Polyamorie ist bescheuert!
Ich bin nicht polyamor – Polyamorie ist bescheuert!
Ich sage das, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch nie in einer monogamen Beziehung gelebt habe. Ich war lange Single, weil ich überzeugt davon war (und bin), dass es moralisch falsch ist, einem geliebten Menschen vorzugeben, mit wem er welche Art von Beziehung aufbauen oder pflegen darf, mit wem er glücklich sein, an wen er denken, mit wem er schlafen oder wen er lieben darf. Ich habe nicht das Recht, dahingehend Zwang auf einen anderen Menschen auszuüben und seine Freiheit diesbezüglich einzuschränken – egal in welcher Beziehung ich selbst zu ihm stehe. Ich räume dieses Recht auch niemandem ein.
Irgendwann, es muß so um 2006 rum gewesen sein, erklärte mir jemand, diese Denke nenne man „polyamor“. Im Unterschied zu „normalen“ offenen Beziehungen, wo sich die Partner extern lediglich sexuelle Kontakte ohne Gefühlsregungen erlauben, wäre es bei den Polys auch okay, wenn sie sich fremdverlieben. Klingt vernünftig, dacht ich, schließlich kann man ja vorher nie wissen, in welche Richtung sich eine Beziehung zu einem Menschen entwickelt und warum sollte ich mich zwingen, präventiv meine Empfindungen zu regulieren und dieser Entwicklung keinen freien Lauf lassen? Er interviewte mich für das Buch, an dem er gerade schrieb (welches heute unter dem Titel „Wenn man mehr als einen liebt“ [Link] zu erwerben ist). Seitdem hat sich das Wort „Polyamorie“ in meine Wade verbissen, es verfolgt mich, wohin ich auch gehe, was ich auch sehe und lese. Scheint gerade irgendwie „in“ zu sein. Ich durfte sogar zweimal in Fernsehsendungen, die im Titel irgendwas mit „Polyamorie“ zu stehen hatten, über meine Beziehung sprechen. Toll!
Allerdings war ich dem Wort „Polyamorie“ gegenüber auch schon immer etwas skepisch und verwendete für mich und meine eigene Situation weiterhin den Begriff „offene Beziehung“. Schließlich lag für mich der Hauptaspekt meiner Überlegungen nicht in der Möglichkeit, mehrere Leute lieben zu dürfen, sondern in der Freiheit und Offenheit Beziehungen, egal welcher Art, zu anderen Menschen zu definieren und auszuleben. Dazu gehört für mich auch ganz klar die Möglichkeit, frei und offen über Beziehungen nachzudenken und nicht gezwungen zu sein, sie in vorgefertigte Schubladen einpassen zu müssen, nicht im Vorfeld entscheiden zu müssen, in welcher Form man eine neue Beziehung gestaltet oder ausleben kann, darf oder muß. „Polyamor“ ist eine Schublade. Der Begriff beschränkt unsere Freiheit, genau wie das Begriffe wie „platonische Freundschaft“, „Single“, „Ehe“, „Swinger“ oder „Affaire“ tun. Und zwar weil wir aufhören, andere Möglichkeiten zu denken und zu leben, weil wir uns auf vermeintliche Übereinkünfte verlassen und dadurch verallgemeinern, wo Differenzierung so viel sinnvoller wäre.
Ich bin einmal mit einer Freundin meines Freundes ziemlich heftig aneinandergeraten deswegen. Sie warf mir vor, darüber gelogen zu haben, polyamor zu sein. Schließlich hätte mein Freund vor ihr nie eine Bettfreundin gehabt, die nicht auch meine Bettfreundin gewesen sei. In polyamoren Beziehungen sei das aber normalerweise so, dass die Partner der Partner nicht zugleich die Partner der Partner seien. (Na mitgekommen?) Im Gegenzug warf ich ihr vor, an diese Sache ziemlich unreflektiert heranzugehen. Schließlich sei völlig unklar, was „normal“ in einem nicht normalen, d.h. nicht dem Mainstreamkonzept entsprechenden Beziehungsmodell überhaupt zu bedeuten hätte.
Genau deshalb war für mich das oberste Gebot in einer offenen Beziehung immer Kommunikation. Gerade über das, was nicht der Norm entspricht, muß gesprochen werden. Ich muß mit meinen Partnern, Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern und allen anderen Menschen, zu denen ich in irgendeiner Beziehung stehe, klären, was ich möchte und was nicht, was mir gefällt und was nicht, was ich mir erhoffe, was ich mir erwarte und wie weit ich mich öffnen möchte oder kann – und zwar nicht allgemeingültig einmal für alle aktuellen und zukünftigen Beziehungen, sondern individuell mit jedem einzelnen Partner und in jeder Entwicklungsphase unserer Beziehung erneut. (Ich glaube auch nicht an Beziehungsstatus, Beziehungen sind nicht statisch.) Sich auf einen Begriff wie „Polyamorie“ festzulegen und davon ausgehen, dass schon jeder dasselbe darunter verstehen wird, ist ebenso geistige Freiheitsberaubung, wie ihn unbedingt definitorisch festzurren zu wollen.
Da genau das im Zuge der Popularisierung des polyamoren Konzepts aber versucht wird, entfremde ich mich dem Begriff immer mehr. Mein Ideal war und ist Offenheit. Ich möchte mich nicht darauf festlegen, komme-was-wolle mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig zu führen oder alle Menschen, die ich vögel, unweigerlich lieben zu müssen. Ich möchte auch nicht alle Menschen, die ich liebe, vögeln müssen oder darauf achten, dass mein Freund und ich nicht dieselben Menschen lieben oder vögeln, nur damit unsere Beziehung der polyamoren Norm entspricht und sich niemand betrogen fühlt. Fuck Polyamory!
Ich bin nicht polyamor – Polyamorie ist bescheuert!
# Update: Vor kurzem hat Oliver Schott, der Autor von „Lob der offenen Beziehung“ [Link], gemeinsam mit Iris Dankemeyer, der Autorin des Konkret-Artikels „Fuck Polyamory!“ [Link], ein Radiogespräch bei DIY-Church (Achtung Augenkrebs!) geführt, das auf Radio23 ausgestrahlt wurde. Das war spannend und kann hier runtergeladen werden: Love is a Battlefield.
März 29th, 2011 13:41
Hmm, ich finde den Begriff auch nur tauglich als Diskussionsgrundlage. Genauso wie „offene Beziehung“ auch nur das sein kann. Oder „Beziehungsanarchie“ (vom schwedischen Relationsanarki, hab ich woanders noch nie gehoert).
Ich glaube, insgesamt sind alle diese Begriffe zu wenig eindeutig definiert, als dass mensch ein fuer alle mal sagen kann „fuck this“. Bei mir loest der Begriff „offene Beziehung“ sich aufstellende Nackenhaare aus, weil den mal jemand gegen mich und meine ausdruecklichen Beduerfnisse benutzt hat. Darunter war in der Vorstellungswelt derjenigen Person zu verstehen, dass man mich ruhig mehrere Monate beluegen kann und ich duerfte mich dann ja nicht beschweren, weil „offene Beziehung“. Manche Menschen sind einfach beknackt. Labels sind immer irgendwie doof, aber auch irgendwie notwendig, um Gefuehlsspektren aufzufangen und Kommunikation zu ermoeglichen.
März 29th, 2011 17:53
Ja, damit hast du sicherlich recht. Wir haben schließlich nur die Sprache und ihre Begriffe, um uns überhaupt zu verständigen und „fuck …“ ist vielleicht etwas rigoros formuliert. Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, das war einerseits, die „Modeerscheinung“ Polyamorie, die mich derzeit anweht, mal infrage zu stellen und andererseits klären, dass „eindeutige Definitionen“ in Sachen Beziehungsfindung m.E. gar nicht wünschenswert sind. Ich möchte einen möglichst offenen, viele Varianten einschließenden Begriff verwenden, eben genau, um mich nicht auf fragwürdige Übereinkünfte festzulegen. Sich im Falle von unkonventionellen Einstellungen auf eine vermeintliche „Norm“ zu verlassen, muß unweigerlich zu Mißverständnissen führen. Und wenn man soetwas vermeiden will, was ja gerade im Falle von Liebes- oder Freundschaftsbeziehungen zur Vermeidung emotionaler Qualen total sinnvoll ist, dann muß man eben darüber reden, wie man bestimmte Dinge versteht und sieht.
März 31st, 2011 15:31
🙂 Wie lustig, dass wir genau denselben „argh“-Faktor bei diesen Begriffen haben.
April 1st, 2011 16:46
Ich bin auch nicht polywhatever, aber auch in monowhatever-Beziehungen ist Kommunikation das oberste Gebot. Man muss immer genug über den anderen wissen, um auf die richtigen und wichtigen Dinge Rücksicht nehmen zu können. Leider habe ich etwas das Gefühl, das gerade Frauen oft von Partnern erwarten, dass dieser schon irgendwie erschnuppert, was denn nun passend wäre. Aber gerade in sowas sind Männer nicht immer so sehr talentiert.
Die Liebe ist immer gleich und doch für jedes Paar (oder jeden n-Tupel, oder wie heißt das dann?) anders.
Also egal wer hier wen in welcher Anzahl liebt, seid lieb zueinander und drückt eure Wünsche aus. 🙂
April 1st, 2011 19:05
Ich gebe dir recht in der Frage der Kommunikation. Aber ich glaube doch, dass die Unfähigkeit, seine Wünsche auszudrücken und die Erwartung, der Partner müsse das doch irgendwie erraten und wenn er’s nicht tu, bin ich pissig… beide Geschlechter gleichermaßen auszeichnet. Mit „Frauen sind so“ und „Männer sind so“ will ich hier in meinem Blog gar nicht erst anfangen.
April 16th, 2011 17:39
„In polyamoren Beziehungen sei das aber normalerweise so“ ist auch einfach Quatsch. Immer wenn ich in US-amerikanische Beziehungs-/Polyblogs reinlese merke ich, dass dort, viel mehr als hier, eher polyfidele (geschlossene) Mehrfachbeziehungen gemeint sind. Die (sich selbst so bezeichnenden) Polys hier in Berlin, die ich kenne, vögeln recht häufig untereinander kreuz und quer, als Abenteuer, Affäre oder weiteren Beziehungsast. So what?
Die Idee hinter dem Begriff „Polyamorie“ finde ich gut, eben weil auch die Offenheit der Gefühle so betont wird – aber das Bewegungshafte, das sich damit verbunden hat, ist anscheinend ein bisschen sehr neokatholisch geworden – inklusive Schismen, Auslegungsdifferenzen und „Ketzer“-Rufen. Schade darum.
April 18th, 2011 10:44
Ich empfinde es auch als Quatsch. Was mich aber alarmiert hat, ist der Umstand, dass es offenbar eine Vorstellung davon zu geben scheint, wie polyamore Beziehungen „für gewöhnlich“ zu funktionieren haben – ganz egal wie diese Vorstellung sich dann konkretisieren läßt. Die Crux daran ist eben, dass man sich auf diesen (Irr-)Glauben verläßt und davon ausgeht, dass es schon bei jedem genauso sein wird. Dadurch beschränkt man sich und Mißverständnisse sind vorprogrammiert, weil zwischenmenschliche Beziehungen eben doch individuell verschieden sind. Nicht mal jede monogame partnerschaftliche Beziehung funktioniert genauso. Ich möchte frei und offen dafür sein, meine zwischenmenschlichen Beziehungen nach ihrem individuellen Wert zu beurteilen. Zumal ich weder mich, noch meine mit mir in Beziehung stehenden Mitmenschen dazu zwingen möchte, Beziehungen nach etablierten Vorstellungen von Beziehung zu formen.
Übrigens habe ich inzwischen einen .mp3-Link von der DIY-Church Sendung gefunden, den ich oben im Artikel mal ergänzen werde.
April 21st, 2011 00:15
Ach weißt du… wenn du doch das mal nicht so theoretisch sehen würdest. Nichts von dem was du schreibst, widerspricht polyamorer Lebenspraxis. Der Witz ist doch der: Es gibt kein allgemein verbindliches normatives Konzept davon, was genau polyamor ist, – eher was es nicht ist: Nämlich heimlich fremdgehen oder immer nur externe Sexbeziehungen ohne Herz haben wollen. Wärst du wirklich in der Polyszene unterwegs (aber da treffe ich dich leider nie) wüsstet genauer, welch große Vielfalt da herrscht, trotz einiger, die sich immer mal wieder Normen oder verbindliche Regeln wünschen. Ach übrigens, nächsten Dienstag ist Polyplausch im Yorck 52 😉
April 21st, 2011 00:17
> Wärst du wirklich in der Polyszene unterwegs
> der Polyszene
> DER Szene
Da fängt es doch schon an. Bei der Annahme, es gäbe *eine* „Poly“szene.
April 21st, 2011 10:18
Felix, einerseits wirfst du mir vor, nie in der Polyszene unterwegs zu sein, d.h. kein Teil davon zu sein. Andererseits sagst du mir, ich wäre ja auch poly, weil meine Vorstellung davon viel zu theoretisch sei. Das widerspricht sich. Wenn ich poly bin, dann hört die Szene nicht bei deinen Kumpels auf, mit denen ich mich nie treffe, sondern schließt mich logischerweise ein, egal, ob ich am Stammtisch sitze oder nicht. Bin ich nicht poly, weil Poly nur einen ganz bestimmten exklusiven Kreis von Leuten einschließt, dann hört die Szene freilich bei mir auf, egal ob ich am Stammtisch sitze oder nicht. Oder definiert sich Polyamorie doch darüber, ob man am Stammtisch sitzt oder nicht? Der Grund, weshalb ich nicht am Stammtisch sitze, ist kein theoretischer. Ich brauche keine Gruppe, die mir ein Gefühl der Zugehörigkeit und Bestätigung gibt, wenn ich mich ihrer Idee von Identität verschreibe. Ich habe auch ohne Sitzkreis mit Ringelpitz und Anfassen eine Vorstellung von dem, der ich bin und dem, was ich für richtig und falsch halte.
Sicherlich ist meine Aussage „Polyamorie ist bescheuert“ eine Polemik, aber der springende Punkt ist doch, dass es um Identitäts-Fragen geht. Mit wem oder was will ich mich identifizieren? Offenbar nicht mit „DER Polyszene“, die sich als geschlossene Gruppe versteht. Mir geht es aber gegen den Strich, etwas, das ich für so profond heterogen halte, als etwas homogenes betrachten zu müssen. Und mir geht gegen den Strich, wenn mich andere aufgrund der Benutzung des Wortes „polyamor“ für homogen zugehörig halten und sich dementsprechend gedanklich vor meiner Idee von Heterogenität verschließen. Das ist mir nicht in der Theorie auf die Füße gefallen, sondern in der Praxis.
Und mal ganz abgesehen davon, habe ich auch an herzlosem Rumgebumse außerhalb der Beziehung überhaupt nichts auszusetzen. Und ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand gar keine Außenbeziehungen pflegt. Ich habe lediglich etwas gegen Verbote, gegen Lug und Betrug und gegen vorgefertigte Beziehungsschubladen, in die man mich reinzupressen versucht, weil man nicht frei denken, die Beziehung zu mir nicht individuell bewerten kann.
April 22nd, 2011 09:32
LeV, nein. Ich meine nicht, dass du poly wärst, weil deine Vorstellung davon zu theoretisch wäre (solchen Unsinn denke nicht mal) sondern was du lebst (soweit ich das einschätzen kann) ist für mich Polyamorie im besten Sinne. Insofern ist die polemische Abrenzung davon nicht ganz nachvollziehbar und wird mir nur dann verständlich, wenn ich sie mir mit deiner Szene-Abstinenz erkläre. Unter „Szene“ verstehe ich: Menschen, die eine bestimmte Einstellung / Vorliebe teilen und sich gelegentlich an bestimmten Orten treffen, um dort Gleichgesinnte zu treffen oder kennen zu lernen. Das wiederum ist in Poly-Kontext ganz vielfältig, von Fundis bis Realos ist da alles vertreten, ohne dass es in Prinzipienstreits ausartet 😉 Gerade die sog. Polys sind sich der Vielschichtigkeit des Themas bewusst.
Ich habe den Verdacht, dass du einfach ein Vor-Urteil pflegst.
April 22nd, 2011 14:17
Na ja, das ist die Frage, ob ich Polyamorie im besten Sinne lebe, das kommt ja wieder auf die Definition an. Den Großteil meiner Bettgefährten liebe ich nicht, auch wenn ich mich und meinen Partner keinem Zwang unterwerfe, es nicht zu tun.
Ich bin allenfalls insofern Teil der Szene, als dass ich gewisse Einstellungen teile – nämlich die, dass der Zwang zu Exklusivität in einer Paarbeziehung amoralisch ist. Es hört aber schon da auf, wo jemand festlegen möchten, in welcher Form man sich diesem Zwang am besten zu entziehen hat. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass sexuelle Beziehungen zu Dritten auch immer möglichst von „wahrer Liebe“ geprägt sein sollten. Ich denke aber, dass es genauso bescheuert ist, sich zwanghaft gegen Liebe in Außenbeziehungen zu wehren oder überhaupt zwanghaft Außenbeziehungen einzugehen, nur um nicht monogam zu wirken.
Trotzdem verspüre ich, im Gegensatz zu den Menschen, die du „Szene“ nennst, überhaupt kein besonderes Bedürfnis, keine Motivation, keinen Drang, mich ausgerechnet mit Leuten zu umgeben, die sich für polyamor halten. Warum sollte ich das tun, was zeichnet diese Menschen vor allen anderen aus? Es ist ja überhaupt nicht gesagt, dass diese Leute sich allein durch ihr Bekenntnis zur Polyamorie in besonderer Weise für Beziehungen (gleich welcher Natur) mit mir eignen. Warum sollte ich mich nicht genauso gut mit jedem anderen Menschen verstehen und unterhalten können?
Nein, dass ich Polyamorie in meiner Beziehung erlaube, heißt noch lange nicht, dass ich sie auf Teufel-komm-raus erzwingen müßte oder dass ich mich nur noch mit Leuten umgeben wollte oder nur noch in der Umgebung von Leuten wohl fühlte, die sich für polyamor halten. Ich bemesse der Polyamorie einfach nicht solch hohen Stellenwert bei – insofern bin ich auch kein Teil der Szene, die das tut. Ich möchte auch kein Teil dieser Szene sein, weil ich dieses Verhalten als zwanghaft, gewollt, gestelzt und künstlich aufgebauscht empfinde. Das nimmt schon fast religiöse Züge an. (Übrigens zeigt das auch dein Bemühen, mich unbedingt davon überzeugen zu müssen, mal bei einem Polystammtisch anwesend zu sein – empfinde ich als missionarisch.) In diesem Punkt kann ich mich absolut nicht mit „DER Poly-Szene“ identifizieren.
April 22nd, 2011 17:02
Niemand soll sich zu etwas zwingen, dann wäre es weder Liebe noch Poly-Liebe. Ich will dich auch gar nicht zu irgendwas überreden, aber in deinem Denken scheint ein Bild von der „Szene“ zu existieren, das nicht meiner Erfahrung als einem sehr unterschiedliches Gefüge von unterschiedlichen Menschen mit sehr eigenen Auffassungen von anngemessen oder unangemssen ist. Es fühlt sich sehr frei, ehrlich und authentisch an. Das einzig Gemeinsame ist die Art der offenen Kommunikation und die Auffassung, dass man mehr als einen Menschen lieben darf. Da ist nichts Zwanghaftes oder „Gewolltes“ nach dem Motto: „Muss ich dies oder darf ich das und bin ich dann noch richtig poly?“. Sowas existiert gelegentlich im Joyforum oder in deiner Vorstellung, aber nicht real. Szene ist in diesem Sinne auch sehr fließend – es gibt einen „harten Kern“ und viele, die einmal, manchmal oder öfter kommen.
April 22nd, 2011 17:06
Ergänzend wollte ich noch anmerken, dass viele polyamor leben, und erst später bemerkt haben, dass es den Begriff überhaupt gibt und ihn jetzt nur adaptieren, weil er für sie die Verständigung erleichtert. Völlig unabhängig von jeder „Szene-Zugehörigkeits-Frage“.
April 22nd, 2011 20:18
Ich bin ja, wie du weißt, selbst jemand, der eine Überzeugung hatte, ohne den Begriff „Polyamorie“ zu kennen. Den Begriff kenne ich von dir!
> Sowas existiert gelegentlich […] in deiner Vorstellung
Ich hatte mit dem Begriff eine Weile lang kein Problem, hab mich ja auch zu einem Interview in deinem Buch und zu Fernsehsendungen bereit erklärt. Aber dann kam der Vorwurf, ich wäre gar nicht richtig poly – nicht in meiner Vorstellung, sondern in der realen Welt. Mich hat das stutzig gemacht, ich habe mich mißverstanden und diskriminiert gefühlt und irgendwann ist mir aufgegangen, warum ich den Begriff nie so richtig für mich adaptiert habe. Mir ist aufgegangen, dass diejenige, die mir das vorwarf, völlig Recht hatte, ohne dasselbe damit zu meinen wie ich.
„Polyamorie“ öffnet eine Schublade, wo meine Idee von allen Schubladen weg möchte. Er fingiert Einheitlichkeit, wo für mich Vielheit der Kern ist. Er legt den Schwerpunkt auf Liebe, wo ich den Schwerpunkt auf Offenheit lege. Er führt zu ganz realen Mißverständnissen, weil Leute, die denselben Begriff gebrauchen, nicht unbedingt davon ausgehen, dass ihre Ideen vielleicht sehr unterschiedlich sind.
Ich verbiete ja niemandem, den Begriff zu adaptieren, sich mit ihm zu identifizieren und wohl zu fühlen, sich unter seinesgleichen zu begeben oder was auch immer. Ich fühle mich aber momentan sehr unwohl mit ihm, unwohler als noch vor bspw. 4 Jahren, als ich ihn zum ersten Mal hörte. Und das tue ich unabhängig von irgendwelchen Vorurteilen gegenüber irgendeiner Szene (die ich übrigens gegen alle möglichen Szenen habe, weil ich generell ein Problem mit „Szenen“ habe, aber das ist ein anderes Thema) einfach weil ich den Begriff „polyamor“ für meine Idee unpassend finde, weil ich mich nicht mit ihm identifizieren kann.
Dennoch bin ich der Meinung, dass meine Idee Wert und in jedem Falle ein Existenzrecht hat, dass sie nicht abgewertet gehört, auch wenn ich nicht das Wort „polyamor“ zur Beschreibung verwende.
April 23rd, 2011 19:36
Ich bring es mal auf vier Worte, LeV:
Du hast vollkommen recht.
Ganz meine Erfahrungen, ganz meine Worte. Danke für’s aussprechen!
April 23rd, 2011 20:53
Wenn Polyamorie nicht in irgendwelchen Schubladen landen soll, dann kann das Unendlichzeichen im oft verwendeten Logo nur bedeuten, dass jede vorstellbare Form von erfüllenden Beziehungen toleriert wird. Die jeweils beteiligten entscheiden selber, was für sie richtig ist und nicht die vermeindlichen Definitionen Neunmalkluger.
Für mich sind auch die klassische Einerbeziehung und das Singlesein Teil des polyamoren Kosmos. Selbstverständlich wäre es schön, von allen Seiten Respekt und Anerkennung für jegliches zufriedenmachende Beziehungsgeflecht zu erhalten. Polyamorie ist Mist, wenn die Möglichkeiten hierzu per Definition eingeschränkt sind.
Nieder mit den Polyamorie-Definitionen! Es lebe die Polyamorie und die Achtung vor den Menschen!
LG
Ralf
April 23rd, 2011 22:54
polyamorie ist bescheuert?
LeV du verwehrst dich, für mich berechtigt, gegen schubladisieren
der begriff offene beziehung ist für mich pers. jedoch eher eine schublade wie polyamorie, welche schon im emblem durch die liegende acht (unendlichkeit) sehr vieles offenlässt.
wohingegen eine offene bezihung seit jahrzehnten in den kopfen als lediglich; auf sex ausserhalb der beziehung, sich eingenistet hat
für liebe ob mit oder ohne sex ist darin kein platz, dafür sie die begriffschublade offene bezihung landläufig schlicht zu eng.
für mich hat polyamorie keine feste regel nach dem motto tu das und dies dann bist du es
ich entscheide frei wen ich wie liebe, es lässt für mich auf offen das ich sex mit partnern habe die ich nicht liebe sondern wo nur der sex die verbindung ist, etc (einiges davon hast du ja bereits beschrieben)
dies alles finde ich für mich im begriff polyamorie und nicht im begriff offene bezihung wo mich die umwelt lediglich auf sex ausserhalb einer bezihung reduziert.
zu szene: auch so ne sache, für polyamorie benötige ich auch keine szene und wie du keinen stammtisch, ich würde mich dort (erfahrungsgemäss) unwohl und eher deplatziert fühlen, den ich brauch keine moderierten kreise zum diskutieren, ich bin erwachsen genug das ich mich in diskussionen ohne anstandswauwau zu benehmen und zu artikulieren weiss das allein für mich schon etwas das mich vor den meisten stammtischen fernhält.
des weiteren mag ich kontakte zu leuten und nicht nur zu einer bezihungsform
offenheit wie du schreibst ist in der tat das kernwort
das finde ich für mich in der bezeichnung polyamorie eher, da offene beziehung für mich pers. wirklich zu sehr einschränkt
lg anaid
April 23rd, 2011 23:00
anaid: Für mich ist die Einschränkung der Begrifflichkeiten grade umgekehrt: Polyamorie impliziert grade dass es immer „mit Gefühl“ sein soll, „Offene Beziehungen“ können wirklich alles umfassen, für Spezifika muss man eben im Einzelfall nachfragen bzw. aushandeln.
Felix: Also für mich ist eine Szene das, wo man komisch angekuckt wird wenn man nicht zu den üblichen Treffen erscheint. Ganz nebenbei besucht mit ziemlicher Sicherheit die große Mehrheit derer, die in Berlin in offenen Beziehungen, polyamor oder sonstwie nichtmonogam leben euren Stammtisch nicht. Die Mehrheit derer, die ich kenne, tut es jedenfalls nicht.
April 23rd, 2011 23:05
Ich bin doch positiv überrascht, über so viel Zuspruch aus der Polygruppe im Joyclub [Link]. Klar, es gibt zahlreiche Vorstellungen davon, was Polyamorie wirklich ist und da soll sich mal jeder so seine Gedanken machen dürfen. Ich glaube aber auch, dass ich nicht die Einzige bin, die ihr Denken, Fühlen und Handeln nicht den wie auch immer gearteten Erwartungenshaltungen anderer anpassen möchte – lieber entledige ich mich dieses Begriffs, um da freies, unverbrauchtes Herangehen zu ermöglichen. Und wenn auch „offene Beziehung“ als Begriff zu viel Ballast hat, dann bleibt noch „Beziehung ohne Exklusivitätszwang“. Das ist vielleicht so der neutralste und unverbrauchteste Nenner, auf den man es bringen könnte. Wichtiger, als einen Begriff zu finden, den alle genauso verstehen, wie er sich für mich anfühlt (das halte ich für nahezu unmöglich), ist es mir aber, im Fall der Fälle einen unvoreingenommenen Kommunikationskanal zu eröffnen.
April 23rd, 2011 23:24
Dem widerspreche ich, anaid:
Wo steht denn geschrieben, dass eine Offene Beziehung lediglich gefühlosen Sex zulässt? Ich kann es Dir sagen: Ausschließlich in Polyamorie-Foren!Sogar die Defintion der Offenen Beziehung auf Wikipedia wurde von bekennenden, ja sogar in Verbänden organisierten Polyamoristen geschrieben…
Die gängige Begrifflichkeit der Polyamorie versucht ja geradezu, ein Monopol auszusprechen auf die Liebe und im gleichen Atemzug die Offene Beziehung als seelenloses Konstrukt zu diffamieren – und schon sind die beiden Schubladen für die Polyamoristen geschaffen.
Eine Offene beziehung zeichnet sich nur durch eine Defintion aus: Sie geht über die Grenzen der geschlossenen Beziehung hinaus und ist darüber hinaus ausschließlich durch den Konsens der Beteiligten begrenzt. Diese kann sehr wohl Gefühle zu Dritten, ja sogar Liebe beinhalten! Die Grenze zur Polyamorie sehe ich eigentlich nur in einem Punkt: Die polyamoren Theorie pocht auf die Gleichberechtigung aller Beziehungen im Netzwerk. Die offene Beziehung nicht. Sie kennt den menschlichen Begriff des Arrangements im Gegensatz zur idealisierten Verordnung.
Und genau das macht die Polyamorie, wie sie auf diversen Stammtischen, in Verbänden (!) und explizit auch hier in diesem Forum ‚verordnet‘ wird zu einem „Gebilde“, welche so manche Beziehungsform voller Gefühle wie Leidenschaft, Hingabe, ja explizit auch Liebe schlicht ausgrenzt.
April 23rd, 2011 23:57
Ich kann den Eingangstext irgendwie nicht nachvollziehen.
Ich lebe seit ca. 10 Jahren zunehmend polyamor, es ist in unserer Ehe allmählich gewachsen, ohne dass wir einen Begriff dafür hatten. Jetzt bin ich froh, dass ich einen Namen dafür habe.
Aber Polyamory ist doch kein Zwang zu irgend etwas. Es gibt doch keinen Zwang, mehrere lieben zu müssen oder mit diesen dann auch Sex haben zu müssen oder nur mit denen Sex haben zu dürfen, die man auch liebt usw.
Genau so wenig, wie ich die Geliebten meiner Geliebten auch mögen oder gar lieben muss (wobei es sicherlich von Vorteil ist, wenn sie einem auch sympatisch sind ).
Polyamory heißt für mich nicht, Sex mit mehreren haben zu dürfen. Es heißt, mehr als nur einen Partner lieben zu dürfen. Ob ich dann mit diesen auch Sex habe, ist doch nebensächlich (natürlich darf ich, wenn ich und er/sie es denn möchte). Und natürlich darf ich auch Sex mit anderen Menschen als mit meiner/meinen Partnerin(nen) haben. Ich darf alles, was im gegenseitigen Einvernehmen möglich ist – das ist für mich Polyamory. Würde ich gegen das Einvernehmen einer anderen Person handeln (von extremen Ausnahmesituationen mal abgesehen), dann würde ich diese Person wohl nicht lieben – oder?
Letztlich ist für mich Polyamory nichts anderes als die Quintessenz selbständiger, gleichberechtigter, souveräner Menschen in einer Partnerschaft (die auch durchaus aus mehr als 2 Personen bestehen kann) – also alles, was eine exclusive, auf 2 Personen begrenzte, meist von wechselseitiger Abhängigkeit geprägte monoamore Beziehung nicht ist. Wenn das eine Schublade ist, dann ist es eine seeeeehr große 😉
April 24th, 2011 02:41
@matthiasr
„Ganz nebenbei besucht mit ziemlicher Sicherheit die große Mehrheit derer, die in Berlin in offenen Beziehungen, polyamor oder sonstwie nichtmonogam leben euren Stammtisch nicht. Die Mehrheit derer, die ich kenne, tut es jedenfalls nicht.“
Na ein Glück! Wo sollten wir mit den vielen Menschen auch hin? Es ist auch kein Stammtisch, sondern eher eine Gesprächsrunde von erstaunlicher Offenheit. Daneben gibts den Polyplausch im Yorck52, das ist eher winzig 😉
Dafür gibts dann Ende Juni wieder eine große Party im M33.
April 24th, 2011 11:22
Die Kommentare, die hier mit „Aber Polyamorie ist doch…“ anfangen und dann aufzählen, was sie darunter alles grenzenloses Verstehen, haben meinen Kritikpunkt nicht verstanden. Es geht nicht darum, dass ich oder meine Mitmenschen, von der einen wahren Interpretation von Polyamorie überzeugt werden müßten und dann ist schon alles wieder gut. Es geht darum, dass es die eine, wahre Interpretation von Polyamorie nicht gibt und dass ich das eigentlich sogar ganz gut finde.
Was ich schlecht finde, ist, dass viele Leute, die sich dieses Wortes bedienen (auch die, die behaupten „Aber Polyamorie ist doch…“), sich dessen gar nicht bewußt sind. Woher wollen sie denn wissen, dass ihre Vorstellung von dem, was Polyamorie bedeutet, die eine wahre ist? Und was bringt ihnen diese Überzeugung, wenn es dann doch an jeder Ecke zu Mißverständnissen kommt? Finden sie es richtig, sich hinzustellen und der Welt zu erklären, was sie gefälligst unter Polyamorie zu verstehen hat?
Nein, das Einzige, von dem ich mit reiflicher Überzeugung behaupten würde, dass ich es weiß und dass ich es auch besser weiß als jeder andere, ist die Antwort auf die Frage, wie, auf welcher ethischen Grundlage, ich meine Beziehungen führen möchte. Ich finde, das sollte die Ausgangsbasis für jede Kommunikation sein und nicht irgendein Wort, bei dem sowieso völlig unklar ist, ob mein Gegenüber dasselbe darunter versteht wie ich.
@Felix: Was hältst du denn davon, für Interessierte einfach deine Kontaktdaten dazulassen? Dann mußt du nicht in jedem Kommentar erneut auf deine Veranstaltungen hinweisen. Ist ja hier keine Dauerwerbesendung hier.
April 24th, 2011 16:14
@LeV:
Eine generelle Definition von Polyamory kann in meinen Augen nie einschränkend sein, sondern höchstens abgrenzend zu dem, was Polyamory definitiv nicht ist: erzwungene Monoamory.
Der Titel „Polyamory ist bescheuert“ mag provokant gewählt sein, aber er ist beleidigend für alle, die polyamor fühlen und leben, aber es nicht gleichzeitig zum Dogma erheben. Und die meisten Polya, die ich kenne, gehen sehr tolerant und überhaupt nicht elitär mit ihrer Lebens- und Liebesphilosophie um.
Doch warum sollte es bei Poly anders sein als mit so vielen Strömungen, Ansichten, Auffassungen – es finden sich immer Leute, die es instrumentalisieren und damit in ein Korsett zwängen. Bei Polyamory finde ich das besonders traurig, weil Polyamory im Grunde genau für das Gegenteil steht – für Offenheit, Selbstbestimmung, Toleranz und Freiheit.
April 24th, 2011 17:28
@Sorbas42:
> Der Titel “Polyamory ist bescheuert” […] ist beleidigend für alle, die polyamor fühlen und leben […].
Das meine ich nicht. In dem Satz „Polyamorie ist bescheuert“ ist Polyamorie eine Metonymie, was im Kontext des Artikels auch deutlich wird. Das Wort steht stellvertretend für den negativen Ballast, den ich mit ihm verbinde – nämlich den Drang zum Dogma, wie du es nennst. Jedem undogmatisch polyamor lebenden Menschen sollte aus dem Kontext des Artikels klar werden, dass ich hier nicht polyamore Lebenskonzepte kritisiere, sondern den Umgang mit einem Begriff problematisiere. Wer sich allein deshalb angegriffen fühlt, weil ich mit meiner Polemik seinem Wunsch nach Unantastbarkeit des Begriffes nicht entspreche, der tut dies vielleicht zu Recht, weil er sich selbst schon in besagtem Dogmatisierungsprozess befindet.
April 24th, 2011 18:49
Hi,
Polyamory als Minimalvorgabe für das, was ich leben darf, ist unnötig einschränkend.
Als Maximalbeschreibung dessen, bis wohin ich mitgehen möchte, ok – einfach lieben und Liebe sein lassen dürfen, was sie in der Situation in mit diesem Menschen eben ist.
Dennoch: Liebe ist ein Kind der Freiheit, aber Freiheit ist nicht immer ein Kind der Liebe. Das will ich bei allem berücksichtigen, denn meine Beziehungen sind mir lieb und wert – ebenso wie die Beziehung zu mir.
Tom
April 24th, 2011 19:00
@ LeV: „In dem Satz “Polyamorie ist bescheuert” ist Polyamorie eine Metonymie, was im Kontext des Artikels auch deutlich wird. Das Wort steht stellvertretend für den negativen Ballast, den ich mit ihm verbinde – nämlich den Drang zum Dogma, wie du es nennst.“
Das habe ich so nicht verstanden. Denn es unterstellt eben auch (für mich wohlgemerkt), dass Menschen, die diesen Begriff, in welchem Verständnis auch immer, für sich verwenden zum Dogmatismus neigten. Dies wiederum musste ich als pauschale Annahme bestreiten, da es so nicht der Realität entspricht.
April 24th, 2011 21:03
Ich unterstelle nicht jedem, der dieses Wort für sich verwendet, Dogmatismus und nehme das auch nicht pauschal an. (Begriffserklärung „Metonymie“ bei Wikipedia [Link]!) Sondern ich beobachte mit Sorge eine steigende Tendenz, die im Falle zwischenmenschlicher Beziehungsknüpfung nötige individuelle und unvoreingenommene Auseinandersetzung über konkrete Inhalte mit dem Verweis auf einen populärer werdenden Begriff zu ersetzen und zu glauben, damit wäre alles gesagt.
April 25th, 2011 14:19
Wo beobachtest du denn die steigende Tendenz?
Irgendwie muss man sich ja verständigen. Mit „ich bin polymamor“ ist so wenig gesagt, dass garantiert eine Nachfrage nach der Bedeutung für den Betreffenden kommt oder für die Folgen weiteren Kontakts kommt.
Triffst du dauernd Leute, die den Begriff ohne weitere Erläuterungen einfach so in den Raum stellen?
April 25th, 2011 15:15
Das merke ich an einer Vielzahl kleinerer Aspekte, die sich bei mir zu einem unguten Gefühl aufsummieren. Nicht alle lassen sich anhand konkreter Beispiele schildern. Aber da sind z.B. zunehmend Zeitungsartikel mit dem Thema „so geht polyamor“. Da sind praktische Polyamorie-Ratgeber im Buchhandel. Da sind Leute, die sich Buttons mit dem Poly-Symbol anstecken, alle vier Wochen ihre „Hauptbeziehung“ wechseln und behaupten: Hey, ich bin eben poly. Da war dieses Erlebnis „normalerweise ist es in polyamoren Beziehungen aber so und so“ und da sind Leute, die ihre Krallen ausfahren, sobald ich auch nur den Begriff Polyamorie infrage stelle. Ich treffe auch eine Menge Leute, auf die die Definition poly vermutlich zutreffen würde, auch wenn ich sie nicht dezidiert unter der Maßgabe treffe, dass sie Polys sind. Oftmals sind aber gerade jene, die sich ganz dick „Polyamorie“ auf die Fahne schreiben, die unsympathischeren Zeitgenossen.
All das reicht mir als Grund, mich nicht länger mit dem Begriff identifizieren zu wollen. Ich verfolgte ein Beziehungskonzept, bevor ich den Begriff kannte und ich kann es weiterhin sehr gut auch ohne den Begriff verfolgen. Das einzige Argument, das m.E. gegen die Nicht-Benutzung des Begriffs greifen würde, wäre jenes, dass man dann kein poppiges Schlagwort mehr hätte, unter dem man sich als Anhänger eines allübergreifenden Gemeinschaftsgedankens gruppieren könnte. Darum täte es mir persönlich aber nicht leid. Ich verbiete niemandem, den Begriff „Polyamorie“ zu benutzen oder sich wohl mit ihm zu fühlen. Ich tue es nicht mehr und das lasse ich mir auch nicht von überzeugten Poly-Jüngern madig machen. Ich bin nicht poly und je öfter einer mit dem Fuß aufstampft und sagt, „Bist du aber wohl, schließlich ist poly…“, desto weniger will ich es sein, weil ich genau dieses Aufstülpen, Einverleiben, Gleichmachen nicht ausstehen kann. Ich will kein Teil der Polygruppe oder Polyszene sein. Macht, was ihr wollt, aber laßt mich damit in Ruhe!
April 28th, 2011 01:11
Danke – jenseits der nun schon langen, nimmermüden Diskussion – für Dein erfrischenden Text! Er hat mich – hat uns *lacht* – sehr erfreut.
August 29th, 2011 22:12
Ein sehr nachvollziehbarer Artikel, ähnlich wie Schotts „Lob der offenen Beziehungen“. Ich denke, ich möchte ähnlich leben wie du und ich teile auch deine Abneigung gegen jedeweden Versuch, Polyamorie durchzunormieren (selbst wenn du diesen Begriff selbst nicht mehr nutzt), beispielsweise „lieblosen Sex“ zu tabuisieren, und verstehe auch, was ganz allgemein dafür spricht, von offenen Beziehungen zu reden und nicht von Polyamorie. Auch wenn ich ähnlich wie Felix (?) die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten sich als polyamor verstehenden Menschen deine Auffassungen diesbezüglich durchaus teilen, kann ich der von dir vertretenen Argumentation im Grunde nichts entgegensetzen.
Was mich dennoch davon abhält, nicht mehr von Polyamorie zu reden, dürfte vor allem Opportunismus sein. Es ist ein Weg, sich bessere Begriffe auszudenken wie es der der „offenen Beziehung“ meiner Meinung nach auch tatsächlich ist. Der andere (und mein) Weg ist der, den Begriff „Polyamorie“ selbst mit einer Bedeutung aufzuladen und damit allen Bestrebungen, die ihn zu eng fassen wollen, entgegenzuwirken. Dafür spricht meiner Meinung nach, dass der Begriff momentan einen ziemlichen Aufschwung erfährt und darüber sehr viele Menschen erstmals mit nicht-monogamen Beziehungsformen in Berührung kommen, man über „Polyamorie“ Menschen also eher erreichen kann als über „offen Beziehung“.
Und letztlich bleibt ja am wichtigsten, dass sie mit den Inhalten überhaupt erstmal in Berührung kommen (können), unabhängig davon, unter welchem Begriff man diese zusammenfasst. Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, Kritik am Polyamorie-Begriff zu äußern, gerade wo er zu eng gefasst wird, vielleicht auch andere Begriffe wie „offene Beziehung“ zu nutzen, und (!) gleichzeitig ihn weiterhin selbst mit Bedeutung zu versehen, ihn also kritisch zu nutzen und immer mit einer Reflektion auf das, wofür andere ihn gebrauchen könnten, wofür er in den Augen anderer stehen könnte, wenn man ihn nicht selbst erklärt.
Wie dem auch sei, ich stimme dir inhaltlich ja zu, finde deinen Artikel gut und wichtig, denn eine solche Kritik ist unabdingbar. Danke dafür.
August 31st, 2011 09:56
Ja, die Variante, einen Begriff mit Stolz so für sich zu nutzen, bis er sinnvoll eingesetzt werden kann, kenne und unterstütze ich auch. Allerdings kenne ich das eher von Begriffen, die allgemein negativ konnotiert sind, bspw. Wörter wie Schwuchtel, Schlampe und Hure. Man sagt einfach: Ja, das bin ich. Hast du ein Problem damit? Gegen Polyamorie gibt es an sich keine negativen Vorurteile. Das Standardargument gegen offene Beziehung ist ja immer das vom lieblosen Sex und man wüßte ja gar nicht, was es bedeutet, wirklich zu lieben, etc. Das kann man gegen Polyamorie nicht bringen, weil die Liebe ja im Begriff selbst Beachtung findet. Aber gerade gegen dieses Vorurteil habe ich auch was. Da erstens, wie du selbst schreibst, „liebloser“ Sex durchaus seine Berechtigung hat und zweitens ja gar nicht im Vorfeld festgelegt ist, wer wie intensiv geliebt werden darf und wer nicht. Ich habe nichts dagegen, dass Leute den Begriff Polyamorie für sich verwenden, vielleicht auch gerade mit dem Hintergedanken, dass er gerade populär wird und damit Außenstehenden erstmals relativ vorurteilsfreien Zugang zu alternativen Partnerschaftskonzepten liefert. Ob das Konzept aufgehen wird, kann man im Vorfeld nie sagen, weshalb es aber auch blödsinnig wäre, es nicht trotzdem zu probieren. Ich denke, da muß jeder für sich eine Lösung finden. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen Sprache und Denken liefert jedenfalls für beide Vorgehensweisen ausreichend Argumente.
September 10th, 2011 19:33
Nun, nur wenige Diskussionen später will ich mich korrigieren. Vielleicht besteht gerade jetzt, da Polyamorie populärer zu werden scheint, die Notwendigkeit einer deutlichen Kritik an bestimmten Tendenzen. Und vielleicht äußert sich diese Kritik am sinnvollsten in einer alternativen, besser geeigneten Begrifflichkeit. Und vielleicht kann die Diskussion darum auch gerade jetzt noch recht gut geführt werden, da der Begriff „Polyamorie“ noch nicht selbstverständlich verwendet werden kann und deshalb immer Raum lässt, seine Inhalte zu diskutieren und zu kritisieren. Ich weiß es wirklich nicht, aber vielleicht wäre es in einiger Zeit tatsächlich schwieriger, den Begriff „offene Beziehungen“ umzudefinieren, weshalb es gut ist, schon jetzt damit anzufangen.
Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Aber daran, dass es für mich schlicht einfach sinnvoller ist, von offenen Beziehungen zu sprechen und nicht von Polyamorie, komme ich auf Dauer ja doch nicht vorbei. Denn egal, wie weit ich „Polyamorie“ selbst auch fasse; der Begriff bleibt schon an sich anfällig für Einschränkungen normativer und allzu romantischer Art.
Also kann ich auch jetzt damit anfangen, ihn nicht mehr zu verwenden, wenn doch absehbar ist, dass ich mich weiterhin von ihm entfremden werde. Zumal die Chancen, „offene Beziehungen“ umzudefinieren, (gerade nach Oliver Schotts doch halbwegs breit rezensierten Buch) ja da sind.
September 12th, 2011 09:22
Ich bin nach wie vor dafür, dass jeder für sich entscheiden muß, mit welchem Begriff er sich identifiziert und wie er diesen Begriff belegt. Ich habe in letzter Zeit oft das Gefühl, dass Polyamorie mit Liebeszwang assoziiert wird, d.h. eine rein sexuelle Beziehung entwertet wird, weil sie nicht zugleich auf Liebe basiert. Das finde ich bescheuert, denn Sex ist auch für sich genommen etwas sehr Schönes.
Ich weise an dieser Stelle auch noch auf eine Diskussions-Veranstaltung am kommenden Donnerstag hin: Ich liebe doch alle Menschen. Oliver Schott und Magnus Klaue diskutieren über Polyamorie. Ich weiß noch nicht, ob ich da sein kann, aber es wird sicherlich ein vergnügliches Wortgemetzel!
September 12th, 2011 12:13
Ich weiß nicht, in wie fern ein Verweis darauf, dass Polyamory die Liebe zu mehreren gleichzeitig bedeutet und nicht sexuelle Beziehungen (ohne tief empfundene Liebe dahinter), die rein sexuellen Beziehungen abwertet. 😮
Aber neben seiner Liebesbeziehung noch eine (oder auch mehrere) rein sexuelle Beziehung(en) hat eben nichts mit Polyamory zu tun, weil dafür eine entscheidende „Komponente“ fehlt: Liebe. Deswegen ist so eine Affaire nicht weniger wert – es ist nur eben etwas Anderes.
Ich kann nachvollziehen, dass sich viele polyamore Menschen hier gern abgrenzen, denn der Begriff der Polyamory wird mit zunehmender „Popularität“ auch immer mehr für mehrfache rein sexuell motivierte Beziehungen benutzt. Ich bin (noch?) froh, mit „Polyamory“ sehr schnell und einfach eine Art zu denken, zu fühlen und zu leben beschreiben zu können. Was mache ich, wenn Polyamory zum Synonym für Promiskuität wird – selbst (und vielleicht gerade) wenn ich beides mag und lebe.
September 12th, 2011 14:03
@LeV
Danke für den Veranstaltungshinweis; das hatte ich schon wieder völlig aus den Augen verloren.
@Maxx
Für mich stellt sich lediglich die Frage, warum ich mich zu einem Konzept bekennen sollte, das grundsätzlich nur einen Teil meiner (möglichen und tatsächlichen) zwischenmenschlichen Beziehungen einschließt, einen anderen Teil explizit nicht meint. Die Art, wie ich lebe und leben will, ist daher treffender mit „offenen Beziehungen“ beschrieben, weil der Begriff tatsächlich alles miteinschließt.
Wenn Polyamorie an sich explizit keine rein sexuellen Beziehungen umfasst, wird meiner Meinung nach dadurch auch automatisch angezeigt, dass an jenen irgendetwas verwerflich sein müsse. Und das schwingt meiner Meinung nach immer mit; ganz egal, ob man rein sexuelle Beziehungen tatsächlich verwerflich findet oder man sich, wie wohl in den meisten Fällen, einfach weitmöglichst von einer negativ konnotierten Promiskuität abgrenzen will. Wenn ich davon spreche, „polyamor“ zu leben, das also mein Oberbegriff ist, ich damit aber lediglich liebevolle Beziehungen meine und keine rein sexuellen, so ist die Wertung, denke ich, ganz automatisch gegeben.
September 12th, 2011 14:49
@Maxx:
Nein, nicht Polyamorie wertet rein sexuelle Beziehungen ab, sondern Menschen, die dem Glauben anhängen, dass nur Beziehungen, die auf Liebe basieren, von irgendeinem Wert sein könnten. Ich habe erfahren, dass dieser Gedanke von vielen, die sich als polyamor bezeichnen, mit ihrem Beziehungsmodell assoziiert wird. Auch bei dir erkenne ich diese Tendenz.
Du sagst, es hätte nichts mit Polyamorie zu tun, nebenher Beziehungen ohne Liebe zu führen. Das halte ich insofern für Unsinn, als das Bekenntnis zur Polyamorie für mich weniger mit meinem aktuellen Beziehungsstatus zu tun hat, als mehr mit meiner Offenheit dafür, dass eine Außenbeziehung auch auf emotionalen Grundlagen basieren darf, wenn sie möchte. Ich bin nicht der Meinung, dass sie zwanghaft auf Liebe basieren muß. Denn warum sollte sie, wenn sie dafür nicht tauglich erscheint?
Ich verbiete es weder mir, noch meinem Partner, meine Außenbeziehungen zu mögen oder sogar zu lieben. Polyamorie bedeutet für mich: Liebe ist erlaubt. Für viele andere bedeutet es: Wenn du nicht mind. 2 Liebesbeziehungen führst, bist du nicht polyamor. Ich inkludiere, während viele exkludieren und das ist der Aspekt, der mich neuerings anweht, wenn ich von Polyamorie reden höre, und der mich sehr abschreckt.
Denn Menschen, die sich zur Liebe eignen, begegnen mir weitaus seltener als Menschen, die sich zur eher lockeren Bettfreundschaft eignen. Zumal auch Bettfreundschaft nicht gleich Bettfreundschaft ist. Die Grade an emotionaler und intellektueller Nähe zu einem Bettfreund sind fließend und von Beziehung zu Beziehung erheblichen Schwankungen unterworfen. Ich sehe überhaupt nicht ein, hier irgendwo eine künstliche Grenze zu ziehen, schließlich kann man nie wissen, ob sich eine Bettfreundschaft nicht doch noch zu etwas von Liebe erfülltem entwickelt. (Ich war in meinen inzwischen Verlobten anfangs nicht verliebt, sondern habe ihn „nur“ gevögelt.) Und daher sehe ich auch keinen Grund, keine Bettfreundschaften mehr einzugehen oder Liebe zu meinen Bettfreundschaften von mir zu erzwingen, nur um irgendeine vermeintliche polyamore Norm zu erfüllen.
Genau damit, dass du forderst, der Begriff dürfe nicht für „rein sexuell motivierte Beziehungen benutzt“ werden, damit, dass du betonst, nur wer auch in seinen Nebenbeziehungen liebt, dürfe sich polyamor nennen – genau damit machst du mir die Identifikation mit diesem Begriff schwer. Denn der Kern ist für mich nicht Liebeszwang, sondern Liebeserlaubnis und Erlaubnis heißt nicht müssen, sondern dürfen. Damit darf sich meiner Ansicht nach auch jemand als polyamor bezeichnen, dessen Außenbeziehungen gerade rein sexueller Natur sind. Solange es mind. 1 geliebten Partner gibt, mit dem es eine Absprache dahingehend gibt, dass Liebe in Außenbeziehungen ggf. erlaubt ist, sofern sie einem zustößt, sind für mich alle Kriterien erfüllt. Wieviele Nebenbeziehungen währenddessen nicht geliebt werden, ist mir wumpe.
Und jetzt polemisiere ich mal: Diese Idee vieler Polys, etwas Besseres zu sein, als all die primitiven Leute, die einfach ohne Liebe in der Gegend rumficken, um ihre niederen Triebe zu befriedigen, ist einerseits höchst wiederwärtiger Chauvinismus und andererseits verkennt sie die Lebenswirklichkeit von Menschen in Bettfreundschaften völlig. Sie nennt Bettfreundschaften einfach „rein sexuell motiviert“, ohne zu differenzieren und zu erkennen, dass Beziehungen nie nach Schema X funktionieren, auch „rein sexuell motivierte“ Beziehungen nicht. Beziehungen sind immer so individuell, wie die beteiligten Personen und jeder soll sie so ausleben dürfen, wie er es für richtig hält. Wer in einer Beziehung lebt und weder sexuelle Außenbeziehungen, noch emotionale/intellektuelle Nähe in sexuellen Außenbeziehungen verbietet, lebt m.E. polyamor, egal welcher Art seine sonstigen Beziehungen gerade sind. Mit einem Polyamoriebegriff, der sich aber eher als Ausgrenzungsinstrument begreift, der also behauptet, ich dürfe mich nicht polyamor nennen, weil ich gerade nur rein sexuelle Außenbeziehungen pflege, kann und will ich mich nicht identifizieren.
September 12th, 2011 14:59
@momo:
Ich bekenne mich auch dazu, Sporttaucher zu sein, obwohl das nur einen Teil meiner Wassersportaktivitäten umfasst – ich fahre nämlich auch sehr gerne Kajak. Und tauchen schließt prinzipbedingt das Kajakfahren nicht mit ein. 😉
Ist Kajakfahren deshalb verwerflich, wenn ich sage, ich bin Sporttaucher (und nicht: ich bin Wassersportler – was ja Kajak mit einschließt)?
Sicher schließt der Begriff „offene Beziehung“ allgemein genommen alles mit ein: Polyamory, Swinger, monoamore Beziehung mit der Erlaubnis zum rein sexuellen Seitensprung, … – also alles, was über die exclusive Zweierbeziehung hinausgeht – „offen“ ist eben das Gegenteil von „ab-/ausgeschlossen“.
Umgangssprachlich verstehen aber die meisten unter „offener Beziehung“ wohl: Aha, beide erlauben sich also Seitensprünge, sexuelle Abenteuer nebenbei. Und das ist aber keine Polyamory (obwohl Polyamory keineswegs rein sexuelle Seitensprünge ausschließt). Es gibt aber auch polyamore Beziehungen, die in sich wieder weitgehend geschlossen sind oder in denen zumindest rein kurzweilige sexuelle Abenteuer mit Anderen nicht gern gesehen sind (aus verschiedensten Gründen). Man könnte dann vielleicht zur Unterscheidung davon auch von „(sexuell) offener“ Polyamory sprechen?
Wenn ich sage, ich lebe polyamor, so heißt das, dass ich mehrere Liebesbeziehungen offen und ehrlich parallel führen kann/möchte. Damit schließe ich keineswegs rein sexuelle Beziehungen aus – aber sie sind kein Wesensmerkmal der Polyamory (so wie Taucher sein auch nicht ausschließt, dass ich nicht gern schwimme oder Kajak fahre).
September 12th, 2011 15:26
@LeV:
Siehst du, so schnell passieren Missverständnisse.
Ich habe nie geschrieben, dass Polyamory rein sexuelle Beziehungen ausschließt. Aber nur (!) rein sexuelle Beziehungen parallel zu führen ist keine Polyamory.
Wobei für mich Polyamory auch mehr ein Lebenskonzept, eine Einstellung ist – unabhängig davon, ob ich gerade Single, in einer Zweierbeziehung oder mit mehreren Lieben lebe. Entscheidend ist, ob ich mehrere Lieben parallel für mich (und meine Liebsten) leben kann und möchte.
Das ist genau so eine Lebenseinstellung wie ein klares Bekenntnis zur (exclusiven) Monoamory oder auch zum eingefleischten, bindungsfreien Singleleben. Jede hat ihre Vor- und Nachteile – und es gibt auch keine Festlegung darauf, dass man nun immer so zu leben hat.
Das einzige Lebenskonzept, dass ich persönlich verurteile (und damit für mich auch abwerte), ist das Leben auf der Basis von Lüge und Betrug gegenüber den Menschen, mit denen man sein Leben eigentlich gemeinsam gestaltet.
Wenn ich sage, ich lebe polyamor, dann möchte ich damit auch genau das ausdrücken: „viele lieben (können)“. Und wenn ich sage, ich lebe sexuell offen und frei (oder auch promisk), dann möchte ich genau das auch ausdrücken.
Und ich sage jetzt: ich lebe ich sexuell offener und freier Poylamory, in der ich aber auch rein platonisch lieben kann und darf 😉
September 12th, 2011 17:08
@Maxx
Ich habe ja auch nicht behauptet, Polyamorie, wie du sie verstehst, schließe „herzlosen Sex“ aus. Aber du schließt ihn auch nicht mit ein, wenn du von Polyamorie sprichst und das ist mein Kritikpunkt. So wird Polyamorie zum Eigentlichen, alles andere zum Uneigentlichen, selbst wenn es nach wie vor „erlaubt“ ist. Dem ziehe ich ein Konzept vor, das an sich ganz grundsätzlich bereits alle Möglichkeiten, wie sich Kontakte gestalten könnten, beinhaltet. Polyamorie nach deinem Verständnis tut das nicht, sondern meint lediglich meine liebevollen Beziehungen. Sie ist deshalb für mich zu ungeeignet, als dass ich sie als Oberbegriff für meine zwischenmenschlichen Beziehungen, die sie in ihrem Begriff ja nicht alle miteinschließt, verwenden könnte.
Sicherlich stimmt es, dass „offene Beziehungen“ umgangssprachlich oft für lediglich „sexuell offene Beziehungen“ stehen. Aber das widerspricht im Grunde der Logik des Begriffs; offen ist offen und auch nicht emotional geschlossen. Deshalb gibt es auch Potential, den Begriff umzudeuten. Und mit jener Offenheit im Begriff kann ich persönlich weit mehr anfangen als mit dem Begriff „Polyamorie“, der sich für neue Normen geradezu anbietet.
„Damit schließe ich keineswegs rein sexuelle Beziehungen aus – aber sie sind kein Wesensmerkmal der Polyamory (so wie Taucher sein auch nicht ausschließt, dass ich nicht gern schwimme oder Kajak fahre).“
Liebe zu mehreren Menschen ist Teil offener Beziehungen, wie ich sie verstehe, aber offene Beziehungen umfassen noch mehr, eben auch „rein sexuelle“ Kontakte. Wenn Polyamorie Tauchen heißt, ich aber nicht nur tauche, sondern auch schwimme oder Kajak fahre, sind „offene Beziehungen“ für mich Wassersport. (;
Ich sage nicht: Ich bin Taucher und alles andere ist nicht wesentlich für mein Selbstverständnis, auch wenn ich es mir trotzdem nicht verbiete. Damit wird zugleich angezeigt, was an erster Stelle steht: Das Tauchen. Alles andere wird nachrangig, dem untergeordnet. Und am Ende sagt mir noch jemand, weil er mich in einem Kajak gesehen hat, ich hätte ihn angelogen und sei ja gar kein Taucher, sondern Kajakfahrer.
Dann zeige ich lieber an, dass ich mir beides offenhalte, dass beides Teil meines Konzepts ist, indem ich sage, Wassersport zu betreiben. Auch wenn ich das Beispiel recht komisch finde. (: Weil Beziehungsformen eben Konzepte beschreiben, das Tauchen hingegen zuallererst eine Tätigkeit. Konzepte haben ihre Gründe, warum sie bestimmte Sachen aus- oder einschließen; sie beziehen sich automatisch auf andere Lebensentwürfe und grenzen sich ab. Die Tätigkeit muss sich nicht abgrenzen; sie steht für sich. Deshalb hinkt im Grunde der Vergleich.
Bestünde die größte Freiheit nicht in einem Konzept, das sowohl die Möglichkeit mehrerer liebevoller Beziehungen umfasst, als auch die Möglichkeit „rein sexueller“ Beziehungen? Das tut „Polyamorie“ (nach deinem Verständnis) nicht, „offene Beziehungen“ (nach meinem Verständnis) hingegen tun das schon. „Polyamorie“ schließt aus, „offene Beziehungen“ schließen ein. Deshalb spreche ich (inzwischen) von letzteren, wenn ich ausdrücken will, wie ich lebe.
September 12th, 2011 17:29
Ich stimme Maxx zu 100% zu und sehe die Wurzel des „Problems“ eher in der Definition von „Liebe“. Also, sofern LeV die Bedeutung des Begriffes gleichsinnig als Liebe im Sinne romantischer Sehnsuchtsprojektion deutet, bekommt dies einen Zug, den ich auch kritisieren würde, wenn ich annähme, dies sei das allgemeine Liebesverständnis polyamorer Menschen. Ich halte es mehr mit liebevoller gegenseitiger Wahrnehmung als „Entwicklungsgemeinschaft“. Oder anders: Ama et faq quod vis. Liebe, und was du dann willst tue. Das kann auch mal nur Sex sein.
September 13th, 2011 10:40
@LeV
Ich mag klare, eindeutige Kommunikation, deshalb schrub ich auch:
„Wenn ich sage, ich lebe polyamor, dann möchte ich damit auch genau das ausdrücken: “viele lieben (können)”. Und wenn ich sage, ich lebe sexuell offen und frei (oder auch promisk), dann möchte ich genau das auch ausdrücken.
Und ich sage jetzt: ich lebe ich sexuell offener und freier Poylamory, in der ich aber auch rein platonisch lieben kann und darf“
Nur zu sagen „Ich lebe offene Beziehungen“ oder „Ich lebe in einer offenen Beziehung“ lässt zu viel Interpretationsraum, so dass ich sehr wahrscheinlich eine Menge zusätzlich erklären müsste, um dadurch entstandene Missverständnisse zu beseitigen.
Schreib mal in einer Internetcommunity, du magst Wassersport – was meinst du, wie viele da etwas völlig (!) anderes drunter verstehen als du meinst 😀
September 13th, 2011 10:46
@Felix:
Ich weiß nicht, ob LeV und ich sooo unterschiedliche Auffassungen von der Liebe an sich haben. Ansonsten stimme ich dir zu – selbst bei einem so „selbstverständlichen“ Begriff wie „Liebe“ gibt es sehr viel verschiedene Inhalte, die von den Menschen da hinein gelegt werden.
September 15th, 2011 19:30
Ich finde, man sollte nicht immer alles in einen Topf werfen. Genau wie ich als Bergsteiger gern auch Tauchen gehen darf, darf ich als ein Mensch mit polyamorem Beziehungskonzept durchaus auch mal „nur“ Sex mit jemandem haben oder in einen Swingerclub gehen. Das schließt sich gegenseitig weder aus, noch bedingt das eine das andere.
Polyamorie ist ja keine Religion oder irgend etwas, worauf man vereidigt wird, um dann gefälligst künftig sein komplettes Leben danach auszurichten!
Apropos „nur Sex“ haben, hat man das tatsächlich? Wir sind doch keine Amöben..!
Juni 17th, 2019 19:00
Sehr verspätet aber ich schreibe trotzdem. Eigentlich nur Männer im Forum, oder? Ich auch und ich sags frei heraus: ich will mehrere mir treue Frauen (hat aber nichts mit irgendeiner Religion zu tun). Ist fast Standard im (Säuge)Tierreich. Eine allein geht mir nach kurzer Zeit schon zu sehr auf den Kessel, oder ich ihr. Dieses Monogamie-Dogma ist auch unserer umrühmlichen christl. Vergangenheit geschuldet- die Pfaffen wollten die Menschen schon immer am Gewissen kriegen, nur der eigenen Macht zuliebe. Weiterer Beweis: die Sexindustrie ist im Löwenanteil männl.- heterosexuell ausgerichtet. Nichts vergleichbares für die Frauen. Und warum? Das ist einer der Unterschiede zwischen Mann und Frau, der häufig kaputt zu machen versucht wurde, aber letztlich Teil der gegenseitigen Anziehung ist- männl. Sexualität streut, weibliche fixiert ( im Interesse ihres jeweiligen Nachwuchses) Der Leidenschaft geht ganz schnell die Luft aus, wenn der Mann typisch weibliche Eigenschaften übernimmt. Aber es herrscht mittlerweile ohnehin eine große Verwirrung bezgl. Geschlechterrollen- die bis auf weiteres aber strengen biologischen Grenzen unterworfen sind (der Mann kann z.B. das Kind nicht stillen). Polyamorie widerspricht damit vor allem dem (in Bezug auf die „Brutpflege“ doch recht verständlichen) weiblichen Sicherheitsbedürfnis, wofern sich auch für die Männer diese Form der Polyamorie erledigt, wenn sich Frauen aus genannten Gründen v.a. auf einen Partner konzentrieren (Treuebedürfnis) Daher meine Forderung nach Polygynie- auch zur Abschaffung der unwürdigen Prostitution, Pornographie etc. Ein Mann, mehrere Frauen. Einige Kulturen praktizieren dies seitvielen Jahrhunderten, und es geht nicht zwingend mit der Unterdrückung der Frau einher. Fragt mal die Huftier- , Robben-, Katzen-, Gorilla- Weibchen, warum sie sich das gefallen lassen. Kontroverses Thema, ich weiß. Wenn schon, dann aber bitte sachliche Konter, ich bin auch nicht ausfällig geworden.
Juni 17th, 2019 19:16
Und falls jemand fragt, wie die dazu nötige weibl. Überzahl entstehen soll- in Deutschland und anderen Ländern gibt es schon eine leichte weibliche Überzahl; anderswo werden vermehrt weibl. Föten abgetrieben, ( Indien, China) durch gewisse Massnahmen während der Zeugung ist wohl im bestimmten Rahmen auch das Geschlecht des Nachwuchses zu beeinflussen (z.B. bestimmter Zeitpunkt der Zeugung während des Zyklus)