Eine Zensur findet nicht statt.
Pamphlet zur Freiheit der zeitgenössischen Kunst und ihrer Schöpfer
Zur Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft heißt es in Artikel 5 GG, die Kunst sei frei und eine Zensur fände nicht statt. Geradezu lächerlich erscheint einem da die Geschichte eines befreundeten Dichters, von der ich schon im Artikel „Mein lyrisches Ich“ berichtete. Dieser Fall spitzt sich nun zu und ich halte es für meine Pflicht als Verfechter der künstlerischen Freiheit, weiter davon zu berichten.
Im August 2005 veröffentlichte der Dichter ein Gedicht mit dem Titel „Befriedigung“, in dem er einen Pädophilen aus der Ich-Perspektive auftreten ließ. Ein Bürger, dem der Text anstößig erschien, zeigte ihn daraufhin bei der Polizei an, die auch promt die Rechner des Dichters konfiszierte, ohne aber irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, dass er sich anders als intellektuell und künstlerisch mit diesem Thema befaßt hätte. Dennoch wird er aufgrund seines Gedichtes nun der Verbreitung von Kinderpornographie beschuldigt und muß sich deswegen demnächst vor einem Gericht behaupten.
Dazu muß man sagen, dass es sich bei besagtem Gedicht nicht um Pornographie, sondern eindeutig um ein Sonett, also Kunst handelt. Wenn wir uns an unseren Deutschunterricht erinnern, wissen wir, dass das Sonett eine der ältesten, strengsten, heute noch beständigen lyrischen Strophenformen ist, quasi eine Königsdisziplin der Dichtkunst. Ihre Ursprünge hatte sie vermutlich im Italien des 14. Jahrhunderts und wurde bereits vom Dante Zeitgenossen Petrarca am kaiserlichen Hof Friedrichs des II. in Sizilien, aber auch von Shakespeare, Gryphius, Rilke, Baudelaire und vielen anderen Größen der Dichtkunst gepflegt. Sie begegnet uns am häufigsten in der Form zweiter Quartette und zweier Terzette, die auf bestimmte Weise gereimt sind und sich zumeist antithetisch gegenüber stehen. Seinen Ursprüngen in der amour courtoise nach ist das Sonett klassischerweise von amourösen Inhalten geprägt.
Mit genau so einem Text haben wir es also im Falle „Befriedigung“ zu tun. Während in den Quartetten auf geradezu klassisch-romantische Weise durch einen Liebespreis eine Liebe-Leid-Problematik vorbereitet wird, kontern die Terzette mit einer Szenerie im Bett bei der Erfüllung der Leidenschaften des lyrischen Ichs. Erst im letzten Vers wird dem Leser schockartig bewußt, an wem das lyrische Ich seine Lust stillst, nämlich an der eigenen Tochter.
Das Gedicht erzeugte, wie vom Dichter provoziert, unterschiedlichste, z.T. heftige Reaktionen, die einen fühlten sich angeekelt, andere hielten es für platt, auf diese Weise Aufmerksamkeit für die eigenen Texte zu heischen, noch andere fanden es toll, wie das Thema umgesetzt war und wieder andere tangierte es zunächst nicht weiter. Zur letzten Gruppe zähle ich mich selbst. Aufmerksam wurde ich auf den Text nämlich erst, als der Dichter um Mithilfe bei der Gegenwehr gegen die Beschlagnahmung seiner Rechner bat.
Natürlich ist „Befriedigung“ anstößig, auch wenn der Text (abgesehen von dem letzten Wort „ficken“) keinerlei anstößige Sprache enthält. Er ist anstößig allein aufgrund seiner Umsetzung, aufgrund des Umstandes, dass hier ein Ich spricht und aufgrund der Tatsache, dass für viele Leser eine Identität zwischen Autor-Ich und lyrischem Ich besteht, von der mir schon in der Schule eingetrichtert wurde, dass sie inexistent ist und dass es höchst bedenklich für die Betrachtung von Kunst sei, von ihr auszugehen.
Also sollte anhand des Textes und der öffentlichen Auseinandersetzung des Dichters mit dem Thema (er veröffentlichte um die selbe Zeit ein Haibun, das sich explizit gegen Kinderpornographie aussprach) doch wohl jedem klar gewesen sein, dass es sich dabei eher um Kunst, denn um Propaganda pro Pädophilie handelt und dass die Aktivitäten seines lyr. Ichs keine Rückschlüsse darauf zulassen, dass der Autor ein Befürworter der Handelungen seines Protagonisten wäre, im Gegenteil. Dem war offenbar nicht so und wenn man die Konfiszierung der Rechner des Dichters vielleicht noch mit dem Argument, man müsse solch einer Sache ernsthaft nachgehen, denn schließlich könne es ja doch sein, dass da was faul ist, zustimmen mag, so überschreitet eine gerichtliche Anklage wegen der Verbreitung von Kinderpornographie meines Erachtens nach deutlich die Grenze in Richtung Kunstzensur. Dagegen sollte ein jeder Künstler, dem seine Freiheit lieb ist, aufbegehren. Schweigt nicht!
Wo kämen wir hin, wenn wir aus Angst vor staatlicher Verfolgung nicht mehr thematisieren können, was möglicherweise Anstoß erregt, wenn wir zweifelhafte Themen, wie Pädophilie oder Terrorismus (um nur die brisantesten Schlagworte zu nennen) nicht mehr auf die Art zur Sprache bringen könnten, die wir uns nach unserem künstlerischen Plan auserkoren haben? Wir würden uns hüten, gefährdete Themen künstlerisch umzusetzen und uns damit im Vorfeld selbst zensieren. Unumstritten große Werke der Weltliteratur, wie z.B. Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ oder Vladimir Nabokovs „Lolita“, wären vielleicht nie entstanden. Welch ein kultureller Verlust wäre das!
Ich denke, durch Vorfälle wie diesen wird der Weg in eine Vorzensur geebnet und Zensur sollte, wie Kurt Tucholsky in seinem Artikel „Kunst und Zensur“ schon erkannte, allenfalls vom Publikum selbst stattfinden, nämlich durch ihre An- oder Abwesenheit bei der Aufführung, sprich ihr Rezeptionsverhalten. Die Vorstellung, dass Menschen vor Inhalten geschützt werden müßten, von denen man annimmt, sie hätten schädliche Auswirkung, ist sowieso eine überkommene. Das wird jedem klar, der sich an die Zensierung von Ovids „Ars Amatoria“ wegen angeblicher Pornographie oder Baudelaires „Fleurs du Mal“ wegen angeblicher Gotteslästerung erinnert, ganz zu schweigen von den systematischen Schriftverboten des NS-Regimes.
Sollte mein Freund und Dichter wegen seines Sonettes tatsächlich der Verbreitung von Kinderpornographie schuldig gesprochen werden, wäre das ein kulturelles Armutszeugnis. Es spräche deutlich für die Aussage des renommierten Kunst-Anwaltes Joachim Kersten: „Die Geschichte der Kunstfreiheit in Deutschland ist eine Geschichte ihrer fortwährenden Einschränkung.“ Ich für meinen Teil werde alles in meiner Macht stehende dafür tun, dies zu verhindern.
September 8th, 2006 16:37
Wie wäre es, wenn du es hier reinstellst, damit man sich selber ein Bild darüber machen kann?
September 8th, 2006 18:11
Nein, das geht aus zwei plausiblen Gründen leider nicht. Erstens hat mich der Verfasser gebeten, es vorerst nicht zu veröffentlichen und zweitens würde auch ich mich der Verbreitung von Kinderpronographie strafbar machen, falls das Urteil dementsprechend ausfallen sollte.
Oktober 19th, 2006 01:37
Gibt es da schon etwas Neues? Der Fall ist gänzlich absurd. Kinderpornographie ist die Abbildung eines sexuellen Missbrauchs. Übereifriger Jungstaatsanwalt, der den Fall um die Ohren geschlagen bekommen wird. Diese Gruppe von juristischen Halbhirnen konfiszieren auch gern mal Ralf-König-Comics. Lustig, wenn es nicht so anstrengend für die Betroffenen wäre.
Oktober 19th, 2006 02:07
Ja, das ist wahr. Dafür gibt es inzwischen ein Update. Vermutlich hat der Richter sich an die Stirn getippt und die wieder Buddeln geschickt. Jedenfalls hat mein Kollege jetzt als einer der wenigen ein amtlich bestempeltes Papier, auf dem steht, dass er Kunst macht.
November 14th, 2006 22:49
Der Fall ist vorerst abgeschlossen, jedoch habe ich von meinem Rechtsanwalt erfahren, dass es durchaus möglich ist, dass ich noch eine Anzeige für dieses Gedicht bekommen könnte, da die Anzeige und die Untersuchung sich nur auf Gedichte-Foren.de bezog, dass Gedicht aber auch in anderen Foren veröffentlicht wurde, bzw wieder einzusehen ist. D.h. ich warte jetzt einfach ab, ob der Herr Schneider aus Köln, mich nochmal wegen diesem Werk anzeigt, zumal es ja auch in anderen Foren wieder zum Lesen und Kritisieren bereitsteht.
Mfg Demon_Wolf
PS: vielen Dank nochmal für alles LeV
November 23rd, 2006 09:38
Nachdem der Herr Wolf nun von und auf gedichte.com zensiert wurde, obwohl das Gedicht doch ein amtliches Gütesiegel trägt, wäre es doch jetzt an der Zeit, diesem Werk hier Asyl anzubieten, nachdem du doch einfach alles in deiner Macht Stehende tun wolltest, um dem Dichter und seinem Gedicht und damit der Freiheit der Kunst zu helfen.
Also voran, LeVampyre, lass den großen Worten Taten folgen und veröffentliche es hier oder waren das alles nur Lippenbekenntnisse? Jetzt kann der Dichter doch nichts mehr dagegenhaben und jetzt droht dir doch auch keine Gefahr mehr.
November 23rd, 2006 13:05
das Gedicht benötigt in dem Sinne kein Asyl, da es außer auf gedichte-foren.de noch auf anderen Seiten erscheint (siehe Kommentar DW oben).
Wenn Du Interesse an dem Text hast, dann schalte doch einfach Deine Kindersicherung in der favorisierten Suchfunktion ab und suche ihn, das ist sicher die schnellere Variante.
Gruß,
xi
November 23rd, 2006 13:07
Dass der Text auf .com inzwischen wieder zensiert wurde, ist äußerst betrüblich. Dass es aufgrund deiner Exempel statuierenden Veröffentlichung eines „Nazi-Gedichtes“ passierte, entlockt mir ein verständnisloses Kopfschütteln. Denn ich habe mich genügend mit der „Eristischen Dialektik“ befaßt, um nicht auf solch lächerliche Tricks reinzufallen.
Deine Besessenheit, Matthes, bezüglich dieses Textes und seines Verfassers ist allgemein bekannt. Sie hat inzwischen Dimensionen angenommen, in denen ich dir den Gang zu einem Psychologen ans Herz legen würde. Denn ich kann dir bei den Problemen, die du offenbar hast, wirklich nicht mehr helfen. Ich verstehe sie nicht.
Ich bin mir aber sicher, es würde dir gut tun, einfach ein bisschen auf Distanz zu gehen und dich wieder auf dein Dichten zu konzentrieren. Ich erinnere mich nämlich an eine Zeit, in der du ein echt guter Dichter warst. Vielleicht kannst du das Ganze ja dann irgendwann wieder etwas entspannter betrachten. Viel Erfolg.
November 23rd, 2006 15:14
Wenn du dich so schön mit der Dialektik befasst hast, dann weißt du ja auch, was du da gerade mit mir abziehen willst. Ich bin aber ganz entspannt und verfolge nur mit Amüsement, wie alle Klugscheißer immer wieder zurückrudern (müssen).
Dass das Gedicht aufgrund (m)eines „Nazi-Gedichtes“ zurückgezogen wurde, ist eine Erkenntnis, die mir neu ist. Ich habe niemals ein Nazigedicht veröffentlicht, insofern weiß ich nicht, was du meinst? Du scheinst mittlerweile alle, die anderer Meinung sind, mir zuzuordnen. Glaub mir, so schizophren bin ich noch nicht.
Und wenn ich dich jetzt auffordere, Farbe zu bekennen, tu ich das nicht aufgrund einer Besessenheit hinsichtlich des Gedichtes oder des Autoren (ich kenne den nicht einmal), sondern wenn, dann ja wohl eher aufgrund einer auf dich zielenden Besessenheit. Tatsächlich aber überprüfe ich gerne, wer nur Blabla macht und wer hinter dem steht, was er verzapft.
Ich glaube nämlich, du hast die vorübergehende Einkassierung des Gedichtes nur als Bühne benutzt, auf der du dich als aufrechte Streiterin für die künstlerische Freiheit produzieren konntest. Du scheutest dabei nicht davor zurück, alles was Sonett heißt, zur Kunst zu erklären und das dämonische Selbstbefriedigungsmachwerk in geradezu Shakespeare’sche Sphären zu heben.
Nun, das mit dem Sonett dürfte allen klar sein, dass das Unsinn ist. Und das mit Shakespeare möchte ich jetzt gerne sehen. Du kämpftest für die Freiheit des Werkes, so sehr, dass der Wolf dir öffentlich dankte. Nun ist es frei, aber meinetwegen aufgrund meiner dunklen Machenschaften auf dem immer noch größten deutschsprachigen Forum wieder versunken. Wie habe ich das nur angestellt? Verfüge ich über übernatürliche Fähigkeiten? Also übe ich jetzt Zensur aus? Stünde es dir da nicht erst recht an, das Werk hier auszustellen?
Ich hielt dich zwar schon immer für exzentrisch, aber für ehrlich. Ich wunderte mich also nicht wenig, als du Partei für dieses Gedicht ergriffst. Ich konnte das so wenig nachvollziehen, dass ich den Beweis haben wollte, den du mit der Veröffentlichung hättest liefern können. Diese lehntest du aber ab, weil der Dichter es nicht wollte und es außerdem riskant wäre. Nun zählen diese Ausreden – als solche habe ich sie empfunden – nicht mehr. Daher würde ich jetzt gerne wissen, ob du es ehrlich mit dem Gedicht und deinen Aussagen über die Freiheit meintest? Veröffentlichst du es jetzt hier in Nachbarschaft zu deinem Lob? Denn wenn du es nicht tust und deine Kritiker stattdessen zu Psychos degradierst, dann hast du den schmalen Grat leider verlassen, auf dem du wandelst. Dann muss man auch deine anderen Statements nicht für voll nehmen. Dann lohnt es zukünftig nicht mehr, deine Kommentare zu lesen, denn wer weiß dann schon, ob du es auch ehrlich meinst.
November 23rd, 2006 16:45
Darf ich dich auf den Umstand hinweisen, dass du dich einerseits lautstark für die Zensur des Textes aussprichst, andererseits aber forderst, er möge hier doch veröffentlicht werden? Um ehrlich zu sein, ich finde das absurd. Was willst du denn nun? Nehmen wir mal an, ich veröffentliche den Text, kommst du dann und spielst auch hier die Sittenpolizei, die wiederum seine Zensur fordert? Tut mir leid, aber das Spielchen ist mir echt zu albern.
Ich weiß nicht, in welchem Schrank du stecken geblieben bist, aber glaube mir, es wird nicht besser, wenn du dagegen ankämpfst! Und wenn du bezweifelst, dass es sich lohnt, weiterhin meine Kommentare zu lesen, weil du dir nicht sicher bist, ob ich es auch ehrlich meine, dann lies sie doch einfach nicht. Das ist die einfachste Lösung. Ehrlich!
November 23rd, 2006 17:58
Ja, du hast Recht. Nach diesem Kommentar bist du mich los.
Zwei Dinge nur noch: Ich forderte lautstark Zensur? Wo denn? Das ist doch einfach nicht wahr! Ich habe niemals dazu aufgefordert, das Gedicht zu zensieren.
Ich forderte allerdings dich auf, eindeutig Stellung zu beziehen. Du aber drückst dich. Herzlichen Glückwunsch!
November 23rd, 2006 18:54
Falls es dir nicht aufgefallen ist, das Pamphlet war die Stellungnahme. Abgesehen davon bist du nicht in der Position, irgendetwas von mir zu fordern. Befriedigung findest du hier, hier, hier und hier und falls dir das nicht reicht, bin ich sicher, der Autor erteilt dir die Erlaubnis, es auf deiner eigenen Seite zu präsentieren, wenn du ihn ganz lieb darum bittest.
Dezember 3rd, 2006 04:45
Nö, das tut der Author auf Garantie nicht. Und ich werd meinen treusten Fan auch nicht mit der Nase auf andere ähnliche Gedichte stossen, die von mir erschienen sind.