Mittelalterliches Grutbier-Rezept
Mein Mann möchte unter die Bierbrauer gehen und hat im Zuge dessen entdeckt, dass Bier gar nicht schon immer aus Hopfen gebraut wurde. Im Mittelalter und auch schon davor (Bier auf Gagelbasis kann in Norddeutschland schon um Christi Geburt nachgewiesen werden), verwendete man Gruit oder Grut oder materiam cervisiae. Gruit war eine Kräutermischung, die z.B. Gagel, Porst und diverse andere berauschende und halluzinogene Heidekräuter enthielt. Aber wie genau sich Gruit zusammensetzte, das variierte von Brauerei zu Brauerei. Nun will mein Mann also ein originales Grutbier-Rezept aus dem Mittelalter haben und fragt natürlich mich.
In der Datenbank von Manuscripta Mediaevalia, die wegen Javascript-Overloads verdammt beschissen zu benutzen ist (*wink wink* *nudge nudge*), findet man einige Einträge zum Thema „Bier“, „Bierbrauen“, Bierbraugewerbe“, „Bier Ordnung“. Sogar ein Eintrag zum Thema „Bierherstellung und Rezept“ ist vorhanden, nämlich beim 43. Registereintrag einer Handschrift, Cod. pal. lat. 1822, der Bibliotheca Vaticana in Rom. Blöderweise komm ich da selten rum, um mal reinzugucken. Einziger Treffer, den ich für eine Handschrift in Berlin finde, ist: Ludwig Polley „Über Bierbrauereien und die Förderung der Bierkonsums“ (Ms. germ. fol. 1542). Das ist eine 58-Blatt starke Papierhandschrift im Folioformat von 1840 aus Nieheim. Das bringt uns nicht wirklich weiter.
Nun sind natürlich nicht alle mittelalterlichen Handschriften bei Manuscripta Mediaevalia indiziert, und schon gar nicht im Volltext. (Hey, als Mediaevist ist man schon froh, wenn man überhaupt irgendwas zu seinem Thema im Internet findet!) Es ist also durchaus anzunehmen, dass es auch in Berlin mittelalterliche Handschriften mit Bierrezepten gibt, ohne dass wir das jetzt über’s Internet ad hoc ermitteln können. Also müssen wir die Leute befragen, die sich geschichts-wissenschaftlich mit dem Thema Bier befaßt haben, und dafür stelle ich jetzt mal eine erste Bibliographie zusammen.
- Doorman, Gerard: De middeleeuwse brouwerij en de gruit, Gravenhage, Nijhoff, 1955
(Das kann man unter der Sig. 10 Q 965 im Haus1 der Stabi in den Lesesaal bestellen.) - Unger, Richard W.: A history of brewing in Holland. 900 – 1900, economy, technology and the state, Brill, Leiden [u.a.], 2001
(Gibt’s in Auszügen bei Google Books [Link].) - Unger, Richard W.: Beer in the Middle Ages and the Renaissance, University of Pennsylvania Press, 2007
(Gibt’s in Auszügen bei Google Books [Link].) - Hornsey, Ian Spencer: A history of beer and brewing, Royal Society of Chemistry, 2003
(Gibt’s in Auszügen bei Google Books [Link].) - Köyer, Clemens: Gagel – Gruit – Bier. Aus der Geschichte des Klosters in Burlo, Borken, 2005
- Schulte, Aloys: Vom Grutbiere. Eine Studie zur Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein. Band 85, 1908, S. 118–146
- Rätsch, Christian: Bier jenseits von Hopfen und Malz – von den Zaubertränken der Götter zu den psychedelischen Bieren der Zukunft, Orbis-Verlag, München, 2002
Ich denke, der letzte Eintrag zeigt schon, dass man ein bisschen vorsichtig sein muß, nicht zu sehr in die esotherische Ecke abzudriften bei der Recherche, was vermutlich auf alle „antiken“ Heilkräuter-Rezepturen zutrifft. Aber ich habe mir sagen lassen, dass man das Buch dennoch lesen sollte. Selbst wenn man in den Büchern keine originalen Gruit-Rezepte findet, stößt man vielleicht auf Hinweise auf Handschriften und Originalquellen, die man dann weiter konsultieren könnte.
Spannend ist auch die Weiterentwicklung der Bierherstellung. Zunächst oblagen die Gruitrechte weithin den kirchlichen Insititutionen, gerade im norddeutschen und niederländischen Raum waren Grutbiere verbreitet. Ab dem 13. Jahrhundert begann der Siegeszug des Hopfenbieres, der von der Hanse vorangetrieben wurde. Hopfen hat im Gegensatz zu Gruit haltbarmachende Eigenschaften und konnte daher gelagert und exportiert werden. Außerdem gab es bei deutschen Regenten zunehmend das Interesse, die Vormacht- und Monopol-Stellung der Hl. römisch-katholischen Kirche zu brechen, woraus zahlreiche, im Stadtrecht verankerte Reinheitsgebote hervorgingen. Ab dem 16. Jarhhundert wurden kaum noch Grutbiere gebraut. Dazu kann man lesen: Irsigler, Franz „Ind machden alle lant beirs voll. Zur Diffusion des Hopfenbierkonsums im westlichen Hanseraum“, in: Nahrung und Tischkultur im Hanseraum, Wiegelmann & Mohrmann [Hrsg.], Waxmann, Münster, N.Y, 1996
Der Name des bekannten Geisteswissenschafts-Verlags „de Gruyter“ ist übrigens niederdeutsch für „der Grutbier-Macher“. Leider gibt es dort keine Bücher über Gruit.