Odeur
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Odeur
Mit nackten Armen und zur Hand Lektüre,
in die dein Geist sich innig schon verwoben,
auf einem Stuhl, im Haar des Windes Welle,
sitzt du im Sonnenlicht fällt ein von oben
und ahnst nicht, dass ich dich sogleich verführe.
Von schräg erspäh ich dich in dieser Pose
und schleiche leise, unbemerkt im Bogen
von hinten mich an die begehrte Stelle,
als hätte ich dich lange schon betrogen,
du, meine ungeliebte Ahnungslose.
Dein Atem geht und saugt für die Sekunde
der nahen Innigkeit vertraute Düfte.
Kaskaden ungebremster Wasserfälle
entschweben giftig in die schweren Lüfte
und öffnen wieder die vernarbte Wunde.
XXIII | Apr. 2005
Zur Entstehungsgeschichte
Dies ist wieder einer der Texte, die relativ rasch und spontan entstanden sind. Die Idee dazu kam wir während einer Chorprobe. Meine alte Liebe, ja, genau die, die mich damals zum ernsthaften Dichten gebracht hat, ging von hinten an mir vorrüber und duftete einfach umwerfend. Eigentlich dachte ich, dass ich es wohl inzwischen überstanden hätte, aber dieser Duft versetzte mir instentan einen Stich ins Herz. Mal abgesehen davon, dass ich mich dieser Liebe gegenüber damals natürlich wie ein Idiot verhalten habe, war das mal wieder ein prima Stoff für ein Gedicht, an sich schon lyrisch genug. Ich spann mir noch ein bisschen Umgebung hier, ein bisschen Atmosphäre dort dazu und schwups fertig war das Liebesgedicht.
Na ja, ganz fertig war es noch nicht. Ich war unzufrieden mit dem vierten Vers. Es paßte einfach nicht so, wie ich es sagen wollte, entweder ergab es einen Stilbruch oder eine die Atmosphäre zerstörende Ellipse. Da fiel mir plötzlich ein Stilmittel ein, das ich während der Lektüre lateinischer Dichtung kennengelernt hatte und von dem ich dachte, es müsse wohl auch im Deutschen anwendbar sein. Das Apokoinu macht aus zwei Sätzen anderthalb, indem es zwei gleiche Satzteile einmal in der einen grammatischen Funktion, einmal in der anderen verwendet, ohne das wörtlich Identische erst zweimal hinschreiben zu müssen. Der Effekt, der sich daraus ergab, war atmosphärisch perfekt und alles Wichtige war auch untergebracht. Voilà!
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- der Text wurde hier erstveröffentlicht
- diskutiert wurde er auch auf gedichte.com