Dróttkvætt [Strophenform]
Das Dróttkvætt (sprich: Drotzkwett) ist eine Strophenform, und zwar die strengste, die die altnordische Skaldendichtung zu bieten hat. Sie war in der Zeit zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert gebräuchlich und ist sehr komplex. Da ich es für spannend und interessant halte, diverse poetische Formprinzipien kennenzulernen, habe ich hier mal die Grundlagen zum Dróttkvætt zusammengefaßt.
Das Dróttkvætt („Hofton“) ist die strengste Strophenform der altnordischen Skaldendichtung und gleichsam ihr Hauptversmaß. 5/6 aller erhaltenen Texte sind im Hofton überliefert.
Metrische Struktur
Eine Strophe („vísa“) besteht aus je 2 Halbstrophen („helmingr“) mit je vier sechsgliedrigen1 Halbzeilen („vísuorð“). Im Anvers müssen sich zwei Stäbe („suθlar“) auf betonten Silben befinden, im Abvers ein Stab („höfuðstaðr“) auf der ersten Silbe, wobei Konstonanten mit sich selbst staben und Vokale miteinander2.
In jedem Halbvers befindet sich zusätzlich ein Binnenreim („hending“), wobei hier der Gleichklang von Lauten innerhalb von Reimworten gemeint ist. Jede vorletzte, betonte Silbe nimmt am Binnenreim teil. Der Reimpartner muß auf einer betonten Silbe weiter vorn sein. In jedem ungeraden Halbvers sind die Binnenreime Halbreime („skoθhending“), d.h. nur Konsonantenklänge stimmen überein. In geraden Halbversen sind die Binnenreime jedoch Vollreime („adalhending“), d.h. Vokale und Konsonanten lauten gleich.
Darüber hinaus sind im Hofton sogenannte Kenningar unabdingbar. Das sind zwei- oder mehrsilbige, bildliche Umschreibungen, die sich im Idealfall nur mit einer speziellen Kenntnis der altnordischen Mytholgie entschlüsseln lassen. Einige Kenningar sind auch aus dem Kontext heraus zu entschlüsseln. Typischerweise ist jede Halbstrophe von einem Kenning bestimmt, das auch mehrere Teile oder Glieder haben kann.
Da der Dichter durch diese Formstrenge relativ eingeschränkt ist, besteht seine einzige Ausweichmöglichkeit in der Wortstellung, was darauf hinausläuft, dass die Syntax nicht immer leicht zu durchschauen ist.
Beispiel
Das Beispiel ist ein Totenpreis für den dänischen Wikingerführer Sibbe, der in jüngerem Futhark (Runen) auf den Stein von Karlevi geritzt ist. Fett sind die Stäbe, unterstrichen die Binnenreime und kursiv die Kenningar, wobei zusammenhängende Teil-Kenningar durch * gekennzeichnet sind.
Folginn liggr hinn’s fylgðu
(flestr vissi þat) mestar
dáðir dolga þruðar
draugr í þeimsi haugi.
Mun-at reið-Viðurr* ráða
rógostarkr í Danmǫrku
*Endils jǫrmungrundar
ørgrandari landi.
In diesem Hügel verborgen liegt der Krieger („Baum der Thrud der Kämpfe“), dem (die meisten wissen das) die größten Taten folgten. Nicht wird ein kampfstarker, untadeliger See-Krieger („Wagen-Odin des weiten Grundes des Endill“) über Land in Dänemark herrschen.
Überlieferung
Viele Skaldenstrophen sind als Zitate in Sagas oder in der Snorra-Edda, dem Skaldenlehrbuch Snorri Sturlusons (1079 – 1241), überliefert. Im Gegensatz zu Edda-Liedern sind die Skaldenstrophen häufig mit Verfassernamen angeführt.
Frühe Formen finden sich bei Bragi enn gamli Boddason (9 Jh.), dem ersten namentlich bekannten Skaldendichter und Egill Skallagrímsson, der um 900 bis nach 990 gelebt hat.
Literatur
- Andersson, Th. / Marold, E. (2000), „Karlevi“, 2RGA 16, 275-280.
- Jónsson, Finnur (1912 – 1915), Den Norsk-Islandske Skjaldendigtning, Bde. A I-II, B I-II, København und Kristiana
Weblinks
- Textausgabe: http://www.skaldic.usyd.edu.au
- Textausgabe: http://titus.uni-frankfurt.de
- Wikipedia: Dróttkvætt (Ja, den Artikel habe ich verfaßt.)
Wer mehr Infos zum Dróttkvætt (Dróttkvaett, Drottkvaett) oder Verbesserungsvorschläge zu diesem Artikel hat, sei dazu ermuntert, sein Wissen hier beizutragen.
__________
1. Die Sechsgliedrigkeit entspricht weitestgehend einer Sechssilbigkeit mit drei Hebungen, ist aber doch nicht ganz dasselbe.
2. Die Konsonantenkombinationen sk, sp, st bilden eine Ausnahme. Sie staben nur mit sich selbst, nicht aber mit s, während Kombis wie kr oder kl durchaus mit k staben. Als Vokal wird auch j behandelt.
November 13th, 2006 12:50
Sapperlot, das ist mal etwas, was ich garantiert nie schreiben, nicht einmal verstehen werde. Findet diese Form eigentlich heute noch eine Anwendung?
Viele Grüße
Thomas
November 13th, 2006 13:34
Da mußt du mal xipulli fragen. 😉
November 13th, 2006 17:47
Hejho und vielen Dank für den Artikel.
Klasse in Kurzform
kann ich nur sagen,
dem drottkvatt als Dichtung
ein Sätzchen zu schreiben!
Zur Anwendung:
Ich glaube zur Zeit trauen sich an das Drottkvaett nur einige Asathru (Asengläubige…es muss ja schließlich für alles noch die eine oder andere Glaubensgemeinschaft geben)…da habe ich einige Beispiele im Netz gesehen. Allerdings muss gesagt werden, dass sich die Umsetzung ins heutige deutsche vor allem wegen der Kenningar ziemlich schwierig gestaltet. Während man im entsprechenden Sprachraum noch vor 1000 Jahren davon ausgehen konnte, dass die Formen allgemein geläufig waren oder zumindest verstanden wurden, kann man das heutzutage nicht mehr machen, weil die Umschreibung „Sitz der singenden Winde“ für ein Hochhausdach doch ziemlich albern klingen mag, ganz davon abgesehen, dass der freien Allegorie hier Tür und Tor geöffnet wird und die Hälfte der Leser bzw. Zuhörer nur unverständlich den Kopf schütteln wird.
Hinzu kommt,siehe Zuhörer, dass die eigentliche Umgebung für diese Form des Gedichts, der Vortrag vor einem geeigneten Publikum in der heutigen doch eher leseorientierten Gesellschaft nicht mehr in dem Maße gegeben ist, wie dass der Fall war.
Sonst: Ich habe mich vor einiger Zeit mal an ein Gedicht in drottkvaett gewagt und äh…lev fand es ziemlich albern damals….zumal mir auch kein aktueller Zeitbezug als thematische Umgebung eingefallen war. Aber prinzipiell würde ich für die Form eine Lanze brechen wollen, da ich wirklich finde, dass auch diese doch recht alte Form durchaus heutzutage noch angewendet werden kann. Ist eben nur ein bischen kompliziert. Zum Glück kann man wenigstens auf eine Form von Endreim verzichten 😉
Erleichtert wird die Form übrigends auch dadurch, das prinzipiell alle Vokale untereinander staben können…s.o.
Gruß,
xi
November 13th, 2006 18:53
Das ist wahr. Es klang ruppig und irgendwie (schlagt mich dafür, dass dieses Wort aus meinem Munde kam) unzeitgemäß. Xi warf mir vor, mich nicht ausreichend mit der Form beschäftigt zu haben, was ja auch stimmte. Aber dafür habe ich das jetzt nachgeholt, nur um dir zu sagen äh…, dass das da über deinem Kommentar aber kein Dróttkvaett ist. 😀
November 13th, 2006 19:28
Vielen Dank an xipulli für die Erläuterung. Wie ich oben schon festgehalten habe: Ich bin wohl nicht der geeignete Mann für eine Weiterverbreitung dieser Form in unserem Sprachraum. 😀 Aber schön, dass es Leute gibt, die sich daran versuchen, denn interessant klingt diese Form jedenfalls.
Viele Grüße
Thomas
November 13th, 2006 20:34
*g* stimmt, das der Eingangsvers kein drottkvaett ist, ist mir auch aufgefallen…aber 5 Silben machten sich gerade im Kopf sooooo schön 😉
Und Ja, ich wusste, dass Du DAS in Deinem Folgekommentar schreiben würdest 🙂 (you´re sometimes so predictable *hehe*)
Aber ich kann auch nur zur meiner Verteidigung anbringen, dass ich immernoch nicht alltäglich in Skaldenstrophen spreche…vielleicht sollte ich das ändern…
Gruß,
xi
November 14th, 2006 01:10
Ach, also nicht wie die ganzen großen Wikingerkönige, die noch mitten in der Schlacht, kurz vor dem Zerfallen, nachdem sie die Mörderwaffe des Geners getroffen hat, schnell eine Strophe perfektestens Drottkvaets loswerden, um dann heldenhaft zu Grunde zu gehen?
(Für die anderen Leser: Wenn man die alt-nordischn Heldenlieder liest, dann wird es immer so dargestellt, als müßte das so.)