Archiv für die Kategorie 'Gedichte'

Gedichte nach der Fibonacci-Reihe

Samstag, 13. Oktober 2007


xkcd: Comic-Strip zur Fibonacci-Reihe (draufklicken!)

Unter den Finalisten der Blogging Scholarship 2007 habe ich das Blog der Neurowissenschaftlerin Shelley Batts entdeckt und die schreibt in ihrem neusten Artikel nicht nur über die Fibonacci-Reihe, sondern auch über Gedichte, die formal auf dieser Reihe basieren. Die Fibonacci-Reihe, oft auch in IQ-Tests abgefragt, ist der Natur, dass nach zwei vorgegebenen Zahlen, Null und Eins, jede weitere Zahl die Summe ihrer beiden Vorgänger ist, also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21… Ab der 13. Stelle entspricht, das wußte ich bisher noch nicht, der Quotient einer Fibonacci-Zahl mit ihrem Vorgänger dem Goldenen Schnitt, also dem Verhältnis A : B = A + B : A oder der Zahl Φ = 1,618033…, der auch in der Kunst eine bedeutende Rolle spielt. Ähnlich wie Pi (der gleichnamige Film von Darren Aronofsky ist empfehlenswert) tauchen auch Fibonacci-Spiralen in der Natur immer wieder gerne auf.

Weil ich Mathematik, sofern sie nicht abstrakt bleibt, immer für eine spannende Sache hielt, ihre Rolle in der Kunst (allen voran der Musik) nicht leugne und sowieso immer Spaß am Spiel mit Sprache hatte, möchte ich mich an dieser Stelle ebenfalls an einem ersten Fibonacci-Gedicht probieren. Vielleicht hat ja der ein oder andere Lust, es auch mal zu probieren.

Fibonacci

Geh
nach
draußen!
Sieh dich um!
Sieh die Welt dir an!
In allen Dingen, glaube mir,
findest wieder du der Zahlen Zeichen, so auch hier…

Übrigens, es gibt ja immer wieder Leute, die mir gegenüber behaupten, im Mittelalter hätte es keine Wissenschaft und Forschung gegeben: Leonardo Fibonacci lebte von ca. 1180 bis nach 1241, also im hohen Mittelalter in Pisa und ist der Verfasser des Liber abbaci, des Rechenbuchs.

Tobias Rösch

Mittwoch, 30. Mai 2007

Der graue Mann

für Margot und casca

Im Schattenfleck vorm Parkhotel, da saß ein grauer Mann,
er trug im Sack zwei Münzen nur, doch fasste sie nicht an.
Sein Lächeln nahm er niemals mit von seinem Kein-Zuhaus,
er war nicht mehr als Rattendreck und arm wie eine Maus.

Herr Schwarzfrack und Frau Distelmund erblickten ihn vorm Haus,
da kniete er und lechzte er, trank eine Pfütze aus.
Herrn Schwarzfrack und Frau Distelmund versaute er den Morgen,
sie wünschten sich man könnte ihn ganz rasch sozial entsorgen.

Sechs Wochen später nahm der Mann sein Geld zur Lotterie,
ob Glück, ob Pech, ihm war` s egal in seiner Lethargie,
gesagt, getan, er setzte es noch eh er sich besann.
Der graue Mann verlor es nicht, der graue Mann gewann.

Bald lud man ihn zu jedem Tanz, in auserwählte Kreise,
hochlobte seine Schicklichkeit auf angenehmste Weise,
erhob ihn gar zum Präsident mit Würde und mit Ehren
und hieß ihn jeden Schattenfleck von Nachtgestalten leeren.

Herr Schwarzfrack und Frau Distelmund vermachten ihm das Haus,
dort lag er lang und wurde fett und sah zum Fürchten aus.
Herrn Schwarzfrack und Frau Distelmund nahm er zudem die Sorgen,
denn war er ab und an bereit den Mantel auszuborgen.

Im Schattenfleck vorm Parkhotel, da sank ein alter Mann,
er trug im Sack zwei Löcher nur, man fasste ihn nicht an.
Sein Haar war wie sein Mantel grau, so grau wie eine Maus,
er träumte lang noch bis er starb, dann war es mit ihm aus.

© NTSR | Jul. 2004

Der Star der Nation

Vor milchigen Scheiben fuhr Kelly Divine
in einem Waggon und auf rostigen Gleisen
sich langsam mit zitternden Händen durchs Haar.
Es knarrte die Röhre tagaus und tagein,
umgab sie doch stets, wie auf all ihren Reisen,
Kelly Divine, unsern einstigen Star.

Im Kerzenschein flimmerte Kelly Divine,
ach, seht nur! sie lächelt mit schwülstiger Lippe,
als stünde ihr Sessel im Scheinwerferlicht.
Das Schluchzen wird leiser, bald schläft sie wohl ein,
ins Tuch des Vergessens hüllt sie ihr Gerippe
und leistet auf Hoffen und Bangen Verzicht.

Um Mitternacht, Schlaf liegt auf totem Geleise,
da raschelt die Decke, da dreht sie sich prustend,
die Augen halboffen und richtet sich auf.
Dann huscht sie zum Spiegel, verstohlenerweise,
mit schweißkalten Fingern und immerzu hustend
betupft sie ihr Antlitz mit Puder zuhauf.

Drauf leuchtet im Wagen ein Lampionreigen,
es öffnet die Türe sich knarrend zur Nacht,
ein Damenfuß tappt auf die Stufen hernieder.
Die Blitzlichter flattern, es summen die Geigen,
der brandende tosende Beifall erwacht,
für Kelly Divine, denn wir haben sie wieder!

Sie floh mit dem Sternenkleid um ihre Hüfte
die Schienen entlang übers Bahnhofsgelände,
durch Trauben von Menschen und Jubel und Licht.
In Hallen und Gängen betörende Düfte
verteilten sich rasch über Decken und Wände.
Kelly, wach auf, sage, hörst du mich nicht?

Die Welt war für Kelly zur Bühne geworden,
es drängten die Massen ihr Schauspiel zu sehen,
sie tanzte und drehte und lachte sich frei.
In Wirklichkeit aber da waren die Horden
Fragmente der Zeit, wie in Träumen sie wehen
aus früheren Tagen und brechen entzwei.

So schlummerte friedlich noch Kelly Divine,
die brennende Kerze entging ihren Sinnen,
zu tief schwelgte Kelly in Trug und Fiktion.
Der Wagen stand bald schon in flackerndem Schein,
am Morgen entstiegen ihm Schwaden und innen
verglühte in Träumen der Star der Nation

© NTSR | Mar. 2004

Des Menschen Wolf

für levampyre

Auf allen Dächern sieht man Menschen harren,
des Menschen Wolf, so raunt man, streift umher.
Sein Ruf weht aus und pfeift durch jeden Sparren,
er heult und tobt und fegt die Straßen leer.

Von ferne dringt das harte Glockenschlagen,
doch horcht man auf, wenn sich ein Grashalm biegt.
Hört ihr nicht auch den Wolf die Knochen nagen,
wobei er selig sich an unsre Häuser schmiegt?

Schon will man ihn am Eck gesehen haben,
man spürt bereits den heißen Atem gehn.
Ach läg er tot nur lange schon im Graben
und wäre fort auf Nimmerwiedersehn!

Doch fragt man voller Sorge in die Stille,
„Der Wolf, wer sah ihm je ins Angesicht?“
ereifert sich des wilden Volkes Wille,
sie zetern – „Fremder, sage glaubst du nicht?“.

Bald hält man in den Hallen würdge Messen
und predigt von der Welten Untergang.
Der Wolf, und mag er jeden von uns fressen,
bricht niemals unsern Mut und Tatendrang.

Wir lenken alle Bomben und Raketen
im steilen Flug auf jedes Häuserdach
und flüchtet er, so schlagen mit Macheten
wir hinterdrein und rächen siebenfach!

Die Stadt versinkt und alle Mauern fallen,
kein einzger Stein bleibt auf dem andern stehn.
Doch mancher hat im Rauch- und Trümmerwallen
ganz sicher noch des Menschen Wolf gesehn.

© NTSR | Aug. 2004

Serge D.

Mittwoch, 30. Mai 2007

Einblicknahme

Du hast die spinnwebüberzog’nen Kisten
im Keller meiner Seele schon geschaut,
ahnst ihren Inhalt und wovor mir graut –
doch drängst mich nicht dazu, sie auszumisten.

Du weißt um des bemühten Humoristen
Ratlosigkeit, Verzweiflung, dünne Haut.
Und auch die Bäume sind Dir schon vertraut,
in deren Zweigen meine Träume nisten.

Du gibst Dich fasziniert – und wirst dabei
noch nicht ‚mal rot! -, als fändest Du Gefallen
an meinem Reimebasteln, Verselallen;
hältst listig so mich bei der Schreiberei –

und meine Feder schaufelt Särge frei,
in welche Du am tiefsten blickst von allen.

© SergeD. | Jun. 2005

Satchmo

Mittwoch, 30. Mai 2007

Tal der Reue

Komm mit mir ins Tal der Reue
und sieh dir meine Flüsse an
Blickst du dort, das Reh, das scheue?
Auch sie ist meiner Untertan

Frage nicht nach Kennerblicken
noch Theorien, oder Witz
Wenn es galt sie auszuschicken
war ich meist schneller als der Blitz

Jedoch gilt mein Sinnen Trauer
stehen wir an wunder Stelle
brech ich dich durch eine Mauer
meiner Emotionskastelle

Doch Vergib mir, ich war Asche
siehst du auf dem Haupt geschrieben
Wenn ich nur noch eins erhasche
sei’s dein Lächeln um halb sieben

© Satchmo | Feb. 2004

Razoreth

Mittwoch, 30. Mai 2007

die letzte

mit jedem seiner sinne sehnte
er sich nach diesem einen frühen,
an dem die weißen kirschen blühen,
die er so lange schon erwähnte.

doch nie kam dieser hoffnungsvolle,
egal, wie oft er traurig schaute,
nur eine letzte lange laute,
erzählte, was er sterben wolle.

© Razoreth | Apr. 2005

Marot

Mittwoch, 30. Mai 2007

Abgesang der Kunst

Weltentfremdet, starrer Blick zum Kiel
Ohne Wille, ohne Lust zum Sehen
Alles Endet, endet ohne Ziel
Sinnesstille, sinnlos Todeswehen

Augen blitzen nur im Tränenschwall
Fallen nieder auf Papyrusfrüchte
Rote Ritzen gleichen Donnerhall
Schwarz sind wieder aller Narrensüchte

Ohne Weihe tot was Kraft beschwor
Narren tanzen heulend über Leichen
Teurer Leser leihe mir dein Ohr
Lass die Schranzen nicht mein Grab aufweichen

© Marot | Mai. 2004

Marko Brack

Mittwoch, 30. Mai 2007

New York Nightfall

Anon, my crony’s eccentricest dreamin‘,
far off constructed upon wary seemin‘
–but! now behold his most ancient of lores!
For these’re stalked by the giddiest prancin‘,
the nobles and dukes and the lights–all romancin‘,
and girdled amongst us–the gathering whores.

This balladic palace’s glimmering within,
arisin‘ from marble–a quivering sin
–for reasons art buried too deep underneath!
Shapes and contours, even rifts’re now formin‘,
as all these cyprians step in as if swarmin‘,
and some may be draped by a revilin‘ wreath.

Scarcely concealed, and appallingly pallid
sure treats art these creatures to some o so valid
–since wondrous medicine hast brought them to fall!
Yet all these flames, that flicker and flash,
hath dulled–so I swear!–my senses, thus rash
became my decisions, my posture stood tall.

O lo! it’s yonder–mine eye’s bein‘ drained
by much such a face, that looks if restrained
–vainly I marvelled how it was embellished.
Though many her eyes drowsy gleam left me pond’ring
of what twisted feature those pills she was squand’ring,
there art such moments that should be relished.

Ghastly, though placid, she dared me encroach,
this wanderin‘ masque of a face to approach
–beguiledly I wanton admit here this deed–,
and the fires exhaust, as if in my favor,
so let me stress, I’m not! one to waver,
and ultimately, I succumb to my greed.

© cascardian | Mar. 2004

The Restless

für Toby und levampyre

In haze was raised our inner sense
since all these years had passed.
All turmoils‘ fancies grew but dense,
and passed away at last.
Yet mourning scored the somber sky,
and I may since admire
that all mankind was creeping nigh
this slowly dying fire.

This land did then but glance and leer,
and clinged to its repose;
in wintry cloaks, no less sincere,
and night-veiled to its toes.
I leant upon a hawthorn stalk
when marvel grew abound.
And Winter’s tykes seemed but to talk
in stormy seas of sound.

The deadwood smirked upon our rove
as if we were its prey.
It knew, hereon this misty grove
may sleep our dying day.
At once, the branches seemed to leap
while snaking to and fro.
We fear, the dead nigh may not sleep
and bear their seed to sow.

And I do sense a greater plot
in each we leave behind.
I see, their corpses never rot,
to dream away our kind.
I leant upon this hawthorn stalk,
and felt its burning sound.
I know, the dead, they may not walk,
yet they are still around.

© cascardian | Nov. 2004

Margot S. Baumann

Dienstag, 29. Mai 2007

Dein Labyrinth

gewidmet

In Serpentinen winden sich die Worte
Und jede Kurve birgt ein neues Ziel.
Ganz sachte schliesst sich hinter mir die Pforte
Und lockend rufst du mich zu deinem Spiel.

In jedem Gang erblick‘ ich tausend Türen.
Ein jeder Schritt ertrinkt in Illusion.
Ich lass‘ mich willig von dem Trug verführen
Und folge dir in deine Dimension.

Ich seh‘ das Tor, doch lasse ich mich treiben,
An ihm vorbei – und hör‘ die Melodie.
Ich bin gefangen. Möcht‘ für immer bleiben,
Im Zaubergarten deiner Poesie.

© Margot S. Baumann | Jul. 2004

libelle

Dienstag, 29. Mai 2007

Dr. Spechts Entdeckung

für Cameleon

Herr Dr. Specht sieht eine Tafel
am Zaun in einem Bauernort.
Auf dieser steht, frei von Geschwafel,
ein wahrhaft großes Dichterwort.
Die Lettern sind zwar leicht verlaufen,
der Text jedoch ist herrlich klar.
Er lautet „Eier zu verkaufen.“
Und Specht sagt kniend: „Wunderbar.“

© libelle | Sept. 2004

Juliane Wellisch

Dienstag, 29. Mai 2007

[audio:gott1.mp3]
Zornesfänger

Fächelst hämisch‘ Lächelklänge
über trübe Überreste.
Augenblaue Aufgesänge
feiern heiser Schleierfeste
wutverflocht’ner Lustbarkeit.

Lippen lichten Hindernisse.
Zungen schlucken Unbehagen.
Wohlig‘ Wogen stopfen Risse,
die mich wieder siedend plagen
in gewollter Grausamkeit.

Schmeichelst eitel Geifersehnen
liebesgierig‘ Widerstreiten.
Zorneswonnen Wochen dehnen.
Lenkst Du selbst noch Ebbezeiten,
grollerleg’ner Mattigkeit.

© Juliane Wellisch | Sept. 2005
http://liawell.wordpress.com