Werkeinführung: Giovanni Perluigi da Palestrina ~ Missa Papae Marcelli

Um 1562 schrieb Giovanni Pierluigi aus Palestrina (1525? – 1594) seine Missa Papae Marcelli, die heute berühmteste seiner Messvertonungen. Die dem Papast Marcellus, der nur wenige Tage im Amt war, gewidmete Messe gilt als ideale Verbindung von Polyphonie und Textverständlichkeit und ist heute Grundlage vieler kontrapunktischer Studien, wie z.B. Fux‘ „Doctor Gradus ad Parnassum“.
Ihrer Klarheit und Brillianz verdankt Palestrina, daß heute die Anekdote erzählt wird, er habe die Kirchenmusik „gerettet“. Das Konzil von Trient (1545 – 1563), das sich im Gegenzug der Reformationsbewegung auch mit grundlegenden Fragen der katholischen Kirchenmusik auseinandersetzte, sei durch die Missa davon überzeugt worden, daß der polyphone Stil weiterhin der katholischen Liturgie würdig sei.
Fakt ist, daß die Kirche den weltlichen Einfluß auf die sakrale Musik kritisiert hatte und außerdem die künstlerische, aufwendig verzierte und unverständliche polyphone Vokalmusik ablehnte. Papst Marcellus beklagte sich bei Palestrina über die komplizierten Rhythmen und die vielen Koloraturen, die das Verstehen des geitlichen Textes unmöglich machten. Es kam jedoch nie zum Verbot der Volkalpolyphonie in der sakralen Musik, doch die Kirche verlangte in Zukunft den Ausschluß von weltlichen Melodien, Textverständlichenkeit und Würde im Ausdruck. Die sieben Jahre nach Papst Marcellus Tod komponierte Messe erfüllte diese Wünsche des Konzils.

  1. Kyrie
  2. Gloria
  3. Credo
  4. Sanctus
  5. Benedictus
  6. Agnus Dei

Die Missa Papae Marcelli wurde für sechstimmigen Chor komponiert, Cantus, Altus, Tenor und Baß, wobei der Tenor und der Baß geteilt sind. In der zweiten Fassung des Agnus Dei kommt es sogar zur Siebenstimmigkeit. Es herrscht hier, im Gegensatz zu anderen Werken Palestrinas, ein ausgewogener Wechsel zwischen homophonen und polyphonen Abschnitten.
Im durchweg polyphonen Kyrie (Sogetto), findet sich jedoch ein interessantes Motiv, welches sich auch in dem damals berühmten weltlichen Lied „L’homme armé“ findet. Selbes verwandte schon Dufay in seinen Messvertonungen. Gibt es hier also doch einen weltlichen Einfluß in sakraler Musik?
Das Gloria und Credo sind, aufgrund ihres umfangreichen Textes, einfacher gehalten. Durch viele Pausen wird der volle sechstimmige Klang weitgehend vermieden und es gibt so gut wie keine rhythmischen Verschiebungen. Verziehrungen treten nur in Klauseln und nur in einzelnen Stimmen auf. Man vermutet, daß sich Palestrina hier von der Motette „Benedicta es“ inspirieren lassen hat. Im „Qui sedes“ des Gloria finden sich die zwei Eröffnungs-„Takte“ des „Christe“ der Motette Deprez‘.
Das Sanctus knüpft kompositorisch und motivisch an das Kyrie an, ist jedoch rhythmisch noch raffinierter gehalten. Das folgende Benedictus wird Semichorus, also mit einer kleineren Besetzung, vierstimmig vorgetragen.
Vom Agnus Dei liegen, wie schon erwähnt, zwei Fassungen vor. Die erste, sechstimmige Fassung bezieht sich wieder klar auf das Kyrie. Die zweite Fassung ist jedoch siebenstimmig und schwerer auf das Kyrie zurückzubeziehen.

Feb. 2002

Hörproben

[audio:bsa_palestrina-kyrie.mp3]
Hörprobe: Palestrina – Kyrie (Missa Papae Marcelli)
[© 1993/94 Berliner Singakademie]

[audio:bsa_palestrina-gloria.mp3]
Hörprobe: Palestrina – Gloria (Missa Papae Marcelli)
[© 1993/94 Berliner Singakademie]

Ein Kommentar zu “Werkeinführung: Giovanni Perluigi da Palestrina ~ Missa Papae Marcelli”

  1. Sigmar Erics
    März 17th, 2009 20:39
    1

    Guten Abend, LeV!

    Vor drei Wochen hatte ich das große Vergnügen, Palestrina und mit ihm die Missa Brevis und die Missa Papae Marcelli unserem musikwissenschaftlichen Seminar vorzustellen. Es ist doch erstaunlich, wieviele Vorurteile über diesen Meister im Umlauf sind, die durch bewußtes Lesen und Hören seiner Musik zerstreut werden können: „Schönklang ohne Textbezug“ (sic!), „langweilig“, „akademisch“ – hier macht sich das pädagogische Werk von Fux auch nachteilig bemerkbar, weil manche Studenten die vereinfachten strengen Regeln aus dem Gradus, die unter dem Etikett „Palestrina-Stil“ durch den Satzlehre-Unterricht laufen, mit dem künstlerischen Vorbild selbst verwechseln.

    Zu einem Deiner Punkte möchte ich gerne meinen Wissensstand notieren, in der Hoffnung, daß Du ihn mit Deinen tiefergehenden Kenntnissen entweder bestätigen kannst oder mich eines Besseren belehrst.
    Jene auch von Dir andeutungsweise kolportierte Klassifizierung der Missa Papae Marcelli als L’homme-armé-Messe taucht ja immer mal wieder aus der Versenkung auf. Tatsächlich ist diese These nicht stichhaltig. Palestrina hat sich entschieden, die Melodie mit einem emphatischen, den Textgehalt herausstellenden Quartsprung zu beginnen. Nach den geltenden Stimmführungsregeln bzw. seinem Stilideal reagiert die Melodie auf den Sprung ausgleichend mit einer Abwärtsbewegung in Schritten. Das ist zwar in der Chanson auch der Fall, aber nicht so charakteristisch, daß man gleich einen augenzwinkernden Verstoß gegen den Konzilsbeschluß hineindeuten sollte, daß weltliche Melodien nicht in die Kirche gehören. Übrigens folgt im Kyrie I allein der Baß der Melodie der Chanson wirklich genau, indem er nach dem Sprung zum Anfangston zurückkehrt. In allen anderen Stimmen zeilt die Fortspinnung des Soggetto auf andere Finaltöne hin.

    Was sagst Du zu dieser Überlegung?

    Herzliche Grüße,
    Sigmar

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