Die re:publica ist eine dreitägige Bloggerkonferenz, eine Versammlung der digitalen Bohème, die in diesem Jahr zum zweiten Mal und unter dem Motto „Die Kritische Masse“ stattfindet. Man trifft sich, man tauscht sich aus, man bloggt – auch ich bin diesmal mittenmang. Mein Blogeintrag ist also quasi obligatorisch. Updates erfolgen live…
Tag 01
Der erste Tag der re:publica08 ist rum und nachdem das Ganze heute morgen etwas kühl angelaufen ist, tauten die Leute ab nachmittag langsam auf, um sich miteinander zu unterhalten. Alle um mich herum reden von Twitter, schon seit Tagen, so auch hier. Ich kannte das überhaupt nicht und nachdem man mir erklärte, was es damit auf sich hat, wußte ich auch warum. User kippen SMS-lange Ergüsse über ihre momentanen Belanglosigkeiten ins Netz – großartige Web-2.0-Anwendung! Gut, ich mir also auch einen Twitter-Account zugelegt; was tut man nicht alles für die Akzeptanz in der Welt der Fashion-Victims und Early-Adopter.
Aber es gab auch schon spannendere Themen, z.B. Jörg Richter, der in seinem DeepaMehta-Vortrag über alternative Desktopmodelle nachdachte und Kritik am Semantik-Web äußerte. Dass es Alternativen zu Fenstern, Ordnern und Desktops gibt, wußte ich ja schon wegen Genera, dem Betriebssystem der Lisp-Machines, von dem andreas mir öfter vorgeschwärmt hat. Zu bearbeitende Inhalte werden dort einfach über eine Commandline aufgerufen, während es bei DeepaMehta sogenannte Topic-Maps gibt, die selbstdefinierte Relationen zwischen Daten abbilden. Ganz überzeugen konnte mich das Konzept noch nicht, weil ich fürchte, mich als Zwangsneurotiker im Strukturierungswahn zu verlieren. Letztlich funktioniert meine Welt nämlich wie ein Eschermuster oder ein Apfelmännchen, bei dem alles mit allem irgendwie analog ist und sich diese Analogien quasi endlos fortspinnen, wenn ich nur langgenug drüber nachdenke. Es hätte mich nicht schlimmer treffen können, wenn ich als Kind in den LSD-Topf gefallen wäre.
Chaosradio: Tim Pritlove und Peter Glaser
Sehr interessant war auch Tims Livepodcast CRE 83, in dem er mit Peter Glaser über die Kritische Masse sprach. Ist die Blogosphäre eine kritische Masse? Kann sie etwas bewegen oder ist sie eine hermetische Welt, in der man sich nur gegenseitig liest? Für den in Erinnerungen schwelgenden Glaser war es nicht eben einfach, am Thema zu bleiben. Aber zugehört habe ich ihm trotzdem gerne. Ein Zitat, ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Sprache sei das Idealmodell von Demokratie, sinnierte Glaser, sie gehöre jedem, sei public domain und jeder könne sie gebrauchen, verändern und Neues daraus schöpfen. Recht hat der Mann und dahingehend verstehe ich auch den derzeitigen Sprachkonservativismus nicht so recht. Etwas schade fand ich, dass trotz Livestreaming von einer Bloggerkonferenz das Publikum außen vor war – geht es doch gerade den Bloggern darum, eine Gegenöffentlichkeit zu sein und medial zu intervenieren.
Tag 02
Von Tag zwei habe ich eigentlich nicht so viel mitbekommen. In Verenas Vortrag über emergente Intelligenz wurde über den Zusammenhang zwischen kritischer Masse und Emergenz aufgeklärt. Emergenz, so habe ich das verstanden, ist das Phänomen, das eine bestimmte Summe an Einzelindividuen Eigenschaften ausbildet, die das Individuum nicht besitzt. Nehmen wir ein Atom, das hat erst einmal keine Farbe, aber wenn sich viele Atome zu Molekülen zusammenschließen und diese Moleküle sich zu einem Ding zusammenschließen, dann kann das Ding eine Farbe haben. Eine emergente Intelligenz kann sich z.B. in einem Schwarm ergeben, z.B. bei Bienen, Ameisen oder, das ist ja Verenas Domäne, bei Robotern.
Nun wurde natürlich im Anschluß gleich diskutiert, ob emergente Intelligenz nicht auch in der digitalen Gesellschaft auftritt, was ja an sich kein ganz dummer Gedanke ist. Aber als dann die Wikipedia als Beispiel herangezogen wurde, fand ich das dann doch irgendwie an der Sache vorbeischwadroniert und ließ meinen Blick derweil über die äußerst interessante Deckeninstallation des blauen Salons gleiten. Dort waren spiegelartige Folien angebracht und das verzerrte Abbild des Publikums, das dort an der Decke klebte, bildete herrliche Muster.
Kalkscheune: Blauen Salon
Tag 03
Tag drei war, wie von mir erwartet, für mich der interessanteste. In Raum 3 gab es durchgehend Beiträge der „Hard Blogging Scientists“. Ohne davon vorher je gehört zu haben, habe ich mich da beim ersten Blick ins Pogramm der Veranstaltung hingezogen gefühlt. Ich selbst blogge öfter, mehr oder weniger wissenschaftlich, über theoretische Aspekte. Da fühlt man sich auf Dauer auch oftmals unsicher und sucht Kontakt zu anderen Menschen, die Ähnliches tun, um sich mit denen auszutauschen. In dieser Hinsicht konnte ich einige interessante Anregungen einsammeln, Adressen, Ansprechpartner, die ich mir demnächst mal genauer anschauen möchte, um zu sehen, ob es nicht Anküpfungspunkte gibt, gemeinsame Interessen, Ideen, etc. Es wurde z.B. über Plagiarismus gesprochen, ein Thema, mit dem ich als Dichter bereits reichlich Erfahrung gesammelt habe, so viel, dass ich mein Ego inzwischen im Zaum halten kann, sobald ich eines Plagiats angesichtig werde.
Hard Blogging Scientists
Für mich hat damit die re:publica gehalten, was ich mir von ihr versprochen habe – Kontakte knüpfen – während sie mir ja anfangs eher vorkam wie: Alle wichtigen Blogger sind da, deshalb bin ich auch da, weil ich sonst nicht wichtig bin. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Veranstaltung mehr Substanz bekommt, dass diesem konstruktiven Zusammenfinden von Interessengemeinschaften mehr Raum gegeben wird. Denn die Macher von Myspace, StudiVZ und Twitter sind bestimmt ganz tolle Hechte, aber die interessieren mich schon online nicht, auf Palaberrunden mit denen, kann ich auch in-the-real-world verzichten.