Sprache und Bewußtsein

Der SpOn veröffentlicht gerade eine Reihe von Artikeln, in denen Wissenschaftler Thesen ihres Fachgebiets präsentieren, die sie alle irgendwie für wahr halten, aber nicht beweisen können. Darunter findet sich auch eine These des Philosophen Daniel C. Dennett, der behauptet, dass die Ausbildung des Bewußtseins mit der Fähigkeit zu sprechen einherginge.

„Ha!“, sage ich zu meinem Mann, mit dem ich dieses Thema schon oft wild diskutiert habe. Er Informatiker, ich Literaturwissenschaftler, haben wir beide irgendwie was mit Sprache und den logischen Systemen, die dahinter stehen, zu tun. Ich behauptete immer, dass Welt, also das was wir als uns und unsere Umgebung begreifen, nicht über das hinausgehen könne, was wir sprachlich formulieren können, weil sich unsere Gedanken irgendwie sprachlich manifestieren und wir Dinge, die wir uns vorstellen können, selbst wenn noch kein Name für sie existiert, immer sprachlich erfassen. Frei nach dem Motto: „Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt“, das ich hier schon öfter besprochen habe. Er ist hingegen der festen Überzeugung, sich auch Dinge vorstellen zu können, ohne dass sie im inneren Monolog beschrieben werden müßten, denn schließlich können ja Autoren, Künstler, Erfinder sich auch Dinge vorstellen, die eben noch keinen Namen haben.

Ganze Nächte haben wir uns mit diesem Thema um die Ohren geschlagen, doch beweisen konnte natürlich niemand seinen Standpunkt. Wir müßten ja in unsere Hirne gucken und erst einmal einig darüber werden, was überhaupt Bewußtsein ist. Für mich stehen Sprache und Denken in sehr engem Zusammenhang, vielleicht liegt es daran, dass ich in meinen Linguistikvorlesungen dahingehend sozialisiert wurde. Denken ist die Voraussetzung für Bewußtsein, man reflektiert sich und seine Umgebung, erinnert, spekuliert, benennt. Durch eine „Spiegelerfahrung“ bekommen wir überhaupt erst eine Vorstellung von dem, was wir sind und Sprache ist ein Teil davon, und zwar der akustisch (optisch) wahrnehmbare Teil unserer Gedanken, mit dem wir uns intersubjektiv über unsere Subjektivität austauschen können.

Ich persönlich kann mir ein Denken ohne Sprache nicht vorstellen. Dahingehend bekommt dieses Bibelzitat (ich schätze dieses Buch wegen kulturgeschichtlicher Aspekte): „Am Anfang war logos„, eine ganz interessante Deutung. Denn die Bedeutung des griechischen logos ist total unklar und reicht von „Wort“ über „Sprache“ über „Lehre“ bis hin zu „Denken“. Da kann sich jetzt jeder das passende einsetzen.

20 Kommentare zu “Sprache und Bewußtsein”

  1. chris
    September 18th, 2008 16:19
    1

    Also ich würde mich da wohl er Deinem Mann anschließen. Die Frage ist ja allein, wie es mit tauben oder stummen Menschen aussieht. Diese haben zur Sprache eine ganz andere Einstellung. Überhaupt ist Sprache ein seltsames Abstraktum. Das was Sprache ausdrücken kann, hängt doch auch sehr von dem Kulturkreis ab, in dem wir uns bewegen, und nicht von unserer Vorstellungskraft.
    Die Inuit haben schließlich eine ganze Menge Wörter für Schnee, wir im Wesentlichen dagegen nur eines, trotzdem begreifen wir durchaus, welchen Unterschied es bei Schnee geben kann (ja, ist ein etwas engstirniges Beispiel). Andere Kulturen unterscheiden Farben nicht so wie wir, sondern eher nach den Schattierungen; aber ist dort deshalb das Denken grundsätzlich anders, nur weil sie Sprache anders gebrauchen?

    Wenn wir nur mit Sprache denken könnten, würde es keinen Fortschritt geben, bin ich der Meinung. Ein Beispiel: Säuglinge können weder Sprechen, noch Verstehen, was man ihnen sagt, trotzdem lernen sie, was auch eine Art des Denkens ist. Sie können sogar selbständig Zusammenhänge erschließen, alles ohne Sprache.

    Sprache ist nur ein Mittel der Kommunikation, so wie es Handzeichen oder andere körperliche Signale sind. Und schließlich kommt es oft genug vor, dass man seine Gedanke nicht vernünftig in Sprache packen kann (oder kannst Du immer eindeutig vermitteln, woran Du denkst?).

    Mein Senf 🙂

  2. LeV
    September 18th, 2008 17:02
    2

    Abgesehen davon, dass das mit den Wörtern der Inuit für „Schnee“ eine false urban legend ist, können wir verschiedene Arten von Schnee natürlich unterscheiden und dementsprechend benennen. Wir kennen weißen Schnee, dreckigen Schnee, matschigen Schnee, pappigen Schnee, lockeren Schnee, etc. Auch wenn wir also nicht, wie angeblich die Inuit, für jede Schneevariante ein eigenes Wort haben, so können wir doch sprachlich differenzieren und finden es einleuchtend, dass eine andere Kultur hier eigene Namen für zentrale Aspekte ihres Lebens vergibt, auch wenn wir selbst mindestens zwei Wörter brauchen, um es zu beschreiben.

    Auch spielt es für den Aspekt, dass wir sprachlich denken, keine Rolle, welcher Nationalität wir angehören oder ob wir taub sind, und deshalb in Gebärdensprache denken. Das sind ja alles Systeme von Zeichen. Die kulturellen Unterschiede, die sich aber in der Denkvorstellung durch nationalsprachliche Unterschiede ergeben, sind z.T. gravierend. Betrachtet man sich nur mal den Gebrauch von Präpositionen im Deutschen, Englischen und Französischen, stellt man sehr schnell fest, dass die damit verbunden Gedankengebäude sehr unterschiedlich sind, was man z.B. daran bemerkt, dass man die „richtige“ Präposition beim Vokabeltraining immer mitlernen muß. Das aber ist ein Argument für das Denken in Sprache. Dementsprechend erweitert aber das Erlernen fremder Sprachen tatsächlich den Horizont. 😉

    Und dass man manchmal die Gedanken nicht in Sprache fassen kann, ist das nicht letztlich ein Zeichen dafür, dass man noch nicht zuende gedacht hat, dass man es selbst noch nicht bewußt begriffen hat und dass man im Kopf selbst noch nach den richtigen Worten sucht? Das zeigt doch, dass die Verfestigung des Gedankens/der Vorstellung mit der Sprachfindung/Namensgebung einhergeht.

  3. Primel
    September 20th, 2008 18:37
    3

    nützlich wäre es, in diesem Zusammenhang eine kleine Begriffsklärung vorzunehmen und sich darüber zu einigen, welche der Funktionen der Sprache (Symptom, Signal oder Symbol laut Prof. Kainz) hier ange“sprochen“ werden, und da kann es sich doch wohl nur um die Symbolfunktion handeln, mittels derer wir die Welt begrifflich erfassen und sie denken können. Dass der Spracherfassung vorangehende Heniden sich im Bewusstsein befinden können, ist kein Gegenbeweis zu der Behauptung: ohne Sprache kein Denken!

  4. LeV
    September 20th, 2008 21:55
    4

    Ich spreche von Sprache als langage und nicht als langue oder parole. Dass langage ein System von Zeichen ist, ist keine Funktion der Sprache, sondern eine sie definierende Eigenschaft. Aber eben dieser Prozess von arbiträrer Zuordnung einer Zeichenform zu einem Zeicheninhalt ist, so meine Idee, Denken. Das ist eine exeptionell humane Fähigkeit. Der Mensch sei ein symiosisches Tier, meint Umberto Eco und damit drückt er aus, dass der Mensch die Fähigkeit hat, den Dingen in der Welt eine Bedeutung zu geben: ein X sei Y. Und genau das ist es auch, was bei der Versprachlichung, der „Namensgebung“ passiert.

    ps.: Wer ist Prof. Kainz?

  5. Primel
    September 20th, 2008 23:35
    5

    Professor Kainz ?

    Ich besuchte mehrere seiner Vorlesungen und war immer von der Brillanz seines Vortrages eingenommen, aber das ist schon lange her, denn

    Kainz, Friedrich, * 4. 7. 1897 Wien, † 1. 7. 1977 ebenda, Sprachphilosoph und -psychologe, Literarhistoriker; Universitätsprofessor in Wien.
    Werke: Psychologie der Sprache, 4 Bände, 1941-56; Einführung in die Sprachpsychologie, 1947; Einführung in die Philosophie der Kunst, 1948; Die Sprache der Tiere, 1961.

  6. LeV
    September 22nd, 2008 20:20
    6

    Aha, hmhm, den kannte ich noch nicht. Ich finde es auch ungewöhnlich Aspekte wie Symptom, Signal und Symbol als Funktionen der Sprache zu bezeichnen. Tut man das in der Sprachpsychologie und wenn ja, was hat es damit auf sich? Ich verband damit bisher immer nur das hier.

  7. Felixx
    September 22nd, 2008 23:02
    7

    Ähmm … symiosisches Tier? (sic?) Was bitte ist das?

  8. Primel
    September 23rd, 2008 11:37
    8

    Ob man heute in der Sprachpsychologie so denkt? Ich weiß es nicht.

    Ein halbes Jahrhundert später (ich hörte Kainz 1952 und 1953) könnte man derartige Betrachtungen als überholt betrachten, doch sind die Grundüberlegungen, wie ich meine, durchaus gültig: Sprache wird als Mittel für die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger angesprochen und dient zum Ausdruck z.B. des Schmerzes (schreiendes Kind) oder als Warnung (Pfiff des Murmeltieres, Drohgesten eines Gorillas), beides als Kommunikationen, die Mensch und Tier gemein haben, also die Symptom- und die Signalfunktion.
    Wenn jedoch eine Vermittlung stattfindet, bei der optische, akustische , taktile, etc Zeichen, die von Empfänger und Sender gleich verstanden werden, da sie auf einer Konvention beruhen, können wir von Symboleigenschaften sprechen. Ich denke hier auch an jene Bereiche, die sich außerhalb der verbalen Ausdrucksformen befinden und nehme als Beispiel das Kopfnicken, das bei uns Bejahung und bei Arabern Ablehnung bedeuten kann.

  9. LeV
    September 23rd, 2008 14:06
    9

    @Felixx: Sorry, war ein Schreibfehler. Der Mensch sei ein semiosisches (mit e nicht y) Tier, meint Eco, d.h. er ist dazu befähigt, den Dingen, die er in seiner Welt wahrnimmt, eine Bedeutung zu geben. Die Semiotik (mit t) ist dann die Wissenschaft, die diesen Vorgang der Semiose (mit s) untersucht.

    @Primel: Okay, das leuchtet ein, dann wurden hier nur wieder Begriffe aus der biologischen Verhaltensforschung verwendet. Ich glaube aber nach wie vor, dass Sprache mehr als drei Funktionen hat und vermutlich auch mehr als sechs, wie Jakobson es sieht.

  10. Sigmar Erics
    Dezember 26th, 2008 13:04
    10

    Bonjour, LeVampyre!

    Gestattest Du, daß ich diesen wichtigen Gesprächsfaden noch einmal aufnehme?

    Ich selbst habe zahlreiche Erfahrungen gemacht, in denen ich sehr klare Vorstellungen von etwas hatte, ohne diese sofort in Worte fassen zu können. Zum Teil habe ich diese Vorstellungen kreativ selbst entwickelt (einen Melodieverlauf für eine Kontrapunkt-Studie, die Disposition für eine Zeichnung), zum Teil handelte es sich um erinnerte Wahrnehmungen (eine Stelle aus einem Symphonie-Satz, ein Gemälde von Vincent van Gogh). In einem zweiten Schritt habe ich jeweils für Details und einzelne Verhältnisse Begriffe gefunden, um sie zu benennen und zu analysieren, aber die primäre (und sehr deutliche!) Vorstellung war deutlich sprachlos.
    Auch kenne ich einen Zustand, in den ich mich zuweilen fallen lasse, in dem der innere Monolog in meinem Kopf verstummt und ich ganz mit der Wahrnehmung meiner Außenwelt, meines Körpers (Atem, Temperatur, Muskeltonus) oder eines inneren Films ausgefüllt bin. Dabei stellen sich neben der bloßen Wahrnehmung auch Vorstellungen davon ein, wie es jeweils anders sein könnte, aber ohne Worte.

    Ich erlaube mir deshalb zu bestreiten, daß es ein Bewußtsein ohne Sprache nicht gäbe.

    In diesem Absatz von Dir:

    „Und dass man manchmal die Gedanken nicht in Sprache fassen kann, ist das nicht letztlich ein Zeichen dafür, dass man noch nicht zuende gedacht hat, dass man es selbst noch nicht bewußt begriffen hat und dass man im Kopf selbst noch nach den richtigen Worten sucht? Das zeigt doch, dass die Verfestigung des Gedankens/der Vorstellung mit der Sprachfindung/Namensgebung einhergeht.“

    unterliegst Du, fürchte ich, einem Zirkelschluß; denn Du setzt voraus, daß die „wahre“ Verfestigung eines Gedankens erst mit der Versprachlichung einhergeht. Es ist kein Kunststück, aus dieser Voraussetzung den Schluß zu ziehen, daß es ohne Versprachlichung keinen verfestigten, bewußten Gedanken gäbe, aber worauf beruht die Prämisse?

    Ich glaube nicht, daß man nur verbalisierte Vorstellungen als deutlich bezeichnen kann.

    Auch meine Erfahrung als Amateurdichter und Kritiker von solchen bestätigt meine These: Die Worte, die zu Papier gebracht werden, enthalten oft nicht alles oder schlimmstenfalls sogar etwas anderes, als dem Autor an Vorstellung bewußt war. In manchen Fällen mag das zwar auf einer Undeutlichkeit der Vorstellung beruhen, aber oft genug kamen wir in solchen Fällen zu dem Ergebnis, daß eine klar imaginierte Sache einfach deshalb nicht sprachlich umgesetzt wurde, weil der Schreiber sie vorausgesetzt hatte. Er hatte seine innere Vorstellung nicht hinreichend mit der sprachlichen Manifestation abgeglichen. Daß ihm dies erst im Kritikgespräch auffiel, beweist, daß er die betreffenden Aspekte auch nicht außerhalb des Textes verbalisiert hatte.

    Sind meine Überlegungen nachvollziehbar?

    Herzliche Grüße,
    Sigmar

  11. Primel
    Dezember 26th, 2008 16:33
    11

    Herr Zwiebelfisch sollte diesen Satz lieben (und nicht nur wegen der „ß“ Verliebtheit)

    „Ich erlaube mir deshalb zu bestreiten, daß es ein Bewußtsein ohne Sprache nicht gäbe.“

    Allerdings stellst du damit nur die Frage nach einer Definition von Bewusstsein und damit sind wir zurück bei Wortspielereien. So kann ich sagen, dass ich mir nicht bewusst war, dass mein Hund mich unbewusst gebissen, woraufhin ich mein Bewusstsein verlor, etc.

    Auch die Frage nach der „wahren“ Verfestigung eines Gedankens generiert gleich die Rückfrage nach der unwahren, also der falschen Verfestigung, und so muss selbst ein eifriger Diskussionsfreund schließlich die Waffen strecken und sich wortlos aus der Gedankenlosigkeit zurückziehen, der Jahreszeit gemäß aber dennoch beste Festtagsgrüße hinterlassen.

  12. sigerics
    Dezember 26th, 2008 18:00
    12

    Na gut, Primel, dann strecke die Waffen vor einer kleinen doppelten Verneinung, die sich daraus ergibt, daß [sic!] eine negierende Aussage bestritten wird.

    Diese Aussage hat LeV in dem von mir zitierten Absatz getroffen, wenn ich sie richtig verstanden habe. Falls nicht, wird sie mir das sicherlich erklären können und meine Argumentation nicht ins Lächerliche ziehen, weil ich sie anders formuliere, als der geneigte Leser es vielleicht getan hätte. Solches amüsiert mich übrigens gar nicht.

  13. Primel
    Dezember 26th, 2008 19:48
    13

    ein mögliches Scharmützel auf der Homepage einer charmanten und geistreichen jungen Dame auszulösen, das sollte wohl vermieden werden, und mein Spiel um das Bewusstsein herum ist freilich auch nur angebracht, wenn man den Empfänger der witzig sein wollenden Nachricht hinlänglich kennt, um ein derartiges Risiko des Verstoßes gegen die guten Sitten vertretbar erscheinen zu lassen.
    So entschuldige ich mich bei Lev und bei Sigmar und hoffe auf deren großzügiges Verzeihen meiner Unart!

  14. sigerics
    Dezember 26th, 2008 20:15
    14

    Da ich selbst oft genug der Gnade meiner Mitmenschen bedarf, da ich zudem die Ritterlichkeit Deiner Geste zu würdigen weiß, gewähre ich leichten Herzens Vergebung und hoffe auf geistreichen Austausch an anderer Stelle.

    Jetzt aber interessiert mich, ob meine bescheidenen Gedanken zur Sache vor den Augen Berufener bestehen können.

    Oder auch vor Deinen, Primel… 😉

  15. LeV
    Januar 5th, 2009 13:39
    15

    Hallo Sigmar, entschuldige, dass ich erst jetzt antworte, aber ich war über die Jahre mit dem 25C3 beschäftigt und hatte gar keine Zeit für mein Blog. Ich möchte mit meinem Artikel keineswegs eine qualitative Distinguierung von wahrem, echtem zu unwahrem, unechten Bewußtsein machen. Dies ist in der Tat immerwieder der Punkt, an dem ich mir Kritik für meine Idee ernte, dass mir Leute sagen, sie könnten auch bewußt denken, ohne dies in Worte zu kleiden. Nun mag es entweder sein, dass Menschen mit der Wahrnehmung ihres Denkens unterschiedliche Erfahrungen machen. Denn bei mir läuft Bewußtmachung (auch von einfachen Sinneseindrücken) immer mit der Versprachlichung ab. Oder es gibt einfach sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem, was ich mit Versprachlichung, bzw. Namensgebung meine.

    Nehmen wir an, wir haben ein unbekanntes, nie gesehenes Ding vor uns. Wir werden es erstaunt anglotzen und vielleicht denken, es ist klein und grün. Wir schnuppern daran und stellen fest, es riecht ein bisschen wie Banane, aber doch nicht ganz. Und wenn wir es anfassen, ist es rauh. Schon mit der Zuordnung solcher Eigenschaften haben wir dem Ding quasi einen Namen gegeben. Wir haben es in der grenzenlosen Individualität seines Seins beschnitten, in dem wir es mit bekannten Dingen in den Vergleich gesetzt haben. Ein solcher Vergleich ist immer möglich, denn das Vermögen zur Abstraktion, das ein grundlegendes Prinzip der Sprache ist, zeichnet unser menschliches Denken vor dem anderer Lebewesen aus.

    Ähnlich funktioniert es vielleicht, wenn wir, sagen wir, auf einer Frühlingswiese chillen und der Musik der Natur lauschen. Vielleicht befreien wir unseren Geist in diesem Moment von einem stringent versprachlichten Denken in Textphrasen, schalten den inneren Monolog ab. Aber wenn wir neben uns plötzlich ein Brummen hören und diesem vor den anderen, undefinierten Eindrücken Aufmerksamkeit schenken, dann werden vereinzelt Worte wie “Brummen” oder “Surren” oder “Biene” oder auch nur “schön” an uns vorbeirauschen und schon hat das Kind einen Namen.

    Versprachlichung scheint mir die Möglichkeit zur Abstraktion zu sein, die wir brauchen, um etwas begreifen zu können, das als Individuelles, als Summe aus Eigenheiten überhaupt nicht faßbar wäre, unsere Rechenmaschine im Kopf heillos überlasten würde. Was ist Denken letztlich anderes als das mentale Inbezugsetzen von Abstrakten der erfahrbaren Welt? Denken ist ein ganz aktiver Prozess und mehr als das stumme Auftreffen von Signalen auf unserer Hirnrinde.

  16. Masterle
    Januar 14th, 2009 22:16
    16

    Sprache ist nur eine Möglichkeit das bewusst erlebte in Worte zu fassen.
    Dennoch kann man auch ohne Worte Unterschiede in Farben sehen oder einen Baum und einem Grashalm unterscheiden. Sprache ermöglicht es nur darüber sich abstrakter damit auseinanderzusetzten.

  17. LeV
    Januar 15th, 2009 01:48
    17

    Sprache ist nur eine Möglichkeit, das bewußt Erlebte in Worte zu fassen? Welche Möglichkeiten, etwas in Worte zu fassen, gibt es denn außer Sprache noch? Aber mal ganz im Ernst: Natürlich kannst du einen Grashalm sehen und einen Baum und das erstmal ganz leidenschaftslos hinnehmen. Ich meine trotzdem, dass du in dem Moment, da du anfängst, dir den Unterschied zwischen beiden bewußt zu machen, bewußt über Grashalm und Baum nachzudenken, mit dir selbst in den inneren Dialog trittst. Ich meine, probier mal, über das Königsberger Brückenproblem nachzudenken, ohne dabei zu dir selbst zu sprechen. Schon eine Brücke zu imaginieren, ohne das Wort Brücke im Kopf zu haben, ist sau schwer – da betreiben Leute monatelanges autogenes Training, um das hinzubekommen. Klar geht das, den Kopf völlig frei zu machen, nur mit dem Nachdenken ist es dann ungleich schwerer.

  18. Tilly
    Januar 19th, 2009 15:04
    18

    Hallo, das bewußt Erlebte kann man natürlich auch in Bildern, Skulturen, Gestik, Musik und was weiß ich noch fassen. Der Vorteil ist hier auch, dass diese Darstellungsformen nicht „übersetzt“ werden müssen, um es z.B. in anderen Ländern verstehen zu können. Aber das bewußt Erlebte in Worte fassen, das geht doch wirklich nur mit der Sprache. Dabei muß ich ja nicht diese Worte auch sprechen.
    Gruß Tilly

  19. Primel
    Januar 19th, 2009 16:44
    19

    Eigentlich wollte ich mich nicht mehr einmischen, da ich mich leicht zur
    Überheblichkeit verleiten lassen könnte, und ich diese Eigenschaft gerne von anderen ausgeübt erlebe, um mich genüsslich schmunzelnd daran zu ergötzen. Wenn ich aber Ausdrücke wie „bewusst Erlebtes in Worte zu fassen“ was eben „nur mit der Sprache gehe“, dann muss ich wohl einwerfen, dass sprachlose Worte undenkbar sein sollten.

    Störend an dieser Debatte ist auch, dass Sprache immer wieder mit Wort und Laut und höchstens noch mit Schriftzeichen definiert wird und man dabei vom Begriff, der sich aus der Abstraktion entwickelt, nicht redet. Dieser kann freilich über die unterschiedlichsten Wahrnehmungen ange“sprochen“ werden, also z.B. die Vorstellung des Regens nicht nur durch das Wort „Regen“ und dessen vielhundertfache Entsprechungen in anderen Sprachen, sondern auch durch bildliche Darstellung, akustische oder taktile Reize, für die sich im Bewusstsein des erlebenden Subjektes ein Begriff bildet.

  20. LeV
    Januar 20th, 2009 14:02
    20

    Primel, einen überheblichen Witz zu wiederholen, den ein Kommentator schon zwei Kommentare zuvor gemacht hat, ist nicht überheblich, sondern zum Augenrollen. Aber davon mal abgesehen, geht es mir weniger um den Begriff, der sich aus der Abstraktion bildet, sondern um den Prozess, in dem wir unsere Wahrnehmung der referentiellen Welt zum Zeichen abstrahieren. Sprache als System von Zeichen (welcher Form auch immer) ist das Ergebnis eines Abstraktionsprozesses, der uns zur Reflexion unserer Umwelt und unserer Selbst befähigt, und zwar auch dann, wenn der Gegenstand unserer Reflexion gerade nicht anwesend ist. Welche Formen (Worte, Skulpturen, Musik) wir nun dem Zeichen geben, ist nebensächlich. Dass wir überhaupt Zeichensysteme entwickeln, das ist das eigentlich Spannende.

    Ob nun dieser Prozess des (wie auch immer) Sprechens das Denken selbst ist oder nicht, ist eine Frage, über die Denker schon lange vor mir nachgedacht haben und die trotzdem nicht bewiesen werden kann. Ebensowenig kann das Gegenteil bewiesen werden, also drehen wir uns im Kreis, wenn wir es versuchen. Wir könnten ebensogut die Frage debattieren, ob es einen Gott gibt.

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