Et in Arcadia ego

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Et in Arcadia ego

für M.B.

Für nächsten Sommer schmiedest du schon Pläne
   und hast den Kopf voll mit verrückten Dingen,
      erreichst heut alles, was dich gestern mühte

und lachst so herrlich, dass ich’s gern erwähne.
   Du könntest Stunden, Tage so verbringen
      und kostest jeden Winkel dieser Blüte

Wenn aber in der Nacht des Lebens Weiche,
der kleine Schlaf, dich wachend findet, dessen
Geschicke zehrend sich nach Innen fressen,
dann führ auch ich die unsichtbaren Streiche,

weil ich dich in der Einsamkeit erreiche.
Dein Atem schwer und deine Lippen pressen
und so entreiße ich dich dem Vergessen,
dass stets auch ich durch dein Arkadien schleiche.

XXVII | Nov. 2005

Zur Entstehung

Der lateinische Satz „et in Arcadia ego“1 (dt. auch ich [bin] in Arkadien) begegnete mir zum ersten Mal 2000 als Titel eines Bildbandes von Wilhelm von Gloeden. Damals sprach ich noch kein Latein, aber ich war beeindruckt vom Wortlaut und seiner Wirkung, also versuchte ich mehr darüber zu erfahren. Von Vergil über Poussin nach Schiller führte mich meine Reise und ich lernte etwas über die Vorstellung des griechischen Hirtenparadieses Arkadien, das der Renaissance ein Ideal war. In ihrem exakten Wortlaut taucht die Phrase zuerst in einem Barockgemälde von Barbieri auf, wo sie als Grabinschrift vorkommt, die von zwei Arkadischen Hirten entsetzt betrachtet wird, und so zu einem Memento-Mori-Motiv wird. Der Tod spricht: Arkadien mag idyllisch sein, aber auch ich gehe dort um. Schon lange lag mir diese Thematik im Hinterkopf und wartete darauf, in Worte gehüllt zu werden.


Guercino Barbieri – „Et in Arcadia ego“

Dann irgendwann las ich im Worttümpel das Gedicht „Gefolge“ von Matthias Borchelt, das sich als Sonett travers präsentierte, eine Idee, von der ich damals sehr angetan war. Aber der Text nutzte nicht die Wirkung seiner Form, der Inhalt hatte sich in ein entgegengesetztes Kleid gepreßt und ich fühlte einen Bruch zwischen Inhalt und Form. Zuerst die leichten Terzette, bei denen man sofort an die Verlaineschen „festes galantes“ denkt, dann die schweren Quartette. Ich stellte mir eine inhaltliche Hinwendung zum grave vor und da plötzlich kam mir die Idee, das ganze mit dem Arkadien-Motiv zu verbinden. Ich versprach Matthias also ein Gedicht in dieser Form und mit diesem Inhalt. Meine Arbeit dauerte dann exakt vom 04.09.2005 bis 03.11.2005, also fast zwei Monate, und war ziemlich mühselig, da ein Sonett travers doch ungewohnt ist. Den fertigen Text habe ich dann gleich meinem Meister gewidmet.


Nicolas Poussin – „The Shepherds of Arcadia“

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1. Ein sehr spannender Artikel zur Deutung und Entwicklung von „Et in Arcadia ego“ findet sich bei Udo Leuschner.

  • dieser Text wurde hier erstveröffentlicht
  • diskutiert wurde er u.a. auf gedichte.com

Die Schlange

Donnerstag, 10. Mai 2007

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Die Schlange

Die süße Frucht vom Baume der Erkenntnis pflückend,
   erkennt die nackte Eva sich und ihre Welt.
   Sie sieht, daß das Erstehen das Vergehen hält,
daß reine Blumen welken; grausam und bedrückend.

Da überkommt sie Furcht, den Garten zu verlassen
   und als ihr nackter Gatte, Adam, vor sie tritt,
   da reißt sie ihn an sich und weint und er weint mit,
und beide können ihrer Nähe Glück nicht fassen.

Ich, die Schlange war es, die das Kind verführte,
so daß sie Lasten, Leid und Liebe in sich spürte.

   Ich half dem Mädchen damals, sie half ihrem Mann,
die ganze Fülle dieser Welt bewusst zu sehen
und für die Träume, für die Taten einzustehen.
   Die Schuld trag ich, ihr werdet’s danken – irgendwann.

XXI | Jan. 2005

Zur Entstehung

Die Gnostiker waren von der Unfehlbarkeit Gottes überzeugt, wie jeder gute Christ. Sie folgerten: Wenn Gott aber unfehlbar ist, dann entspricht die Paradiesvertreibung seinem göttlichen Ratschluß, dann müssen Evas Erkenntnis und der daraus folgende Sündenfall sein Wille gewesen sein. Er, der den Apfel zu essen verbot, kann also nicht der wahre Gott gewesen sein – nein, die Schlange war es.

Abgesehen davon, dass ich nicht mehr an Gott glaube als an Peter Pan, entbehrt dieser gnostische Ansatz nicht einer gewissen Logik. Doch jeder halbwegs kritische Mensch wird sich fragen, warum? Warum wollte „Gott“ (oder laßt ihn uns den Verfasser/Mittler dieser Geschichte nennen) warum wollte er, dass der Mensch aus dem Paradies vertrieben wird?

Ich habe mir dazu Gedanken gemacht. Nein, in Wirklichkeit war ich irgendwann beim Nachgrübeln auf die Lösung gekommen und bemerkte erst dann, was für eine passende Parabel diese Geschichte ist. Es geht um einen Aspekt, den schon viele vor mir erkannt haben: Milton, Goethe, Blake, Wilde, Sartre. Wenn wir im Paradies leben, wo es keine Probleme gibt, nichts woran unsere Seele Anstoß nehmen könnte, wie langweilig, wie unbewußt leben wir dann vor uns hin! Erst die Erkenntnis (und Eva aß ja vom Baum der Erkenntnis), dass es mit uns und unserer Welt irgendwann ein Ende hat, öffnet uns die Augen und wir erkennen mehr und mehr.

Wir spüren Angst vor dem Verlust. Dass wir den Verlust aber fürchten, läßt uns die Liebe erkennen, die wir für eben jene und jenes hegen, das zu verlieren wir fürchen. Glück und Leid – ein ganzer Pool an Erfahrungen und Emotionen wäre uns verborgen geblieben, hätten wir nicht diese erste Erkenntnis gehabt. Hätte sie uns nie die Augen geöffnet, hielten wir die Welt um uns herum noch immer blind für das Paradies, ähnlich wie es behütete Kinder und naive Menschen auch heute noch tun. Die Paradiesvertreibung war keine Vertreibung von einem Ort, sondern eine metaphorische Vertreibung. Die Erkenntnis offenbare, die Welt um uns, ist kein Paradies.

Wissen ist Macht (z.B. die Macht zu lieben), aber wer mehr weiß, fürchtet auch mehr und damit wohnt ihm eine Ambivalenz bei, die schon Dichter wie Charles Baudelaire oder William Blake inspirierte. Dieses Gedicht ist nun mein Versuch.

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Die Eifersucht des Dichters

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev18.mp3]
Die Eifersucht des Dichters

Ach, Prinzessin, Engelchen, mitnichten
   war ich abgeschreckt – im Gegenteil.
   Als ich dich erblickte traf dein Pfeil,
wild gesandt, direkt in meine Schichten.
Pure Schönheit wollte ich bedichten.
   Du warst ebenbürtig – ich war geil
   deine ros’gen Brüstchen noch derweil
mit den Fingerspitzen zu gewichten.
Und im Wallen deiner Jugend Hitze,
   um mir zu gefallen, färbtest du
   deine weißen Flügelchen im Nu
schwarz und machtest kindlich süße Witze.
   Geistreich führtest du, recht wortgewandt,
   mich hinein ins unentdeckte Land.

Wir belächelten die dummen Grillen
   anderer, die meinten, wir sei’n dreist
   und an unsrer Schönheit, unserm Geist
wollten wir des Herzens Sehnsucht stillen.
Doch im Rausch des Nektars schwand dein Willen.
   Von Erfüllung deiner Lust ganz feist,
   giertest du nach leichtem Glück zumeist,
um an dessen Herrlichkeit zu schwillen.
Nach dir griffen hundert geile Böcke –
   Schönheit sank dahin in Häßlichkeit –
   eilig machtest du die Beine breit
und sie tauchten unter deine Röcke
   als du, von der Dummheit angepißt,
   trotzig sagtest, du seist Egoist.

Ignoranten hast du dich gegeben,
   hast zu ihrer Hure dich gemacht.
   Die erkennen niemals deine Pracht.
Anspruchslos wirst du bei ihnen leben.
   Ihn, der deinem einst’gen Schönheitsstreben
   würdig wäre, ihn hast du verlacht.
   Er verbringt alleine seine Nacht
und muß qualvoll vor Verlangen beben.
Nein! ich will dein Treiben gar nicht zügeln.
   Doch der Dichter ist nicht länger still,
   törichte Gespielin. Nein, er will
dich mit seiner steifen Rute prügeln
   bis sein Gram an dir entladen ist.
   Denn auch er war immer Egoist.

XVIII | Okt. 2004

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Leider mit Leid

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev16.mp3]
Leider mit Leid

für T.L.

Schleimig, triefend ekeln mich wie nackte Schnecken
   Menschen, die ihr Schicksal in die Welten kreischen,
hemmungslos in eigner Schwäche sich noch recken
   und dann bettelnd Mitgefühl und Tränen heischen.

Sich an Unzulänglichkeiten fest zu klammern,
   scheint die neue Tugend unsrer Weltenheuler.
Will ich mit den armen Seelchen gar nicht jammern,
   reißen sich die Mitleidsboten ihre Mäuler.

Einig geifernd haben diese sich verschworen,
   Sympathie durch leeres Mitleid zu ersetzen,
haben sich zu neuen Helden auserkoren,
   deren Mastgedärm die Würmer schon zerfetzen.

Nein! ich will euch euer tragisch‘ Los nicht neiden;
hattet ihr ein Leben lang doch nichts als Leiden.

XVI | Aug. 2004

Zur Entstehung

Wenn jemandem Leid geschieht, dann ist das eine tragische Sache und deshalb sollte sich jeder Mensch aktiv darum bemühen, seinen Mitmenschen kein Leid zuzufügen, besonders dann nicht, wenn er sie doch eigentlich liebt. Menschen, denen Leid geschieht, sind arme, bemitleidenswerte Schweine. Menschen, die sich in ihrem Leid aalen, um Mitleid, Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung zu erheischen, sind dumme Idioten und verdienen, dass man Gedichte wie das obige über sie schreibt. Solche Menschen gibt es wirklich und man muß leider sagen, dass ihre Masche in unserer Gesellschaft ziemlich salonfähig ist. Der Spitzenverdiener jammert, dass er mehr Steuern zahlen muß, als die armen Schlucker. Teenager rutschen aufgeregt übers Fernseh-Sofa, als sie mit anschauen, wie die Protagonistin ihrer Lieblingssoap vom Arzt darüber aufgeklärt wird, dass sie einen Tumor in der Brust hat. Werbeplakate mit verhungerten, afrikanischen Kindern animieren Bürger dazu, den Kopf zu schütteln und: „Das ist alles furchtbar!“, auszurufen, bevor sie in ihrem Mercedes weiter zur Arbeit fahren. Und auf jeder zweiten Knuddels-Homepage schwadroniert irgendein Emo-Kid über Borderline, Boulemie, Depression oder SVV (das ist Selbstverletzendes Verhalten, Ritzen, etc.), weil die coolen Kids in der Bravo das auch immer machen.

Jean Paul Sartre hat einen Essay über Baudelaire geschrieben, in dessen ersten Absätzen er reflektierte, wie widerlich er dieses Rumgejammer des französischen Poeten fände. Er argumentierte, wenn einen etwas wirklich stört, wenn man ein Problem hat, na dann tut man doch etwas dagegen und lehnt sich nicht zurück, um mit wallenden Worten das eigene Leid zu ästhetisieren. Damals war ich enttäuscht, dass mein Lieblingsphilosoph über meinen Lieblingsdichter so gemeine Sachen sagt, aber inzwischen weiß ich, Sartre hat an sich vollkommen recht. Trotzdem finde ich Baudelaires schwülstige Worte des Ekels so hervorragend, dass ich diesen Stil für mein Gedicht verwandte. Passivität ist etwas Schreckliches. Wir müssen unser Leben nicht geschehen lassen – ich bin davon überzeugt, dass wir es selbst bestimmen können.

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Salomés Monolog

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev09.mp3]
Salomés Monolog

Iokanaan, in deiner tiefen Gruft
   verliefen Blicke sich in Dunkelheit,
   begehrte deine Schönheit Einsamkeit
und Unheil schwängerte die Abendluft.

Iokanaan, nur eines wollte ich –
   den Kuß von deinem schönen, roten Mund.
   So tanzte ich mir meine Füße wund
und alle Edelmänner schauten mich.

   Nun ruht auf meinem silbernen Tablett
   dein Haupt, Iokanaan, vom Totenbett
verläßt die Lippen nimmer Liebesschwur.

   Ach, hättest du die Augen aufgetan,
   um mich zu sehen, mein Iokanaan –
car il ne faut regarder que l’amour.

IX | Mar. 2004

Zur Entstehung

Ich habe ja schon oft fasziniert für Wildes „Salomé“ geschwärmt, eine Tragödie, die der sonst englischsprachige Autor auf franzsösisch verfaßte, damit die berühmte Sarah Bernhard die Hauptrolle übernähme. Es hat nicht funktioniert, denn „Salomé“ zerschellte an der Doppelmoral der viktorianischen Gesellschaft, auf die Wilde auch in diesem Drama, wenn auch nicht so offensichtlich, Bezug nimmt. Es geht um eine junge Prinzessin, die von so besonderer jugendlicher Schönheit ist, dass alle mächtigen Männer in ihrer Umgebung sie begehren. Sie selbst versteht das sexuelle Begehren noch nicht so recht und fühlt sich von den geifernden Männern angeekelt, aber sie bemerkt auch, welche Macht es ihr das Begehren der Mächtigen verleiht.


Aubrey Beardsley ~ Apotheose

Den politischen (oder religiösen?) Gefangenen, Iokanaan, umgibt eine mystische Aura. Er ist so unnahbar, dass er der Mensch ist, der Salomés Stiefvater, dem König, am meisten Angst bereitet. Auch ist er der Einzige, der sich nicht für Salomé interessiert, was freilich ihr Begehren weckt, weil man immer haben möchte, was man nicht haben kann. Sie testet ihre Macht und verlangt die Herausgabe Iokanaans, der König jedoch fürchtet sich, den Täufer freizulassen. Doch Salomé weiß um das Begehren des Königs und beginnt, diesen zu verführen. Blind vor Lust verspricht der Vater ihr alles, wenn sie nur einmal den Tanz der sieben Schleier für ihn tanze. Ihre Mutter, die sich schon lange den Tod Iokanaans wünscht, flüstert ihrer Tochter ein, sich zum Dank das Haupt des Täufers zu wünschen. Salomés Verführungskünste schlagen an, der König kann sich ihrer Bitte nicht verwehren und präsentiert ihr das Haupt. Salomés Verzweiflung über den Tod des Geliebten stürzt sie in den Wahnsinn, die Angst des Vaters vor dem Verbrechen aber, bringt ihn dazu, auch die Tochter töten zu lassen.

Salomés französischer Schlußsatz bringt die für mich zentralen Aspekte dieses Werks einfach aus einen abschließenden Punkt. Warum er in Wildes englischer Übersetzung fehlt, wird mir für immer ein Rätsel bleiben. Ich mußte, ich mußte Salomé einen finalen Monolog dichten, um meiner Begeisterung für dieses Drama angemessen Ausdruck zu verleihen.
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Ich bereue nicht

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev07.mp3]
Ich bereue nicht

für J.W.

Ich trachte, Liebste, nicht danach, den Grund zu kennen,
   daß Er mich wohl geformt nach ungewohntem Maß,
   daß Ungewolltes in mir keimte, mich zerfraß
und ich mich scheute, edle Liebe so zu nennen.

Ach, Liebste, meine Träume nährte mein Begehren,
   das deine zarte Hand in meiner ruhen sah,
   dein Kuß der Schnitter meiner blutgen Lippen war.
Welch grausam Schicksal konnte mir dies Glück verwehren!

   Und doch, daß mich nun Leid für Liebe straft und quält,
   daß mein Sonett nicht Liebe wider mich erzählt,
das reut mich nicht, an keinem Tag in meinem Leben –
   denn niemals hab so tief, so ehrlich ich gefühlt.

   Die Krone einer Liebe, die mich aufgewühlt,
würd, Liebste, ich für keines Dichters Lorbeer geben.

VII | Feb. 2004

Zur Entstehung

Ich gebe zu, ein großer Fan Oscar Wildes zu sein. Ich liebe ganz besonders seine Tragödie, Salomé, die er auf Französisch schrieb, damit Sarah Bernard die Hauptrolle übernähme und in dem es darum geht, dass eine junge Frau die Macht ihrer erotischen Ausstrahlung entdeckt. Wilde ist kein besonders guter Lyriker, aber ein Gedicht von ihm hat es mir trotzdem angetan, ΓΛΥΚΥΠΙΚΡΟΣ ΕΡΩΣ. Es ist eines der schönsten Liebesgedichte, die ich kenne, denn es geht darum, dass die Liebe als solche so großartig ist, dass sie jedes, aus ihre erwachsene Leid überstrahlt. Freilich tut sie das gerade in den Phasen des Leids nicht besonders offensichtlich und nur wenige Menschen sind in der Lage, sich soweit von ihrem Selbstmitleid zu lösen, dass sie zu solch einer Erkenntnis überhaupt kommen können. Wildes Gedicht trieb mir regelmäßig die Tränen in die Augen, sogar noch in Zeiten, in denen ich gar nicht mehr unglücklich verliebt war. Und wie unglücklich verliebt ich war…

Aber es hatte auch sein Gutes, denn ich bin durch diese unerwiderte Liebe zum Dichten gekommen. Ich wollte mich ausdrücken und ich wollte es auf die denkbar schönste und beständigste Art und Weise tun, durch ein Sprachkunstwerk. So fing alles an und deshalb wäre es total bescheuert, Dinge zu bereuen, die vielleicht dumm gelaufen sind, die mich aber zu dem gemacht haben, was ich bin, auf den Pfad geführt haben, auf dem ich gehe. Es lohnt einfach überhaupt nicht, sich zu wünschen, es wäre anders gelaufen, weil es gut so ist, wie es ist.
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Ich trat zur Nacht in einen Silberspiegel

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev06.mp3]

Ich trat zur Nacht in einen Silberspiegel,
   der friedlich schlummernd neben mir sich fand.
   Der Mond gebettet lag zum Seidenband,
der Wind schwang leise rauschend seine Flügel.

Und sachte hob ich blinzelnd meine Lider,
   gewahrt die Schöne, deren dunkles Haar
   zu blauen Wellen hingegossen war.
Gelöst vom Schlaf die feinen, weißen Glieder.

So hielt sie meine Blicke wohl gefangen.
Da plötzlich überkam mich ein Verlangen.
Die Funken der Begierde übersprangen
und innig wogend glühten mir die Wangen…

   Es ist die Liebessehnsucht ein Genuß,
   die, mit Verlaub, ein jeder stillen muß.

VI | Jan. 2004

Zur Entstehung

Wer sich mit der klassischen Lyrik ein wenig auskennt, wird schnell feststellen, dass dieser Text sehr von „Willkommen & Abschied“ inspiriert ist, einem Gedicht von Goethe, in dem es um so eine Art One-Night-Stand geht. Das lyrische Ich kehrt dort zur Nacht bei einer ganz verliebten Dame ein, verläßt diese aber, ihre Liebe nächtens ausnutzend, bereits am nächsten Morgen. Um egoistische Lust geht es auch in diesem Text, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Marot hat auf Gedichteforen dazu mal eine schöne Interpretation 1 gliefert, an deren Schluß er verzweifelt feststellte, er könne sich für keine seiner drei Lösungen entscheiden. Ich war begeistert, dass er das schrieb, denn es ging mir hier ganz explizit um eine Mehrschichtigkeit, das Nebeneinanderstellen mehrerer Verstehensmöglichkeiten, die sich gegenseitig beeinflussen – eine Taktik, die für mein Dichten zunehmend wichtig werden sollte, mir aber bisweilen die Kritik hermetischer Emotionslosigkeit und nur wenige Fans einbringt. Aber was soll’s.

Der Spiegel ist ein faszinierendes Ding, weil er eine Art Urmetapher darstellt2. Man fühlt sich sofort an Ovids Narziß erinnert. Durch Anspielungen wird immer wieder auf die eine Seite seiner Parabel verwiesen, die Eitelkeit, aber es gibt einen zweiten, viel spannenderen Aspekt. Die Metamorphosen hießen nicht Metamorphosen, wenn es nicht in erster Linie um die individuellen Wandlungen ihrer Charaktere ginge und Narziß‘ Wandlung beginnt bei der Selbsterkenntnis. Dass sie bei der Eitelkeit aufhört, fand ich schon immer übertrieben moralisch, denn Selbsterkenntnis kann auch zu einem gesunden Maß an Selbstverständnis, Selbsteinschätzung, Selbstakzeptanz und schließlich Selbstliebe führen. Ein großer Teil des Leides zwischenmenschlicher Beziehung läßt sich für mich auf mangelnde Selbstliebe zurückführen – Eifersucht, Besitznahme, die Aggressivität der Selbstverteidigung, die aus einem überzogenen Schutzbedürfnis des fragilen Selbst erwächst. Es ist schwierig, andere Menschen zu lieben, wenn man sich selbst nicht liebt. Das Gebot, den Nachbar zu lieben, wie einen selbst, verstehe ich eher als Erkenntnis, denn als Vorgabe.

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  1. Der Verfasser ist Legastheniker, was zwar Auswirkungen auf seine Rechtschreibung, nicht aber auf den durchaus cleveren Gehalt seiner Worte hat.
  2. Ich widme mich diesem Thema sehr ausführlich im erstern Teil dieser Hausarbeit.

Lyssos

Montag, 07. Mai 2007

[audio:lev03.mp3]
Lyssos

für A.S.

Ich glaubte jenen, die mich Egoistin nannten.
   Zur bittern Marter zwang des Glaubens stille Qual,
die harten Worte derer, die mich besser kannten.
   Und Unsichtbares triumphiert im Jammertal.

Was kann ein Lahmer denn mit Tatendrang beginnen?
   Ich will nichts wissen von der Welt, die an mir nagt.
Die goldnen Hennen singen für die Königinnen –
   ein Wort ist nichts, vergessen schneller, was nicht plagt.

Ich will die Haare mir von meinem Kopfe reißen,
   daß ich für euch gelacht, wo jede Maske fällt,
wo falsche Scham und Spott selbst den Zynismus beißen.
   Euch geht es gut, was soll ich noch auf dieser Welt?

Selbst dich, geliebter Lyssos, kann ich nur noch hassen.
Ich kann mein Grab nicht tief genug herunterlassen!

III | Okt. 2003

Zur Entstehung

In der griechischen Mythologie ist Lyssa der personifizierte Wahnsinn. Ich weiß heute nicht mehr, warum ich mich damals dafür entschieden habe, aus Lyssa (feminin) einen Lyssos (maskulin) zu machen. Vielleicht war es meine feministische Emanzipation, nach der ich mich weigerte den Wahnsinn durch eine Frau verkörpert darzustellen. Vielleicht war es aber auch gerade deren Mangel, eine Kopfbarriere, die es mir nicht erlaubte, eine Frau in eine derartige „Charakterrolle“ zu stecken. Heute hätte ich mich für Lyssa entschieden…

Der Text thematisiert eine (psychologische) Katharsis, den verzweifelten emotionalen Ausbruch eines Menschen, der erkennt, dass er sich für eine falsche Vorstellung von Glück verstellt und sich dabei selbst verloren hat. Der Schlußvers ist dabei nicht so wörtlich gemeint, wie er bei vielen Lesern angekommen ist. Der Ausweg aus dem inneren Konflikt der Selbsterkenntnis ist nicht die Auslöschung des Selbst, sondern die Auslöschung des unerträglich gewordenen Teils des Selbst, sprich die eigene Verstellung, die Maske.

Ich empfinde Lyssos aber nicht nur aus diesem Grund heute als unzulänglich. Am meisten stört mich die Anspielung in Q2V3, weil sie vom Leser ein Spezialwissen erfordert, das über die Allgemeinbildung weit hinausgeht. An sich wären solche speziellen Anspielungen kein Problem, wenn sie als Zusatz für den versierten Leser konzipiert sind. Hier greift sie aber direkt in den logischen Zusammenhang des Textes ein und dafür ist sie zu speziell.

Ich kann von meinen Lesern nicht verlangen, dass sie Neidharts Lied „Sinc an guldin huon!“ (Singe, goldener Hahn!) gut genug kennen, um zu verstehen, warum in meinem Gedicht nun goldne Hennen singen. Ich kann nicht einmal verlangen, dass meine Leser dieses Lied oder dessen Verfasser überhaupt kennen. Trotzalledem scheint der verzweifelte Charakter des Textes noch immer gut genug rübergekommen zu sein, als dass er seinen eigenen kleinen Fankreis bekommen hat…

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poeta feminas invocat

Montag, 07. Mai 2007

[audio:lev02.mp3]
poeta feminas invocat – Die Anrufung der Frauen

Ihr edlen Frauen von erlesener Gestalt,
   von klarem Geist und reizvoll listigem Gemüt,
euch rufe ich mit innig brausender Gewalt,
   um euer Ohr, um eure Gunst bin ich bemüht.

Mich peitscht die Sehnsucht, mich, den Sklaven von Kyther.
   Im Reich der Venus, die mich einstmals reich beschenkt,
wer glaubt, daß dort die Einsamkeit sich kalt und schwer
   herab ins Herz des sterbenden Poeten senkt?!

Ach, fände sich eine, die klug wie Athene,
wenn eine es gäbe, so schön wie Helene,
   die zärtlich mich mit ihrem sanften Blick verwöhnt,
   helas, die wäre es, die mir das Leben krönt!

So hört mich an, die ihr mir Rettung bringen könnt –
ich harre eurer Antwort – sei sie mir vergönnt!

II | Jul. 2003

Zur Entstehung

Das Poeta-Feminas-Sonett entstand zu einer Zeit, in der die Idee an eine „Karriere“ als Online-Poetin noch in weiter Ferne lag. Ich hatte mich schon immer für Dichtung interessiert und heimlich selbst einige Versuche unternommen. Aber mit „Die Hoffnung des Narren“ gelang mir zum ersten Mal ein Werk, von dem ich glaubte, dass es diesen Namen auch verdient. Ich war stolz auf die gelungene Umsetzung meines Plans, dachte aber noch nicht an eine Veröffentlichung in dem Sinne.

Erst mit „poeta feminas invocat“ kam mir der Gedanke, für ein Publikum zu schreiben oder viel mehr kam dieser Gedanke und brachte mir die Idee zur Umsetzung. Ich schaltete das Gedicht tatsächlich innerhalb einer kleinen lesbischen Community als Anzeige, natürlich um zu sehen, ob nicht vielleicht doch die eine oder andere passende für mich dabei wäre, vor allem aber aus Neugier auf eine erste Leserresonanz. Es war ein Test und er hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht, Lust auf mehr Publikum und Lust auf mehr dichterische Verführung. Trotzdem sollte es noch mehr als ein halbes Jahr dauern, bis ich einen Ort für organisierte Veröffentlichungen meiner Texte fand.

Einige fragen sich vielleicht, weshalb ich einen lateinischen Titel gewählt habe. Die Antwort ist, ich weiß es selbst nicht mehr so genau. Ich befand mich während dieser Zeit am Anfang meines Lateinstudiums und fand es irgendwie witzig, dass „poeta“ eines der wenigen maskulinen Worte ist, das der femininen a-Deklination folgt. Diese Dissonanz zwischen Genus und Sexus fand ich interessant, gerade in Bezug auf den Ort der Erstveröffentlichung und den Umstand, dass im Text selbst das Geschlecht des lyr. Ichs nicht genannt wird. Dies ermöglichte mir auch meinen geschlechtlichen Narrenstatus, den ich anfänglich im Web genoß – die meisten Leser können einfach nicht umhin, im lyr. Ich immer den Autoren zu sehen und an Homosexualität denkt man vielleicht einfach nicht als erstes, solange es einen nicht selbst betrifft. Später fügte ich den deutschen Anhang an, weil der Umstand eines lateinischen Titels an sich keine künstlerische Aufgabe erfüllt und ich meine Leser nicht unnötig mit Fremdsprachen schikanieren wollte.

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Die Hoffnung des Narren

Montag, 07. Mai 2007

[audio:lev01.mp3]
Die Hoffnung des Narren

O Falsche, du, dir will ich nicht mehr länger dienen,
   läßt du mich herzlos unter eisgen Sonnen stehn.
   Denkst du, ich würde immer deine Schönheit sehn,
allein dich preisen, funktionieren wie Maschinen?

Ich will erlösen mich von diesen Sklavenbanden,
   die mich zu lange schon an eine Schlange ketten,
   will meinen Geist befreien, ihn vor dir erretten,
und morgen rettend weiterziehn in freie Landen.

   Willst endlich du den Lohn für meine Müh mir geben,
   so will ich rasch zu neuen Diensten mich erheben,
will meine Sonnen tausendfach erstrahlen lassen,
   dir Freudenquell, dir treuster aller Knechte sein.

Doch tust du’s nicht wird meine Liebe bald verblassen
   und blinder Haß erinnern an den einstgen Schein.

I | Jun. 2003

Zur Entstehung

Mit diesem Sonett debütierte ich im Februar 2004 bei gedichte.com und vor der Weltöffentlichkeit. Nie zuvor hatte ich jemandem meine Gedichte gezeigt oder überhaupt davon geredet, dass ich Gedichte schreiben würde. Dieses hier war das erste wirklich geplante Gedicht, das erste, an dem ich entworfen, verworfen und schweißtreibend gearbeitet hatte. Es war das erste meiner Gedichte, das mir am Ende ausgereift genug erschien, als dass ich es einer Öffentlichkeit präsentieren könnte, ja, wollte, ohne mich schämen zu müssen.

Als ich es schrieb, hatte ich schweren Liebeskummer und meiner Auserwählten viele Liebesbriefe zukommen lassen. Deren Sprache hatte Ausdruck meiner edelsten Gesinnung sein sollen, denn ich neigte damals stark zur Theatralik und hatte diese kränkelnde Liebe bereits zu einem Kunstwerk stilisiert. Sie wurde mein erstes, wirklich poetisches Produkt, aus dem ich viel Schöpfungskraft zog, natürlich zu ungunsten der Beziehung, die ich damals wirklich hatte. Die meisten meiner jüngeren Gedichte entstanden aus diesem Kontext und engere Freunde von mir können durchaus noch deutlich ablesen, bis wohin das lyr. Ich einer biographischen Realität entspricht und ab wann diese biographische Realität zum künstlerischen Ausdruck, sprich zur Fiktion, wird.

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