Kleinkind läßt grüßen

Manchmal kommt man sich ja unter Hobbypoeten und Tagebuchdichtern im Netz echt wie im Kindergarten vor. Da äußert man sich in einem seiteneigenen Gästebuch kritisch über Inhalte und Gestaltung eines Web-Projektes und schon wird man vom wütenden Besitzer mit tausenden Spammails zugeseiert. Da erklärt er einem großmütig, er würde den Eintrag nicht löschen, weil er so einmalig wäre, schickt dann aber sarkastisch „Besucher-Awards“, lateinische Bauernweisheiten und zu guter letzt schlechte in Gedicht-Layout formatierte Texte in E-Mails an den Besucher, der es tatsächlich gewagt hat, Kritik zu äußern. Da läßt wirklich das Kleinkind grüßen. De profundis clamavi ad te, Domine.

4 Kommentare zu “Kleinkind läßt grüßen”

  1. Blabla
    September 21st, 2006 14:03
    1

    Perlen vor die Säue, diese janze Online-Pöterey un sowieso alles irgendwie. Wie sagte weiland so schön der alte Faust: „Es muss auch solche Käuze geben“. Nur hat man früher ™ gewusst, dass es diese Käuze da halt irgendwo gibt, möglichst weit weg von der eigenen Pelle. Das ach so egalitäre Internet hat dafür gesorgt, dass die jetzt wie die Zombies durch die Leitung in dein trautes Heim kriechen, die Schweine, mit ihrer eigenen Meinung, die dummerweise genauso viel wert ist dank Frontpage, freenet und irgendnem kostenlosen Webhoster mit F. Da die Masse die Meinung macht, braucht’s nur zehn solcher Bowlingpoeten und du bist überstimmt, egal wie sehr oder gerade wenn du rational argumentierst. Die Anonymität kommt noch dazu: Da fühlt sich plötzlich manch Handytaschenträger berufen, seine elektronische Visitenkarte mit Selbstgereimten zu verzieren, weil’s neben Traffic-Counter, „Pics“ (Ich und Bärchen, Ostern 2004 auf Norderney), Gästebuch („Ich freue mich auf Einträge !!!1) und Esoterisch-Exhibitionistischem über Engel und eigene Missbrauchserfahrungen („Achtung, triggert!“) einfach dazu gehört, etwas über Persönlichkeit und Gefühle aussagt und der Cursor so lustig blinkt und zur Eingabe und Selbstoffenbarung einlädt. Und sind wir nicht alle gleich? Hat nicht jeder das Recht auf Ausdruck seiner Gefühle, so Gott will auch in Reimform? Baudelaire und BussiBär67 – alles eins, das Gefühl zählt! Wer da mit dem Versfuß um die Ecke gehumpelt kommt, will doch nur Haare spalten.

    Was wäre wohl aus der Gruppe 47 geworden, wenn die als offenes Internetforum begonnen hätten?

    Wo, andererseits, ist es mir möglich, solch unreflektierten Mist anonym abzusondern? Eben.

  2. LeV
    September 21st, 2006 15:43
    2

    Du hast schon Recht, Blabla. Ich schätze das Internet, weil es ein relativ freier und erschwinglicher Veröffentlichungsraum ist, dessen Filterung bei den Besuchern (nicht bei irgendwelchen Chef-Redakteuren) stattfindet. Ich habe die Möglichkeiten mir zu jeder besuchten Seite eine eigene Meinung zu bilden und selbst zu filtern.

    Nicht jede Seite, die ich im Netz besuche, bietet mir auch die Möglichkeit, meine Meinung zu den Inhalten gleich vor Ort und Stelle dazulassen. Tut sie es aber doch und nutze ich sie, dann rechne ich nicht unbedingt damit, dass mich der Empfänger gleich aggressiv bis in den Privatraum meines E-Mail-Postfachs verfolgt, weil ihm meine Meinung nicht paßt. Er hätte den Eintrag löschen oder sich in meinem eigenen Gästebuch verewigen können. Selbst mit einer E-Mail hätte er mich nicht aus der Reserve gelockt. Aber das… sorry, ist einfach lästig.

  3. Blabla
    September 21st, 2006 19:16
    3

    Das Internet mag ein freier Veröffentlichungsraum sein, aber gerade da liegt für viele unbekannte ‚Künstler‘ das Problem: Die ‚Gatekeeper‘-Funktion der Verlage, Labels, Galerien – und wer sonst noch Kunst fördert, verbreitet und letzten Endes deklariert – mag ungerecht und willkürlich erscheinen, aber durch diese Verknappung werden Maßstäbe gesetzt. Ein Meta-Künstler, im Schriftsteller-Bereich meist Lektoren, erklärt (nach Richtlinien des jeweiligen Verlages) Werk und Mensch zu Kunst und Künstler. Verlag und Lektor haben einen Ruf – und Geld – zu verlieren und Lektoren wissen aufgrund ihrer Erfahrung meist, was ’nach Kunst riecht‘. Niemand sagt, dass das gerecht ist, es stellt aber den Millionen Lesern die ‚Elite‘, die auserwählten Künstler gegenüber. Im Internet dagegen ist dank Instant-Publishing jeder, der sich so bezeichnet, ‚Künstler‘. Wer will’s – vor allem wie – widerlegen? Kunst ist Ansichtssache. Autorität ist, wer Deutungshoheit besitzt (Meta-Macht Kapital, ‚Lautsprecher‘, Penetranz, Allgegenwart oder gegenseitiges Adeln durch Zitate-Pingpong) oder sie zu erlangen sucht, indem er anderen den Status aberkennt, gerne auch mit eloquent vorgetragenem Fachwissen und dem Zeigefinger in der ‚Reimbibel‘. Das haben die Online-Poeten doch inzwischen auch kapiert: Weg von den Massenforen, wo jeder alles irgendwie schreiben darf, hin zu den erlesenen Kreisen, wo nach dem Diktat der Moderatoren ‚Kunst gemacht‘ wird – wem’s nicht gefällt, der soll abhauen (metaphorum.de). Was ist das anderes als die eilfertige ‚imitatio artis‘ der Offline-Welt und ihrer Machtverhältnisse? Warum der Drang so vieler verkannter Online-Lyriker, ja ganzer Poesieforen im Kollektiv, danach, ihre Werke im Selbstverlag zu veröffentlichen, wenn nicht, um das triviale Medium zu transzendieren und endlich (wenn auch nur als bezahlte Illusion) ‚echte‘ Kunst zu machen?

    Und bezüglich des Gästebucheintrags: Viele sehen ihre private Website als hübsch gepflegtes Vorgärtchen, für das sie gerne Lob bekommen – dafür liegt das Gästebuch auf der Bank. Du hast dem Bowlingpoeten unter die üblichen „Sei ein Sonnenschein im Leben! / Wer Sonne hat, der kann auch Sonne geben“ sowie „Mach es wie die Sonnenuhr, / zähl die heiteren Stunden nur“ ein „Sei wie das Veilchen im Moose / demütig, bescheiden und rein, / und nicht wie die stolze Rose, /die immer bewundert will sein … PS: Du stinkst!“ geschrieben. Strafrechtlich Relevantes ist nichts dabei (wobei es durchaus schon Leute gab, die wegen Gästebucheinträgen verklagt worden sind – die Provider sind da sehr kooperativ), er verträgt es eben nicht. Deswegen:

    Wenn der Kerl dir auf die Eierstöcke geht, mach ihm klar, dass du keine Emails von ihm empfangen willst und drohe ihm mit einer Anzeige. Ich sehe da überhaupt kein Aufreger-Potential, es sei denn, du willst die Steilvorlage zur Selbstinszenierung in deinem Blog nutzen. Und ich schreib‘ auch noch was dazu. Mist.

  4. LeV
    September 22nd, 2006 00:09
    4

    Reingefallen, mqw! 😉
    Nein, im Ernst über die rechtlichen Grundlagen habe ich meinen E-Mail Freund natürlich schon aufgeklärt; er hat sich auch bereits beruhigt. Stoff für mein Blog gibt mir das trotzdem und wenn man dann auch noch solch verläßliche Giftspritzen wie dich zu seinen Stamm-Lesern zählt, kommt wenigstens Leben in die Bude. Und ist nicht letztlich der Wunsch, gelesen zu werden, das, was uns alle zu bloggenden, kommentierenden, kritisierenden Huren macht!?

    Was dein Elite-Gejammer betrifft, so denke ich, dass jeder mündige Mensch frei ist, selbst für sich zu entscheiden und wer sich entscheidet, die Entscheidung an andere abzugehen, soll eben das tun. Ich entscheide das für niemanden als mich selbst und wer sich durch die Entscheidungen, die ich für mich treffe, bevormundet fühlt, der sollte vielleicht langsam anfangen, sein eigenes Ding zu machen und nicht immer nur versteckt auf meines schielen.

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