Précis: Der intentionale Fehlschluß

Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.

Diesmal bespreche ich den Aufsatz „Der intentionale Fehlschluß“ von William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley, darin die beiden Literaturwissenschaftler die Frage nach dem Autor und seiner Intention (Was will uns der Dichter damit sagen?) ad absurdum führen und eine am Text orientierte Analyse/Interpretation propagieren.

Der intentionale Fehlschluß ~ Wimsatt/Beardsley

In ihrem Aufsatz, „Der intentionale Fehlschluß“, beschäftigen sich die Autoren William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley mit der Frage nach der Berücksichtigung der Intention des Autors bei der Beurteilung literarischer Texte. Der Annahme, „um die Leistung des Dichters beurteilen zu können, müssen wir wissen, was er intendierte„, stellen sie eine andere Behauptung entgegen: Die Intention des Autors, sein Entwurf oder Plan, sei 1.) nicht eindeutig erkennbar und 2.) kein wünschenswerter Maßstab der Beurteilung eines literarischen Werkes.
Zu Beginn ihres Textes bringen sie fünf axiomatische Thesen:

  1. Die Annerkennung eines konzipierenden Intellekts als Ursache für ein Gedicht bedeute nicht zugleich die Annerkennung desselben als Wertungsmaßstab für das Gedicht.
  2. Die Intention des Autors, so sie ihr Ziel erreicht, sei textintern, so sie jedoch ihr Ziel verfehlt, textextern aufzuspüren.
  3. Das „Funktionieren“ eines Gedichtes sei unabhängig davon, ob wir dessen Absicht erkennen. Wir hätten nicht das Recht zu untersuchen, welcher seiner Teile intendiert, sprich beabsichtigt ist.
  4. Das Gedicht sei die Antwort eines Sprechers auf eine Situation. All seine Gedanken und Haltungen seien einem dramatischen Sprecher, nicht dem Autor zuzuschreiben.
  5. Die Absicht des Autors scheint wandelbar und dem Autor selbst unklar zu sein.

Im Folgenden lenken die Autoren ihre Aufmerksamkeit der Verantwortung des Literaturwissenschaftlers zu. Jede Aussage über ein Gedicht, das Eigentum der Öffentlichkeit, also der Kontrolle des Autors entzogen ist, würde gleicherweise wissenschaftlich überprüft werden.

Mit der Anführung A.K. Coomaraswamys wenden sich Wimsatt und Beardsley wieder der Frage nach der Beurteilung des Wertes eines Kunstwerkes zu. Mit der Behauptung, es gäbe die Möglichkeit objektiver Kritik, schließen sie an die hirschsche Vision der objektiven Interpretation an.

Im vierten Abschnitt des Aufsatzes (die Abschnitte II und III fehlen in der mir vorliegenden Ausgabe) gehen die Autoren auf den literaturwissenschaftlichen Forschungsbereich der Autorpsychologie bzw. der Biographie ein. Sie treten hier entschieden für die Abgrenzung von poetischen und biographischen Studien ein und weisen auf den Unterschied zwischen textinternen 1.) und textexternen 2.) Hinweisen auf den Sinn eines Gedichts hin, zwischen denen noch 3.) die Hinweise auf den „Charakter des Autors“ lägen. Es sei nicht unbedingt Methode der Intentionalisten, biographische Belege zur Erschließung des Sinns eines Gedichtes heranzuziehen, dennoch würden aus der unterschiedlichen Wahl der Mittel auch unterschiedliche Kommentare folgen. Die Wahl der Hinweise 2.) und 3.), veranschaulicht durch die Beispiele Lowes und Coffin, halten die Autoren Wimsatt und Beardlsey für nicht angemessen, da sie eher vom Ziel wegzuführen scheinen. Sie kommen zu dem Schluß, daß die geistigen Erfahrungen, die ein Gedicht möglicherweise ausmachen, im Gedicht selbst nicht wiedererkennbar sind und auch nicht wiedererkannt werden müssen.

Aus der Diskussion über den Anspielungsreichtum moderner Lyrik heraus entsteht die Annahme, daß die Intention eines Autors nur dann zu erkennen sei, wenn sein Lesestoff bekannt wäre. Sie versuchen am Beispiel T.S. Elliots ihre Behauptung zu verdeutlichen. Die Autorintention bliebe diesselbe, egal ob selbst- oder fremdverfasst. Gerade diese Anspielungen würden die Prämissen des Intentionalismus in Frage stellen. Der „intentionale Fehlschluß“ sei gerade die „romantische Annahme“ der Existenz der Autorintention.

Jun. 2003

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Quelle: Wimsatt/Beardsley: Der intentionale Fehlschluß, in: „Texte zur Theorie der Autorschaft“, F. Jannidis u.a. [Hrsg], Stuttgart, Reclam, 2000

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