Künstler gleich Gott

„Künstler gleich Gott. Literarische Emanzipation bei Frauenlob“ ist die kurze Erläuterung einer These, die ich in meiner mündlichen Zwischenprüfung in Altgermanistik zur Disposition stellte. Für mich war sie vor allem deshalb spannend, weil es hier um ein neues Künstlerverständnis, nämlich den Dichter als Handwerker, geht. Da die Prüfung nur 20 Minuten dauerte und noch vier weitere Thesen zu besprechen waren, reichte die Zeit nicht für eine Vertiefung meiner Ausführungen. Aber es wäre schade, wenn ich mir all diese Gedanken gemacht hätte, um sie dann für mich zu behalten. Deshalb nun hier die Argumentation.

Künstler gleich Gott.
Literarische Emanzipation bei Frauenlob

„Frauenlobs Marienleich offenbart eine literarisch-künstlerische Emanzipation, die einhergeht mit einer individualisierenden, selbstbewußten Sichtweise auf das Verhältnis Mensch-Gott.“

Nachdem ich mich aufgrund meiner Zwischenprüfung eingehender mit Heinrich Frauenlob (= Heinrich von Meißen) und seinem Marienleich befaßt hatte, war ich zu der Auffassung gekommen, dass darin eine literarische Emanzipation zum Ausdruck kommt, in der sich ein neues Selbstverständnis des Dichters als schöpfendem Künstler offenbart.

Wir befinden uns mit dem Marienleich in einer Zeit um 1300. Aufgrund von Anspielungen in diversen Schmähschriften, die Frauenlob als Kind oder junges Meisterlein bezeichnen, nimmt man an, dass es sich um ein Jugend- oder Frühwerk des deutschen Dichter-Komponisten handelt. Das auffälligste und charakteristischste Merkmal, das wohl auch die zahlreichen Kritiker auf den Plan rief, ist die manirierte Rhetorik des Textes. Sie äußert sich in einer Fülle von schwer zugänglichen Bildern, Stilfiguren und Tropen und in diesem Falle auch in der Wahl einer komplexen und hochanspruchsvollen Bauform. Hier ist ein kleiner Auszug aus dem um die 500 Verse umfassenden Poem. Maria spricht:

ich binz, ein acker, der den weize zîtic brâhte her,
dâ mit man spîset sich in gotes tougen;
ich drasch, ich muol, ich buoc lind unt niht harte,
wan ich mit olei ez bestreich:
des bleip sîn biz sô suoze weich;
ich binz, der tou, dem nie entweich
diu gotheit, sît got in mich sleich.
mîn schar gar klâr var.
er got, si got, ich got: daz ich vor niemen spar.

(Verse 12, 25-33)

Dieser Sprachstil wird in der Literaturforschung „geblümter Stil“ genannt und er entspricht ungefähr dem hohen Stil der lateinischen Oratores, der in Lob- und Festreden gepflegt wurde. Hier finden sich linguistische Spitzfindigkeiten wie Genitivattributionen, Spiegelsymmetrie syntaktischer Kola, Parallelführungen oder seltene Wortwahl. Nun ist im gesamten Mittelalter Latein die Bildungssprache, also die Sprache der Bildungselite, die im Gegensatz zur Volkssprache nicht jedem zugänglich war. Durch die Ausschmückung der Volkssprache, wie sie im Marienleich offenbar ist, und ihre Anpassung an die lateinische Sprachästhetik passiert zweierlei: Auf der einen Seite kommt es zu einer Hermetik, da Frauenlobs Werke so nur noch einigen wenigen, speziell gebildeten Menschen zugänglich sind. Auf der anderen Seite kommt es aber auch zu einer Aufwertung der Volkssprache, wodurch eine Elite kultiviert wird, die die Volkssprache als Literatursprache kennen und schätzen lernt.

Dies birgt ein emanzipatorisches Moment, das in den Literaturen gesamt Mitteleuropas zu beobachten ist. Frauenlobs florentiner Zeitgenosse Dante Alighieri verfaßte italienische, von musikalischer Vertonung losgelöste Sonette und schrieb eine Abhandlung, „De vulgari eloquentia“, über die Angemessenheit der Volkssprachen (wohlgemerkt auf Latein). Meister Eckhart, ein deutscher Mystiker derselben Zeit, predigte in der Volkssprache, um auch dem einfachen Volk die Gottesmysterien verständlich zu machen. Ein Nachfolger Frauenlobs, der französische Dichter-Komponist Guillaume de Machaut, veranlaßte wohl die Sammlung und Konservierung seiner volkssprachigen Dichtungen. Dessen Schüler Eustache Deschamps erspinnt die Gesellschaft der boehmen Fumeurs und seine Zeitgenossin Christine de Pizan verfaßt eine Schrift in der sie die Darstellung der Rolle der Frau im berühmten „Roman de la Rose“ kritisiert. Die Volkssprache, sei es das Italienische, Französische, Englische oder Deutsche, wird mit der Lateinischen Sprache auf Augenhöhe gehoben und damit salonfähig gemacht.

In diesem Zusammenhang scheint auch der Dichter ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Konrad von Würzburg, ein Vorbild Frauenlobs, schrieb um 1250 die „Goldene Schmiede“, ein fast 2000 Verse umfassendes Mariengedicht von besonderem Reichtum. Obwohl die Gottesmutter mit Worten nicht hinlänglich gelobt werden könne, wie der Dichter anmerkt, wolle er in der Schmiede seines Herzens ein Loblied auf sie schmieden. Obwohl die „Goldene Schmiede“ ein Bravourstück ist, hält es der Dichter für nötig, seinen Namen in den Text einzuflechten, um auf dessen gekonnte Fertigung durch einen befähigten Künstler hinzuweisen. Eine solche Etikette braucht Frauenlobs Marienleich nicht mehr. Allein dessen Maniriertheit reicht aus, um jeden Zweifel an seiner Kunstfertigkeit auszuräumen. Beide unterstreichen ihre Künstlerauffassung aber durch bewußt gewählte Metaphern, die den Dichter als Handwerker darstellen. Während er bei Konrad Schmied ist, ist er in einem Spruch Frauenlobs Zimmermann:

Ja tun ich als ein wercman, der sin winkelmaz
ane unterlaz
zu sinen werken richtet,
uz der fuge tichtet
die höhe und lenge: wit und breit,   alse ist ez geschichtet;
und swenne er hat daz winkelrecht    nach sinem willen gezirket,
darnach er danne wirket, als man wirken kann.

(V.13.1-7)

Bei beiden tritt hier das Moment des „Wirkens“ zutage. In der Darstellung Marias geht Frauenlob aber weiter als Konrad. Nicht ihre Vermittlerposition zwischen Mensch und Gott ist zentrales Thema, sondern ihre Stellung als Zwitterpersönlichkeit zwischen Göttlichem und Menschlichem. Immer wieder wird im Zirkelschluß die von Gott geschaffene Maria in ihrer Eigenschaft als Gottesgebährerin stilisiert. Durch Maria ist Gott Mensch geworden. Dieser Schöpfungsakt scheint sie selbst gottgleich zu machen, was im Text durch ihre in exakter mathematischer Mitte positionierte Äußerung „ich got“ auch explizit geäußert wird.

Diese Darstellung Marias offenbart eine völlig neue Sichtweise auf das Verhältnis Mensch-Gott, das nicht mehr nur von der Menschwerdung Gottes, sondern auf einmal auch von der Gottwerdung des Menschen ausgeht. Diese vollzieht sich durch den Schöpfungsakt, der schöpfende Mensch rückt in die Nähe Gottes. Als in besonderer Weise schöpfender Mensch gilt sowohl Konrad als auch Frauenlob der wirkende Dichter. In seiner Meisterschaft ähnelt der dem höchsten Meister, dem schöpfenden Gott. Jahre später werden sich die Meistersinger an diesem Künstlerideal orientieren und sich zu Hauf auf Frauenlob, den Gründer der ersten Sängerschule, berufen.

März 2008
_______
Quelle: Barbara Newman, Frauenlob’s Song of Songs. A Medieval German Poet and His Masterpiece, Penn State University Press, 2007

2 Kommentare zu “Künstler gleich Gott”

  1. Frederik Weitz
    März 17th, 2008 08:51
    1

    Etwas ähnliches lässt sich um das 14. Jahrhundert in Gebrauchstexten finden, zum Beispiel in Testamenten. Diese werden immer mehr im Deutschen abgefasst; mit einher geht ein Wandel der bürgerlichen Klasse, die sich als ökonomische Macht zu begreifen versteht. Zu der Zeit der Reformation sind dann die Flugblätter oft auf lateinisch und deutsch, unterstützt durch die picturas, für all diejenigen, die des Lesens nicht kundig sind. Die Volkssprache gibt den Menschen die Möglichkeit, sich auf das Spiel der Signifikanten einzulassen und so an ihm mitzuwirken. Man kann diesen Schritt durchaus für so wichtig nehmen, wie die Erfindung der Druckpresse. Die Weltbilder können sich weiter individualisieren, im Guten wie im Schlechten.

  2. LeV
    März 17th, 2008 14:49
    2

    Die Tendenz dazu beginnt aber sehr viel früher. Vielleicht kann man sie gar vor 1000 ansetzen, als Geistliche erstmals probieren, mithilfe der lateinischen Buchstaben ihre sonst nur mündlich tradierte Volkssprache zu verschriftlichen. Umberto Eco greift diesen Aspekt in seinem (besonders für Mediaevisten spaßig zu lesenden) Roman „Baudolino“ auf. Aber es gibt ja keinen Schalter, der sich irgendwann umlegt, so dass sich plötzlich jeder als Individuum begreift, das aktiv in sein irdisches Dasein eingreifen kann. Das Ganze ist ein Prozess, der sich durch das gesamte Mittelalter hindurch an verschiedenen Orten mit verschiedener Ausprägung vollzieht. Frauenlob ist da für mich nur ein Beispiel unter vielen; eines, bei dem besonders das künstl(er)ische Moment bewußt betont wird. Das ist in der Zeit alles andere als selbstverständlich. Aber Dichtung in der Volkssprache gab es eben auch schon vor ihm.

Kommentar abgeben: