post post-privacy
Oder: Warum ich die Spackeria für einen Holzweg halte
Irgendwann vor vielen Jahren saß ich in einer Vollmondnacht mit meinem Geliebten bei einer Tüte Heilkräuter, und er sagte „hach“ und „wäre es nicht schön, wenn wir in einer Gesellschaft leben könnten, in der niemand mehr Geheimnisse haben bräuchte, in der sich niemand mehr für seine Vorlieben schämen oder rechtfertigen oder verteidigen müßte!? Ich will so frei, so stark sein, mit erhobenem Kopf in der Öffentlichkeit zu stehen und zu sagen, dass ich schwul bin, dass ich Drogen konsumiere, dass ich Geliebte neben meiner Ehefrau habe, dass ich mich gerne im Bett fesseln lasse, dass ich mir für Geld habe einen blasen lassen, dass ich gestern so viel gesoffen habe, dass ich einen Blackout hatte, … Ich möchte in einer Welt leben, in der niemand mehr aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung solche Geheimnisse haben muß.“
Ja, das fand ich eine schöne Utopie, und das wurde unsere Lebenseinstellung: Wir schämen uns einfach nicht mehr für Dinge, von denen wir glauben, man bräuchte sich nicht für sie schämen. Wer uns deswegen nicht mag, der soll sich halt andere Freunde suchen. Wir wollen uns nicht verstellen, uns nicht verbiegen oder verstecken, um gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Dies ist für mich der ideologisch nachvollziehbare Aspekt der Post-Privacy-Bewegung, die mit Stolz den Namen „Spackeria“ trägt – der einzige, denn selbstverständlich leben wir in einer solchen Gesellschaft, in der das uneingeschränkt möglich wäre, noch nicht und der Weg dahin ist offenbar strittig. In wie weit jeder Einzelne den oben vorgestellten Lebensentwurf erfolgreich für sich umsetzen kann, hängt ganz von seiner Sozialisierung, seinem Schamgefühl und seinen individuellen Geheimnissen ab. Bin ich schwul und bin ich unabhängig von Menschen, die mit dem Schwulsein ein Problem haben, ist es leicht, mich zu outen. Lebe ich aber in einer Gemeinschaft, in der ich damit rechnen muß, im Falle meines Outings gemobbt oder gekündigt, verprügelt oder entmündigt zu werden, ist das ein ungleich schwererer Schritt. Den zu gehen muß meines Erachtens jeder für sich selbst individuell entscheiden können dürfen; ein Zwangsouting von Privatpersonen in Privatangelegenheiten darf es nicht geben!
Wir müssen bedenken, dass derjenige, der nicht ins Bild von Recht und Ordnung paßt, in unserer Gesellschaft durchaus noch gemobbt, gekündigt, verprügelt oder entmündigt wird. Das, was legitim und damit legal sein sollte, ist ebenso strittig wie die Frage, was „privat“ und was „öffentlich“ ist. Wenn dein Geheimnis jenes ist, dass du schwul bist, dann hast du heutzutage vielleicht kein so großes Problem mehr mit einem Outing, wie vor 30 Jahren, weil es inzwischen genügend Menschen gibt, die das Schwulsein offen unterstützen und weil es nicht mehr illegal ist. Aber was ist beispielsweise, wenn du pädophil bist? Wie groß ist die gesellschaftliche Ablehnung selbst gegenüber jenen, die sich nie an einem Kind vergriffen haben oder vergreifen werden! Und wie oft werden deine „kleinen Geheimnisse“ (z.B. Affären, Drogen, Puffbesuche) von deinen Feinden noch gegen dich verwendet, wenn es eigentlich um andere Aspekte geht, wie das Sorgerecht für deine Kinder, deine Tauglichkeit für ein Amt oder die Qualität deiner Arbeit, die damit nichts zu tun haben?
Sicherlich, jeder hat seine kleinen Geheimnisse und man könnte meinen, wenn die Gesellschaft das plötzlich auch sähe, würde sie schon akzeptieren, was man bisher verheimlichen zu müssen glaubte. Schließlich kann ich niemandem seinen heimlichen Drogenkonsum vorwerfen, wenn ich eine heimliche Geliebte habe… Denkt man, aber so funktioniert es ja in der Realität nicht. Eine gleichzeitige Offenlegung aller Geheimnisse wird es nicht geben, das ist technisch, logistisch unmöglich. Jede Offenlegung passiert sukzessive. Das heißt aber, dass, solange noch niemand von meiner heimlichen Geliebten weiß, ich sehr wohl jemandem seinen Drogenkonsum vorwerfen kann, insbesondere dann, wenn ich Drogenkonsum für viel schlimmer halte, als Affären und irgendeine mir gewogene Mehrheit das auch so sieht. Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie schwer ein bestimmtes Geheimnis wiegt. Dieser Konsens muß erst erarbeitet werden, wir müssen uns als Gesellschaft im Dialog darüber einigen, was ethisch ist und was nicht, was legal sein sollte und was nicht. Und selbst dann ist noch lange nicht alles legitim, was legal ist oder legal, was legitim wäre.Update s.u.
Selbstverständlich brauchen wir Vorreiter, Menschen, die sich outen und es mit Stolz tun, die ihre Werte verkünden und ihre Rechte einfordern, damit wir uns an sie hängen, uns mit ihnen solidarisieren und ebenfalls stolz darauf sein können, dass wir sind, wie wir sind. So funktioniert meines Erachtens die Zivilisierung unserer Gesellschaft. Aber um das zu ermöglichen, brauchen wir ebenso Mechanismen, die uns vor einem Zwangsouting schützen. Denn jeder muß nach wie vor selbst bestimmen können dürfen, wem gegenüber er sich in welchem Umfang offenbart und outet, denn nur er selbst kann bestimmen, ob er bereit ist, das Risiko von Mobbing, Gewalt, Entmündigung, Kündigung oder sogar Gefangenschaft einzugehen und wem gegenüber er bereit ist, dieses Risiko einzugehen. Wir brauchen daher Gesetze, die den Mißbrauch von Daten, das Ausplaudern oder Verwenden von Geheimnissen zum eigenen (z.B. wirtschaftlichen) Vorteil unter Strafe stellen. Das meint Datenschutz. Wir brauchen Datenschutz, um einen gesellschaftlichen Konsens ethischer Fragen überhaupt aushandeln zu können, um Menschen den Mut für ihr Outing zu geben.
Wenn nun die Spackeria meint, wir könnten uns in einer digitalisierten Gesellschaft sowieso nicht davor schützen, dass unsere Geheimnisse ausgeplaudert werden, weil kein Computersystem sicher genug sein kann, um unsere Daten zu schützen, dann hat sie ohne Frage einen wahren Punkt getroffen, der dringend mal ins gesellschaftliche Bewußtsein gerückt werden sollte. Dies bedeutet jedoch nicht im Umkehrschluss, dass es unwichtig wäre, ein solches Vergehen zu sanktionieren. Wir sanktionieren ja auch Diebstahl, obwohl wir uns nicht davor bewahren können, weil kein Tresor sicher genug sein kann. Wir müssen sicherlich diskutieren, in welcher Form wir sanktionieren und was genau, aber dass wir Datenschutz (d.h. Sanktion von Datenmissbrauch) auf der einen Seite und Aufklärung der Bevölkerung über Computersicherheit und technische Möglichkeiten der Datenverarbeitung auf der anderen Seite brauchen, steht meines Erachtens außer Frage. Denn alles Andere liefe darauf hinaus, Zwangsoutings ethisch korrekt zu finden, sich zurückzulehnen und zu sagen: „Es ist doch deine Schuld, dass du jetzt deinen Job los bist, was hast du auch $Person erzählt, dass du schwul bist? Ist doch klar, dass sich das verbreitet, wie ein Lauffeuer und irgendwann auch bei deinem heimlich homophoben Chef ankommt. Das hast du jetzt davon, dass du dich $Person anvertraut hast; hättest du dein Geheimnis mal lieber für dich behalten!“ Und das ist das genaue Gegenteil der anfänglichen Utopie.
Daher verstehe ich die Position der Post-Privacy-Bewegung, die sich Spackeria nennt, bis heute nicht. Vermutlich ist das im Gegensatz zu dem, was der Gruppenname suggeriert, in Wirklichkeit eine Ansammlung von Menschen mit sehr heterogenen Positionen, in der sich Träumer einer besseren Gesellschaft, neben ignoranten Facebook*-Fanboys und knallharten Wirtschaftern tummeln. Ich könnte mit den Träumern mitgehen, da auch ich es schön fände, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich mich für meine privaten Vorlieben nicht schämen muß. Ich fazialpalmiere aber vor den Fanboys, die nicht über die Gefahren nachdenken, die ein unbedachter Umgang mit privaten Daten haben kann und ich warne vor den Kapitalisten, die diese Bewegung für ihre Zwecke instrumentalisieren. Denn diese Unternehmer haben ein wirtschaftliches Interesse daran, die Gesellschaft glauben zu machen, dass es nicht sanktionierenswürdig wäre, private Daten gewinnbringend auszuwerten oder zu verschärbeln. Genau dieses Bild erzeugt aber die Post-Privacy-Bewegung, dass Privatheit out ist, dass das Bedürfnis von Schutz der Privatsphäre out ist, dass es keine Privatsphäre mehr gibt, sondern dass jede Privatangelegenheit, die wir (wem auch immer gegenüber) veröffentlicht oder geoffenbart haben, automatisch eine öffentliche Angelegenheit wäre. Und das ist falsch! Nicht jede Privatangelegenheit über die ich öffentlich spreche, wird automatisch zu einer öffentlichen Angelegenheit. Ob ich Geliebte habe oder in den Puff gehe, ist und bleibt meine Privatangelegenheit, ob ich öffentlich darüber spreche oder nicht! Und wem nicht klar ist, dass er mit einer privaten Offenbarung gegenüber seiner Freundin auf Facebook eine andere Öffentlichkeit erreicht als mit einer privaten Offenbarung gegenüber seiner Freundin auf dem heimischen Sofa, der muß dringend aufgeklärt werden. Das ist einfach nicht allen klar, wie auch?
Ich sehe deshalb nicht den Sinn darin, dass sich hier eine Bewegung in expliziter Abgrenzung zum „Datenschutz“ organisiert, bzw. weshalb hier aktiv gegen die Werte des Datenschutzes, nämlich Sensibilisierung im Umgang mit privaten Daten und Sanktionierung von Datenmissbrauch, mobilisiert wird. Das Interesse an einer aktiven Aufspaltung in zwei Lager von Datenschützern einerseits und Post-Privacy-Spackos andererseits, ist mir schleierhaft, wenn es nicht aus wirtschaftlichen Gründen forciert wird. Der Traum von einer besseren Gesellschaft ohne Schamgefühle scheint mir in keinerlei Widerspruch zu den Werten des Datenschutzes zu stehen, im Gegenteil. Um mich dafür entscheiden zu können, das Risiko von Gewalt, Mobbing, Inhaftierung, Entmündigung und Kündigung durch mein Outing eingehen zu wollen, muß ich das Risiko abschätzen können. Um das Risiko abschätzen zu können, muß ich sensibel für die Interessen und Möglichkeiten derjenigen sein, die ich über mein Geheimnis informiert habe, und ich muß über eine Handhabe verfügen, die es mir ggf. erlaubt, diejenigen zu bestrafen, die mein Vertrauen mißbraucht und meine Geheimnisse zu ihrem Vorteil oder meinem Nachteil ausgeplaudert haben. Nur das erlaubt es mir, mein Schild und meine Rüstung abzulegen, meinen Mitwölfen barbäuchig gegenüber zu treten und meinen Traum von einer besseren Gesellschaft ohne Schamgefühle durch mein eigenes mutiges Outing schrittweise zu verwirklichen.
Ich komme nicht umhin, davon auszugehen, dass die Spackeria ein Holzweg ist. Keines ihrer ehrenwerten Ziele steht im Widerspruch zum Datenschutz, weshalb es mir unsinnig erscheint, hier durch Namensgebung einen künstlichen Antagonismus zu forcieren. Und ihre unehrenwerten Ziele, wie Desensibilisierung für den Umgang mit privaten Daten, Verschleierung des Wirtschaftswerts von Privatheit und Datenerfassung, die Verwässerung der Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit oder sogar die Behauptung, alles höre im Moment seiner Veröffentlichung auf, privat zu sein, haben in mir sowieso keinen Fürsprecher.
__________
* Facebook ist nur ein Exemplum, das symbolisch für alle Unternehmen steht, die Wirtschaftsgewinne aus der Verarbeitung privater Daten erzielen.
Update: Ich muß einen Punkt in dieser Debatte noch genauer ausführen:
Wir brauchen unsere individuelle Privatheit auch, um die Grenzen unserer gesellschaftlichen Werte für uns selbst zu reflektieren, für uns in Frage zu stellen und ggf. unseren Dissenz mit der gesellschaftlichen Norm festzustellen. Privatheit ist auch ein Schutzraum, in dem wir von gesellschaftlicher Norm befreit existieren und aus dem heraus wir neue Ansätze und Ideen von Identität, zwischenmenschlichem Umgang, etc. entwickeln können. Ist kein Schutzraum vorhanden, weil jede unserer unausgegorenen, privaten Ideen sofort offenbar ist, ist eine gesellschaftliche Weiterentwicklung durch bewußten Tabubruch, durch Ausbruch aus der Norm nicht mehr möglich. Jede neue Idee – und sei sie auch noch so ein zartes Pflänzchen – würde sofort von der Norm erstickt. Frauen hätten nie Hosen getragen und Homosexuelle nie demonstriert. Die Privatheit des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft ist m.E. notwendig, damit neue Ideen aufkeimen können und der Wertemaßstab unserer Gesellschaft nicht stagniert.
Dezember 5th, 2011 13:20
Danke für diesen schönen Beitrag. Ich habe vor einigen Monaten in meinen beiden Texten „Post-Privacy-Spacken und die Machtfrage“ und „Wie aus Informationen Macht erwächst“ ebenfalls versucht klarzumachen, was der eigentliche Charakter von Datenschutz ist und wie man ihn als Werkzeug zur Vorbeugung von Machtmissbrauch nutzen kann.
Freut mich, zu lesen, daß das hier alles so schön ineinander greift.
LG, Peter
Dezember 5th, 2011 14:34
Dankeschön! Für mich ein wunderbarer Text der unter anderem verdeutlicht wie wichtig es ist Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln. Traum und Wirklichkeit. Ich sehe auch noch einen anderen Aspekt: Was ich heute als harmlose Offenbarung einstufe, kann mir übermorgen auf die Füße fallen.
Dezember 5th, 2011 19:30
@Peter: Dein Kommentar wurde wegen der zwei Links vom Spam-Karma verschluckt. Aber nun hab ich ihn manuell freigeschaltet.
😉
@Sabine: Da hast du Recht. Ich weiß ja nicht, wer mir morgen noch alles begegnet, wie mir diese Menschen gesonnen sind und ob ich von deren Wohlwollen je abhängig bin.
Dezember 6th, 2011 16:41
So weit spannend und gut und richtig.
Einen Diskussionspunkt habe ich aber: Du schriebst
„Ich sehe deshalb nicht den Sinn darin, dass sich hier eine Bewegung in expliziter Abgrenzung zum “Datenschutz” organisiert […]“
Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann fand diese Abgrenzung nicht so richtig freiwillig statt, sondern wurde von Einigen(tm) Angehoerigen der klassischen Datenschuetzergarde provoziert (zB durch die Titulierung der Post-Privacy-Proponenten als „Spackos“ und auch sonst eher zickige Reaktionen). Auch die Organisation einer Gegenveranstaltung passierte in Reaktion auf die kategorische Ablehnung von Vortraegen zu dem Thema durch das 28C3 Content Team. Diese Beissreflex-bedingte Ausgrenzung seitens der Datenschuetzer geht mir inzwischen sehr auf die Nerven, weil es Bereiche gibt, in denen ein offenerer Umgang mit persoenlichen Daten grosse Chancen birgt. Darueber nachzudenken, wie sowas zu gestalten waere, geht aber nur, wenn man Datenschutz nicht als ehernes Prinzip und hoechstes aller Gueter ansieht, moeglicherweise sogar auch nur aus Gewohnheit.
Als Beispiel wuerde ich hier mal den Themenkomplex biologisch-medizinische Forschung anfuehren. Genotyping und Sequenzierung werden billig, Data Mining auch; zusammen bieten diese Technologien die Moeglichkeit, gross angelegt Citizen Science-Studien durchzufuehren, die medizinisches und pharmakologisches Wissen fuer die Public Domain schaffen – und zwar in einer Groessenordnung, die bisher grossen Pharmakonzernen vorbehalten war. Solches Wissen quasi zu „befreien“, hat enormes Potenzial, und zwar nicht nur hier und heute sondern noch Generationen in die Zukunft gedacht. Die notwendigen genotypischen und phaenotypischen Daten fuer solche Projekte zur Verfuegung zu stellen, ist datenschutztechnisch gesehen Kopfschmerz Deluxe. Ob und wie man sowas trotzdem machen will, dafuer gesellschaftliche wie gesetzliche Rahmenbedingungen und gerne auch technische Loesungen zu erarbeiten – sowas sehe ich als potenzielles Betaetigungsfeld einer Post-Privacy-Bewegung.
Frischer Wind und so.
Dezember 7th, 2011 12:02
Als Conz auf dem 27C3 in ihrem Rant den Begriff „Post-Privacy-Spackos“ verwendete, brachte sie darin meines Erachtens ihre persönliche Abneigung gegenüber jenen zum Ausdruck, die Datenschutz für unwichtig hielten und leichtfertig ihre persönlichen Daten an Wirtschaftsunternehmen wie Facebook und Google weitergaben. Das war durchaus provokativ, aber sicherlich nicht gegen jene gerichtet, die ich oben Träumer genannt habe. Denn der Traum wurde im CCCB-Dunstkreis ja durchaus schon länger geträumt. Dass man sich den Schuh des Spackos dann aber sofort anzog, konnte gut als Stolz auf die eigene Ignoranz gegenüber dem Datenschutz verstanden werden und war selbst natürlich eine ebensolche Provokation. Ich will mich hierbei nicht auf eine Seite stellen, weil ich beide für von Eitelkeiten zerfressen halte. Jedoch glaube ich, dass es im grunde genommen nur Mißverständnisse sind, in die man sich verbissen hat. Niemand wäre jedoch gezwungen gewesen, sich den Schuh des Spackos, des leichtfertigen Ignoranten anzuziehen, das passierte freiwillig und aus, für mich, unklaren Gründen.
Ich gebe dir absolut Recht damit, dass ein Nachdenken über Arten und Bereiche von Datenschutz, gerade auch zum Zwecke der Forschung und Wissenschaft, durchaus sinnvoll ist. Das war es, was ich oben mit „man müsse die Form, in der wir sanktionieren diskutieren“ meinte. Ich sehe Datenschutz weniger als „ehernes Prinzip“, denn als Sensibilisationspunkt, d.h. als den Punkt, an dem wir „Achtung, jetzt bitte konkret nachdenken!“ sagen. Wir sollten meines Erachtens in jedem Einzelfall, in dem Daten erhoben und verarbeitet werden, fragen, wer diese Daten zu welchem Zweck erhebt, ob sie vor Zweckentfremdung (d.h. Mißbrauch) halbwegs geschützt sind und eben wie wir sanktionieren, wenn es doch zum Mißbrauch kommt. Natürlich kann auch die Anonymisierung großer Datenbestände eine sinnvolle Lösung sein, wenn man Public-Domain Ressourcen zur Verfügung stellen möchte, denn das bietet ja einen gewissen Schutz der Privatsphäre des Individuums, das seine Daten zu Verfügung stellt. Dieses Vorgehen wäre weder der Forschung, noch dem Datenschutz gegenüber ignorant, sondern würde nach einem Kompromiß der Interessen aller Beteiligten suchen. Ich hielte das für vernünftig, würde eine solche Diskussion aber ungerne unter dem unzutreffenden Leitbegriff „post-privacy“ führen wollen. Denn mit dem Zurücklassen oder Aufgeben von Privatheit hat das meines Erachtens nichts zu tun.
Dezember 7th, 2011 12:55
„Jedoch glaube ich, dass es im grunde genommen nur Mißverständnisse sind, in die man sich verbissen hat.“
Zustimmung, zumindest was den Dialog mit den Traeumern angeht. Das find ich sehr aergerlich, und da seh ich die Datenschuetzer/den CCC in der Pflicht, sich um Klaerung zu bemuehen. Diese Forderung kommt daher dass a) das meine Posse, yo, ist, und von denen erwarte ich halt Sachen, und b) weil die nun mal ein Stueck weit die Diskurshoheit haben (im Sinne von: mehr Oeffentlichkeit, mehr Einfluss). Wer mehr Einfluss hat, von dem erwarte ich mehr Aufgeschlossenheit und mehr Bemuehen darum, Denkanstoesse von aussen zu integrieren; einfach nur oeffentlich laecherlich machen ist armselig. Ich oller Idealist.
Dass man der Fraktion, der als Argument nicht viel mehr als „Datenschutz ist voll 80ies, ey“ einfaellt, nur mit Augenrollen begegnet, seh ich aber auch ein.
Noch mehr Gedankenwust: Die oeffentliche Diskussion zum Thema „Daten- und Informationsfluesse“ ist u.a. durch die Arbeit des CCC inzwischen sehr stark mit den Motiven Angst und Bedrohung besetzt. Und eine endlose Reihe von Bedrohungsszenarien aufzubauen, also quasi mit Angst Politik zu machen, hat eben nicht nur positive Konsequenzen.
Anders: Es ist richtig und sinnvoll, auf Gefahren hinzuweisen und denen fruehzeitig entgegenzuwirken, aber mir ist das Motiv „Angst und Bedrohung“ in der Oeffentlichkeitsarbeit des CCC inzwischen zu dominant. „Werner, ich glaub die Russen sind da, die fressen unsere Daten!“ Ich seh die Traeumer-Spackeria da also ein bisschen als moegliches Korrektiv und Chance zur Diskursumgestaltung in Richtung Freiheit statt Angst.
Aber ich hab da auch noch keine ausgereifte Position zu, man entschuldige also etwaiges Geschwurbel.
Dezember 8th, 2011 11:27
Ich kann dich verstehen und stimme deinen Gedanken zu. Auch ich erwarte gerade von meinen Freunden größtmögliche Vernunft und finde das Diventum, das in letzter Zeit (leider auch oft intern) anschlägt, sehr unwürdig. Wir sollten dringend daran arbeiten, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Gerade als Organisation, die jetzt vermehrt in der Öffentlichkeit steht, haben wir auch eine gewisse Vorbildfunktion, und da sehe ich uns in der Pflicht, das nicht leichtfertig hinzunehmen.
Auch deine Sorge um die Angst-Rhetorik im Zusammenhang mit Datenschutz ist für mich nachvollziehbar. Schutz war für mich immer in erster Linie mit Aufklärung verbunden, nämlich mit dem Ziel, dem Menschen die nötigen Denkwerkzeuge an die Hand zu geben, damit er für sich selbst schlau entscheiden kann. Ich habe also gerade genau nicht die Idee, dass Schutz durch Entmündigung des Menschen der richtige Weg wäre. Entmündigung führt immer in die Unfreiheit. „Freiheit statt Angst“ empfand ich daher immer als gelungenen Slogan.
Natürlich heißt Freiheit auch nicht, leichtfertig auf die vielbefahrene Straße zu rennen. Aber wenn wir aus Angst vor dem Verkehr nie die Straße überqueren, stagnieren wir. Wir stagnieren gedanklich, wenn wir uns nicht für neue Denkweisen öffnen, sondern auf ewig in unserer eigenen Suppe schwimmen. Die Gefahr einer geistigen Unfreiheit in der Hermetik besteht.
Dezember 12th, 2011 02:06
„Ob ich Geliebte habe oder in den Puff gehe, ist und bleibt meine Privatangelegenheit, ob ich öffentlich darüber spreche oder nicht!“
Das ist derzeit nicht so. Sobald ein Faktum öffentlich ausgesprochen ist, muss man davon ausgehen, dass es eben nicht mehr privat ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass es aufgezeichnet wurde, ist hoch. Es ist also hochladbar, damit recherchierbar und somit als bekannt (weil öffentlich) vorauszusetzen. Dass dieser Umstand keine persönlichen Nachteile mit sich bringen sollte, ist doch wiederum genau die Utopie der Spackeria! Das Argument ist eines pro Spackeria, nicht contra.
Dezember 12th, 2011 12:24
@Neismark: Das Argument ist pro Traum, pro schöne Utopie und pro laßt uns dafür kämpfen. Ob es pro oder contra Privatheit ist, hängt von der Definition von Privatheit ab und da ist meine eben genau nicht jene, dass alles, was öffentlich bekannt ist, aufhört privat zu sein. Und daher ist dieses Argument für mich eines pro Privatheit und pro Datenschutz – nämlich dem Recht darauf zu sanktionieren, dass jemand sein Wissen um meine privaten Angelegenheiten absichtlich gegen mich ausspielt.
Auf ein pro Spackeria lasse ich mich deshalb nicht ein, weil ich meine, wie oben beschrieben, dass die „Spackeria“ überhaupt gar keine geschlossene Position hat, für oder gegen die man sich positionieren könnte. Die Spackeria ist eine luftleere Blase, ein Haufen von Leuten, der sich in des Kaisers neuen Kleidern gefällt.
Dezember 18th, 2011 22:45
Die Spackies treffen sich ja zumn 0. öffentlichen Striptease am 29.12. im hbc.
Willste nicht hingehen und mal einen intelligenten Diskurs, dass ihnen die Köpfe rauchen?
Dezember 19th, 2011 11:30
Weiß ich nicht. Da das Treffen ja parallel zum Congress stattfindet und ich auf dem Congress sein werde, ist das schwer abzusehen. Außerdem bin ich auch nicht so die Attention-Whore, die sich unbedingt auf irgendeine Bühne stellen müßte, um mit Leuten zu diskutieren.
Januar 2nd, 2012 02:42
Dieser Darstellung kann ich weitgehend zustimmen. Ergänzend würde ich noch darauf hinweisen, dass es andere erhaltenswerte Aspekte an Privatsphäre gibt. Wichtig finde ich etwa, das Unbeobachtsein, das Freiräume für autonome Deutung und Entscheidungen schafft. Selbst in der hochgradig toleranten Welt aus der Post-Privacy-Utopie wird es Leute geben, die etwas besser oder schneller wissen, die uns helfen wollen oder die in unser transparentes Leben eingreifen, bevor wir ihnen oder der Gesellschaft schaden. Oder vielleicht wahrscheinlicher es würde automatisierte Beobachtung, Bewertung und Anleitung auf der Basis unserer beständig veröffentlichten Lebensäußerungen geben.
Die genannte Utopie setzt voraus, dass alles „gut“ ist. Also, dass sowohl Toleranz gegenüber einer persönlichen Neigung besteht, als auch die Neigung selbst unbedenklich ist. Etwa im Bezug auf Prostitution: Nicht nur der Kauf sexueller Dienstleistungen wird von der Gesellschaft toleriert, sondern Prostitution findet auch völlig frei von Zwangsstrukturen und Ausbeutung statt (wobei sich mir die Frage stellen würde, ob sie dann überhaupt stattfände). Denn wenn dem nicht so wäre, würde selbst eine tolerante Gesellschaft Prostitution unter diesen Vorzeichen vielleicht nicht für akzeptabel halten und man hätte wieder Gründe seine Neigung zu verschleiern. Nun könnte man eine Gesellschaft postulieren, wo alles Akzeptable „objektiv“ ermittelt wurde und Toleranz genau dafür besteht. Alles andere ist abzulehnen und die Gesellschaft kann kein Interesse an der Verschleierung durch das Individuum haben. Die Gefährlichkeit eines solchen Konstrukts muss ich wohl nicht erläutern.
Zum Schluss will ich noch in zwei Punkten eine Lanze für den CCC brechen. Dass eine Vereinigung, die überwiegend nicht viel für die Post-Privacy-Idee übrig hat, auf ihren Veranstaltungen dieser Idee nur im geringen Maße Raum gibt, finde ich verständlich. Ich glaube außerdem, dass diese „Angst-Rhetorik“ missverstandene Mentalität ist. Ich kann das nachvollziehen, wenn man viel über zugrundeliegende Strukturen weiß, über Verwundbarkeit von Systemen, über Angriffszenarien und feindliche Akteure dann entwickelt man ein gesundes Maß an Paranoia oder um den nicht klinisch relevanten Begriff zu verwenden Bedrohungsbewusstsein. Und diese Einstellung wird vom Club öffentlich dargestellt.
Januar 2nd, 2012 12:08
Eine objektive Ermittlung dessen, was „gut“ oder „schlecht“ für die Gesellschaft ist, kann es ebensowenig geben wie eine automatisierte Beobachtung/Ermittlung von bspw. „auffälligem Verhalten“ im Panoptikum. Wenn wir als Geisteswissenschaftler eines lernen, dann doch, dass es DIE EINE wahrheit nicht gibt, dass Erkenntnis ein intersubjektiver Prozess ist und sich beständig fortentwickelt. D.h., selbst wenn wir irgendwann zu einem Punkt kommen, an dem Einigkeit über Recht und Unrecht herrscht, wäre es fatal, das beständige Nachdenken und Diskutieren darüber an diesem Punkt abzubrechen, weil dadurch auch der zivilisatorische Fortschritt stagnieren würde. Etwas, das zu einem Zeitpunkt rechtens war, kann zu einem späteren Zeitpunkt unrecht sein. Bricht der Diskurs darüber ab, weil wir aufhören, Recht in frage zu stellen, kriegen wir nicht mit, wann es soweit ist. Das Rechtsverständnis der Gesamtgesellschaft wandelt sich, s. Homosexualität + Prostitution waren beide lange Zeit illegal.
Ich finde den von dir angesprochenen Aspekt des Frei- und Schutzraumes des Individuums enorm wichtig für die Selbstreflexion, für die Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung. Wo wir rund um die Uhr beobachtet und gerichtet werden, unterliegt das Individuum der gesellschaftlichen Bevormundung und hört auf individuell zu sein – nämlich weil es das gesellschaftliche Rechtsverständnis für sich nicht mehr in frage stellen und damit auch keinen Prozess gesellschaftlichen Wandels mehr initiieren kann.
Januar 18th, 2012 03:38
Stimme deinem Text zu!
Februar 8th, 2012 22:48
Ich muß einen Punkt in dieser Debatte noch genauer ausführen:
Wir brauchen unsere individuelle Privatheit auch, um die Grenzen unserer gesellschaftlichen Werte für uns selbst zu reflektieren, für uns in Frage zu stellen und ggf. unseren Dissenz mit der gesellschaftlichen Norm festzustellen. Privatheit ist auch ein Schutzraum, in dem wir von gesellschaftlicher Norm befreit existieren und aus dem heraus wir neue Ansätze und Ideen von Identität, zwischenmenschlichem Umgang, etc. entwickeln können. Ist kein Schutzraum vorhanden, weil jede unserer unausgegorenen, privaten Ideen sofort offenbar ist, ist eine gesellschaftliche Weiterentwicklung durch Tabubruch, durch Ausbruch aus der Norm nicht mehr möglich. Jede neue Idee – und sei sie auch noch so ein zartes Pflänzchen – wird sofort von der Norm erstickt. Frauen hätten nie Hosen getragen und Homosexuelle nie demonstriert. Die Privatheit des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft ist notwendig, damit der Wertemaßstab unserer Gesellschaft nicht stagniert.
Februar 8th, 2012 23:48
hear! hear!
Februar 9th, 2012 11:47
Sehr treffend.
Wo ist der Flattr-Button?
Februar 9th, 2012 12:22
Hab noch keinen. Fühlte mich dafür bisher nicht wichtig genug.
Februar 12th, 2012 13:58
Diesem Text fehlt ein Begriff und damit der Kontext: informationelle Selbstbestimmung. Datenschutz ist nur ein Mittel zum Zweck. Wer „den Mißbrauch von Daten (…) unter Strafe stellen“ möchte, braucht erst einmal einen Rahmen, in dem sich Missbrauch definieren lässt. Diesen Rahmen bildet nun nicht der Datenschutz als Selbstzweck, sondern die informationelle Selbstbestimmung als Idee: Jede soll Herrin ihrer persönlichen Informationen und Daten sein.
Informationelle Selbstbestimmung ist der Zweck, Datenschutz nur ein Instrument dazu. Vergisst man den Zweck, während man die Anwendung des Instruments optimiert, kommt Paternalismus heraus. Dann bestimme nicht mehr ich, was mit meinen Daten geschieht, sondern Beauftragte, Minister oder die Subkultur meiner Peer Group. Wenn ich Google, Facebook oder dem ganzen Internet bewusst und absichtlich Daten zur Verfügung stelle, ist das weder ein Datenverbrechen der anderen noch meine eigene Dummheit, sondern zuallererst mein gutes Recht. Der Datenschutz muss mich unvoreingenommen dabei unterstützen, dieses Recht auszuüben, ganz gleich, ob ich etwas verschweigen oder etwas mitteilen möchte.
Gleichzeitig vollziehen sich grundlegende Änderugen in der Art und Weise, wie wir – und Unternehmen – Daten verarbeiten und nutzen. Die spezifischen Regelungen des Datenschutzes stammen aus einer anderen Ära und sie können mit diesen Änderungen nur ungenügend umgehen. Das gilt im Guten wie im Schlechten: die endlose Diskussion um den Personenbezug von IP-Adressen zum Beispiel ist einerseits irrelevant für Google und Facebook, andererseits nervig für alle, die sich damit auseinandersetzen müssen.
Nach meinem Verständnis treiben diese beiden Aspekte die Spackeria, der Mismatch zwischen Idee und Umsetzung sowie der Mismatch zwischen Konzept und Realität. Das Ziel der Spackeria ist nicht, die Informationelle Selbstbestimmung abzuschaffen, sondern den Datenschutz als Mittel und Werkzeug der Realität anzupassen.
Februar 12th, 2012 15:58
Auch wenn der Begriff der informationellen Selbstbestimmung nicht im Text fällt, so ist ja die Idee dahinter mit der Ablehnung von Zwangsoutings angesprochen: Ich selbst bestimme, was mit meinen Daten geschehen soll, niemand sonst. Dazu brauche ich Einblicke in die Realität, die technische, die wirtschaftliche, die rechtliche. Es braucht Aufklärung, damit ich meine Rechte angemessen ausüben kann. Logisch.
Es braucht kein Genie, um zu erkennen, dass sich die Situation mit der Etablierung eines neuen Kommunikationsmediums erheblich geändert hat. Aber wie diese Veränderung nun genau aussieht und wie wir uns ihr gegenüber verhalten wollen oder sollen, welche Bedeutung wir dem beimessen, welche Werte wir ansetzen – das ist Teil des aktuellen Diskurses.
Dieser Diskurs ist aber keiner, der von DER Spackeria oder DEN Datenschützern allein geführt oder entschieden wird. Sondern wir als Gesamtgesellschaft führen und entscheiden ihn. Einzelne Gruppen bringen lediglich Aspekte und Perspektiven ein. Welche ist die Perspektive der Spackeria? Wo sind ihre Argumente, wo ihre Verhaltens-Empfehlungen?
Alles, was ich bisher aus dieser Richtung gehört habe, ist: Wir können unsere Daten nicht schützen, weil das technisch unmöglich ist. Aber die Feststellung, dass Computersysteme nicht sicher sind, ist eine, die der IT-Securiy seit Jahren bekannt ist und die vom CCC immer wieder demonstriert wird. Welche Konsequenz sollen wir daraus ziehen, was sind die Lösungsansätze der Spackeria?
Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit diesem Wissen umgehen wollen – angesichts der Tatsache, dass Computersysteme mehr und mehr Einzug in unser Leben erhalten – ist eigentlich DAS zentrale, politisch-philosophische Thema des CCC. Der Lösungsansatz, der im CCC propagiert wird, ist: Datenschutz, Urheberrecht, etc. an die Realität anzupassen, den Missmatch zwischen dem Konzept der informationellen Selbstbestimmung und der Realität der „Informationsgesellschaft“ auszugleichen. Aus diesem Interesse heraus ist m.E. auch die Piratenpartei entstanden, mit der man in gewissen Punkten vielleicht uneins sein mag, der man aber ihre Existenzberechtigung schwerlich absprechen kann.
Anders ist das bei der Spackeria: Wo ist ihre differentia specifica? Was bringt sie in diese ernsthaft wichtige Debatte unseres Zeitalters ein, das von Substanz und Relevanz wäre? Fikileaks? Langhans? Srsly? Was von der Spackeria nach außen dringt, ist die Selbstinszenierung von Attentionshores. Ich weiß nicht, wie man das ernst nehmen oder warum man dem eine Bühne geben sollte.
Februar 12th, 2012 16:30
Ich sehe den Beitrag der Spackeria in der Anregung, die Sache mal aus einer fundamentalistischen Gegenposition zu betrachten. Wie jede fundamentalistische Position wird sie am Ende an der Komplexität der Realität scheitern, aber unterwegs können wir etwas lernen. Die Spackeria ist der Advocatus Diaboli, und den brauchen wir. Auf der Seite der „Guten“ finden wir ähnliches. Thilo Weichert und seine Mitstreiter zum Beispiel wenden konsequent und unbeirrbar Datenschutzkonzepte aus den siebziger und achtziger Jahren auf das Netz von heute an und scheitern damit ebenso an der Realität.
Der Weg der Erkennntnis führt nicht durch die Mitte, sondern über die Extreme. Nur aus den verschiedenen Extrempositionen können wir sehen, was hält und was wir verwerfen müssen und wo der gesunde Mittelweg eigentlich liegt.
Februar 13th, 2012 20:28
Ich verstehe in einer kontroversen Diskussion das Interesse an einem advocatus diaboli durchaus als berechtigt, ich sehe die Spackeria jedoch nicht in dieser Position, wenigstens nicht in der Konsequenz, die eine solche Position verlangen würde. Faßt man die Ansätze der Spackeria radikalisierend als ein grundlegendes Ablehnen von Privatsphäre und Zwang zur Offenlegung alles Privaten zusammen, so wird das von den Angehörigen der Gruppe (jedenfalls von denen, mit denen ich bisher kommuniziert habe) immer wieder relativiert: Na ja, so kannst du das nicht sehen, das ist ein Mißverständnis, das stimmt so ja gar nicht, etc. pp. Das ist, was ich oben mit, „es gibt keine geschlossene Position“, meinte.
Die Idee dahinter mag unbewußt am Konzept des advocatus diaboli orientiert sein, die Umsetzung ist aber zu inkonsequent, um dessen Funktion innerhalb der Debatte tatsächlich zu erfüllen. Wäre sie aber konsequent, so wäre das einzig konstruktive Verhalten gegenüber dieser extremistischen Position, ihr eben jene Ablehnung entgegen zu bringen, die sie als advocatus diaboli bewußt provozieren möchte. Auch dann spräche für mich also einiges dagegen, ihr eine Bühne zu geben oder überhaupt mit ihr zu sympathisieren. Denn warum ich solch extremistische Haltungen für Mist hielte, würde sie ernsthaft jemand vertreten, habe ich ja oben argumentativ begründet.
Februar 16th, 2012 02:31
Eine geschlossene Position kann es nicht geben, weil hier verschiedene Aspekete zusammentreffen. Erstens verändert die technische Entwicklung soziale Normen. Daran können Gesetze wie Ideale wenig ändern. Zweitens verändert die technische Entwicklung das Bedrohungsprofil. Auch wer Datenschutz im Grundsatz uneingeschränkt befürwortet, wird sich darüber Gedanken machen müssen. Drittens verändert die technische Entwicklung die Möglichkeiten der Umsetzung sowie die Anforderungen daran. Selbst wer mehr Datenschutz möchte, muss sich damit auseinandersetzen – der Formalismus von Datenschutzerklärungen und Akzeptanz durch Unterschrift führt zu nichts. Dass die Spackeria die einzelnen Aspekte noch nicht sortiert hat und lieber erst mal trollen geht, mag sein. Dennoch halte ich die Anregung für wichtig und nützlich. Die Datenschutzbeauftragten haben nämlich auch nur keine Antworten auf die relevanten Fragen: Keine Facebook-Like-Buttons ist auch keine Lösung, weil die tatsächlichen Probleme woanders und in anderer Form anfallen oder weil die grundsätzlichen Probleme hinter der betrachteten Instanz verschwinden.
Gefühlte Ablehnung bringt übrigens niemanden weiter. Der Nutzen eines lästigen Gegners liegt darin, dass man an ihm seine eigenen Ansichten und Argumente schärft. Und wenn sich eine liebgewonnene Ansicht dabei als nicht haltbar erweist, ist es doch nicht schlimm. Im Gegenteil.
März 9th, 2012 00:20
Ich gebe dir im grunde genommen Recht, Sven. Dass wir gemeinsam überlegen müssen, wie wir mit den technischen Veränderungen umgehen und wie wir einen zeitgemäßen Datenschutz gestalten können, steht aber bereits im Artikel. Für diese Erkenntnis hätte es, zumindest meinethalben, keiner Spackeria bedurft. Die Schärfe meiner diesbezüglichen Argumente war schon immer genau so scharf, wie das da oben nachzulesen. Ich habe mir nur jetzt erst die Mühe gemacht, das mal in einen zusammenhängenden Text zu gießen, und zwar weil ich hoffte, dass dann vielleicht auch mal darauf eingegangen würde. Aber genau das passiert leider nicht und damit sehe ich meine Vorbehalte erneut bestätigt. Es wäre mir ja egal, ob eine substantielle Argumentation von einer geschlossenen Gruppe oder von einem mutigen Einzelkämpfer vorgebracht wird, der sich für einen Insider hält. Solange da mal irgendetwas käme, was das laute Gebrüll nach Vortragsslots auf dem Congress in irgendeiner Weise rechtfertigen würde, wäre mir das alles recht. Aber es kommt halt nichts… außer „ihr Außenstehenden versteht uns einfach nicht“ und „auf LeV’s Artikel eingehen steht schon auf meiner To-Do-Liste“ und „ich erklär dir das mal irgendwann in Ruhe“ – sprich heiße Luft. Und auf Kasperletheater kann ich persönlich auf dem Congress getrost verzichten.
August 8th, 2012 14:41
„Sicherlich, jeder hat seine kleinen Geheimnisse und man könnte meinen, wenn die Gesellschaft das plötzlich auch sähe, würde sie schon akzeptieren, was man bisher verheimlichen zu müssen glaubte. Schließlich kann ich niemandem seinen heimlichen Drogenkonsum vorwerfen, wenn ich eine heimliche Geliebte habe… Denkt man, aber so funktioniert es ja in der Realität nicht.“
Ein hervorragender Kommentar. Besonders dieser Satz bringt es auf den Punkt.
Mit einer der besten Artikel, die ich zu dem Thema gelesen habe!
Oktober 6th, 2012 18:23
[…] abgedichtet » Blog Archive » post post-privacy […]
März 31st, 2013 13:42
[…] schreibt sich einen Wolf um zu erklären, warum sie Datenschutz gut und die Spackeria doof findet. Was sie schreibt, fühlt sich irgendwie richtig an, geht aber am Thema vorbei. Ihrem Text fehlt […]
April 15th, 2013 20:02
Moment, Erich, ich verstehe die Kritik nicht. Ja, ich verwende nicht das von dir bevorzugte Buzzword. Aber in meinem Artikel geht es um nichts anderes als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich schreibe mir einen Wolf, um zu erklären, dass und warum es wichtig ist, dass wir die Kontrolle über unsere Daten behalten, warum es sich lohnt, dafür zu kämpfen.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist schön und gut. Aber das allein reicht nicht, wir brauchen auch Rahmenbedingungen, in denen dieses Recht realisiert werden kann. Wir brauchen Möglichkeiten, am Datenverkehr teilzunehmen, ohne uns auf die datenausbeuterischen Bedingungen einlassen zu müssen, die uns diejenigen auferlegen wollen, die diese Kommunikationskanäle anbieten/verkaufen. Wir brauchen eine Ethik, die es unethisch findet, so viele Daten wie möglich zu sammeln, zu speichern, meistbietend zu verkaufen oder auszuwerten, wie nur irgend möglich. Und diese Ethik soll Ausdruck in gemeingültigen Datenschutzbestimmungen finden. Gemeingültig deshalb, weil jeder gleichberechtigt am Datenverkehr teilnehmen können und nicht etwa ausgeschlossen sein soll, weil er nicht bereit ist, sich daten-ausbeuterischen Bedingungen zu unterwerfen.
Die Spackeria, das was ich von ihr mitbekommen habe, vertritt den Standpunkt: „Ach, was soll’s. Soll’n sie doch meine Daten sammeln, speichern, meistbietend verkaufen und auswerten. Daran kann ich doch eh nichts ändern.“ Sie geben ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung kampflos auf. Denn wenn sie sich widerstandslos den Bedingungen unterwerfen, die ihnen jemand anbietet, der daraus Gewinn zieht, dann bestimmen sie nicht selbst über ihre Informationen, sondern unterwerfen sich einer Fremdbestimmung.