Für alle, die schon immer wissen wollten, wie das eigentlich funktioniert mit dem metrischen Rhythmus im Vers, warum "ich" in "ich liege" unbetont und in "ich und niemand sonst" betont ist, was ein Reim alles kann und warum ein Sonett nur eine Strophe hat, ist mein Einführungsversuch vielleicht die passende Lektüre. Dieser Leitfaden entstand als Kuhhandel mit jemandem, der etwas konnte, das ich wollte und etwas wollte, das ich konnte. Dieser jemand schreibt übrigens inzwischen herrlich metrische Verse.
Die Metrik ist eigentlich ein Teilgebiet der allgemeinen Verslehre, in dem es um Fragen der Betonung von Versen geht. Man verwendet das Wort heute jedoch üblicherweise pars pro toto (ein Teil steht für das Ganze), synonym für das gesamte Gebiet der allgemeinen Verslehre.
Die Verslehre ist die Lehre oder Theorie von den phonetischen (lautlichen) Strukturen von Versen. Sie systematisiert die phonetischen Komponenten (wie bspw. Akzent, Tonhöhe oder Lautbildung), die innerhalb des Verses dazu dienen, geordnete und symmetrische Muster zu bilden und erforscht deren gliedernde Funktion. Sie umfasst die Gebiete der Betonungslehre (Metrik), der Reimlehre und der Strophenlehre.
Im Unterschied zur Prosaik (Prosodie, Prosa) entwickelt die Metrik sehr klare und systematische Strukturen, die aufzeigen, welche akustischen Komponenten bei der formellen Gliederung von Sprache eine Rolle spielen. Grundlegend ist dabei, wie bei allen formellen Gebilden, das Prinzip von Wiederholung und Variation.
Die Betonungslehre (Metrik) befasst sich mit den Strukturen, die sich aus der Anordnung von betonten und unbetonten Silben und von Tönen und Pausen innerhalb des Verses ergeben, so genannten Metren (sg. Metrum). Dabei spielen Elemente wie der Wortakzent, die Silbenzahlen, Auftakte, Versfüße, Kadenzen und Zäsuren und Aspekte wie Intonation, Rhythmus, Maß und Zahl eine wichtige Rolle.
Die Reimlehre befasst sich mit den Identitäten, Ähnlichkeiten und Varianzen der klanglichen Lautbildung, also mit allen Phänomenen und Formen des Reims, mit Assonanzen und weiteren klanglichen Stilmitteln, wie Alliteration, Anapher, Epipher und Paronomasie. Die Anordnung der Reime innerhalb des Verses und innerhalb der Strophe kann zu einer subtilen Musterbildung beitragen.
Die Strophenlehre befasst sich mit den lyrischen Grobstrukturen, die sich aus der systematischen Anwendung von Metrik und Reim ergeben. Eine Strophe zeichnet sich durch eine eindeutige, klangliche Periode aus, welche sich durch ihre identische Wiederkehr oder durch konventionelle Überlieferung selbst konstituiert. Die Strophenlehre untersucht darüber hinaus die Merkmale klassischer Strophenformen wie bspw. Ode, Elegie, Sonett oder Madrigal.
[Zusammenstellung von Prof. Dr. Christoph März]
Die Betonungslehre (Metrik) befasst sich mit den Strukturen, die sich aus der Anordnung von betonten und unbetonten Silben und von Tönen und Pausen innerhalb des Verses ergeben, so genannten Metren (sg. Metrum). Dabei spielen Elemente wie der Wortakzent, die Silbenzahlen, Auftakte, Versfüße, Kadenzen und Zäsuren und Aspekte wie Intonation, Rhythmus, Maß und Zahl eine wichtige Rolle.
Grundlegend für die Betrachtung metrisch rhythmischer Aspekte im Vers ist zunächst die Betonung der Einzelworte (im Gegensatz etwa zur Betonung auf Phrasen- oder Satzebene). Die Sätze (Regeln), die sich hierbei formulieren lassen, geben Auskunft darüber, wie die Wortbetonung im Deutschen im Regelfall funktioniert. Dabei bestimmt die Regel natürlich nicht, wie Sprache zu funktionieren hat, sondern die Sprache funktioniert und die Regel versucht zu erklären, wie und warum sie das tut.
Im Verlaufe der Entwicklung des Indo-Germanischen zum Deutschen hat sich die Betonung der Wörter zu einer fixen (feststehenden) Position hin verschoben. Die Wörter werden auf der Stammsilbe betont, was allgemein zur Abschwächung von Neben- und Endsilben und zu deren Kontraktion (Zusammenziehen von unbetonten Silben) geführt hat. Die Wörter Dichtung, Dichter, dichten oder dichterisch werden also auf der ersten Silbe betont.
Diese Silbe nennt man Stammsilbe, da sie unabhängig von der Flexion (Wortbeugung)1 und Derivation (Wortableitung)2 so gut wie unverändert bleibt und an der Bildung des Wortstammes größten Anteil trägt. Egal ob es also dichten, gedichtet oder verdichten heißt, die Stammsilbe -dich- bleibt immer unverändert. Sie trägt in den wirklich meisten Fällen den Akzent, daher spricht man im Falle des Deutschen auch von einer Stammsilbenbetonung. Diese ist die natürliche (prosodische) Wortbetonung.
Es ist egal, welche grammatische Endung oder welches Affix (Präfixe
und Suffixe) an ein Wort angehängt wird. Solange diese angehängte
Komponente akzentlos ist, bleibt der natürliche Akzent des Wortes
unverändert auf der Stammsilbe bestehen. Ungeachtet dessen, ob der
Vokal der Stammsilbe ein Monophton, ein Diphton oder ein Umlaut ist, ob
er lang oder kurz gesprochen wird, bleibt der natürliche Akzent des
Wortes unverändert auf der Stammsilbe bestehen. Diese Stammsilbe wird
betont.
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Konstituenten sind Bausteine, die zum Zwecke der Derivation an einen Wortstamm oder an ein bereits bestehendes Derivat angehängt werden könnten. Im Falle der akzentlosen Konstituenten bleibt dabei der Wortakzent auf der Stammsilbe bestehen. Es gibt jedoch auch akzentuierte Konstituenten, die, wenn sie an einen Wortstamm oder an ein bereits bestehendes Derivat angehängt werden, den Wortakzent tragen. In diesem Falle ist dann (und dies stellt eine Ausnahme dar!) nicht mehr die Stammsilbe, sondern das akzenttragende Affix betont.
Akzentlose Präfixe an Verben und Substantiven | miss- | miss-gön-nen aber Miss-gunst1 | |
be- | be-schrei-ben; Be-schrei-bung | wider- | wi-der-ru-fen aber Wi-der-ruf2 |
ent- | ent-schei-den; Ent-schei-dung | Akzentlose Suffixe an Substantiven | |
er- | er-pres-sen; Er-pres-sung | -chen | Mär-chen (n) |
ge- | ge-ne-sen; Ge-ne-sung; | -er | Dich-ter (m) |
ver- | ver-zwei-feln; Ver-zweif-lung | -heit | Schön-heit (f) |
zer- | zer-set-zen; Zer-set-zung | -keit | Ein-sam-keit (f) |
Akzentlose Suffixe an Adjektiven | -in | Göt-tin (f) | |
-bar | streit-bar | -lein | Kind-lein (n) |
-haft | zwang-haft | -ling | Lieb-ling (m) |
-ig | se-lig | -nis | Bünd-nis (-) |
-isch | ko-misch | -schaft | Bürg-schaft (f) |
-lich | fröh-lich | -tum | Brauch-tum (n) |
-sam | duld-sam | -ung | Dich-tung (f) |
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Akzentuiertes Präfix | Unbestimmter Negationspartikel1 | ||
ur- | ur-teilen; Ur-teil | un- | un-gün-stig; un-mög-lich |
Akzentuierte Suffixe | Akzentlos bei Verben, bei Substantiven akzentuiert2 | ||
-ei | Schrei-be-rei | miss- | miss-gön-nen aber Miss-gunst |
-ieren | ko-pie-ren | wider- | wi-der-ru-fen aber Wi-der-ruf |
Betonung je nach Wortbedeutung3 | |||
um-schrei-ben | um etwas anders zu schreiben | ü-ber-set-zen | um ans andere Ufer zu kommen |
um-schrei-ben | um etwas mit anderen Worten zu sagen | ü-ber-set-zen | um einen Text in eine andere Sprache zu übertragen |
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Komposita sind komplexe Wortgebilde, bei denen mindestens zwei eigenständige Wörter (so genannte Basen), so zusammengesetzt werden, daß sie zu einem neuen und eigenständigen Wort verschmelzen, wie es zum Beispiel die Substantive Gedicht und Band im Wort Gedichtband tun.
Komposita können aus Wörtern jeglicher Wortarten gebildet werden. Voraussetzung ist dabei, daß die Basen eigenständige Wörter sind. Zum Teil können sogar Wortstämme als Basen dienen, wie es beispielsweise im Wort denkfaul der Fall ist.
Komposita können aus beliebig vielen Basen zusammengesetzt sein. Am häufigsten treten jedoch zweiteilige, sogenannte [AB]-Komposita auf (die Großbuchstaben bezeichnen die Basen). [AB]-Komposita haben die Tendenz1, auf der Stammsilbe der ersten Base betont zu werden, wie in ab-schrei-ben, Gur-ken-glas oder Neun-zehn, da dort der so genannte Hauptakzent des Kompositums liegt.
Bei Komposita, die drei oder mehr Silben haben, kann es auch zur
Ausbildung so genannter Nebenakzente kommen, d.h. daß neben der
Stammsilbe der ersten Base noch weitere Silben betont werden können.
Welche das sind, ergibt sich aus der sogenannten Alternationsregel2. Die Betonungen, die ein Nebenakzent bewirkt, sind in jedem Falle schwächer als die der Hauptakzente.
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Die Betonung von Fremdwörtern, besonders Fremdwörtern nicht germanischer Sprachen, kann oft sehr anders sein. Akzente können auf den Flexionsendungen liegen, wie in Kar-ton, oder bei der Derivation gar von Silbe zu Silbe wandern, wie in Mu-si-ker, Mu-sik, mu-si-ka-lisch.
Sollte einmal Zweifel über die Betonung eines deutschen, eingedeutschten oder fremdsprachlichen Wortes bestehen, gibt es immer die Möglichkeit, die Wortbetonung in einem muttersprachlichen Wörterbuch (Duden, Langenscheid) oder einem Fremdwörterlexikon nachzuschlagen. Dort werden Hauptakzente und zum Teil Nebenakzente auf je unterschiedliche Art und Weise gekennzeichnet.
Metrischer Rhythmus wird im Deutschen dadurch erzeugt, dass sich betonte und unbetonte Silben in regelmäßig wechselnder Abfolge aneinanderreihen. Um also einen Satz zu formen, dessen Rhythmus metrisch ist, muss man zunächst betonte von unbetonten Silben unterscheiden können (s. Wortbetonung) und dann eine Idee von "regelmäßig" entwickelt haben, um die Silben derart anzuordnen.
Regelmäßigkeit funktioniert nach dem Prinzip der Wiederholung. Wiederholt man eine kleine Einheit von Elementen, z.B. die Zeichenfolge "+ ~" beliebig oft hintereinander, so erhält man eine Reihe, mit einem regelmäßigen Muster: + ~ + ~ + ~ + ~ + ~ + ~ + ~. So funktioniert es auch mit der Metrik. Sie kennt der Elemente zwei, die betonte (im nun Folgenden mit "X" bezeichnet) und die unbetonte (im nun Folgenden mit "x" bezeichnet) Silbe, und der Einheiten vier. Diese Einheiten heißen Versfüße.
Der Akademiker unterscheidet grundlegend vier Versfüße, die er in klassischer Tradition mit griechischen Namen benennt, den Iambus oder Jambus (xX), den Trochäus (Xx), den Daktylus (Xxx) und den Anapäst (xxX). Die klassischen Sprachen (Griechisch und Latein) kennen noch weitaus mehr Versfüße, doch diese auf das Deutsche zu übertragen, ist von praktischer Seite her wenig sinnvoll.
Der Iambus und der Trochäus bestehen jeweils aus zwei Elementen, einer betonten und einer unbetonten Silbe. In einer Reihe, in der nur Imabus oder nur Trochäus steht, kommt es alle zwei Silben zu einer Wiederholung der Einheit. Ich nenne diese Füße daher zweizeitig.
Der Daktylus und der Anapäst bestehen jeweils aus drei Elementen, einer betonten und zwei unbetonten Silben. In einer Reihe, in der nur Daktylus oder nur Anapäst steht, kommt es alle drei Silben zu einer Wiederholung der Einheit. Ich nenne diese Füße daher dreizeitig.
Natürlich lassen sich auch regelmäßige Reihen bilden, in dem man die zwei- und dreizeitigen Füße kombiniert, bspw. xX xxX xX xxX, etc. Dies ist jedoch sehr ungewöhnlich für die deutsche Metrik. Am häufigsten sind in deutschen Versen reine Metren anzutreffen und unter diesen widerum am häufigsten die zweizeitigen.
Als Hebungen werden die betonten Silben (X), als Senkungen die
unbetonten (x) bezeichnet. Bei den Hebungen gibt es zwei
unterschiedliche Qualitäten, zum einen die obligatorischen1, zum anderen die fakultativen2.
Die obligatorischen Hebungen bilden gleichsam das fixe Grundgerüst
eines jeden Metrums, nach welchem sich alle übrigen Silben, immer um
Alternation3 bemüht, fügen.
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Reine zweizeitige Metren zu konstruieren, ist aufgrund der Alternationsbestrebungen germanischer Sprachen nahe liegend und nicht weiter schwer. Theoretisch braucht es dafür nur eine einzige obligatorische Hebung im Vers. Sinnvoller ist es jedoch, mindestens zwei pro Vers zu haben. Warum? Konstruiert man bspw. einen Vers, der nur aus Einsilbern besteht, so ist erst mit der obligatorischen Hebung auf dem letzten Wort des Verses klar, welches Metrum der Vers rückwirkend hat. Ist die Zweizeitigkeit nicht durch umstehende Verse bereits ausreichend etabliert, so dass der Leser aus "Gewohnheit" korrekt skandiert, kann es am Versanfang eines solchen Verses zu Ungenauigkeiten kommen.
Das Beispiel: So gib es mir doch, du Hund!, könnte aufgrund der obligatorischen Hebung am Versende ein regelmäßiger Trochäus sein (XxXxXxX). Jeder Leser würde aber, da es sich um eine Aufforderung handelt, eine Betonung auf dem Imperativ "gib" machen, so dass sich eine a-rhythmische Folge (xXxxXxX) daraus ergeben würde. Eindeutig ist hingegen dieser Vers im trochäischen Hexameter (6 Hebungen pro Vers), welcher sich ausschließlich obligatorischer Hebungen bedient: Dich-ter wol-len rhyth-misch rei-ne Ver-se schmie-den (XxXxXxXxXxX). Ein anderer Vers im iambischen Hexameter funktioniert mit nur zwei obligatorischen Hebungen: Ich will nichts wis-sen von der Welt, die an mir nagt (xXxXxXxXxXxX).
Zu Problemen kann es kommen, sobald obligatorische Hebungen sich an Verspositionen befinden, die es den übrigen Silben nicht mehr erlauben, regelmäßig zu alternieren: Ich ging im Wal-de so für mich hin (xXxXxxXxX). Insgesamt gibt es in diesem Vers aus Goethes "Gefunden" neun Silben. Obligatorische Hebungen befinden sich auf der 4. und 9. Silbe. Dazwischen müsste es eine ungerade Zahl an Silben geben, damit das Metrum sich in regelmäßiger Abfolge zweizeitig einschwingen kann, was nicht der Fall ist. Dennoch ist Goethes Vers durchaus metrisch, denn betrachtet man den darauffolgenden Vers: Und nichts zu su-chen, das war mein Sinn. (xXxXxxXxX), stellt man fest, dass dieser genau gleich gebaut ist und somit doch eine konkrete Idee von Regelmäßigkeit verfolgt.
Dreizeitige Metren sind in deutschen Versen weitaus seltener anzutreffen als zweizeitige, denn sie zu konstruieren, erfordert ein höheres Maß an künstlerischen Fähigkeiten und das Ergebnis klingt zu dem ungewohnter. Theoretisch braucht es nur in jedem Versfuß eine obligatorische Hebung, um einen dreizeitigen Rhythmus ausreichend zu etablieren. In seltenen Fällen kann es ausreichen, in einem Versfuß eine obligatorische Hebung auszulassen. Tückisch ist dies aber, wenn die umstehenden Verse das dreizeitige Metrum nicht bereits so fest etabliert haben, dass ein Leser aus "Gewohnheit" dreizeitig skandieren würde.
Der Vers: Ver-ges-sen sind wir, die wir lei-den, kann auf zweierlei Art betont werden. Ist die Dreizeitigkeit abgesichert, liest man xXxxXxxXx. Ist sie jedoch nicht abgesichert, bedingt das natürliche Alternationsbestreben die zweizeitige Lesart xXxXxXxXx. Der Vers: In sal-zi-gen Trä-nen zer-fließt er ge-schwind (xXxxXxxXxxX), funktioniert hingegen ausschließlich dreizeitig, da jede Hebung obligatorisch ist.
In gewissen Fällen, wenn die Dreizeitigkeit durch umstehende Verse gesichert ist, können auch Verse funktionieren, in denen zu viele obligatorische Hebungen die Dreizeitigkeit eigentlich theoretisch verhindern müssten. Diesen theoretischen Grenzfall zeigt dieser Vers: Der Früh-ling ver-gisst, end-lich wie-der zu kom-men (xXxxXXxXxxXx oder xXxxXxxXxxXx).
Die obigen Beispiele zeigen jeweils daktylische Füße mit einer vorangestellten Senkung, jedoch nie einen Anapäst. Dieser wird zwar in den Theoriebüchern immer aufgeführt, ist aber praktisch kaum umsetzbar. In einem Satz wie: War Ca-li-gu-la Kai-ser von Rom? (xxXxxXxxX oder XxXxxXxxX), würde das Alternationsbestreben eigentlich dazu führen, den ersten Einsilber zu betonen und somit aus dem Anapäst einen Daktylus mit vorangestelltem Trochäus machen.
Wie aus dem Fall mit dem Imperativ in 3.2.1 und dem theoretischen Grenzfall in 3.2.2 schon ersichtlich wurde, ist für metrische Belange nicht ausschließlich die Betonung auf Wortebene interessant, sondern auch jene auf Phrasen und Satzebene. Bestimmte Worte werden in Phrasen oder Sätzen aufgrund syntaktischer (grammatischer) oder semantischer (die Wortbedeutung betreffend) Aspekte intuitiv stärker betont als andere. Dies sollte man vor allem dann bedenken, wenn sich die Intonation auf Wortebene nicht mit der intuitiven auf Phrasen- oder Satzebene deckt. Denn die Betonungskurven der verschiedenen Ebenen pflegen, sich zu überlagern. Wo sie nicht deckungsgleich sind, kann es zu Ungenauigkeiten kommen.
Innerhalb des Verses spielt dies jedoch weitaus seltener eine Rolle als an den Versübergängen. Jede grammatische Phrase (Wortverbindung, die als syntaktische Einheit zu verstehen ist) und jeder Satz kommt an ihrem/seinem Ende zu einem formelhaften Ruhepunkt, durch den eine natürliche Sprechpause entsteht. Die Stimme senkt sich und ihr Klang versiegt. Daher nennt man diese Pausen auch Kadenzen (lat. cadere "fallen, sinken"). Für den Augenblick einer Sekunde herrscht Stille, bevor sich die Stimme zu Beginn des nächsten Verses wieder erhebt.
Metrische Verse definieren sich größtenteils durch Kadenzen. Kommt es zu einer Sprechpause, ist ein Vers zu Ende und ein neuer beginnt. Natürlich kann man auch Sprechpausen innerhalb des Verses erzwingen, indem man einfach eine Phrase oder einen Satz innerhalb der Zeile dort enden lässt, wo man möchte, dass der Leser pausiert. Allerdings weisen solche so genannten Zäsuren [lat. caesura "Hieb, Schnitt"] keinen generellen Qualitätsunterschied zu einer Kadenzen auf, weshalb sie auch als Kadenz interpretiert werden können. Damit dies nicht geschieht, muss man einen Qualitätsunterschied herbeiführen, indem man z.B. die Kadenzwörter reimen lässt, während die Zäsurwörter reimlos bleiben oder indem man Verse einer bestimmten, immer wider gleichen Anzahl an Hebungen schreibt, die verdeutlichen, dass die Zäsur noch nicht das Versende ist.
Schöne Effekte kann man auch dadurch erzielen, dass man an der Stelle, wo der Leser aufgrund des vorher etablierten Versbaus eine Kadenz, also eine Pause erwartet, das Versende über das Zeilenende hinausragen lässt und erst im Folgevers beendet, so dass es am Zeilenende nicht zu einer Sprechpause kommt. Dieser Zeilensprung, auch frz. Enjambement genannt, bewirkt immer eine Betonung des folgenden Versanfangs (des Verses, in dem die Phrase/der Satz zum Ende kommt) und sollte daher nicht ziellos und zu gehäuft angewandt, da sonst erstens die Wirkung dieses Stilmittels verloren geht und zweitens die Konturen der Verse verschwimmen.
Metrisch sind Verse also immer dann, wenn sie mit den drei Elementen betonte Silbe, unbetonte Silbe und Pause eine Idee von Regelmäßigkeit und Ordnung vermitteln können. Das Prinzip der Wiederholung kann dabei mit größter Varianz zum Tragen kommen. Verse können immer die gleiche Anzahl an Hebungen haben, wobei die Zahl der Hebungen mit griechischen Ordnungszahlen angegeben wird (Monometer, Dimeter, Trimeter, Tetrameter, Pentameter, Hexameter, Heptameter, etc.). Sie können an der gleichen Stelle kadenzieren oder Zäsuren aufweisen, was jedoch nicht zwingend erforderlich ist. Sie können reine zweizeitige oder dreizeitige Metren aufweisen oder auch Mischmetren etablieren.
Das Feuer wallt höher, tiefer, wieder und wieder,
knackt und bricht; von innen erhellt
das Flammenmeer schnellt.
Es rennen die Menschen, fliehen, flüchten der Flammen.
Stärker schwelt die feurige Brunst,
vernebelt im Dunst.
xXxxXxXxXxxXx - a
XxXxXxxX - b
xXxxX - b
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#edit:
Dabei ist zu beachten, dass es einen "Monometer" eigentlich nicht gibt.
Verwirrend ist, dass nach klassischer Anschauung ein Versfuß eines
zweizeitigen Metrum mindestens zwei Hebungen zählt (xXxX). Ein
iambischer Vers mit vier Hebungen müßte also ein Dimeter sein.
Es wird offenbar, dass die klassische Terminologie nicht unbedingt am besten geeignet ist, um die deutsche Metrik zu erklären. Im Zweifelsfalle nenne ich immer die Zahl der Hebungen.
Metrische Gebilde werden zunehmend komplexer, wenn sie nicht nur auf regelmäßige Betonung achten, sondern zusätzlich Reim- und Strophenformen verwenden. Sensibilisieren kann man sich für derartige Phänomene, wenn man die metrischen Werke klassischer Dichter aufmerksam studiert. Dabei ist größte Komplexität, sowie grenzenloser Variantenreichtum beispielhaft zu erleben und zu genießen.
Die Reimlehre befasst sich mit den Identitäten, Ähnlichkeiten und
Varianzen der klanglichen Lautbildung, also mit allen Phänomenen und
Formen des Reims, mit Assonanzen und weiteren klanglichen Stilmitteln,
wie Alliteration, Anapher, Epipher und Paronomasie. Die Anordnung der
Reime innerhalb des Verses und innerhalb der Strophe kann zu einer
subtilen Musterbildung beitragen.
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Zur Zeit läuft im Forum ein Gemeinschaftsprojekt zur Erschließung und Kategoriesierung von Reimformen
an, an dem sich jeder Interessierte beteiligen kann. Ziel des Projektes
ist es unter anderem, eine Gliederung für dieses Kapitel des Kurses zu
erarbeiten.
Die Strophenlehre befasst sich mit den lyrischen Grobstrukturen, die
sich aus der systematischen Anwendung von Metrik und Reim ergeben. Eine
Strophe zeichnet sich durch eine eindeutige, klangliche Periode aus,
welche sich durch ihre identische Wiederkehr oder durch konventionelle
Überlieferung selbst konstituiert. Die Strophenlehre untersucht darüber
hinaus die Merkmale klassischer Strophenformen wie bspw. Ode, Elegie,
Sonett oder Madrigal.
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Hier soll es irgendwann eine Übersicht zu klassischen
Strophenformen, deren Struktur, Wirkung, Geschichte, Vertreter und
Rezeption geben. Wer Ideen zu Inhalten und zur Gliederung dieses
Kapitels hat, darf mir gerne bei seiner Entwicklung helfen.