Sind wir nicht alle ein bisschen Spitzer?

Wenn man unter braven Bürgern das Thema staatliche Überwachung anspricht, rollen viele mit den Augen und sagen, sie hätten doch nichts zu verbergen, sie seien ja keine bösen Terroristen und deshalb sei das mit der Überwachung alles gar nicht so schlimm. Unser Bundesverfassungsgericht sieht aber in der zunehmenden Überwachung der Bundesbürger eine Gefahr für die freiheitlich demokratischen Grundlagen, die in unserer Verfassung formuliert sind.

Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt gerade ein sehr schönes Beispiel aus den USA. Vielleicht hat jemand mitgekriegt, dass der New Yorker Senator, Eliot Spitzer, in der letzten Woche Protagonist eines Skandals geworden ist, nachdem eine Hostess ausgesagt hat, Spitzer sei ihr Kunde gewesen. Nun ist Prostitution in den USA verboten und also hat sich auch Spitzer strafbar gemacht (mit welchen Geldern die Dame bezahlt wurde, frage ich gar nicht erst).

Wie kommt aber eine junge Frau, die ihr Geld als Hostess verdient, dazu, über einen Kunden auszusagen und damit ihre eigene Integrität zu gefährden? Ganz einfach, das FBI hat ein geheimes Tonband geleakt, auf dem beide zu hören sind. Der Senator wurde also akustisch überwacht, während er mit dieser Dame intim war. Welchen Grund hatte das FBI, Spitzer abzuhören und welchen Grund hatte es, die Daten jetzt an die NY Times weiterzureichen? Auch dafür gibt es eine einfache Erklärung. Spitzer machte in einem Artikel, „Predatory Lenders‘ Partner in Crime„, der Washington Post die Bush-Junta für die Immobilienkrise in den USA und damit für den derzeitigen Börsencrash mitverantwortlich. Nun ist dieser Umstand eigentlich jedem denkenden Menschen offenbar, aber Spitzer hat es gewagt, darüber zu sprechen und seine Stimme hatte Gewicht und deshalb wurde er unbequem, wie die Asia Times in einem Artikel „Why Spitzer was Bushwhacked“ sehr anschaulich darlegt. Was eignet sich da besser als ein Sexskandal, das hat bei Clinton doch auch schon funktioniert.

Das klingt nach einem James-Bond-Film? Ja, irgendwie schon. Aber Fakt ist, jeder hat etwas zu verbergen, ob es die Steuerhinterziehung in Lichtenstein ist, die heimliche Affäre mit der Sekretärin, die Zuneigung zum eigenen Geschlecht, der Rochus auf den Chef, das gelegentliche Flaschparken, Schwarzarbeiten, „illegale“ Downloads, den Absturz nach der letzten Party mit übermäßigem Alkoholgenuß, die Gute-Nacht-Tüte, das Näschen Koks, das Abo beim Pornokanal, usw. usw. Noch wird uns die freie Meinungsäußerung zugestanden, noch dürfen wir sagen, dass wir Frau Zypris als Bundesverfassungsrichterin für eine absolute Fehlbesetzung halten, noch gibt es keine Zensur.

Aber wenn wir das Gefühl haben, überwacht zu werden, dann sind wir eingeschüchtert und trauen uns auch im Privatraum bald nicht mehr zu sagen, was wir denken, geschweige denn lautstark für unsere Freiheit und die unserer Nachbarn einzutreten. Wer würde seinem Chef schon ins Gesicht sagen, dass er ein Arschloch ist? Wenn alles, was wir tun und sagen, ständig und überall auf Abruf gespeichert wird, mußt nur graben, wer sich durch unser bürgerrechtliches Engagement auf den Schlips getreten fühlt und früher oder später findet er das Band, das uns beim Sex mit einer Hure zeigt. Denn spätestens nach der Einführung des „Hackerparagraphen“, der Urheberrechtsnovelle, der Änderung des Sexualstrafrechts und allen Verboten, die uns demnächst Freiheiten nehmen werden, die wir einst besaßen, werden wir alle ein bisschen Spitzer sein.

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