Précis: Das Organonmodell der Sprache
Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.
Diesmal bespreche ich „Das Organonmodell der Sprache“ von Karl Bühler, den Text, in dem der Sprachpsychologe das erste Sender-Empfänger-Modell entwirft, anhand dessen er den Signalverkehr und erste zeichentheoretische Sprachfunktionen entwickelt. Das Modell ist wegweisend für die Semiotik.
Das Organonmodell der Sprache ~ Karl Bühler
Im Abschnitt „Das Organonmodell der Sprache“ seiner „Sprachtheorie“ entwickelt Bühler ein Modell des konkreten Sprachereignisses, also dieses Moments einer Interaktion zweier menschlicher Individuen, in dem eine lautliche Äußerung getätigt wird.
Dazu weist er zunächst einleitend darauf hin, dass Sprache ein Organum (grch. Werkzeug, Mittel) der Verständigung zweier Menschen sei und dass sämtliche Funktionen, die die Sprache übernimmt, sich letztlich auf diese eine reduzieren ließen, die Funktion der Mitteilung.
Innerhalb dieser Anordnung ließen sich in drei Fundamente identifizieren, die in einer Relation zueinander stünden. So sagt Mensch (A) dem Menschen (B) etwas über die Dinge der Welt (C) und bedient sich des Mittels der Sprache, welches sich in einem akustischen Signal konstituiert.
Wie nun aus dieser Konstellation ein Dialog entsteht, versucht Bühler anschließend zu klären, indem er auf die Wichtigkeit der Kausalbetrachtung aufmerksam macht. Danach produziere ein Sprecher (A) angeregt durch einen zeitlich vorausgehenden Sinnreiz (C) ein Schallphänomen, welches selbst wiederum Stimulus des Hörers (B) sei und diesen anrege, anschließend selbst zu sprechen u.s.f. Die Gründe für den daraus resultierenden Kreislauf sind also überwiegend lautliche Äußerungen, womit Bühler auf den Signalcharakter der Sprache verweist.
In Reflexion dieser Erkenntnisse der Sprachwissenschaft kommt Bühler auf den American Behaviorism zu sprechen, in dessen Programm der Zeichenbegriff des Signals (denn ein Signal ist ein Zeichen) einen logischen, weil zentralen Ort hätte. Er geht weiterhin auf die physikalischen Aspekte des Sprachereignisses ein, in dem er den Sprecher (A) als Sender, welcher ein akustisches Signal produktiv sendet, den Hörer (B) als Empfänger, welcher dieses akustische Signal selektiv empfängt und den Dialog als Signalverkehr spezifiziert.
Bühler konstruiert sein Organonmodell der Sprache also als ein Sender-Empfänger-Modell, wobei das komplexe Sprachzeichen diverse semantische Funktionen hat: „Es ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit des ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen.“ (p. 55, unten)
Juni 2004
- weitere Précis gibt es hier »
__________
Quelle: Bühler, K. Sprachtheorie. (Auszüge), 1934, in: Hoffmann, L. (Hrsg.) Sprachwissenschaft. Ein Reader. De Gruyter, Berlin/NewYork, 1996
Januar 4th, 2008 05:40
Hallo Lev,
was sagt Bühler denn zu den Thesen von Saussure – „l’arbitraire du signe“ etc. – der Sprache als von der Phänomenologie unabhängiges selbstrefenzielles System charakterisiert? So wie ich dein Precis (kenne Bühler noch nicht) verstanden habe, steht ja laut Bühler das „Schallphänomen“ in abhäniger Beziehung zu den „Dingen der Welt“; ist also nicht nur Ausdruck eines momentanen Verständigungskonsens‘ der Gemeinschaft (der Sprechenden), sondern durch den „Sinnreiz“ determiniert. Eigentlich ist das doch die Beziehung von Signifikat und Signifikant, die seit Saussure (vor allem dank Derrida etc.) als überholt gilt – oder habe ich das missverstanden?
Würde mich über Antwort freuen. Frohes neues Jahr.
Till
Januar 5th, 2008 00:42
Ich glaube, dass Bühler sich gar nicht in Bezug auf Saussure äußert. Dessen Schriften wurden ja postum von seinen Schülern veröffentlicht und fanden zunächst nicht solche Beachtung. Bühler selbst kommt von der Psychologie her; für ihn ist das Zeichen also in erster Linie ein akustisches Signal, das den Reiz zu sprechen auslöst. In zweiter Linie deutet er in Richtung Peirce, für den das Zeichen (das Interpretans) eine Art Stellvertreter für Welt ist. Dass er dessen Zeichentheorie kannte, bezweifle ich aber. Die Abhängigkeit zwischen Schallphänomen und Welt besteht für Bühler darin, dass beim Sprechen über Welt gesprochen wird, was Raum für die Saussursche Idee des arbiträren Zeichens läßt, aber auf diese nicht explizit eingeht. Das Organonmodell ist ja ein Vorläufer des Sender-Empfänger-Modells, das Roman Jakobson später entwickelt und natürlich noch nicht so komplex. Auch von Derrida und der Phänomenologie Sartres wird Bühler noch keine Ahnung gehabt haben, denn beide kamen nach ihm. Unabhängig davon glaube ich aber nicht, dass Saussure Sprache als „selbstreferentielles System charakterisiert“ hat. Signifikant (Bezeichnetes) und Signifikat (Zeichen) sind bei ihm nicht überholt, im Gegenteil. Er weist sogar darauf hin, das Bedeutung neben Form Teil des Zeichens selbst ist und Bedeutung referenziert immer ein Ding in der Welt. Arbiträr weist ja nur auf den Umstand der Künstlichkeit von Sprache hin, nämlich dass das Wort Baum, welches das Ding mit den günen Blättern bezeichnet, auch sonstwie lauten könnte, wenn wir es denn Kraft unserer Wassersuppe anders genannt hätten.
ps.: Freue mich über deine sinnvolle Frage und auch dir ein frohes Neues.
Januar 11th, 2008 01:55
Hallo Lev!
Bühler nimmt tatsächlich keinen Bezug auf de Saussure. Aber auch bei Bühler findet sich, in anderer Form, die Dreiteilung des Zeichens in Signifikat, Signifikant und Referenten. Saussure untersucht die Sprache als „Struktur“ (bitte dieses Wort nicht allzu ernst nehmen: es hat ja eine etwas seltsame Karriere im 20. Jahrhundert gemacht), während Bühler tatsächlich – wie du es sagst – das Ereignis des Sprechens untersucht. Beide sind eng miteinander verknüpft.
Bedeutung, wie du es gebrauchst, als Referenzierung in die Welt, heißt bei Frege ebenfalls Bedeutung. Mit dem Unterschied, dass Frege mit Bedeutung auch komplexe Konstellationen zulässt, also zum Beispiel Sätze oder Textfiguren. Sinn ist der semantische Anteil der Grammatik, also in weiterem Sinne Aufgabe der Grammatologie.
Ein wesentliches Problem dürfte hier vor allem der willkürliche Begriffsgebrauch sein.
Sehr faszinierend finde ich hier übrigens Luhmann: Luhmann geht davon aus, dass das Signal beim Sender, die Einheit des Signals aber beim Empfänger gebildet wird. Der Empfänger empfängt also die Botschaft in den Einheiten, die er zu bilden vermag, aber das Medium dieser Einheiten wird vom Sender geliefert. Damit torpediert er auf sehr nuancierte Weise den Paketdienst der klassischen Informationstheorie.
Frederik
Januar 13th, 2008 12:57
Begriffe wie Symbol, Bedeutung, Signifikat und Signifikant sind in der Sprach- und Sprechtheorie des 20. Jahrhunderts ja sehr weit verbreitete und jede Theorie nuanciert und gebraucht diese Begriffe ein wenig anders, je nach dem, wie es in das eigene Modell paßt. In meinem Verständnis gehören zu einem Zeichen immer die zwei Seiten Form und Inhalt und beides kann von einfach bis komplex alles annehmen. Ein geschriebener Text ist eine sehr komplexe Form, ebenso eine gesprochene Rede. Dementsprechend komplex sind die referenzierten Bedeutungsinhalte. Der einfache Buchstabe A ist aber auch ein sprachliches Zeichen mit Bedeutungsinhalt, nämlich der Lautäußerung [a] und es macht einen großen Unterschied in der Bedeutung, ob ich nun Adler oder Edler sage oder schreibe.
Der Name Luhmann ist mir auch schon öfter über den Weg gelaufen. Ich habe aber bewußt noch nichts von ihm/ihr gelesen. Hast du eine gute Referenz?