Götter, es liegen die Klagen mir nicht

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Götter, es liegen die Klagen mir nicht. Das Geheische nach Mitleid
   spendet mir keinerlei Trost. Widerlich ist das Gebet.
Ihr gabt uns Freiheit zu denken, zu fühlen, als mündige Wesen
   selbst noch zu lenken das Los unseres Lebensgeschicks.

Doch das Gegebene nutzen nur Wenige, denn es macht Mühe
   schaffend sein Selbst zu befrein. Wer will die Unschuld verliern?

Lange beklagen verzweifelte Menschen das göttliche Fehlen.
   Hoffnungsvoll schauten sie auf, flehten, dass ihr sie erlöst.
Flehten, dass Väter und Mütter sie hätscheln, dass Freunde sie lieben,
   Lehrer sie bilden und, ach, Führer sie führen zum Glück.

Sie sind nicht schuldig an ihrem Gelingen und ihrem Gewissen
   schmeichelt die Träne wie Huld, während sie baden im Leid.

Immer und ewig nur Opfer zu bleiben aus Trägheit, aus Faulheit
   dauerhaft passiv zu sein – fraglich bleibt solch Paradies.
Ich will vom schwindenden Blute noch jeglichen Tropfen genießen,
   will in der tödlichen Stund‘ wissen, ich habe gelebt.

XXII | Mar. 2005

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Der Text wurde hier erstveröffentlicht.

2 Kommentare zu “Götter, es liegen die Klagen mir nicht”

  1. Yelu
    November 17th, 2008 19:00
    1

    Wie schade, dass solcherlei nicht überleben wird.
    Welch Grösse des Geistes versinkt
    in den Stürmen der Nacht
    und keines Gottes, und keines Menschen Sonne

    was nicht erhebet, wirds denn erhoben
    und was erlischt unter den Erloschenen

    dass noch ein Dichter der Grösse, des Ganzen
    dass noch ein Antlitz der Sterne gewahr
    die doch fallen und schweigen
    dass noch ein Schweigen, ein Herz, einer Liebe

    und Sterben. dass grosse Gedichte
    nur scheitern vor Leblosen und Leblosigkeit

    und kein Grosser vereinet den Sang
    zum Hymnus der Sterne
    kein Sang der überlebt wiewohl Grösse
    kein Mensch der lebt wiewohl Gott.

    Immer wieder muss ich bedauern, dass manche Dichter sich tummeln
    in Foren, in Kreisen und in Literaturmagazinen, die dennoch,
    aus dem Mangel unserer Grössten hervor, von dilettantischen
    Versuchen erschlagen, auch wenn sie nur wenig Hohes schrieben,
    vergehen mit diesem Hohen.
    Und wie sehr wünschte ich mir, wir hätten Einen der vereint,
    was in den geheimen Hainen an Höhe darbet.

    Dieses Gedicht ist wieder mal der Beweis, dass es viele gute Dichter
    und Dichterinnen gibt, die wenn auch nur wenig Hohes geschrieben,
    dennoch Wert wären, zu überdauern.
    Und aus dem Mangel, da nichts ersteht, bleibt der Mangel,
    und aus dem Sieg, da ersteht nur der Tod.
    Es ist schade um einige wenige Gedichte einiger weniger Dichter
    und Dichterinnen, die ohne höheres Engagement niemals erhört werden.

  2. LeV
    November 18th, 2008 02:51
    2

    Andererseits nutzt sich zu breit Überlebtes auch irgendwann ab, oder kannst du heute noch die „Neunte Sinfonie“ mit der Hingabe hören, die sie eigentlich tatsächlich verdient? Da werden Schönheit und Inbrunst doch zum Klischee, zur bloßen Geste degradiert. Ich habe immer Rimbaud bewundert, den ich für eines der größten Dichtergenies überhaupt halte, und der von heute auf morgen mit dem Schreiben aufhören konnte. Heut mach ich das und morgen eben das… was schert mich denn, was die Welt von mir will?

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