Schönheit kenn ich keinen Makel“, wurde von Lesern vielfach mißverstanden. Ich beziehe mich damit nicht auf meine Schönheit (zumal in einem Gedicht sowieso immer fraglich bleibt, wer Ich eigentlich bin), sondern auf die paradoxe Annahme, etwas könne „zu perfekt“ sein, um als schön empfunden zu werden. Diese Annahme halte ich deshalb für paradox, weil das Wort „perfekt“ sich ja nicht auf eine von anderem vordefinierte, feste Größe bezieht, sondern das individuelle Empfinden eines makellosen Zu- oder Gegenstandes beschreibt, egal welche Makel anderen an demselben Zu- oder Gegenstand vielleicht entdenken. Demzufolge kann etwas, an dem ich Makel entdecke, nicht perfekt sein und schon gar nicht „zu perfekt“. Der Wert der Perfektion ergibt sich erst und nur im Auge des jeweiligen Betrachters. Ich kenn‘ an Schönheit keinen Makel, bedeutet also nicht mehr als, Schönheit erscheint mir makellos und Schönheit im Sinne einer poésie pure ist, was ich anstrebe.

Von Dichtung und Wahrheit

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev14.mp3]
Von Dichtung und Wahrheit

   Häufig drängen sich auf meiner Bettstatt Leiber,
die wie Schlangen gierig sich umwinden.
   Blumenbrechend keuchen Münder junger Weiber
oder Burschen, die sich gleichsam finden,
      um an nacktem Fleische sich im Spiel
         der zart benetzten Köstlichkeiten
            liebestoll zu reiben.
         Unbemerkt im wilden Treiben
      such‘ ich Kiel    und Tinte, weiße Seiten.

   Silbernen Beschlag hat meine schöne Feder.
Ihre Fahne taugte die zu kitzeln,
   deren blasse Haut mein Pergament sei; Leder,
das ich wagte, schändlich zu bekritzeln.
      Auf der Suche nach dem Tintenhorn
         ergäb‘ ich mich dem irren Sehnen,
            schnitt in ihre Pelle
         mit dem Federkiel die Quelle:
      „Mir zum Born,    Arterien und Venen!“

   Und ich schrieb mit ihrem Blut die ganze Wahrheit
meiner Niedertracht auf ihre Körper,
   schaffte mir im Stillen dahingehend Klarheit,
daß im Reigen jener armen Dörper
      sich die Kraft der Dichtung offenbart. –
         Doch genug! Auf weichen Linnen
            will ich mich nun strecken
         zwischen liebestollen Gecken.
      Sei’s erspart,    Geschichten zu ersinnen!

XIV | Mai 2004

Zur Entstehung

In einm Kurs zur Mittelhochdeutschen Metrik gab uns Prof. Dr. Christph März eine Aufgabe, die mir die Augen ein Stück weiter dafür geöffnet hat, was Metrik wirklich ist. Er gab uns ein Faksimile des Gedichtes „Het ich tugende nicht so vil“ von Heinrich von Morungen, das, wie in mittelalterlichen Handschriften üblich, im Fließtext notiert war. Wir sollten es in eine zeitgenössische Edition bringen, also Zeilenumbrüche setzen und Leerzeilen lassen, wo wir das für angemessen hielten.

Das Morungen-Gedicht ist von der Form her eine Kanzone mit drei Strophen, entspricht also dem groben Schema AAB. Ich habe den geglätteten Versbau dieses Textes für mein „Von Dichtung & Wahrheit“ übernommen. Vom Drang geleitet, eine Kanzone zu schreiben, machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Thema und so kam mir die erotische Szene des Schreibens auf den nackten Körper in den Sinn, die von einem meiner Lieblingsfilme, „The Pillow Book“, von Peter Greenaway inspiriert ist. Damit allein konnte ich aber kein Gedicht füllen und ich überlegte weiter, wie man diese erotische Szene einbetten könnte. Ich erfand also die Geschichte eines lyr. Ich in einer orgiastischen Gesellschaft. Um die erotischen Motive nicht zu platt erscheinen zu lassen, mußte aber eine darüber hinausgehende Story her. Die Verbindung zur Dichtkunst war schon durch das Schreiben auf die Haut gegeben und ich machte mich daran, diesen Faden auszubauen. Letztlich erfand ich ein lyr. Ich, das als Dichter eine erotische Begebenheit erzählt, von der sich am Ende herausstellt, dass sie frei erfunden ist, ebenso wie demzufolge ihr Erzähler selbst. Die Frage danach, was nun Wahrheit und was Dichtung ist, habe ich für den Leser offen gelassen. Darüber darf er gerne selbstständig weiter reflektieren.

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Auf Kurs

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev13.mp3]
Auf Kurs

Ich bin Odysseus und mein Leben
   gleicht der Schiffahrt auf dem blauen Meer.
Der Wind lenkt unbestimmt mein Streben,
   füllt die weißen Segel stürmend auf
Und willig folgt mein Boot dem irren Lauf.

Ich komme aus dem Ungewissen,
   das mich haltlos wirft auf blaues Meer.
Die Impressionen sind zerrissen –
   so wie ich; selbst geb‘ ich Sinn dazu
Und weiß im Ungewissen meine Ruh‘.

Ich tauche ahnend in die Wellen,
   dringe tiefer ein ins blaue Meer.
Das Schöne kann sich nicht verstellen –
   staunend find‘ ich wundersamen Ort
Und sammle Perlen meiner Sehnsucht dort.

XIII | Apr. 2004

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Der schöne Weiher

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Der schöne Weiher

   Es hat sich Narziß in die Tiefen gestürzt,
dort hält er sein Abbild umschlungen;
   ergeben dem Sehnen. Dies hat nun verkürzt
das Leben des bildschönen Jungen.

   Der Weiher, selbst Spiegel des Jünglings, beginnt
von Trauer gepackt seine Klage.
   In salzigen Tränen zerfließt er geschwind
und weinet so mehrere Tage.

   Die Nymphen, vom Schluchzen des Weihers gelockt,
versammeln sich rasch bei dem Guten
   und finden, ans Ufer des Wassers gehockt,
verwandelt die plätschernden Fluten.

   Sie kommen zu trösten, ihn süß zu erfreu’n;
schon lösen sie hastig die Strähnen,
   die goldenen Zöpfe, ganz ohne zu scheu’n
und rufen mit wallenden Mähnen:

   „Was weinest du Weiher, was seufzest du Naß?
In Tränen bist du gar verwandelt.“
   „Ich weine, sprach dieser, den Umständen, daß
er fort ist, der einst hier gewandelt.“

   „Daß du um ihn trauerst, das wundert uns nicht.
Er war wunderschön, dein Narcissus!“
   Der sinnende Weiher sprach ruhig und schlicht:
„War er denn so schön, mein Narcissus?“

   „Ach, Weiher, wer wüßte dies besser als du?
Zu dir kam er täglich bestaunen
   sein Spiegelbild. Uns aber ließ er in Ruh‘
und gönnt‘ uns den lüsternen Faunen.

   Wir lockten auf Höhen, im grünenden Wald
ihn singend und spielten die Leier.
   Es trugen die zartesten Füßchen als bald
den Knaben zu dir, guter Weiher.“

   Die Worte bedenkend schwieg lange der See,
gedachte dem treuen Begleiter.
   Es tat die Erinnerung schrecklich ihm weh…
Er seufzte, doch dann sprach er weiter:

   „Ich liebte Narcissus und weine für wahr;
wenn er sich am Ufer darniedergeleit,
   dann war mir sein Dunkel der Augen so klar,
ein Spiegel der eigenen Schönheit.“

XII | Apr. 2004

Zur Entstehung

Ich bin kein Geschichtenerzähler, Lyriker ja, aber das mit dem Geschichten erzählen kriege ich nicht hin. Episches entwickelt sich immer mehr oder weniger als Verlauf, auch wenn dieser nicht chronologisch dargestellt wird, so ist er linear und kann in chronologische Reihenfolge gebracht werden. Lyrik ist eine Entwicklung des Moments, ein Affekt, der sich quasi ballongartig von einem Punkt aus aufbläht und nicht von einem Punkt A zu einem Punkt B kommt. Das Lyrische liegt mir.

Dennoch wollte ich schon lange eine Ballade schreiben, eine kleine Erzählung im gebundenen Vers, in der Figuren auftreten und miteinander agieren. Was macht man, wenn einem selbst keine Geschichte einfällt. Ganz klar, man klaut sich eine. Diese hier habe ich von Oscar Wilde geklaut und kennengelernt habe ich sie als Intro des Coelho Romans „Der Alchimist“. Lange habe ich im Netz nach dem Original gesucht und unter dem Titel „The Pupil“ wurde ich fündig. Die Herrliche Doppeldeutigkeit dieses Titels ist im Deutschen schwer nachzumachen. „The Pupil“ ist einerseits die Pupille, in der sich der Betrachter spiegelt, Narziss‘ Pupille. Andererseits ist „The Pupil“ auch der Schüler, Narziss sein Lehrer.


Caravaggio ~ Narziss

Die Spiegelmetapher ist an sich nicht nur eine der klassischsten, sondern auch eine meiner liebsten1. Aber das allein war nicht der Grund für den Reiz dieser Arbeit. Hier konnte ich mich zum ersten mal an der Gestaltung von Charakteren und einem Erzählverlauf üben. Die Nymphen haben es mir dabei besonders angetan. Mädchenhaft und leich naiv, aber auch irgendwie hererfrischend, schwirren sie in der Märchenlandschaft umher und tun, was sie am besten können, verführerisch sein. Ihr Spiel mit den Faunen ist ein kindliches, das aber in ihrem Bestreben danach, die Aufmerksamkeit des Weihers zu erhaschen, deutlich ausgelagert erscheint. Im Großen und Ganzen war die Geschichte perfekt, um in Reime gebunden zu werden, was sie vielleicht nicht besser macht, aber anders.

Beim Metrum habe ich mich übrigens an Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ orientiert. Diese dreizeitigen Verse im Wechsel vier- und dreihebig fließen für eine märchenhafte Erzählung gerade richtig dahin.

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1. In dieser Hausarbeit spreche ich sehr ausführlich über die Spiegelmetapher und ihre Bedeutung. Die Arbeit ist, im Vergleich zu diesem Gedicht, relativ frisch.

o veneres cupidinesque

Donnerstag, 10. Mai 2007

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O VENERES CUPIDINESQUE

für G.S.

   Komm! Iuventi, Beispiel strotzender Gewalt,
   zeig den Liebreiz deiner männlichen Gestalt,
wirf die Schleier fort, die deine Scham bedecken,
   laß mich dieses Eisen schmelzen wie ein Schmied,
   glatter, weicher als des alten Mannes Glied,
tief mein Haupt in deiner Mitte sanft verstecken.

   Was einst Sokrates bei Agathon beriet,
   das gereiche uns zum süßen Unterschied
und wie Hadrian den Antonin begehrte,
   halten wir es beide nun in seinem Bild.
   Sieh! es hat der Heiland sein Begehr gestillt
an dem Blick des Jüngers, der ihn so verehrte.

   Und wenn unser Gott nun seine Fäuste ballt
   und im Zorn den Gurt der Unterdrückung schnallt,
dann ruf ich die Liebesgöttinnen bei Zeiten
   und die lang gelobten Liebesgötter an,
   die in ihrer unbegrenzten Macht sodann
über ihm den bunten Regenbogen breiten.

XI | Mar. 2004

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Die künstlichen Paradiese

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Die künstlichen Paradiese

Zünde mir ein Licht, du rote Flamme,
   komm, umarme mich und sei mir hold,
   gib mir neun für zehn, wie ich’s gewollt,
sei mir Mutter, Retter, Dame, Amme!

Weiße Milch, dich will ich eilig trinken,
   kreuzen die Gestade meiner Schuld,
in die Welten meiner Träume sinken.
   O, dein Rausch spult Spindeln der Geduld!

   Und die grüne Fee herrscht immer dar,
   paart und mischt im Wahnsinn falsch und wahr,
formt die Sinne mir zu Arabesken
lächerlicher Masken und Grotesken!

Seht, der schwache Hauch, der matte Funken
   Poesie von Flamme, Milch und Fee
      tropft durch meine schwarze Feder
         auf’s Papier und ich bin frei!

X | Mar. 2004

Zur Entstehung

In seinem Essay „Les paradis artificiel“ (dt. „Die Künstlichen Paradiese“) reflektierte Charles Baudelaire über die Wirkung von Opium und Haschisch. Erfahrungen mit bewußtseinserweiternden und anderen wirksamen Substanzen sollten dem französischen Symbolisten neue Horizonte eröffnen. Als im März 2004 das Internet-Forum www.gedichte.com einen Lyrik-Wettbewerb ausschrieb, dessen Aufgabe es war ein vorgegebenes Bild zu bedichten, war es das, was mir einfiel. Natürlich wollte ich für einen Wettbewerb, in dem sich Dichter messen, ein poetologisches Gedicht schreiben, d.h. Bezug auf das Dichten selbst nehmen. Letzteres wollte ich zu einer Droge stilisieren, einer Tätigkeit, von der man, einmal angefixt, nicht mehr lassen kann. Über die Parallelgestaltung mit den anderen drei Stoffen, die alle nur implizit beschrieben sind, wollte ich es zum vierten künstlichen Paradies machen. Kunst und Künstlichkeit sind nicht umsonst etymologisch verwandt. Das Künstliche ist vom Menschen nach seinen Fähigkeiten, seiner Kunst, geschaffen. Mit der fiktionalen Welt, die ein Autor oder Dichter erschafft, kreiert er sich zugleich sein unwirkliches Paradies, unfähig, sich davon abzuwenden.

Der Text weist viele kleine Gimmicks in seiner Gestaltung auf, poetologische Sophistereien. So findet sich ein Kreuzreim, wo Gestade gekreuzt werden, ein Paarreim, wo sich gepaart wird, etc. Jeder Substanz ist eine Farbe zugeordnet, deren Mischung am Ende im Schwarz zusammenfließt und Metonymien und Metaphern treten für sie ein. Alle Spielereien sollten den Text selbst zu einem Objekt bewußter Künstlichkeit machen und vielleicht auch zu Kunst…
… zumindest habe ich den Wettbewerb damals gewonnen, auch wenn ich glaube, dass die Jury selbst nicht so genau wußte, warum eigentlich.
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Salomés Monolog

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev09.mp3]
Salomés Monolog

Iokanaan, in deiner tiefen Gruft
   verliefen Blicke sich in Dunkelheit,
   begehrte deine Schönheit Einsamkeit
und Unheil schwängerte die Abendluft.

Iokanaan, nur eines wollte ich –
   den Kuß von deinem schönen, roten Mund.
   So tanzte ich mir meine Füße wund
und alle Edelmänner schauten mich.

   Nun ruht auf meinem silbernen Tablett
   dein Haupt, Iokanaan, vom Totenbett
verläßt die Lippen nimmer Liebesschwur.

   Ach, hättest du die Augen aufgetan,
   um mich zu sehen, mein Iokanaan –
car il ne faut regarder que l’amour.

IX | Mar. 2004

Zur Entstehung

Ich habe ja schon oft fasziniert für Wildes „Salomé“ geschwärmt, eine Tragödie, die der sonst englischsprachige Autor auf franzsösisch verfaßte, damit die berühmte Sarah Bernhard die Hauptrolle übernähme. Es hat nicht funktioniert, denn „Salomé“ zerschellte an der Doppelmoral der viktorianischen Gesellschaft, auf die Wilde auch in diesem Drama, wenn auch nicht so offensichtlich, Bezug nimmt. Es geht um eine junge Prinzessin, die von so besonderer jugendlicher Schönheit ist, dass alle mächtigen Männer in ihrer Umgebung sie begehren. Sie selbst versteht das sexuelle Begehren noch nicht so recht und fühlt sich von den geifernden Männern angeekelt, aber sie bemerkt auch, welche Macht es ihr das Begehren der Mächtigen verleiht.


Aubrey Beardsley ~ Apotheose

Den politischen (oder religiösen?) Gefangenen, Iokanaan, umgibt eine mystische Aura. Er ist so unnahbar, dass er der Mensch ist, der Salomés Stiefvater, dem König, am meisten Angst bereitet. Auch ist er der Einzige, der sich nicht für Salomé interessiert, was freilich ihr Begehren weckt, weil man immer haben möchte, was man nicht haben kann. Sie testet ihre Macht und verlangt die Herausgabe Iokanaans, der König jedoch fürchtet sich, den Täufer freizulassen. Doch Salomé weiß um das Begehren des Königs und beginnt, diesen zu verführen. Blind vor Lust verspricht der Vater ihr alles, wenn sie nur einmal den Tanz der sieben Schleier für ihn tanze. Ihre Mutter, die sich schon lange den Tod Iokanaans wünscht, flüstert ihrer Tochter ein, sich zum Dank das Haupt des Täufers zu wünschen. Salomés Verführungskünste schlagen an, der König kann sich ihrer Bitte nicht verwehren und präsentiert ihr das Haupt. Salomés Verzweiflung über den Tod des Geliebten stürzt sie in den Wahnsinn, die Angst des Vaters vor dem Verbrechen aber, bringt ihn dazu, auch die Tochter töten zu lassen.

Salomés französischer Schlußsatz bringt die für mich zentralen Aspekte dieses Werks einfach aus einen abschließenden Punkt. Warum er in Wildes englischer Übersetzung fehlt, wird mir für immer ein Rätsel bleiben. Ich mußte, ich mußte Salomé einen finalen Monolog dichten, um meiner Begeisterung für dieses Drama angemessen Ausdruck zu verleihen.
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Le vampir

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev08.mp3]
Le vampir

Hommage à C.B.

Mit fester Hand führ ich die Klinge,
   die in dein klagend Herz sich senkt
und in die tiefe Wunde dringe
   ich – Dämon – toll und schmuckbehängt.

   Auf deinem viel geschundnen Geist
will ich mir meinen Thron errichten,
   trink mich an deinem Blute feist,
um alles Leben zu vernichten.

   Dann lache ich – du willst entfliehn.
Hast dich doch selbst an mich gebunden!
Verzweifelt leckst du deine Wunden,
   verfluchst in Versen deinen Spleen.

Dir wird kein Schwert sich je verbünden,
   kein Gift, das dir die Freiheit schenkt
und feige reibt an deinen Sünden
   dein Leben sich, das Reue denkt.

   Welch Klage dringt vom Jammertal;
es will mir fast das Herz zerreißen.
   Hier sitzt dein totes Ideal
und kann sich nicht den Spott verbeißen.

   Ich gönn zuletzt mir den Genuß
und schür die Ängste, die dich schrecken,
die in mir neues Leben wecken
   durch einen einzgen, kalten Kuß.

VIII | Feb. 2004

© LeVampyre, 2004
http://abgedichtet.org

Ich bitte noch einmal ausdrücklich darum zu bedenken, dass dieser Text unter CC-BY-NC-ND-Lizenz steht und nur dann auf der eigenen Homepage, im eigenen Profil oder sonstwo verwendet werden darf, wenn Titel, Widmung, Verfassername und Quelle in Form eines Backlinks auf meine Homepage http://abgedichtet.org vorhanden sind. Ich neige dazu, Veröffentlichungen, die diese Bedingungen nicht erfüllen, vom Netz nehmen zu lassen.

Zur Entstehung

Dieser Text hat, wenn ich mich recht entsinne, eine längere Entstehungsgeschichte. Ich war schon immer seltsam fasziniert von Charles Baudelaires „Le vampir„, von der Stilisierung eines inneren Konfliktes, der einen fast in den Wahnsinn treibt und ich nahm mir vor, selbst solch ein Gedicht zu verfassen. Nun ist ein Baudelaire Gedicht, in das man sich ersteinmal hineingefressen hat, wie ein Berg an dem man nicht vorbeikommt, ohne zu zerschellen. Das mußte ich ziemlich schnell einsehen und da ich nicht zerschellen wollte oder konnte, kam mir irgendwann die Idee, den Vampir noch einmal zu schreiben und dabei die Rollen zu vertauschen, den anderen Blickwinkel zu zeigen, den der Stärke, der Überlegenheit und zu sehen, welchen Effekt das auf die Wahrnehmung hätte. Ich besah mir also die metrische Konstitution des Textes und baute meine Verse, mein Reimschema, meine Strophenanordnung genau gleich, wenn man überhaupt von der Gleichheit des metrischen Systems zweier so verschiedener Sprachen ausgehen kann.

Ich wollte, dass ein versierter Leser den Zusammenhang beider Texte entdeckt, deshalb behielt ich den französischen Titel bei und fügte die Hommage à C.B. hinzu. Wie existentiell diese Details für den Text sind, scheinen jedoch leider nur wenige Leser zu verstehen. „Le vampir“ ist der mit Abstand meist plagiierte Text meiner Feder. Blöderweise vergessen die Copy&Paste-Spezialisten nicht nur meinen Namen unter den Text, sondern auch Titel und Widmung darüber zu setzen, was das in meinen Augen viel schlimmere Übel ist. Dadurch wird der Text nämlich einer wichtigen Bedeutungsebene beraubt und niemand erkennt mehr, dass es sich gewolltermaßen um ein Parallelgedicht handelt. Ich mag es nicht, wenn er dann einfach aufgrund seiner Schlagworte beurteilt und in sämtlichen SVV-Emo-Gothic-Communities gerade zu platt und gehaltlos verwurstet wird. Wie differenziert ich übrigens den Originaltext von Baudelaire verstehe, kann man in meiner Interpretation nachlesen.

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