Zur Autobiographie im Mittelalter

Donnerstag, 14. Juli 2011

In einer Woche wird meine letzte Abschlußklausur im Fach Ältere deutsche Sprache und Literatur (d.h. Altgermanistik/Mediaevistik) stattfinden. Eines der von mir eingereichten Themen ist die Autobiographie im Mittelalter. Ich habe mich früher schon mit der Autobiographie der frühen Neuzeit befaßt und hier im Blog bereits zu Johannes Butzbach und Helene Kottanner geschrieben. Nun versuche ich in Vorbereitung auf die Klausur einen zusammenfassenden Text zu schreiben, der Beispiele für Selbstzeugnisse (2. Teil) und den Stand der Forschung zur Autobiographie im Mittelalter (1. Teil) zusammenfaßt. Am Ende befindet sich eine kurze Bibliographie, die die von mir hierfür konsultierten Fachtexte aufführt. (mehr …)

Seminararbeit: Das Odeporicon als Spiegel einer neuen Zeit

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Das Odeporicon als Spiegel einer neuen Zeit. Zur literarhistorischen Einbettung und zum Gebrauch der Spiegelmetapher in der frühneuzeitlichen Autobiographie Johannes Butzbachs, Freie Universität Berlin, Okt. 2007
[Abschlußarbeit zum Hauptseminar “Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit” der Älteren deutschen Literatur und Sprache, geleitet von Frau Dr. Britta-Juliane Kruse]

Videmus nunc per speculum in aenigmate,
tunc autem facie ad faciem.1
(Paulus)

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit bildet die schriftliche Ergänzung meines Referates „Mehrfachcodierung des ‚Odeporicon‘ – Spiegelmetapher und Spiegelliteratur“ [pdf], das ich im Sommersemester 2007 im Rahmen des mediävistischen Hauptseminars „Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit“ hielt. Sie beschäftigt sich mit der Frage nach dem Gebrauch der Spiegelmetapher in der Autobiographie Johannes Butzbachs von 1506 und versucht, diese in einen literarhistorischen Kontext einzuordnen.

Da der Spiegel in der Literatur des Mittelalters bald zur „zentrale[n] Metapher eines von Analogiestrukturen geprägten Weltbildes“2 avanciert, erscheint es sinnvoll, sich zunächst die Bedeutung des Spiegels und seines metaphorischen Gebrauchs im Mittelalter zu vergegenwärtigen. Die Bedeutung/Interpretation sprachlicher Zeichen fällt in den Bereich der linguistischen Semiotik. Da aber die Optik, wie Umberto Eco in seiner Abhandlung „Über Spiegel und andere Phänomene“ feststellt3, mehr über Spiegel zu wissen scheint, als die Semiotik über Zeichen, beginnt diese Arbeit zunächst kurz mit dem Spiegel im Eigentlichen, bevor sie sich im Anschluß seiner tropologischen und ontogenetischen Bedeutung widmet.

Anhand semiotischer Betrachtungen werde ich versuchen, das philosophische Gedankenkonstrukt, welches den Spiegel als „Schwellenphänomen“ umgibt, darzustellen. Mit Beispielen, wie Heinrich von Morungens „Narzißlied“ und dem Speculum-Begriff als Buchtitel im 13. – 15. Jahrhundert, verweise ich auf eine perspektivische Veränderung in der Selbstwahrnehmung des spätmittelalterlichen Menschen, die mit der (vor allem auch metaphorischen) Benutzung des Spiegels als Instrument der Reflexion einherzugehen scheint. Wie und warum für diese Veränderung auch die Butzbachsche Autobiographie ein Spiegel ist, versuche ich im letzten Teil dieser Arbeit zu verdeutlichen.

2. Der Spiegel im Eigentlichen

Im Gegensatz zum „Spiegel im Uneigentlichen“ meint „Spiegel im Eigentlichen“ das physische Ding an sich, den Spiegel als optisches Gerät, dessen mikroskopisch glatte Oberfläche Lichtstrahlung aller Farben so zurückbeugt, daß dabei ein Bild entsteht. Die Physik spricht hierbei von gerichteter Reflexion. Wäre die Oberfläche des Spiegels im Verhältnis zur Wellenlänge des Lichtes rauh (selbst wenn dies mit bloßem Auge nicht zu erkennen wäre), so würde sie Lichtstrahlen diffus, also in verschiedene Richtungen reflektieren, so daß kein Bild entstehen könnte. Das Abbild eines Objektes, das im Spiegel sichtbar wird, heißt Spiegelbild und ist virtueller Natur. Aufrecht und spiegelsymmetrisch bildet es das Objekt in getreuem Größenverhältnis und nahezu ohne chromatische Aberrationen, also farbecht, ab.

Da Licht, das in einem bestimmten Winkel auf eine dunkle Wasseroberfläche trifft, total reflektiert wird, dürften dem Menschen wohl Oberflächen natürlicher Gewässer oder von in dunklen Schalen und ähnlichen Gefäßen befindlichem Wasser als Spiegel gedient haben. Die rückseitige Verdunklung der Reflexionsfläche verhindert dabei, daß das Bild der gerichteten Reflexion von Störungen durch diffuse Reflexion überlagert wird.

Bereits aus der Jungsteinzeit sind Spiegel aus Obsidian, einem dunklen, glasartigen Vulkangestein, bekannt, bei denen eine Seite glatt poliert war. In der Bronzezeit entstanden erste Metallspiegel, deren Fertigung besonders die Etrusker meisterhaft beherrschten. Auch hier wurde eine Seite mit Hilfe von Wasser und feiner Asche poliert. Erste Glasspiegel sollen schon die Römer hergestellt haben, die diese Technik aber, wie der Geschichtsschreiber Plinius berichtet, wohl von den Phöniziern übernommen haben.4

Hochwertigere Glasspiegel gibt es seit der Wiederentdeckung des Herstellungsverfahrens im 12. Jahrhundert.5 In die noch glühende Glasblase wurden rückseitig Metalllegierungen eingebracht. Seit der Frühen Neuzeit nutzte man ein 3:1 Zinn-Quecksilbergemisch, sogenanntes Zinnamalgam, das zur Bezeichnung Quecksilberspiegel führte. Spiegel waren aber bereits im Mittelalter als Luxusgegenstände begehrt. Kunst und Literatur bedienten sich der allegorischen und symbolischen Natur des Spiegels, die Optik verwandte ihn für wissenschaftlich-philosophische Untersuchungen.

Mir ist geschehen als einem kindelîne,
das sîn schoenez bilde in einem glase gesach.
(Heinrich von Morungen)

3. Der Spiegel im Uneigentlichen
3.1 Vonder Physik zur Metapher

Der Spiegel, dieses optische Gerät, wird zu einer Art Urmetapher. Zentral im Mittelalter übt sie bis heute eine weitreichende Faszination auf Kunst und Geisteswissenschaften aus. Welch spezieller Natur die Relation von Spiegel und Metapher ist, möchte ich anhand der Ausführungen zweier theoretischer Texte herausstellen. In seiner Dissertation „Dichten im Uneigentlichen“ führt der Mediävist Christoph Leuchter in die Problematik der Metapherntheorie des Mittelalters ein und stellt anschaulich deren Zusammenhang mit den modernen Zeichentheorien zur Sprache her. Die Verbindung zwischen den sprachlichen Zeichen, ihrer Deutung und dem Spiegel erhellt der Semiotiker Umberto Eco in seinem Aufsatz „Über Spiegel und andere Phänomene“.

Für Aristoteles ist Metapher noch ein Überbegriff für sämtliche unter dem Terminus Tropus zusammengefaßte rhetorische Stilfiguren, also auch Metonymien und Synekdochen. Die Metapher ist die Übertragung eines Wortes in ein anderes gemäß der Analogie, die sich in der Ähnlichkeit beider Größen manifestiert. Der Abend verhält sich zum Tag, wie das Alter zum Leben, deshalb kann man metaphorisch auch vom Lebensabend sprechen. Durch die zugrunde liegende Ähnlichkeit der Begriffe, Abend und Alter, ist die Metapher nicht willkürlich. Dennoch wirkt sie fremdartig, da es auch zu einer Übertragung des Wortfeldes, einer sogenannten „Kategorieüberschreitung“ kommt. Leben und Abend sind zwei Begriffe, die semantisch eigentlich nicht zusammengehen. Sie können in diesem Zusammenhang nicht meinen, was sie bedeuten. Sie sind nur übertragen zu verstehen, deshalb sprechen Linguisten im Falle metaphorisch-bildlicher Sprache auch von einem Sprechen im Uneigentlichen. Durch ihre Fremdartigkeit fordert die Metapher zur Interpretation, zur Deutung heraus, gleichzeitig ist sie nur im Rahmen eines Weltbildes verständlich, da die in den Wortfeldern kodierten Analogien abhängig von einer sozio-kulturellen Übereinkunft sind.

In seiner „Doctrina christiana“ erkennt Augustinus den Zeichencharakter der Metapher, wenn er strikt zwischen den res, den Bedeutungsfeldern der Worte, und den signa oder verba, den Worten selbst, unterscheidet. Die Zeichen selbst seien mit allen Sinnesorganen des Menschen wahrnehmbar. Hugo von St. Victor spricht deshalb in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts von einer Lesbarkeit der wahrnehmbaren Welt. Durch die Lektüre würde sich dem Menschen die Weisheit des unsichtbaren Gottes offenbaren.

Nihil vacuum neque sine signo apud Deum.6 Das Bedürfnis, die Welt als einen großen symbolischen Zusammenhang zu begreifen, in dem die Beschaffenheit der Dinge, durch Ähnlichkeit miteinander in Beziehung zu stehen, eine natürliche Qualität darstellt, erlebt im Europa des 14. Jahrhundert seine Blüte. Der Mensch des Mittelalters erkennt plötzlich, daß alle natürlichen Dinge eine tiefere Bedeutung und damit eine Verweisfunktion besitzen. Damit wird der Metapher eine doppelte Zeichenfunktion zuteil: Einem signum kann einerseits die wörtliche Bedeutung, andererseits die übertragene zugewiesen werden. Diese Ambiguität der Metapher läßt unter den Dialektikern den Ruf nach einer klaren und exakten also bildarmen Sprache laut werden. Die Rhetorik erkennt aber die Kreativität der Metapher, durch die eine neue Wirklichkeit und neue Erkenntnis generiert werden. Schon der Universalienstreit der Scholastiker hatte gezeigt, daß die Theoretiker des Mittelalters an der Ergründung der Sprache interessiert waren und durchaus unterschiedliche Positionen in Bezug auf ihre Natur bezogen.

Die Fähigkeit zur Semiose, dem Prozess, durch den laut Pierce ein Zeichen, sein Objekt und seine Interpretation in ein Wechselspiel miteinander treten, hält Umberto Eco für ein dem Menschen ureigenes Phänomen. Er schließt aber nicht aus, daß der Mensch gerade aufgrund einer uralten Spiegelerfahrung solch ein semiosisches Tier ist.7 Die Wahrnehmung des Menschen und seine Semiose stehen in enger Relation und beeinflussen einander wechselseitig, ebenso wie es die Sprache (als System von Zeichen) und das Denken tun. „Daher ist jede Sprache in Rücksicht geistiger Beziehung ein Wörterbuch erblasseter Metaphern.8

In seinen Untersuchungen über das sogenannte „Spiegelstadium“ des Menschen, eine Phase zwischen dem sechsten und achten Lebensmonat, in der der junge Mensch seinem Selbst zum ersten Mal im Spiegel begegnet, legt der französische Psychoanalytiker und Strukturalist Jacques Lacan aber nahe, daß Spiegelerfahrung und (Selbst-)Wahrnehmung des Menschen Hand in Hand gehen. Dadurch, daß sich der Mensch beim Blick in den Spiegel erstmals als ganzheitliches Subjekt in der Welt wahrnimmt, integriert er sein Selbst in das symbolische (oder semiosische) System. So beeinflußt die Wahrnehmung sein zukünftiges Denken; es kommt zur Reflexion. (Spannend ist an dieser Stelle auch das Polysem Reflexion, das sich einerseits auf die Beugung von Lichtstrahlen in einem Spiegel, andererseits auf das Nachsinnen des Menschen bezieht.) Die Spiegelerfahrung ist demnach ein Moment der Ontogenese des Subjektes, also der Entwicklung zum Individuum. Der Spiegel nimmt dabei die Rolle eines Mittlers zwischen zwei Wahrnehmungswelten ein oder, wie Eco es ausdrückt: „Der Spiegel ist ein Schwellenphänomen, das die Grenzen zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen markiert.“9

Damit wird aber der Spiegel selbst zu einer Metapher für den Zeichencharakter der Sprache und die Symbolhaftigkeit der Welt im Allgemeinen, die für den spätmittelalterlichen Betrachter so offenbar und wahrhaftig gewesen zu sein scheint. Paulus spricht von einem Spiegel in einem dunklen Wort, durch den wir nun sehen. Dies macht die Faszination des Spiegels aus und ist vermutlich auch der Grund dafür, daß er zu „eine[r] der vieldeutigsten Chiffren des Mittelalters10“ wird. Ihm werden Attribute von superbia und vanitas bis sapientia und veritas zugeordnet. „Die Literatur“, so der eben zitierte Leuchter weiter, „nutzt die abbildende, Erkenntnis vermittelnde, aber auch täuschende Wirkung des speculum, ‚bereichert um die Zerbrechlichkeit des Glases.‘11

3.2 Die Entdeckung der Individualität

Inwieweit der Gebrauch des Spiegels als Metapher auch das Denken einer neuen Zeit ankündigt, spricht Gert Kaiser in seinem Aufsatz „Narzissmotiv und Spiegelraub“ an. Darin betrachtet er u.a. das sogenannte Narzißlied, das dem Minnesänger Heinrich von Morungen (fl. 1200) zugeschrieben12 wird. Der Held der Ovidschen „Metamorphosen“ taucht darin eigentlich gar nicht auf, vielmehr kommt der Name Narzißlied aufgrund einer Analogie der im Lied verwandten Bilder und Metaphern mit der Tragik des selbstverliebten Jünglings zustande.

In der ersten Strophe setzt sich das Sänger-Ich explizit mit einem Kind gleich, das sein Spiegelbild in einem Glas erblickt und selbiges beim Versuch, danach zu greifen, zerbricht, woraufhin sich seine Freude in Leid verkehrt. In Analogie dazu glaubte der Sänger, beim Anblick seiner geliebten Minnedame immer froh zu sein, eine Annahme, die sich nun jedoch als falsch herausstellt. Denn in der zweiten Strophe führt die personifizierte Minne „in troumes wîs“ die geliebte Dame an das Bett des schlafenden Sängers. Träumend betrachtet er sich die Schönheit der vor allen Frauen Ausgezeichneten, entdeckt aber in einer Verletzung ihres roten Mundes etwas, das die Perfektion zu trüben scheint. Daraufhin bekommt es der Sänger, wie Strophe drei berichtet, mit der Angst zu tun und erhebt erneut Klage. Die Not, die ihn beim Anblick seiner vrouwe bestürzt, wird wiederum zum Anlaß, eine Analogie im Spiegelmotiv zu suchen: Der Anblick der Dame ist für den Sänger, was für das Kind der Anblick seines Spiegelbildes im Brunnen ist, das es bis zum Tode lieben muß. Strophe vier bricht vom symbolischen Stil der vorangegangenen Strophen los und bringt als Schluß einen stereotypen Frauenpreis.

Sowohl Gert Kaiser als auch Christoph Leuchter kommen in ihren Betrachtungen des Morungschen Narzißliedes zu dem Schluß, daß der Sinn des Narzißmotives auch für den mittelalterlichen Menschen die Selbstbegegnung war. Im Falle Morungens verweist die Logik der Analogie darauf, daß das Bild der Dame eine Reflexion des Sängers selbst ist. Denn die Minnedame ist nicht real, sondern ein Geschöpf des Minnesängers, der mit seinem Sang das Idealbild seiner vrouwe überhaupt erst formt und sie dadurch in die Existenz bringt. Daß diese Logik dem Minnesänger nicht fremd war, beweist auch Walther (von der Vogelweide), wenn es bei ihm heißt: „Stirbe ab ich, sô ist si tôt.“ (73,16) „Im Bild der geliebten vrouwe begegnet der Dichter seinem Werk und diese Begegnung ist wie ein Schauen in den Spiegel“, schreibt Kaiser13.

Das Narzißlied deckt, verwoben in uneigentliche Sprache, eigentlich einen Widerspruch im Minnekonzept auf. Geliebt und angebetet wird etwas Irreales, Fiktives, Künstliches. Im Traum ist die Dame dem Sänger nah, doch ihre Perfektion beginnt zu zerbrechen, wie das Spiegelbild, nach dem das Kind griff. Das Erreichen der Dame würde den Tod des Sanges bedeuten. Deshalb muß am fiktiven Konzept der Dame, am Paradoxon des Minnegedankens festgehalten werden; die letzte Strophe stellt dies mit ihrem stereotypen Preis zu Schau. Christoph Leuchter sieht darin eine Bestätigung des poetischen Prinzips. „Morungens Gleichnis“, so schließt er, „fußt […] auf der typischen Unerfahrenheit eines Kindes in der Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild. Diese Eigenschaft hat es mit Narziß gemein, der nicht nur schön ist, sondern vor allem die Natur des speculum nicht kennt.“

In der symbolischen Darstellung des Narißliedes blitzt für Gert Kaiser aber auch die Idee der Selbsterfahrung durch das Erleben von Leid auf. Leid und die daraus resultierende Selbsterfahrung seien wichtige Augenblicke in der Geschichte der Entdeckung des Individuums. Das Narzißmotiv wirft für ihn also die Problematik des Individuums auf, die Einsichten in die eigene, individuelle Verletzlichkeit: „[…] Das sind offensichtlich keine Eigenschaften, die [zur Zeit Morungens] besessen werden“, schreibt er. Auch wenn die Chiffrierung des Liedes dem Stand der historischen Verhältnisse entspricht, so entspricht die logische Konsequenz daraus noch nicht dem Stand der gesellschaftlichen Verhältnisse. Der mittelalterliche Mensch mußte sich erst noch als Individuum entdecken, wenn man nach den Erkenntnissen Lacans argumentiert, heißt das, er mußte erst noch seine Spiegelerfahrung machen.

Interessant ist vor diesem Hintergrund eine bisher unveröffentlichte Arbeit von Gunhild Roth zur Spiegelliteratur. Spiegelliteratur ist keine literaturwissenschaftliche Textgattung, eher handelt es sich um eine heterogene Gruppe moral-didaktischer, geistlicher und weltlicher Texte, deren Funktion es ist, dem Leser einen Spiegel vorzuhalten. Ein Großteil dieser Texte trägt den Speculum-Begriff auch im Titel, z.B. Speculum humanae salvationis oder Spygel der Leyen. Dabei bezeichnet das Genitivattribut entweder den Adressaten oder das Thema des Textes. Die Spiegelmetapher wird hierbei im Sinne von Vorbild, Beispiel oder Muster gebraucht; die Gedanken an superbia und vanitas des Spiegels treten hingegen vollkommen zurück. Charakteristisch für die Texte sind die lehrhaften Inhalte (oft sogar in Gesprächsform), wobei klerikale und laikale Bildung integriert werden, und die abwechselnde Darstellung von Abbild und Idealbild. Enzyklopädien oder juristische Musterschriften können dabei ebenso zum Spiegel werden wie Heiligenbiographien oder Anweisungen junger Fürsten.

Augustinus von Hippo (354 – 430) verbindet, ähnlich wie später Alcuin von York und andere Theoretiker, das Erreichen von Seeligkeit mit dem Studium der Heiligen Schrift, die er immer wieder als Spiegel beschreibt, in dem sich der Mensch betrachten kann, um zu sehen wie er ist und wie er sein soll, um zu bereuen und sich zu bessern. Als erster verwendet er den Spiegel-Begriff auch als Titel einer seiner Schriften, genannt „Speculum quis ignorat„. Später bekräftigt er seine Idee mit „Speculum de Scriptura Sacra„, einer Kompilation ausgesuchter Passagen aus dem Alten und Neuen Testament. Davon ausgehend entwickelt sich Speculum im Mittelalter zu einem der häufigsten Buchtitel neben Liber oder Summa. Während vor dem 13. Jahrhundert nur vereinzelt Spiegeltitel auftauchen, nimmt deren Zahl im 14. und 15. Jahrhundert stetig zu. Im 16. Jahrhundert kommt es dann zu einer regelrechten Inflation, die die Spiegelliteratur bald unüberschaubar macht.

Der Heilige Augustinus war es also, der den Spiegeltitel in Verbindung mit dem Buch populär machte. Die Bibel, das Buch der Bücher, ist bei ihm ein Beispiel für glaubenskonformes, moralisch sittliches Leben. Diesem allgemeinen Anspruch an das Schrifttum scheint auch die Spiegelliteratur nachzueifern. Mystiker wie Hildegard von Bingen oder exzentrische Künstler wie Eustache Deschamps nutzen die Spiegelmetapher. Der Devotio Moderna, einer spätmittelalterlichen Frömmigkeitsbewegung, die sich auf Augustinus beruft, scheint die Schrift Quelle der Erkenntnis zu sein, was nahelegt, daß die Verbreitung des Buches in der Frühen Neuzeit nicht ausschließlich mit den technischen Neuerungen im Bereich der Papierherstellung und des Buchdrucks, sondern auch mit einem verstärkten (bürgerlichen) Interesse am Schrifttum zusammenhängt.

Als Buchtitel hat die Spiegelmetapher seit dem Mittelalter in allen mitteleuropäischen Sprachen ihre durchgehende Kontinuität bis heute hin bewahrt (an dieser Stelle sei das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erwähnt). Zur Kategorisierung der Spiegelliteratur gibt es aufgrund der Heterogenität und Fülle des Materials bisher keinen literaturwissenschaftlichen Konsens. Je nach dem, welcher Zeitraum und welche Regionen betrachtet oder welche Ansprüche zugrunde gelegt werden, fallen die Strukturierungsansätze anders aus. Auch ist bisher noch nicht genau geklärt, wie es zu einer solchen Inflation der Spiegelliteratur kommen konnte. Auffällig ist aber, daß sie mit dem Aufkommen und Ausleben humanistischer Ideen, einer Hinwendung zum Schrifttum und einer damit in Zusammenhang stehenden Individualisierungsbestrebung der Menschen einhergeht.

Omnia enim hic conscripta sunt,
speculum nostra sunt.14
(Augustinus)

4. Das „Odeporicon“, ein Spiegel?
4.1 Die Autobiographie im Mittelalter

Zeuge dieser Individualisierungsbestrebungen der Frühen Neuzeit ist das Aufkommen einer neuen Textgattung. Gemeint ist nicht die Spiegelliteratur (die ja bisher nicht als eigene Gattung betrachtet wird), sondern die Autobiographie. Texte mit biographischen und autobiographischen Inhalten gibt es eigentlich schon seit der Antike: Briefe, Reiseberichte, Chroniken und ähnliche Quellen enthalten sogenannte Selbstzeugnisse. Aber die explizite Beschreibung des eigenen Lebens unter selbstreflektorischen Gesichtspunkten zum Zwecke der Selbstdarstellung ist etwas, das sowohl der Antike als auch dem Mittelalter fremd war. Dies hängt nicht zuletzt auch an einer veränderten Selbstwahrnehmung der Menschen.

Die Vorstellung von der Individualität des Einzelnen war im Mittelalter nicht besonders ausgeprägt. Eher identifizierte man sich als zugehörig zu einer Gruppe, sei es durch den Stand, die Familie oder das Glaubensbekenntnis. Die Identifikation mit der Gruppe fand ihren Ausdruck vor allem auch in einer standesgemäßen Kleidung, davon berichtet eine Novelle des italienischen Schriftstellers und Staatsbeamten Giovanni Sercambi (1348 – 1424) mit dem Titel „De simplicitate di Ganfo pilicciaio“ (Von der Einfalt des Kürschners Ganfo)15. Geschildert wird darin der Besuch Ganfos in einem Kurbad und dessen Angst, sich mit den hunderten nackten Menschen im Bade zu verwechseln, sofern er sich unbekleidet zu ihnen gesellt. Ganfo beschließt daraufhin, sich mit einem Strohkreuz auf der Schulter zu kennzeichnen. Als aber das Strohkreuz im Wasser davon schwimmt und er es auf der Schulter eines fremden Florentiners entdeckt, glaubt er, der Florentiner zu sein, dem er erklärt: „Du bist ich und ich bin du.“ Der Florentiner, verwundert über Ganfos Aussage, schimpft ihn: „Hau ab, du Leiche!“ Der völlig verstörte Kürschner aber fährt eiligst nach hause und verkündet auf die Frage seiner Frau, warum er denn so schnell heimgekehrt ist: „Liebste Theodora, ich bin tot.“

Die humoristische Geschichte bezeugt aber nicht nur die Zusammengehörigkeit von Identität und Kleidung, sondern vor allem, daß die Frage der Identität unter Künstlern des italienischen Trecentos bereits so reflektiert wurde, daß es möglich war, sich darüber lustig zu machen. Schon bei Schriftstellern wie Dante Alighieri (1265 – 1321) und Francesco Petrarca (1304 – 1374), der als einer der Begründer des Humanismus gilt, finden sich autobiographische Einflüsse in den Schriften. Ebenso scheinen sich französische Literaten des 14. Jahrhunderts zunehmend zu emanzipieren. Guillaume de Machaut (1300 – 1377) kompiliert als einer der ersten sein komplettes Œuvre, sein Schüler Eustache Deschamps (1345 – 1404) erklärt seine Dichtung von der Musik unabhängig. Diese künstlerische Emanzipation ist auch Spiegel eines zunehmenden Selbstinteresses und Herausstellens der Leistungen des Einzelnen.

Autobiographische Schriften, die aber nicht wirklich Autobiographien genannt werden können, gab es in Einzelfällen aber schon zuvor, wofür Augustinus‘ „Confessiones“ oder Petrus Abaelardus‘ (1079 – 1142) „Historia calamitatum mearum“ ein Beispiel liefern. Dennoch war das Schreiben über sich selbst keine Selbstverständlichkeit und mußte sich, so es denn dazu kam, rechtfertigen, um nicht dem Vorwurf der selbstdarstellerischen Eitelkeit ausgesetzt zu sein. Eine solche Rechtfertigung findet sich noch 1506 im Vorwort der Autobiographie Johannes Butzbachs, mit dem Titel „Odeporicon“, auf die ich nun näher eingehen möchte.

4. 2 Das Odeporicon: Vorbild und Beispiel

Zugleich gibst du mich [durch die Niederschrift des „Odeporicon“] auch der Lächerlichkeit vor reifen und ernsthaften Menschen preis, die mich für kindisch oder für einen Prahler halten werden, der zu viel wagt und eitlem Ruhm nachjagt, wenn er trotz seiner Unfähigkeit die eigene Lebensgeschichte wie die eines epiphanes – eines berühmten Mannes – oder eines hagios – eines Heiligen – aufschreiben will […]16, schreibt Johannes Butzbach, seit 1500 Benediktiner-Mönch im Kloster Maria-Laach in der Eifel, seinem Halbbruder Philipp Trunk im Vorwort seiner Autobiographie. Das Buch besteht aus drei Teilen, die den Lebensweg Butzbachs als fahrender Schüler, im böhmischen Ausland und schließlich seinen Eintritt ins Kloster in lateinischer Sprache erzählen; dort endet die Geschichte, das Klosterleben selbst wird nicht mehr geschildert. Der frühneuzeitliche Text gilt als hervorragend und einzigartig, da er einer kontinuierlichen, chronologischen Erzählung des Lebensweges gewidmet ist und damit tatsächlich eine der frühesten Autobiographien darstellt. Auch sind die Darstellungen darin nicht nur in Bezug auf die Biographie Butzbachs interessant, sondern können auch zu historischen und sozialwissenschaftlichen Studien herangezogen werden, da Butzbach sich nicht nur auf die Anreihung von faktischen Begebenheiten beschränkt, sondern auch über damit einhergehende Empfindungen bei sich selbst und anderen spricht.

Er nennt seine Autobiographie „Odeporicon“, was ein Begriff ist, den er aus dem Griechischen übernimmt. Hodoiporein bedeutet Reisen, von hodos, was so viel heißt wie Weg, Straße oder Reise und poreuomai, ich reise. Die lateinische Entsprechung des Begriffs wäre itinerarium, die deutsche Reisebericht, weshalb in den Übersetzungen des „Odeporicon“ heute unter dem Titel der Zusatz „Wanderbüchlein“ steht. In der metaphorischen Anlage des Titels wird der Hang zur uneigentlichen Sprache bereits deutlich. Das Leben wird als ein Weg beschrieben, sogar durch die Bezeichnung Butzbachs als „Vielgereister“ mit der Odyssee verglichen, der Eintritt ins Kloster ist die Landung im sicheren Hafen, das Ende der Reise und der Suche nach dem richtigen Weg.

Die Erzählung mit dem Klostereintritt abzubrechen ist konsequent, wenn man bedenkt, daß die 1. der Regula Benedictini der stabilitas loci gilt. Die Seßhaftigkeit, so muß es jeder Benediktiner sehen, ist das Ideal der monastischen Lebensweise, somit kann eine Irrfahrt kaum der richtige Lebensweg sein; der Eintritt ins Kloster ist ein Ankommen und wird von Butzbach als entscheidende Lebenswende empfunden und dargestellt. Dennoch ist das „Odeporicon“ keine Schilderung im Sinne einer Confessio des Augustinus‘. Butzbach gesteht zwar die ein oder andere Jugendsünde, aber nicht als bereuende Beichte, nicht verwoben ins Gebet, sondern mit Humor und zum Zwecke der Unterhaltsamkeit der Lektüre. Hierin wird ein gewisser Stolz für die individuellen Eindrücke und Erlebnisse deutlich, die in ihrer einzigartigen Gesamtheit erst zum vorbildlichen Leben als Mönch geführt haben. Distanzloses Selbstbewußtsein spricht aus dem Wanderbüchlein.

Butzbachs Leben und Bildungsweg sind aber in der Tat auch eine eigentliche Reise: Als fahrender Schüler reist er quer durch Deutschland und kommt sogar bis Böhmen, wo er mehrere Jahre lebt und erst durch Flucht ins Heimatland zurückgelangt. Der doppeldeutige Titel verweist aber auch sehr gezielt auf die oben beschriebene metaphorische Bedeutung und scheint Teil eines Rechtfertigungsversuchs zu sein: Denn wie kommt ein einfacher Mönch, der weder Epiphanes, noch Hagios ist, dazu, sein Leben niederzuschreiben? Im Vorwort, ebenso wie der Rest des Buches adressiert an seinen Halbbruder Philipp, erklärt Butzbach seine Unternehmung. Auf Bitten Philipps selbst geschehe die Niederschrift, aus didaktischen Gründen, damit der Bruder die Sprache der Kirchenväter leichter lerne, auf Latein verfaßt und zum Troste des Bruders. „Nun will ich Dir einen Spiegel vor Augen halten, damit Dir Dein Unglück neben dem meinigen erträglicher wird17„, heißt es im Schlußsatz des Vorwortes und gegen Ende des Buches: „Du hast einen Spiegel all meiner Leiden und meiner Armut vor Dir, den ich für Dich gemacht habe; wenn du dich immer wieder vor diesen begibst, so kannst du auch in Deinem Leid Trost daraus schöpfen.18

Ähnlich wie die Spiegelliteratur der Frühen Neuzeit nutzt Butzbach die Spiegelmetapher in Anlehnung an Augustinus und beschreibt damit seine Autobiographie. Dem jungen Philipp soll sie einen Spiegel vor Augen halten, in dem dieser sowohl sich selbst erkennt (aufgrund eines ähnlichen Bildungsweges), wie er ist, als auch sieht, wie er sein soll. Butzbach, das wird im dritten Teil des Buches überdeutlich, zielt nämlich mit seiner Autobiographie vor allem auch darauf ab, den Halbbruder als Benediktiner-Mönch nach Maria-Laach ins Kloster zu holen; Philipp soll seinem Halbbruder in den Orden nachfolgen. Er beschreibt das Kloster und seine Bibliothek in den höchsten Tönen, vergleicht es gar mit einem Paradies auf Erden und nennt die Brüder eine Heilige Gemeinschaft. So weiß er auch über den Prior, Jakob von Vreden, der seit der Klosterreformation im Amt war, folgendes zu berichten: „Er ist sozusagen ein Spiegel der Mönchsdisziplin für alle, weil er Tag und Nacht als leuchtendes Vorbild in allen guten Taten erscheint.19

Immer wieder holt Butzbach dem jungen Leser durch Zitate oder direkte Beschreibungen Vorbilder vor Augen (diesem Zweck dient auch der Gebrauch der Spiegelmetapher), versucht zur Lektüre zu motivieren, belehrt und spricht vom Nutzen des Studiums. Dies tut er nicht nur, weil sich das Studium ihm selbst durch seinen Lebensweg als richtiger Weg offenbart hat, sondern auch in seiner Funktion als Novizenmeister des Klosters Laach, eine Stellung, die Butzbach seit 1503 innehatte. Das Amt hatte die Ausbildung der Novizen zur Aufgabe, also derjenigen, die mit dem Wunsch, das Gelübte abzulegen, zunächst auf Probe in das Kloster eintraten. Diese jungen Männer lehrte der Novizenmeister die Lateinische Sprache, die Schriften der Kirchenväter, die Regula Benedictini und die klösterliche Ordnung im Allgemeinen. Er unterstützte sie auch bei ihren theologischen Studien auf ihrem ganz persönlichen Bildungsweg.

Butzbachs Biographie ist damit, ähnlich wie ein Großteil der Specula seiner Zeit, vor allem eine moral-didaktische Schrift, versteckt dies aber (vermutlich aus didaktischen Gründen20) hinter einer belustigenden, mit persönlichen Anekdoten ausgeschmückten Schilderung seines individuellen Bildungsweges. Dadurch baut Butzbach eine persönliche Bindung zu seinem Adressaten auf, dessen individuelle Lebensumstände er kennt und an denen er mit seinen Motivationsversuchen auf einer Vertrauensbasis gezielt ansetzen kann. Dies macht den Text aber nicht nur für Philipp Trunk interessant, sondern auch für Butzbachs Schüler, die Novizen Laachs, die das „Odeporicon“ zu Übungszwecken in Teilen lasen und abschrieben.

Diesen Schülern offenbart sich im Text ein einfühlsamer und erfahrener Lehrer, der die Bildung hochhält und gewillt ist, sich um jeden Einzelnen individuell zu kümmern. Das Buch ist ein Novizenspiegel, der die jungen Männer und werdenden Mönche auf ihrem Bildungsweg begleiten soll. Es zeigt, daß der Lehrer Butzbach einst ein Schüler war, wie sie, daß er mit Problemen kämpfen und Ängste bewältigen mußte, wie sie, daß er es geschafft hat, auf den richtigen Weg zu kommen und daß demzufolge auch sie das schaffen können und sollen.

5. Zusammenfassung

Johannes Butzbachs autobiographische Schrift „Odeporicon“ faßt in sich verschiedene Charakteristika der Spiegelliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts zusammen. Es ist didaktischer Natur, vereint in sich laikale und klerikale Bildung und verwendet sogar die Spiegelmetapher im Sinne von Beispiel, Vorbild, Muster, wenn auch nicht im Titel. Das „Odeporicon“ ist selbst ein Spiegel, es zeigt ein Abbild der Welt, wie sie war (was es für Historiker heute noch interessant macht) und wie sie sein sollte. In diesem Sinne wird es auch der Vorstellung des Heiligen Augustinus von der Schrift als Spiegel von Realität und Ideal gerecht. Die Butzbachsche Autobiographie ist damit individueller Lebensrückblick; das geschilderte Leben Beispiel und Vorbild zugleich, etwas dem ein jeder nacheifern kann, ohne dabei Unmögliches vollbringen zu müssen, weil ihn aus dem Spiegel ein gewöhnlicher Mensch anblickt.

Das „Odeporicon“ ist zugleich Spiegel eines neuen Zeitgeistes, in dem der Mensch sich als Individuum erkannt und erfahren hat und dieser Individualität mit Stolz und Selbstbewußtsein begegnet. Es scheint fast, als hätten die Ausbreitung des Schrifttums und die humanistisch-reformatorischen Bemühungen um Bildung zu einer neuen Spiegelerfahrung des Menschen geführt, einer neuen Begegnung mit dem Selbst. Eventuell, um auf Ecos Spiegel-Zeichen-Dilemma zurückzukommen, sind aber gerade diese auch eher Resultat einer Spiegelerfahrung.

Okt. 2007

6. Bibliographie

An dieser Stelle folgt eine Auflistung der in dieser Arbeit angeführten, zitierten und zu Recherchezwecken verwandten Literatur.

  • P. Dinzelbacher: Sachwörterbuch der Mediävistik, Stuttgart, Kröner, 1992; Stichworte: Metapher/Metaphorik S. 529f., Spiegel/Spiegelliteratur S. 769f.
  • J. Huizinga: Niedergang des Symbolismus, in: Herbst des Mittelalters, ders., Stuttgart, Kröner, 197511, Kapitel XV, S. 285ff.
  • Ch. Leuchter: Dichten im Uneigentlichen. Zur Metaphorik Heinrichs von Morungen, Frankfurt a.M. [u.a.], Lang, 2003
  • U. Eco: Über Spiegel und andere Phänomene, dtv, München, 19933
  • G. Kaiser: Narzissmotiv und Spiegelraub, in: Neidhart, Horst Brunner [Hrsg.], Darmstadt, wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1986
  • Gunhild Roth: „Speculum-/Spiegelliteratur. Zu Gattungsfrage, Textsorten und Einzelwerken. Versuch eines Überblicks“, Münster (noch unveröffentlicht)
  • Joahnnes Butzbach: Odeporicon. Wanderbüchlein, Aus dem Lateinischen übertragen und mit einem Nachwort von Andreas Beriger, Zürich, Manesse Verlag, 1993
  • Bradley, Sister Ritamary, C.H.M.: Backgrounds of the Title Speculum in Mediaeval Literature, Speculum 29 (1954), p. 100-115
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Spiegel (Version 14.10.07)
  • http://leifi.physik.uni-muenchen.de/web_ph07_g8/geschichte/02spiegel/pm.htm (Version 14.10.07)

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  1. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“, 1 Kor. 13,12
  2. Dinzelbacher 1992, S. 769
  3. Eco 19933, S. 29
  4. http://leifi.physik.uni-muenchen.de/web_ph07_g8/geschichte/02spiegel/pm.htm
  5. Dinzelbacher 1992, S. 769
  6. „Nichts ist bei Gott leer oder zeichenlos.“, Irenaeus: Adversus haeresis libri, V, lib. IV cap. 213
  7. Eco 1993³, S. 27
  8. Jean Paul: Vorschule der Ästhetik § 50
  9. Eco 1993³, S. 27
  10. Leuchter 2003, S. 97
  11. ebd.
  12. Auf das Dilemma der Zuschreibung des Narzißliedes und dessen Überlieferung geht ausführlich Christoph Leucher im Kapitel 3.5 „Das ‚Narzißlied'“ seiner Dissertation „Dichten im Uneigentlichen“ 2003 ein.
  13. Kaiser 1986, S. 323
  14. „Alles, was nämlich hier aufgeschrieben steht, ist uns ein Spiegel“, Augustinus: Ennaratio in Psalmum XXX Sermo III (Pl, XXXVI, 248
  15. Giovanni Sercambi: Novelle. A cura di Giovanni Schiropi, vol. 1, Bari 1972 (Scrittori d’Italia, N.250)
  16. Butzbach/Beriger 1993, S. 6
  17. ebd., S. 9
  18. ebd., S. 278
  19. ebd., S. 268
  20. „Denn Erstens, das mit Heiterem geschmückt ist, gefällt uns mehr, […], weil es angenehmer ist, beim Studium Abwechslung zu haben“, schreibt Butzbach als Erklärung in seinem Vorwort, Butzbach/Beriger, 1993, S. 8

Fehlendes Komma läßt Helene dreimal heiraten

Dienstag, 19. Juni 2007

Gerade lese ich sehr gespannt das Nachwort zu einer Ausgabe der Handschrift Nr. 2920 der östereichischen Nationalbibliothek, die Historikern auch unter dem Namen „Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin“ bekannt ist. Dies ist das höchst interessante Selbstzeugnis einer Frau aus dem 15. Jahrhundert, die Hofdame der Königin Elisabeth war. Königin Elisabeth wurde 1422 die Frau des Herzogs Albrecht V. von Österreich und war selbst Tochter des ungarischen Königs und deutsch-römischen Kaisers Siegmund. Durch ihren Auftrag war Helene Kottanner nach Albrechts Tod in den Kronenraub verwickelt, der dem posthum geborenen Königssohn Ladislaus die ungarische Herrschaft sichern sollte.

Von dieser Helene Kottanner weiß man nun, dass sie zweimal verheiratet war; zunächst bis 1431 mit Peter Székeles, dem Ödenburger Bürgermeister, später ab 1432 dann mit Johannes Kottanner, der sie auch nach Ungarn begleitete. Im Nachwort Karl Mollays ist aber von einer sehr ominösen, dritten Heirat die Rede:

Frau Helene heiratete nämlich im Jahre 1432 auf Empfehlung des Wiener Stadtrates und des Wiener Domprobstes mit Einwilligung ihres Vaters und ihrer nächsten Verwandten sowie mit Erlaubnis des Ödenburger Stadtrates Johannis Kottanner den Kammerherren des Domprobstes, der nach Angaben Uhrlitz erst 1426 seine Großjährigkeit erreichte, also wohl jünger als Frau Helene war.

Wenn man Mollay also glauben darf, heiratete Helene im Jahr 1432 mit Erlaubnis Johannis Kottanners, der zu diesem Zeitpunkt Ödenburger Stadtrat war, einen gewissen Kammerherren des Domprobstes, der nicht näher benannt ist. Was hat das zu bedeuten, fragt sich der aufmerksame Geschichtsstudent da. Ganz einfach: Es bedeutet, dass Kommata für das Verständnis geschriebener Sprache von ausschlaggebener Bedeutung sein können. In Wirklichkeit heiratete Helene nämlich 1432 Johannes Kottanner, den Kammerherren des Dompobstes, und zwar mit der Erlaubnis des Ödenburger Stadtrates, der nicht näher benannt ist. Für diese Erkenntnis habe ich eine Weile gebraucht und jetzt werde ich einfach weiterlesen.