Buchtipp: Lob der offenen Beziehung

Mein Freund Oliver Schott hat ein Buch geschrieben, „Lob der offenen Beziehung„. Er ist Philosoph und geht das Thema ganz philosophisch von der Vernunftebene an. Das Büchlein ist keine praktische Anleitung, wie man am besten eine offene Beziehung führt, sondern eine Erörterung der Vorteile, die die offene Beziehung als echte Alternative zur Monogamie bieten kann.

Oli hat im Buch einige bemerkenswerte Gedankengänge, z.B. dass das Gegenteil der offenen Beziehung nicht die feste Beziehung, sondern die geschlossene ist. Eine offene Beziehung kann ebenso verbindlich, vertraut und … sein, wie eine monogame, während letztere auch unverbindlich sein kann. Anders als MonogamistInnen erheben aber die Partner in einer offenen Beziehung keinen Anspruch auf Exklusivität. Ein zweiter, beachtenswerter Gedanke ist jener von der Vereinbarkeit von Denken und Fühlen. Die beiden Aspekte werden viel zu oft als Kontrahenten wahrgenommen, dabei ergänzen sie sich. Seinen Gefühlen folgen kann nur, wer seine Gefühle deuten kann. Um etwas zu deuten bedarf es aber einer Geistestätigkeit. Spannend war auch die Feststellung, dass eine mentale Entscheidung für die offene Beziehung noch nichts darüber aussagt, wie diese in der Praxis realisiert ist. Es gibt bspw. auch in offenen Beziehungen immer Phasen, in denen zwei Partner quasi monogam leben. Auch die Absurdität der Sonderstellung von Sex als magischer Grenze zwischen „Treue“ und „Untreue“ stellt Oli infrage – und dies sind nur einige der für mich interessantesten Überlegungen in dem Buch.

Diese Ideen sind vielleicht nicht neu, aber sie sind eine hervorragende Möglichkeit zur Selbstreflexion. Und es ist daher wohltuend, sie in dieser Form aufgeschrieben zu sehen. Als Mensch, der in einer offenen Beziehung lebt, ist man oft in Erklärungs- und Rechtfertigungsnot gegenüber MonogamistInnen, die diese mentale Haltung nicht verstehen. In Wirklichkeit verstehen sie aber auch zu wenig von ihrem eigenen Modell, und zwar weil sie sich nicht bewußt dafür entschieden haben, sondern es als Norm voraussetzen. Sowohl diesen, als auch jenen, die sich verteidigen wollen, sei „Lob der offenen Beziehung“ ans Herz gelegt. Es geht darum, dem Menschen eine Argumentationsgrundlage zu geben, sich für oder gegen Offenheit in der Beziehung bewußt zu entscheiden.

Der Autor hat in Berlin Philosophie studiert und schreibt derzeit an seiner Dissertation, in der es um die Methodologie des praktischen Denkens geht. Er ist außerdem als Autor für die Jungle World tätig und überhaupt jemand, den ich sehr wertschätze. Das „Lob der offenen Beziehung“ kann beim Verlag Bertz Fischer oder im regulären Buchhandel bestellt und erworben werden.

#Update 1: Wir haben jetzt eine kleine Auflage von Olis Buch gekauft. Freunde können sich das also auch gerne mal bei uns abholen oder mitgebracht bekommen.

#Update 2: Antje Schrupp hat „Das Lob der offenen Beziehung“ in ihrem Blog im Artikel Scheinlösung Monogamie kommentiert. Da habe ich mich auch bei den Kommentaren ein bisschen beteiligt.

3 Kommentare zu “Buchtipp: Lob der offenen Beziehung”

  1. Andreas
    September 28th, 2010 23:57
    1

    Lustig, kurz bevor ich auf diesen Blogeintrag stiess, hatte ich genau dieses Buch in einer Buchhandlung gefunden und gleich gekauft, da mich dieses Thema auch beschäftigt.

    Ich bin grundsätzlich mit den Autor einverstanden – obwohl ein paar aus meiner Sicht wichtige Punkte nicht angesprochen wurden, so zB wie es mit Kindern in einer freien Beziehung aussieht oder ob ob freie Beziehungen auch im Alter funktionieren. Aber grundsätzlich finde es ich wie der Autor eigenartig, seine „Liebesfähigkeit“ auf eine einzige Person konzentrieren zu müssen, und finde es schade, nach dem Eingehen einer Beziehung nicht mehr andere Menschen lieben lernen zu können.

    Ich sehe aber fast keinen Weg, dieses Modell zu leben in einer Gesellschaft, in der freie Beziehungen als deklariertes Beziehungsmodell nur von einer kleinen Minderheit akzeptiert werden – wie soll man dem Vorwurf begegnen, man wolle sich nur nicht festlegen, nicht Verantwortung übernehmen etc? Ich spreche hier naturgemäss aus der Sicht des Mannes – wie soll ein Mann, dem das Ideal der freien Bezieung vorschwebt, einer liebenswerten Frau diese Vorstellung klarmachen, einer Frau, die mit grosser Wahrscheinlichkeit nur „alles oder nichts“ akzeptieren wird?

  2. xipulli
    Oktober 23rd, 2010 21:12
    2

    Weiß Oliver eigentlich, dass er in der Zeit zitiert wird?

    ungefähres Urteil: Ein bischen schnell geschrieben, sonst eines der besten deutschprachigen Bücher zum Thema.

  3. LeV
    November 1st, 2010 12:19
    3

    @Andreas:

    Es ist natürlich für einen Mann immer auch eine Herausforderung, eine solche Idee in einer Form rüberzubringen, die nicht machistisch-chauvinistisch klingt. Aber die Frage ist doch letzten Endes, möchtest du eine Beziehung mit einer Frau führen, die nicht in der Lage ist, eine solche Argumentation für die offene Beziehung nachzuvollziehen und die dich blind für deine Einstellung (vor)verurteilt? Du kannst quasi davon ausgehen, dass auch jedes andere halbwegs komplizierte, abseitige Thema nicht mit deiner Partnerin diskutierbar ist, was ich als schlechte Voraussetzung empfände.

    Wer dazu aber nicht in der Lage ist, wird auch keine offene Beziehung führen können, selbst wenn er sich „dazu überreden“ ließe. Offene Beziehung sind dann auch in unserer Gesellschaft zu leben, wenn die an der Beziehung Beteiligten willens sind, es zu tun. Dann kann die Meinung der Gesellschaft nämlich erst einmal zweitrangig sein und man kann gemeinsam überlegen, wie man die Gesellschaft am besten auf sich vorbereitet. Dann sind m.E. auch Kinder und das Altwerden kein Problem.

    @xipulli:

    Öhm, ich habe das auch gelesen. Aber frag ihn doch mal, ob er’s weiß!

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