Suchanfrage vom 08.05.08

Bei Blicken in meine Blogstatistik sorgen die Suchanfragen, mit denen Leute auf meine Seite gefunden haben, immer für die meiste Erheiterung. Ab und an sind da aber auch interessante Fragen formuliert, zu denen ich mich einfach äußern muß. Wo, wenn nicht hier?

Die anonyme Suchanfrage des heutigen Tages lautet:

Wann hat man das erste Mal Namen gegeben?

Die Geschichte der Namensgebung ist vielleicht die Geschichte der Sprache überhaupt. Allen Dingen und Aspekten, die uns in der Welt umgeben und die wir wahrnehmen können, haben wir Namen gegeben, um uns mit anderen Geschöpfen unserer Art darüber auszutauschen. Ob wir einem Ding in der Welt (Baum, Liebe, Radfahren) oder uns gegenseitig (Katrin, Mausilein, Dr. Finkenkrug) einen Namen geben, unterscheidet sich im Vorgang eigentlich kaum. Beide Male ordnen wir einer Vorstellung oder einem Konzept in unserem Kopf ein willkürliches Lautbild (oder Schriftbild) zu und erzeugen damit im Kopf unseres Gegenüber eine ähnliche Vorstellung. Deshalb können wir uns über Baum und Katrin unterhalten, auch wenn weder Baum, noch Katrin anwesend sind.


Wikipedia: Im Englischen ist das Lautbild „tree“ der Vorstellung (Concept) ‚Baum‘ zugeordnet

Willkürlich sind diese Lautbilder deshalb, weil wir dem Konzept Baum oder Katrin auch einen völlig anderen Namen hätten geben können, z.B. tree oder arbre oder krchge. Aber innerhalb eines Sprachverbandes gibt es natürlich weitestgehend Einigkeit darüber, welche Namen wir den Konzepten geben, denn sonst könnten wir uns ja nicht verständigen. Die Linguisten sagen deshalb, sprachliche Symbole (also die Verbindung eines Lautbildes mit einem Konzept) sind arbiträr, aber zugleich konventionell.

Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es Namen (für Dinge, Abstrakta, Personen, etc.) schon lange vor der Schrift, also bevor wir eine Sprache überhaupt historisch betrachten und untersuchen können, gegeben hat. Die ältesten Schriftzeugnisse stammen aus Sumer und sind ein bisschen älter als 5000 Jahre. Das Besondere an der sumerischen Sprache ist nicht nur, dass sie die älteste durch Schrift bezeugte Sprache ist, sondern auch, dass sie mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt zu sein scheint. Für Dinge und Personen hatten die Sumerer Namen.

Mit dem Prozess der Namensgebung ist aber auch eine Entindividualisierung der Dinge in der Welt verbunden. Natürlich gleicht kein Baum im Wald dem anderen, trotzdem nennen wir sie alle Baum und können Gruppen und eine Mehrzahl bilden. Im linguistischen Gedankenkonstrukt einer Adamitischen Sprache (Sprache Gottes) wäre das nicht möglich, da jedes individuelle Ding seinen individuelllen Namen hätte. Die Überwindung der göttlichen Namensgebung steht mit der Legende der Babylonischen Sprachverwirrung in Zusammenhang – die Verwirrung hat kühl betrachtet jedoch den Vorteil der Abstraktion.

Letztlich bleibt zum Thema Namensgebung noch die Sapir-Whorf-Hypothese zu benennen, die davon ausgeht, dass Sprache (also eine gemeinschaftliche Konvention über Namensgebung) auch unsere Vorstellung von den benannten Dingen beeinflußt, wodurch Sprache und Denken in untrennbar enge Relation treten. Hast du schon mal probiert an etwas zu denken, ohne dafür Worte im Kopf zu formulieren oder Aussagen wie: „Ich würde meine Tochter nie Cindy nennen, ich kenne nur schreckliche Cindys!“, gehört?

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7 Kommentare zu “Suchanfrage vom 08.05.08”

  1. Frederik Weitz
    Mai 12th, 2008 09:05
    1

    Der französische Psychoanalytiker Lacan hat ja dieses Schema von de Saussure ein wenig umgestellt: er hat den Kringel um das Zeichen entfernt und Lautbild und Vorstellungsbild umgedreht, so dass das Wort nun oben und das Ikon unten steht (in der Skizze).
    Laut Lacan schafft erst das reproduzierbare Lautbild eine Vereinheitlichung/Abstraktion des Vorstellungsbildes. Auf der einen Seite als sperrt es die Vorstellung und schleift die Differenzen. Man kann dies sehen, wenn unterschiedliche Kulturen hier unterschiedliche Bedeutungsdifferenzen brauchen; während der heutige Deutsche nur ein Wort für Schnee kennt, nämlich ebenjenes, wissen die Inuit siebenundzwanzig Arten von Schnee zu unterscheiden. – Andererseits kann der Klangkörper/Schriftbild beliebige neue Kombinationen hervorrufen, so dass neue Differenzen entstehen und mit neuen Vorstellungen verbunden werden.
    Nicht zu verachten ist hier auch die Unterscheidung Denotation, Konnotation. Die Denotation bezeichnet das genau Gemeinte, wie es in der Welt vorkommt. Die Denotation Hund verweist auf das vierbeinige, domestizierte Raubtier, das sich durch die Berliner Straßen scheißert. Die Konnotation ist die Mitbedeutung, bzw. – wie Umberto Eco sagt – eine Art semantischer Grammatizität im Wort: vage Stellen, die durch ihre Sprachumgebung präzisiert werden können. Sage ich zu einem Menschen Du Hund!, wird durch die Missachtung der Denotation die mitgemeinte Bedeutung des Wortes aufgerufen.
    Ganz wundervoll schreibt Roland Barthes in seinem Buch Die Vorbereitung des Romans zu den Haikus. Diese besitzen immer ein tangibilia, ein Wort, das auf ein berührbares Ding hinweist, eine Pfirsichblüte, ein Reiskorn, einen Frosch; und immer kommt ein Bezug zur Jahres- oder Tageszeit dazu. Nun analysiert Barthes das Haiku als ein Gedicht, dessen Bezug weder das tangibilia noch das Wetter ist, denn dazu ist es zu ausgeschnitten, zu fragmentiert, zu momenthaft. Der Bezug des Haikus liegt im temperierten oder meditativen Affekt. Semantisch gesehen liegt das daran, dass sich das Haiku weder einem Bild (der Kognitionspsychologe sagt: komplexive Vernetzung), noch einer Handlung (Skript), noch einer Worthierarchie (Ober-/Unterbegriff) zuordnen lässt, und meist noch nicht mal einen vollständigen Satz aufweist (also auch keine propositionale Relation – das vierte semantisch-kognitive Abbild – darstellt). Gerade dadurch entspinnt sich im Haiku ein reines affektives Intervall, das trotz seiner Denotationen keines von diesen meint. Die Form, neben Denotation und Konnotation scheint’s eine dritte Art der Bedeutungszuweisung, lässt das momenthafte Bild erscheinen und löscht zugleich dieses wieder aus.

    Die Schwalben fallen.
    Vom Balkon steigt die feuchte
    Luft in Schlieren. Mai.

  2. Snorf
    Mai 12th, 2008 10:05
    2

    Ja das mit der Sprache ist schon faszinierend. Zu den Sumerern kann ich auch noch was spannendes sagen. Es ist nämlich so, dass wir die Schrift an sich viel früher fassen und sogar lesen können, bevor wir die Sprache an sich fassen können. Soll heissen, wir sehen das Zeichen für Haus und verstehen, aha, das heisst also Haus. Aber wir wissen nicht, in welcher Sprache das gesprochen wurde, also sumerisch oder was ganz anderes. Erst in dem Moment wo grammatische Ergänzungen zu den Bildzeichen treten wie z.B. „des Haus-es“, können wir die Sprache als solche identifizieren. In Mesopotamien passiert das um 3500-3000 v.Chr. und die grammatischen Ergänzungen sind sumerisch.
    Die ersten „Schriftzeichen“ an sich, also ein Symbol, das für eine Information steht, gibt es schon wesentlich länger in Mesopotamien.
    Dabei handelt es sich um sogenannte Tokens, Zählzeichen aus Ton, die es bereits ab etwa 10.000 BC gibt und erstaunlich schnell im gesamten mesopotamischen und benachbarten Raum zu finden sind.
    Zur Legende der Babylonischen Sprachverwirrung kann ich nur sagen, dass das jedem total einleutet, der jemals Vorderasiatische Altertumskunde oder Altorientalistik studiert hat, denn die Fülle der bereits vorhandenen und vor allem die Masse der ständig neu einwandernen oder besser einstürmenden Völker kann ja nur ein einziges Chaos an Sprachen hervorrufen. Das ist im Asterixcomic „Die Odyssee“ einfach wundervoll karikiert.

    Snorf!

  3. LeV
    Mai 12th, 2008 13:28
    3

    […] während der heutige Deutsche nur ein Wort für Schnee kennt, nämlich ebenjenes, wissen die Inuit siebenundzwanzig Arten von Schnee zu unterscheiden.

    Es ändert zwar nichts an deinem Punkt, aber ich habe mal gehört, dass das eine urban legend ist, die nicht stimmt. Was die Denotation anbetrifft, so frage ich mich manchmal, ob sie nicht nur ein hilfreiches theoretisches Konstrukt ist und in der Sprachpraxis gar nicht wirklich existiert. Wörter existieren ja nicht kontextunabhängig und die Negation einer Wertung ist in sich eigentlich auch eine Wertung.

    Dabei handelt es sich um sogenannte Tokens, Zählzeichen aus Ton

    Das finde ich wiederum sehr interessant, aber auch naheliegend, dass vor den Namen für die Dinge, die Anzahl der Dinge schriftlich fixiert wurde (was ja nicht heißt, dass es die Namen nicht trotzdem bereits gab). Aber ein Ding, das man anfassen kann, muß nicht unbedingt dokumentiert werden, denn es ist ja da und kann angefaßt werden. Die Anzahl des Dinges ist aber nichts, das man anfassen kann, trotzdem muß man sich darüber verständigen, besonders wenn man handel treiben will. Es handelt sich aber trotzdem um einen Namensgebungsprozess, wenn ich einem abstrakten Ding, nämlich der Zahl eines konkreten Dings, einen Namen (z.B. fünf) gebe.

  4. Frederik Weitz
    Mai 12th, 2008 18:56
    4

    Das mit den 27 Schneebezeichnungen als urban legend habe ich noch nicht gehört.
    Natürlich ist die Denotation eine Abstraktion, besser: eine Polarisation. Denn schon im Wörterbuch findest du die Denotation von anderen Zeichen umstellt: mithin von einem Kontext. Die Denotation bekommt dann Sinn, wenn der Verweis in die Realität manifest wird: Hol mir mal die Fleischgabel aus der Küche! Zum Vergleich: Hol mir mal das Dings aus dem Zimmer! Die Denotation hat einen Hang zum Eigennamen. Wenn ich sage: Hol mir mal die Fleischgabel aus der Küche, ist damit eine situativ ganz konkrete Küche mit einer dort ganz einzigartigen Fleischgabel gemeint. Der Kontext macht also aus vielen Gattungsnamen so etwas wie Quasi-Eigennamen. Andersherum gesagt nützt der Eigenname garnichts, wenn 17 Mädchen in der Klasse Boris und die Jungs alle Steffi heißen. Man kann also sagen, dass es mit der Denotation wie mit dem Tennisball ist: mal spielt er mehr auf der Seite der Konnotation, mal mehr auf der Seite des Eigennamens. Das scheint wieder auf das Phänomen hinzuweisen, dass man ein Wort entweder mehr im Sprachkontext oder mehr im Handlungskontext gebrauchen kann, natürlich ohne das eine vom anderen lösen zu können.

  5. LeV
    Mai 13th, 2008 00:16
    5

    Es gibt eine These in der Markedness Theory, dass einzahlige Dinge markierter sind, als mehrzahlige, und zwar weil das besondere in der Masse eben hervorsticht. Aber auch die ganz konkrete scheiß Fleischgabel aus der ganz konkreten verfickten Küche verliert die Neutralität im Kontext konnotativer Attribute, auch in der Einzahl. Aber wenn bspw. ein Sprecher aus Gewohnheit jedes Ding mit „verfickt“ attributiert, dann kann die Fleischgabel in unattributierter Gesellschaft plötzlich konnotative Züge annehmen, weil sie als markiert hervortritt. Was ich damit sagen will, ist, dass Denotation keine feste Größe ist, die man bestimmten Wörtern zuordnen könnte, während andere Wörter, die sich auf denselben Referenten beziehen immer konnotiert sind. Aber das war sicher auch nicht der Punkt, auf den du hinaus wolltest.

  6. Ludo Kamberlein
    Juni 11th, 2008 11:34
    6

    Die Suchanfragen sind vermutlich authentisch. Aber bei den Statistiken, die man vom Hoster bekommt, werde ich allmählich skeptisch: Ist es wirklich auszuschließen, dass die nicht einfach künstlich in die Höhe getrieben werden, damit der Kunde/Webmaster/Autor sich gut fühlt ?

  7. LeV
    Juni 12th, 2008 00:28
    7

    Na ja, es gibt verschiedene Software, die Zugriffe auswertet und Statistiken erstellt. Ich nutze drei verschiedene und je nach Bewertungskriterien fallen sie natürlich ganz unterschiedlich aus. Ich gebe auf die Zugriffszahlen selbst wenig, dass ich ab und an gelesen werde, weiß ich, weil ich Kommentatoren habe. Dass mein Hoster meine Statistiken manipuliert, wage ich zu bezweifeln: 1.) Was? 2.) Warum? und 3.) Wie? Davon abgesehen habe ich ein ziemlich gutes Verhältnis zu meinem Hoster. Weiß ja nicht, wie das bei dir ist, aber er ist mein Kumpel und radelt gerade durch die norwegische Pampa.

    Was mir in letzter Zeit negativ auffällt, dafür kann mein Hoster aber nix, ist Referrer-Spam – ja, URLs von denen aus deine Website aufgerufen wird, die dann in deinen Referrer-Listen auftauchen, so Cialis- und Viagra-Scheiß. Echt überflüssig!

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