Précis: Text, Interpretation, Methode

Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.

Diesmal bespreche ich den Aufsatz „Text, Interpretation, Methode“ von Klaus Weimar, darin er versucht, den drei zentralen und transdisziplinären Begriffen anhand ihres Alltagsgebrauchs aus ihrer Schwammigkeit zu verhelfen. Klaus Weimar ist seit 1982 Professor für deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.

Text, Interpretation, Methode ~ Klaus Weimar

Ich habe mir mal den Aufsatz „Text, Interpretation, Methode“ durchgelesen. Darin unternimmt Klaus Weimar den Versuch die drei zentralen und transdisziplinären Begriffe Text, Interpretation und Methode, die in ihrer Bedeutung entweder vieldeutig oder verwirrend sind, zu klären, d.h. ihnen sinnvolle und möglichst gleichbleibende Bedeutung zuzuteilen. Dabei wählt er wie W. Strube den Weg über die Alltagssprache, mit deren Hilfe er auf die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes „Text“, sowie „Methode“ hinweist. Ferner versucht er ein Phänomen zu finden. Welches sinnvoll mit dem Wort „Interpretation“ zu versehen wäre. Der Thematik des Aufsatzes nach, ist selbiger gegliedert.

1. Text

Der systematisch mehrdeutige Begriff „Text“ verändert, so Weimar, seine Bedeutung mit der Maßgabe des damit verbundenen Verbs. Er kommt zu drei differenzierten Begriffen von Text: a) dem gesehenen Text, b) dem gelesenen Text und c) dem verstandenen Text. Verändert das Verb die Bedeutng des Substantivs mit dem es in Verbindung steht, hieße das also der gesehene Text ist anders als der gelesene, ist anders als der verstandene Text. Dies wird von Weimar an einigen einleuchtenden alltagsspachlichen Beispielen verdeutlicht.

Weimar führt seinen Versuch noch weiter, indem er den Text als Produkt des Sehens, des Lesens und des Verstehens zum Eigenprodukt der Rezeption erklärt. Demnach ist mit der Produktion von Schrift und Sprache eine Auto-Rezeption, mit der Rezeption von Schrift und Sprache eine Auto-Produktion verbunden. Damit weist Weimar auf das Kardinalproblem der Verstehenstheorie hin. Eine Rezeption, die Eigenprodukt ist, kann nicht Reproduktion von etwas Fremdem sein, da in dem Moment, da der gesehene Text gelesen wird, selbiger neu entsteht, d.h. neu produziert wird. Den Anspruch der Rezeption Reproduktion zu sein, hält Weimar für paradox, denn das einzig Fremde der Rezeption ist der gesehene Text, welcher weder Intention, noch Botschaft, Bedeutung, Sinn, etc. beinhaltet.

2. Interpretation

Auf die Klärung der irritierenden Vieldeutigkeit der Bedeutung von „Interpretation“ zielt der zweite Abschnitt ab. Weimar macht hier den Vorschlag eines differenzierten Begriffs von Interpretation, nachdem die Interpretation als Teil der Rezeption dem Textlesen und Textverstehen folgt und also diese beiden vorraussetzt.
Dem Problem der Textinterpretation nähert er sich über die Gesprächssituation. Gesagtes, das gegen die sogenannte Konversationsmaxime verstößt, wird in rezeptiver Tätigkeit sofort auch interpretiert. Der Zuhörer versucht also über die Bedeutung des Gesagten (intentio recta) hinaus auch die Bedeutung des Sagens an sich (intentio obliqua), d.i. die pragmatische Bedeutung des Gesagten, zu verstehen. Die Ermittlung des Implikaten der Rede setzt wiederum das Verstehen der Wort- und Satzbedeutung, also der intentio recta vorraus. Laut Weimar erfüllt dieses Phänomen die Bedingungen für die Verwendung des Wortes „Interpretation“.

Auch die Textinterpretation visiert die besondere Organisation der „Textwelt“ an und bemüht sich um das Verstehen der intentio obliqua. Allerdings handelt es sich beim Text nur um das Fragment einer Rede. Interpretiert wird also nicht das Fremde der Rezeption, der gesehene Text, sondern das Eigene, der gelesene und verstandene Text. Wie bei der Rede, setzt auch das das Verstehen der intentio recta vorraus.

In Abgrenzung zum Textverstehen und Textinterpretieren erscheint das Wort „Allegorese“. Diese beschäftigt sich mit der Ermittlung der Bedeutung des Bedeuteten, einer Bedeutung durch zwei Instanzen, wie Weimar es nennt, also nicht mit dem Verstehen der intentio obliqua. Laut Weimar sollte die Allegorese deshlab keinesfalls mit dem Wort „Interpretation“ bedacht werden, sondern weiterhin Allegorese heißen.

Weimars eindeutige Definition lautet also wie folgt: Interpretation „[…] ist ein Verstehen inentione obliqua, das pragmatische Bedeutung bestimmt.“

3. Methode

Über die Frage nach dem „Wie“ der Interpretation kommt Weimar zum Begriff der „Methode“, ein Wort das sowohl in pluralistischer Bedeutung, Methoden als mehrere konkurrierende und grundsätzlich auswechselbare Arten oder Varianten derselben Tätigkeit, oder in singularer Bedeutung, Methode als Tätigkeit von einer besonderen Qualität, vorkommt.

Auch hier knüpft er an den Verstehensbegriff an. So kann Verstehen Methode haben, wenn es einige qualitative Bedingungen erfüllt, d.h. wenn es theoretisch über sich selbst aufgeklärt ist. Nur methodisches Verstehen bringt der Hermeneutik einen Nutzen; hermeneutisch aufgeklärtes Verstehen muß, so Weimar, ein Verständnis von der Eigenproduktivität bei der Rezeption haben, das fremde des Textes vom Eigenprodukt differenzieren und methodisch Interpretieren.

Textverstehen hingegen kann mehrere Methoden haben, je nach dem wie bei der Rezeption auf die Differenz von Lektüre- und Gesprächssituation reagiert wird. Diese Differenz liegt, laut Weimar, in der Abwesenheit der Produktionsrepräsentanz. Die verschiedenen Verstehensmethoden bestehen also darin, mit dieser Abwesenheit unterschiedlich umzugehen.

Die methodische Interpretation kennt ihre Risiken, weiß bei jedem Schritt, was sie tut und weiß deshalb auch um ihren Geltungsanspruch, der sich, so Weimar, von der Illusion und Behauptung löst, die mens autoris reproduziert zu haben.

Mai 2003

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Quelle: Klaus Weimar: Text, Interpretation, Methode. Hermeneutische Klärungen, in: Wie international ist die Literaturwissenschaft? Methoden- und Theoriediskussion in den Literaturwissenschaften: kulturelle Besonderheiten und interkultureller Austausch am Beispiel des Interpretationsproblems (1950-1990). Hrsg. von Lutz Danneberg und Friedrich Vollhardt. Stuttgart, Weimar: Metzler 1995, S. 110-122

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