Scheibenwelt – Aberglaube Mittelalter

Wenn ich von meinen mediävistischen Studien berichte, gibt es immer wieder Leute, die behaupten, im Mittelalter wären die Menschen abergläubisch gewesen und hätten geglaubt, die Erde sei eine Scheibe. Während ersteres, wie ich inzwischen beweisen kann, nicht nur auf die Menschen im Mittelalter zutrifft, ist letzteres zeitgenössischer Aberglaube, der mit der historischen Realität nichts zu tun hat.

Bereits im ersten Semester meines Studiums kam mir ein Text aus dem 14. Jahrhundert unter, das Naturkundebuch Konrads von Megenburg, in dem sich inmitten einer Schilderung der biblischen Sintflutgeschichte die Federzeichnung eines Schiffes befand, auf dem zwei Augen einen Punkt an Land zu fixieren versuchen. Während das Auge hoch oben am Mast den Punkt ungehindert sehen kann, wird deutlich, dass das Auge auf Relinghöhe durch das Schiff und das Meer hindurchgucken müßte, um es dem Auge im Mast gleichzutun. Die Skizze, die ich hier einstellen werde, sobald ich den Kampf mit meinem Scanner gewonnen habe, zeigt mir deutlich, dass also spätestens im 14. Jahrhundert ein Verständnis für die Kugelform der Erde vorhanden war. Aber auch sonst ist mir während meines gesamten Studiums kein einziger mittelalterlicher Text untergekommen, in dem irgendwer behauptet hätte, die Erde sei eine Scheibe, im Gegenteil. Ich habe mich deshalb immer wieder gefragt, wie meine Zeitgenossen nur auf einen solchen Unsinn kommen können und meine Aufgabe als Mediävist nicht zuletzt auch in der Ausräumung falscher Annahmen gesehen.

Vor zwei Tagen bin ich dann zufällig über einen schon etwas älteren SpOn-Artikel gestolpert, der sich mit der Problematik der mittelalterlichen Scheibenwelt mal etwas näher befaßt und siehe da, Romanist Reinhard Krügers hat sich mit eben derselben quälenden Frage durch ca. 1800 Jahre Wissenschaftsgeschichte gewühlt. Dabei hat er herausgefunden, dass es in der gesamten Zeit tatsächlich drei mittelalterlich (bzw. spätantike) Gelehrte gab, die glaubten, die Erde sei eine Scheibe, während alle übrigen sie für Dummschwätzer und die Erde für eine Kugel hielten. Die Rede ist von Kosmas Indikopleustes, Laktantius und Severianus von Gabala, die aber weder gelesen, noch beachtet wurden, denn seit dem antiken Philisophen Parmenides galt die Kugelform der Erde als bewiesen und wurde auch nicht angezweifelt. Also schlummerten unsere drei Gelehrten ihren Dornröschenschlaf, bis einer von ihnen in der Renaissance um 1540 von einem gewissen Nikolaus Kopernikus erweckt wurde.

Der Astronom hatte nämlich eine bis dahin unerhörte Theorie, deren Neuartigkeit nicht in der Annahme einer sphärischen Erde bestand, sondern in der Annahme eines Heliozentrums, um das die Planeten in Kreisbahnen ziehen. Die Kapitel über die Form der Erde hatte Kopernikus aus dem Standardwerk des mittelalterlichen Astronomieunterrichts, der Sphaera mundi des Johannes Sacrobosco, abgeschrieben, ohne freilich seine Quelle zu benennen. Da er aber Angst vor dem Spott eben jener Gelehrten hatte, die die Erde im Mittelpunkt glaubten, zitierte er auch den polemischen Laktantius, diesmal allerdings namentlich. Er argumentierte gegen seine Kritiker, dass wer sein heliozentrisches Weltbild bezweifle, ebenso dumm sei wie jener Laktantius. Und bereits 20 Jahre nach Erscheinen der Revolutionibus Orbium Coelestium des Kopernikus behauptete der Mediziner Johannes Dryander, die vormodernen Alten hätten geglaubt, die Erde sei eine Scheibe. In der Zeit der Aufklärung galt diese Lüge dann schon als Tatsache und wird bis heute von vielen Zeitgenossen als solche proklamiert. So viel also zum Aberglauben im Mittelalter: Eigentlich fehlt jetzt nur noch jemand, der kommt und behauptet, im Mittelalter hätte man Hexen verfolgt und verbrannt

6 Kommentare zu “Scheibenwelt – Aberglaube Mittelalter”

  1. Snorf
    Oktober 21st, 2007 15:18
    1

    Tja warum sollte es der Mediävistik auch besser gehen als den anderen (Geschichts-)Wissenschaften 🙂
    Vorgefasste Meinungen, die in den Medien noch und nöcher breitgetreten werden, können doch einfach nicht falsch sein, sonst würden ja alle anderen das nicht behaupten. Es ist schließlich klar, wenn jeder von seinen Vorgängern abschreibt, ohne die ursprüngliche Quelle zu überprüfen, dass das nur weiterhin die Wahrheit sein kann! (Sonst würd ja keiner dran glauben, ist doch logisch 😉 )
    Auch die Ägyptologie kämpft seit ihrer Existenz mit eben solchen „gängigen Meinungen“, die Pyramiden seien von Außerirdischen erbaut (wobei ich immer wieder entrüstet bin, dass den Menschen so wenig zugetraut wird) und es gebe einen Fluch des Pharao (ALLE Leute, die bei der Entdeckung des Tutanchamun dabei waren, sind danach (irgendwan) WIRKLICH gestorben ;))
    Vom Tunnel mal ganz abgesehen, für dessen Existenz ja ständig Beweise gefunden werden können.
    So ist das eben, wo ist schon der Unterschied zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, Hexen hin oder her. Außerdem steht schon in der Scheibenwelt zu lesen, (bekanntlich eine DER glaubwürdigsten Quellen überhaupt), daß Hexen an allem Schuld sind und Oma Wetterwachs hat alle Hände voll damit zu tun daß das auch so bleibt.
    Lg, Snorf!

  2. LeV
    Oktober 21st, 2007 16:53
    2

    Na ja, ich hatte ja Anfangs auch Angst, du würdest dich in den Pyramiden verlaufen, als du erzähltest, du würdest regelmäßig durch deren Gänge krauchen. Über viele Dinge denkt man einfach gar nicht nach und recherchiert sie dann natürlich dementsprechend wenig. Aber es ist ja nicht so, als wäre über solche Dinge nicht ausreichend wissenschaftliche geschrieben worden.

    Natürlich müssen frühere Völker „rückständig“ gewesen sein, denn sonst wären wir ja heute gar nicht besser als sie – eine differenzierte Betrachtung ist da einfach nicht drin. Der ägyptischen Antike wird wenigstens noch zugestanden, dass sie krasse Sachen hervorgebracht hat, auch wenn sie dafür außerirdische Hilfe brauchte. Das Mittelalter ist einfach nur dunkel, dreckig und wissenschaftsfeindlich… Glauben kann das eigentlich nur, wer sich nie ernsthaft damit befaßt hat.

  3. Kapputschino
    Dezember 18th, 2007 10:59
    3

    Hallihallo!
    Ich bin seit jahren aktiv im Mittelalter-re-enactment (und dann richtig!) und rege mich auch ständig über die ganzen blöden und in meinen Augen verletzenden Vorurteile übers Mittelalter auf. Stichworte Hexenverfolgung, Folter, Finster, Aberglaube, man kennt das ja. Als ob die Menschen im Mittelalter alle total zurückgeblieben, brutal, blind, dumm und eher eine Art Küchenschaben gewesen wären.
    Ich frag dann immer ganz naif, wie angeblich so dumme und rückständige Menschen Kathedralen hätten bauen können… ohne die Hilfe von Ausserirdischen lief da ja wohl nix. Und wer denn dann in all seiner Dummheit all die Bibliotheken voll geschrieben hätte, mit Wissen, von dem wir heute noch zehren…
    Den Ägyptologen gehts ja nicht besser, recht hat Snorf.
    Wir arbeiten dran, um Licht ins Dunkel zu bringen!
    Liebe Grüße, Kappu

  4. LeV
    Dezember 18th, 2007 15:51
    4

    Hallo Kapputschino, ich freue mich, dass sich auch mal ein(e) Leidensgenosse/in in meinem Blog einfindet. Herzlich Willkommen!
    Es ist ja nicht nur so, dass die Leute über das Mittelalter als historische Epoche sonstwas denken. Nein, diese Epoche ist schon zu einem Synonym für alles Schlechte geworden. Ich war gestern auf einer Tagung zu „Schriftkulturen der Musik“ in der UdK, wo unter anderem Max Haas sprach. Er sagte, das Mittelalter sei eine Schublade, in die man alles tue, was einem nicht gefällt und dann würde diese Schublade benutzt, um die eigenen Gegner zu diffamieren. Da schreiben dann Magazine Titel à la „Wie im finstren Mittelalter“, um über den Nahostkonflikt oder die Rütlischule oder was auch immer zu schreiben. Das finde ich dumm, weil es ein argumentatorischer Vorschlaghammer ist, der es aber verpaßt, sich sachlich mit den eigentlichen Konflikten und Problemen auseinanderzusetzen.

  5. Kapputschino
    Dezember 18th, 2007 21:28
    5

    Hallihallo,
    jips, unsere gemeinsame Freundin Snorf hat mich auf Deine tolle Website aufmerksam gemacht!
    jaja, der mittlere Osten, Islam und das angeblich so finstre Mittelalter…. ich kenne mich zufälligerweise im dortigen Mittelalter sehr gut aus und das war äusserst fortschrittlich, auf allen Ebenen. Da könnten die heutigen Europäer, die alles immer so viel besser wissen wollen, noch was von lernen – wenn sie denn lernen wollten…
    Der argumentatorische Vorschlaghammer (gut gefunden!) spricht vor allem Buchbände über die Ignoranz und Dummheit derer, die ihn verwenden.

  6. LeV
    Dezember 19th, 2007 00:54
    6

    Ach, du bist das. Ja, Snorf hat schon ganz aufgeregt von dir erzählt und von deiner Faksimilesammlung. Da bin ich gleich ganz neidisch geworden. Ich muß mich mit Ausstellungskatalogen und schlechten schwarz-weiß Kopien zufrieden geben. Aber immerhin etwas.
    (Übrigens, wenn du keine Website hast, mußt du das Feld nicht ausfüllen. Da automatisch ein Link erzeugt wird, sobald du deinen Kommentar abschickst, landet sonst jeder, der ihn nutzt im Nirvana der 404.)

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