Im Mittelalter gab es kein Copyright

Das Copyright ist eine Erfindung der Neuzeit. Die Rechte der Autoren kamen erst mit der Einführung des Buchdrucks und der Notwendigkeit organisierter Produktionsprozesse durch Verlage, Druckereien, etc. Das habe ich gerade wieder in Jan-Dirk Müllers „Aufführung – Autor – Werk“ gelesen, den ich im vorigen Post zusammengefaßt hatte. Der Text gehört quasi zur Grundausbildung eines jeden mediävistischen Literaturwissenschaftlers. Aber ich denke, er ist auch für die aktuelle Piratenbewegung und Copyright-Debatte von Interesse. Er spricht über unsere moderne Auffassung von Autorschaft und davon, dass diese nicht gesetzt, sondern eine von uns konstruierte ist.

Im Mittelalter gab es nämlich „DEN Autor“ nicht und es gab nicht „SEIN Werk“. Es gab viele Vortragende in einer mündlichen Kultur, in der Texte variabel waren und der jeweiligen Vortragssituation angepaßt wurden. Aufmerksamkeit und Lob galten dabei dem Vortragenden, der nicht zwangsweise mit dem Verfasser identisch sein mußte. Denn bedient hat man sich von überall her. Das Kopieren, Ändern und Verwenden von Texten, Formen und Melodien war Gang und Gäbe. Ein Werk dem Publikum auf vollendete Weise darzubringen, war die Kunst und nicht etwa, als erster auf eine Idee gekommen zu sein. „Der Verfasser eines Textes erwirbt an diesem Text kein Eigentum; er stellt etwas her, das anderen zum Gebrauch sich anbietet“, schreibt Müller. Die Vorstellung von einem „geistigen Eigentum“ wäre einem Minnesänger oder mittelalterlichem Zuhörer wohl ziemlich bescheuert vorgekommen.

Müller berichtet dies freilich nicht im Zusammenhang mit der Copyright-Debatte, sondern zeigt sich von einem wissenschaftlichen Disput um den Status einer zwischen mündlicher und schriftlicher Kultur stehenden Literatur inspiriert. Ebenso wie aber die mit dem Buchdruck um 1500 einhergehende Medienrevolution zu einer Neubewertung des Autorbegriffs geführt hat, wie Müller erläutert, scheint mir das bei der aktuellen Medienrevolution auch der Fall zu sein. Der Mythos vom Verfasser-Genie und seiner allumfassenden Gewalt über sein Werk beginnt mit der Einführung des Internets und anderer digitaler Kopien in dem Maße zu bröseln, wie er vor 500 Jahren mit der Erfindung des Buchdrucks erstarkte. Brauchen wir den Autor heute noch oder lebt unsere Kultur durch die Beteiligung und Kreativität aller an ihr teilnehmenden Personen?

In einer schriftlichen Kultur hatte die Kopie materiellen Wert und war entsprechend mit finanziellen Risiken verbunden. In der digitalen Kultur kostet eine Kopie ungefähr genausowenig wie in einer mündlichen. Insofern rücken wir der mündlichen Kultur des Mittelalters und ihrer aufgelockerten, offenen Auffassung von Autor und Werk wieder ein Stück weit näher. Genau an diesem Punkt geraten wir aber in gesellschaftlichen Konflikt. Da gibt es auf der einen Seite Menschen, die noch voll umfänglich an das „geistige Eigentum“ glauben und mental am Autor und seinem Werk festhängen. Da gibt es auf der anderen Seite die, die solche Vorstellungen für überkommen oder zumindest fragwürdig halten. Die einen haben Angst, ihren Status zu verlieren, die anderen fühlen sich unterdrückt und wollen sich emanzipieren.

Ich kann beide Seiten nachvollziehen. Ich bin selbst Autor (gewesen) und verband damit Eitelkeiten und Privilegien. Mir kommt das alles aber zunehmend albern vor und Texte wie der von Müller bestätigen mich darin. Vielleicht ist die Vorstellung von Autor und Werk vor dem Hintergrund der Entwicklung zu einer digitalen Kultur eine Sackgasse.

3 Kommentare zu “Im Mittelalter gab es kein Copyright”

  1. demon17
    Juli 16th, 2010 14:15
    1

    Schön das Du das so siehst, LeV. Einige Deiner Werke haben sich ja ohne Dein zutun rasend schnell im Netz verbreitet. Was heißt schon Copyright? Man hemmt die Verbreitung seiner Texte ja doch nur. Was heißt Urheberrecht? Viele meiner Gedichte haben überhaupt erst nach jahrelanger Kritik ein akzeptables Niveau erreicht. Sie sind also im Grunde Teamwork.

    Inzwischen arbeite ich mit glorfindels genialer Metrikmaschine, ein Programm, welches die Metrikanalyse übernimmt und mehr und mehr perfektioniert wird. Ein Projekt auf http://www.dielyriker.de, auf das ich an dieser Stelle aufmerksam machen möchte. Da rückt der Hexameter in Reichweite.

    Ich sehe meine Gedichte nicht als einsame geistige Eigenleistung. Allein schon die Inspiration durch andere ist ein notwendiger Faktor. Deshalb gebe ich auch sämtliche meiner Werke zur nichtkommerziellen Nutzung frei, außer in politischen Kontexten. Was ich hingegen nicht mag, ist der Raub der Gedichte. Wer sie für seine eigenen ausgibt ärgert mich sehr. Zum Schluss steht man selbst als Plagiator dar. Ich denke dies ist auch der Unterschied zum Mittelalter. Wir sind noch vom Gedanken des geistigen Eigentums geprägt und die Leute, die sich dieses Eigentums zu bemächtigen versuchen, versuchen oft selbst in Besitz desselben zu gelangen, oder auf andere Werise daran zu verdienen, ohne dafür zu zahlen. Man nehme einmal Google als Beispiel, dass Millionen Bücher einfach online stellt, ohne die Autoren und Verlage dafür zu bezahlen. Ich denke da hört es dann auf.

    Liebe Grüße

    demon17

  2. demon17
    Juli 16th, 2010 14:16
    2

    PS: Der Link funktioniert wegen des Kommas nicht. Nehmt diesen:

    http://www.dielyriker.de/zudenlyrikern/dielyriker/

  3. LeV
    September 18th, 2010 12:53
    3

    Ich finde ja, dass Urheberrecht als Recht des Urhebers an seinem Werk durchaus weiterhin Bestand haben sollte. Schon um Künstlern auch ein Recht auf Entlohnung zu gehen, wenn sie denn von ihrer Kunst leben wollen. Aber das Copyright, also das Recht des Nutzers, das Werk zu kopieren, sollte m.E. angepaßt werden. Es kann keine kulturelle Entwicklung geben, wenn man sein Werk vor den Rezipienten verschließt, wegsperrt und den Umgang damit zu restriktiv gestaltet – nur um damit größtmöglichen Profit zu machen. Kultur stirbt an Profitgeilheit und es darf kein Monopol auf Kulturgüter geben, das lehne ich ab.

    Es gibt die Theorie, dass der Erfindergeist im Land der „Dichter & Denker“ gegenüber anderen europäischen Ländern deshalb so ausgeprägt ist, weil es im 19.Jh. kein restriktives Verlagsrecht gab. Bücher waren einfach verfügbar und jeder, der sich für etwas interessierte, konnte sich ein Buch besorgen und es lesen. In England bspw. gab es Verlage, die Auflagen und den Verkauf bestimmt haben, so dass Bücher nicht so verfügbar waren. Ist eine Theorie, aber ich finde es angemessen, mal darüber nachzudenken, was ein von der Kapital-Industrie bestimmtes, restriktives Copyright für einen kulturellen Schaden anrichten kann.

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