Wissenschaft unter Generalverdacht

Heute habe ich bei Fefe einen Stream gefunden, in dem die Verteidigerin Andrej H.s über den bisherigen Stand des Ermittlungsverfahrens spricht. Wir erinnern uns, vor ungefähr zwei Monaten wurden der Soziologie-Professor Dr. Andrej H. und drei weitere wissenschaftliche Mitarbeiter von der Polizei festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, nach § 129a StGb Mitglied einer Terroristischen Vereinigung zu sein, genauer, der Mitlitanten Gruppe, die in Berlin diverse Brandsätze gezündet hat. Seinen Weg in die Medien hat dieser Fall vor allem wegen seiner dünnen Beweislage gefunden. Die Indizien, auf denen der Vorwurf beruht, sind geradezu lächerlich: Da soll eine Identität zwischen dem Verfasser eines Bekennerschreibens der MG und dem Professor H. bestehen, weil beide das Wort Gentrification in ihren Texten benutzen (ein sozialwissenschaftlicher Fachbegriff). Diese Identität kann von Seiten der sprachwissenschaftlichen Untersuchungen beider Texte bisher nicht bestätigt werden. Auch soll es den wissenschaftlichen Mitarbeitern möglich sein, eine Bibliothek zu benutzen, um die für das Bekennerschreiben nötigen Recherchen zu tätigen. (Wow, die können eine Bibilothek benutzen! Das müssen Terroristen sein!) Außerdem gab es Treffen zwischen dem Professor und einem weiteren festgenommenen mutmaßlichen Mitglieds der MG, die nicht per Telefon, sondern über verschlüsselte E-Mails verabredet wurden. Natürlich wurden der Professor, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und sämtliche in deren Umfeld befindlichen Personen, also Frauen, Kinder, Mütter und sicherlich diverse Soziologie-Studenten vor den Festnahmen umfassend überwacht und zwar auf allen Kanälen, das ganze Programm: Briefe, Handygespräche, Handyortung, Beschattung, E-Mail-Verkehr und pipapo. Die Festgenommenen sitzen täglich 23 Stunden in Isolationshaft und 3 Tage nach seiner vermutlich temporären Freilassung wurde H. gleich wieder untersucht, wobei die Ordner mit den Ermittlungsakten, die ihm seine Verteidigerin gegeben hatte, damit er sich auf ein Treffen mit ihr vorbereiten könne, verbotenerweise genaustens durchgeguckt wurden.

Über diese und andere erschreckende Einzelheiten des Falls berichtet die Verteidigerin H.s. Es lohnt sich, das mal anzuhören, aber man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Wir sehen anhand dieses Beispiels genau, was es bedeutet, den Terrorparagraphen zu erweitern, ein Volk unter Generalsverdacht zu stellen und total zu überwachen. Niemand kann mehr sicher sein, es könnte jeden von uns treffen.

Kommentar abgeben: