Am Anfang war das Bild?

Sonntag, 05. Oktober 2008 16:34

„Am Anfang war das Bild“ – so kommt es mir häufig vor, wenn ich lyrische Texte lese. Bevor ein Autor den ersten Vers verfasst oder die ersten Begriffe beisammen hat, steht ein initiierendes Element. Wenn ich selber etwas schreibe, so steht am Anfang jeder Verschriftlichung zunächst ein Bild, welches mir vor dem geistigen Auge vorschwebt. Ich visualisiere eine Landschaft oder eine Situation in Bildern, wobei diese Landschaft sich dann in einem Text manifestiert. Manchmal kommt es mir bei der Betrachtung von bildender Kunst so vor, als sei diese Kunst bereits Lyrik. Ich stelle auch immer wieder fest, dass ich einen Text beim Lesen wieder in jenen bildhaften Ursprungszustand visualisierend zurückversetze in dem er in ähnlicher Form im Kopf des Autors vermutlich auch schon manifest war. Der Prozess geht also in beide Richtungen.

Text lesen –> Bild visualisieren
Bild visualisieren –> Text schreiben

Wenn ich bildende Kunst anschaue fehlen eigentlich nur das Lesen und das Visualisieren. Die Visualisierung ist praktisch schon existent in Form einer realen Leinwand. Der Unterschied zwischen dem Eindruck von bildender Kunst und konventioneller Lyrik scheint mir irgendwie sehr klein zu sein (was das Endprodukt im Kopf angeht). Es finden sich meines Erachtens auch Parallelen zwischen abstrakter Kunst und moderner Lyrik. Bei so manch modernem Text sehe ich ein chaotisches Klecksgewirr (nun nicht ironisch gemeint).

Da ich selber nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinblicken kann, kann ich nur vermuten, dass euch das ähnlich geht. Aber ich denke jeder Mensch nimmt dies auch wieder ein wenig anders war. Ich persönlich habe jedenfalls durch die Beschäftigung mit der Lyrik eine neue Sensibilität gegenüber bildender Kunst entwickelt, obwohl ich mich mit selbiger kaum beschäftigt habe. Dies könnte auf die ähnlichen Prozesse im Gehirn, beim Lesen und Verarbeiten von Lyrik und beim Betrachten von bildender Kunst, zurückzuführen sein. Geht euch das auch so?

Liebe Grüße
Jonas

Wo man in Massenricht gut essen geht…

Sonntag, 21. September 2008 03:33

Also es gab ja schon durchaus unschöne und widerliche Streitereien zwischen Wikipedianern, die man gar nicht lesen mochte. Aber dann von Zeit zu Zeit trifft man auf solch erfrischende wie die Diskussion über die Relevanz der Erwähnung von Wirtshäusern in Massenricht [1].

Massenricht (wer kennt es nicht!) ist, so belehrt uns die Wikipedia, ein Ortsteil der Stadt Hirschau im Landkreis Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz in Bayern. Ein Rivisor hatte den Absatz über die Gastronomie des bayrischen Erdenfleckchens als irrelevant herausgestrichen und begründet, man würde solche Informationen schließlich auch nicht im Brockhaus finden. Darauf antwortet der Fürsprecher der Massenrichter Wirtshäuser:

Hm, so würd ich das nicht beurteilen. Ein Artikel über Massenricht würde im Brockhaus ohnehin nicht zum Stehen kommen. Gleichzeitig ist für eine Stadt wie München (die im Brockhaus gelistet ist) die Gründung eines Waldvereins kein herausragendes geschichtliches Ereignis. Für Massenricht wars das. Ebenso sind die Wirtshäuser für Massenricht eine durchaus sehr relevante Angelegenheit, weil sie wesentlich weitreichendere Bedeutung haben als Massenricht selbst. Alleinstellungsmerkmale für die Wirtshäuser in Massenricht waren sehr wohl genannt. z.B. habe ich beim Gasthaus Schiffl die Karpfen genannt, beim Rosenhof den Brand und den Tanzsaal und bei der Berghütte die Anziehungskraft für Wanderer. Die Kanzlei habe ich der Vollständigkeit halber erwähnt. Ich bin der Meinung, der revert sollte rückgängig gemacht werden.

Ist es nicht unglaublich liebenswürdig und zum Umfallen komisch, welch innige Verbundenheit mit dem Ortsteil Massenricht in dieser sauberen Argumentation zum Ausdruck kommt!? Ich fühlte mich an die kleinen Hobbits in „Der Herr der Ringe“ erinnert, habe Tränen gelacht und bin äußerst froh, dass die beiden Streithähne offenbar einen Konsens gefunden haben. Denn der Absatz über die Wirtshäuser steht nun berechtigterweise im Artikel. Sollte es mich jemals nach Massenricht verschlagen, dann weiß ich dank des heldenhaften Rettungseinsatzes dieses Liebhabers immerhin, wo ich essen gehen kann!

Sprache und Bewußtsein

Donnerstag, 18. September 2008 15:06

Der SpOn veröffentlicht gerade eine Reihe von Artikeln, in denen Wissenschaftler Thesen ihres Fachgebiets präsentieren, die sie alle irgendwie für wahr halten, aber nicht beweisen können. Darunter findet sich auch eine These des Philosophen Daniel C. Dennett, der behauptet, dass die Ausbildung des Bewußtseins mit der Fähigkeit zu sprechen einherginge.

„Ha!“, sage ich zu meinem Mann, mit dem ich dieses Thema schon oft wild diskutiert habe. Er Informatiker, ich Literaturwissenschaftler, haben wir beide irgendwie was mit Sprache und den logischen Systemen, die dahinter stehen, zu tun. Ich behauptete immer, dass Welt, also das was wir als uns und unsere Umgebung begreifen, nicht über das hinausgehen könne, was wir sprachlich formulieren können, weil sich unsere Gedanken irgendwie sprachlich manifestieren und wir Dinge, die wir uns vorstellen können, selbst wenn noch kein Name für sie existiert, immer sprachlich erfassen. Frei nach dem Motto: „Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt“, das ich hier schon öfter besprochen habe. Er ist hingegen der festen Überzeugung, sich auch Dinge vorstellen zu können, ohne dass sie im inneren Monolog beschrieben werden müßten, denn schließlich können ja Autoren, Künstler, Erfinder sich auch Dinge vorstellen, die eben noch keinen Namen haben.

Ganze Nächte haben wir uns mit diesem Thema um die Ohren geschlagen, doch beweisen konnte natürlich niemand seinen Standpunkt. Wir müßten ja in unsere Hirne gucken und erst einmal einig darüber werden, was überhaupt Bewußtsein ist. Für mich stehen Sprache und Denken in sehr engem Zusammenhang, vielleicht liegt es daran, dass ich in meinen Linguistikvorlesungen dahingehend sozialisiert wurde. Denken ist die Voraussetzung für Bewußtsein, man reflektiert sich und seine Umgebung, erinnert, spekuliert, benennt. Durch eine „Spiegelerfahrung“ bekommen wir überhaupt erst eine Vorstellung von dem, was wir sind und Sprache ist ein Teil davon, und zwar der akustisch (optisch) wahrnehmbare Teil unserer Gedanken, mit dem wir uns intersubjektiv über unsere Subjektivität austauschen können.

Ich persönlich kann mir ein Denken ohne Sprache nicht vorstellen. Dahingehend bekommt dieses Bibelzitat (ich schätze dieses Buch wegen kulturgeschichtlicher Aspekte): „Am Anfang war logos„, eine ganz interessante Deutung. Denn die Bedeutung des griechischen logos ist total unklar und reicht von „Wort“ über „Sprache“ über „Lehre“ bis hin zu „Denken“. Da kann sich jetzt jeder das passende einsetzen.

trotzdem – trotzdem

Sonntag, 14. September 2008 22:22

Wir saßen neulich bei einem Glas Rioja und Fischfilet am Mittagstisch, als mein Mann plötzlich verwundert bemerkte, dass man das Wörtchen „trotzdem“ einmal vorne und einmal hinten betonen kann. [Trotz-dem‘] es gestern regnete, ging ich spazieren. Es regnete, [trotz‘-dem] ging ich gestern spazieren. [Trotz‘-dem]? [Trotz-dem‘]? Seltsames Wort; ich grübelte. Müßte es nicht eigentlich trotz-des heißen? Trotz des gestrigen Regens ging ich spazieren! Obwohl es gestern regnete, ging ich spazieren. Es regnete, obwohl ich spazieren ging… Nein! das ist nicht sinnig.

Ich hatte mich im Zuge meiner Metrikbemühungen mit den Regeln der deutschen Wortbetonung befaßt und konnte mir demnach sehr gut erklären, warum es einmal [um‘-schrei-ben] und ein anderes mal [um-schrei‘-ben] heißt. Das sind nämlich verschiedene grammatische Phänomene und die Bedeutung ist auch jeweils eine andere. Denn das eine mal schreibt man etwas Existierendes neu und das andere mal sagt man etwas mit anderen Worten. Beim einen mal handelt es sich um ein Derivat des Verbes „schreiben“ mit dem betonten Präfix „um“, das sowohl synthetisch als auch analytisch auftreten kann: Ich schreibe den Roman um. Beim anderen mal handelt es sich um ein Adverb-Verb-Kompositum, das man nicht analytisch verwenden kann: Ich umschreibe es dir mit anderen Worten. (Ich schreibe es dir mit anderen Worten um, geht nicht.) Ähnlich ist es übrigens bei [ü‘-ber-set-zen] und [ü-ber-set‘-zen]. Man kann nämlich ans andere Ufer übersetzen oder einen englischen Roman ins Deutsche übersetzen.

Ich habe auch andere interessante Worte gefunden, bei denen der eigentlich feste Wortakzent von Derivat zu Derivat hüpft, obwohl es sich nicht um ein Fremdwort handelt: [miss-gön‘-nen], aber [Miss‘-gunst] und [wi-der-ru‘-fen], aber [Wi‘-der-ruf]. Auch hier ist klar, das eine ist ein Verb, das andere ein Substantiv. Aber trotzdem?

1. Trotzdem‘ es gestern regnete, ging ich spazieren.
2. Es regnete, trotz’dem ging ich gestern spazieren.
3. Es regnet, aber ich spaziere trotz’dem.
4. Trotz des Regens, ging ich gestern spazieren.

Es macht semantisch keinen großen Unterschied, ob ich [trotz-dem‘] oder [trotz‘-dem] sage. In den ersten beiden Beispielsätzen leiten beide trotzdems einen Nebensatz ein, an dessen Anfang sie stehen. Dennoch kann man im ersten Beispiel ein „obwohl“ einsetzen und im zweiten nicht, es sei denn man ändert die Satzordnung: Es regnete, obwohl ich gestern spazieren ging. Der Sinn ist nicht derselbe und besonders sinnvoll wird dieser Satz auch nicht, aber grammatikalisch ist er einwandfrei. „Obwohl“ ist, ähnlich wie „weil“ oder „dass“ eine Konjunktion, also könnte [trotz-dem‘] im ersten Beispiel auch eine sein.

Um was für eine Wortart handelt es sich aber beim zweiten Beispiel, um ein Adverb, eine Konjunktion? Vielleicht ist es ein Partikel, eine Präpositionen wie im vierten Beispiel wird es nicht sein. Wir kommen hier an die Grenzen der traditionellen Wortartenlehre. Der Umstand, dass die zweite Variante anders betont wird, läßt mich daran zweifeln, dass es sich um dieselbe Wortart handelt, auch wenn die Satzpositionen und Funktionen (am Anfang des Nebensatzes, den sie einleiten) dieselben zu sein scheinen.

Das [trotz‘-dem] im dritten Beispiel würde ich persönlich für ein Adverb halten. Als Adverb betrachtet der Duden Wörter wie „abends“ und „bald“, während er Wörter wie „sehr“ und „ziemlich“ für Partikel hält. Ich hätte auch letztere für Adverbien gehalten.

5. Ich komme bald. (Adverb)
6. Ich komme trotz’dem. (Adverb?)
7. Ich liebe ihn ziemlich. (Partikel?)
8. Ich liebe ihn trotz’dem. (Partikel?)

Ich würde das vorne betonte „trotzdem“ für ein Adverb halten, sowohl in Beispiel 2 als auch 3, denn man kann beide Varianten auch mit dem Wörtchen „bald“ um‘-schrei-ben, was ja ein duden-zertifiziertes Adverb ist.

9. Es wurde dunkel, bald ging ich heim.
10. Es wurde dunkel und ich ging bald heim.

Dass [trotz‘-dem] und [trotz-dem‘] unterschiedlich betont werden, könnte also daran liegen, dass es sich bei dem einen um ein Adverb, bei dem anderen um eine Konjunktion handelt und nur zufällig beide unflektierten Formen gleich aussehen. Wenn mir jetzt noch jemand den Unterschied zwischen Adverbien und Partikeln begreiflich machen könnte, würde der Knoten in meinem Kopf vielleicht platzen. Trotzdem‘ ich keine Ahnung habe, hilft mir das Nachdenken über solche Probleme trotz’dem. So ist das mit den linguistischen Sinnkrisen am Mittagstisch.

I’m shocked, i tell, ya!

Donnerstag, 07. August 2008 10:48

Welch Erkenntnisreicher Donnerstag-Vormittag: Auch Geistesgrößen haben Sex! Ja, sie besitzen sogar Pornos, unglaublich, aber wahr. Auch Leute, die viel Zeit auf das Erdenken und Schreiben von Kurzgeschichten verwenden, die ein wenig nach Ficken auf LSD klingen, sind nicht befreit davon, ihrem Sexualtrieb zu fröhnen. Der Spiegel – auch genannt die Bildzeitung für Akademiker – hält das für einen Skandal.

Denn ein Forscher entdeckte Kafkas Pornosammlung, die dieser wohl im Haus seiner Eltern versteckt hielt und, nein, es handelt sich nicht um Blümchenszenen mit schwedischen Hippies. Kafka war ein knallhart versaut Perverser. In den Heftchen finden sich sodomistische und lesbische Szenen. Wer hätte das gedacht! Der arme Britische Kafka-Forscher wird nie wieder ruhig schlafen können. Nachdem Kafkas Kurzgeschichten doch so geistesruhig und märchenhaft sind, wurde ihm durch diesen Fund seine heile Welt zerstört. Legen wir eine Schweigeminute für die verstorbene Naivität ein, dass ein Autor, der kafkaeske Kurzgeschichten schreibt, nicht auch eine Vorliebe für Kafkaesken Porno hätte.

Nun, liebe Leser läßt sich angesichts dieser Gesellschaftlichen Scham und Empörung nur hoffen, dass ich entweder nie so ein angehimmelter Autor werde, wie Kafka. (Die braven Forscher würden mit Sicherheit an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie meine Pornosammlung entdecken.) Oder wird hoffen einfach mal, dass die Menschheit in Sachen Sex endlich mal ein bisschen Entspannter wird.

Vereinigte Staaten von Europa

Dienstag, 22. Juli 2008 22:15

# update vom 22.07.08: Nachdem ja nun Dank der tapfren Iren die gesamteuropäische Ratifizierung des Lissabon-Vertrags vorerst vor neue Probleme gestellt wurde, sende ich mal einen interessanten Link zu einem Interview mit Professor Schachtschneider, der einer der wenigen Menschen ist, die den 500-Seiten starken Vertrag einmal ganz genau gelesen haben, und der hat so einige Magenprobleme bereitende Klauseln entdeckt.

# update vom 29.04.08: Am 24.04.08 hat unser Bundestag mit 2/3 Mehrheit dem EU-Reformvertrag zugestimmt. Damit steht der Ratifizierung von Deutscher Seite aus nichts mehr im Wege und die BRD könnte also ab 01.01.09 ihre Souveränität verlieren: das BVerfG wäre dann nicht mehr höchstes Gericht, unsere Grundrechte wären dann nicht mehr höchstes Gut und unsere Demokratie wäre dann quasi abgeschafft. Wie blöd muß man eigentlich sein, um auf denselben Trick zweimal reinzufallen?

Ebenso hatte gestern Österreich dem Vertrag von Lissabon zugestimmt.

# update vom 19.12.07: John Laughland bespricht die Bedeutung des „Lisbon Treaty“ (und der EU-Gesetzgebung) für die Nationalstaaten: Why Europe’s National Politicians Sign Away National Sovereignty (sehr lesenswert)

Die Verträge von Lissabon sind unterzeichnet [Beitrag vom 16.12.08]

Erinnert ihr euch an den Entwurf der Europäischen Verfassung, der so scheiße war, dass er 2005 gescheitert ist? Dieser Entwurf wurde jetzt unter dem Titel „Verträge von Lissabon“ weitestgehend unverändert und klammheimlich von den Regierungschefs der EU-Länder unterzeichnet und einer Ratifizierung durch das europäische Parlament steht damit nichts mehr im Wege. Mit der Ratifizierung der Verträge würde die Europäische Union zu einem supranationalen Staat, der unabhängig von und über die Köpfe der EU-Länder hinweg als Staat agieren, also z.B. einen Krieg beginnen, könnte. Jeder Bürger eines EU-Landes wird automatisch Staatsbürger der EU, ob er will oder nicht. Die EU erhält ein Parlament, das weiterhin nicht demokratisch von den Staatsbürgern gewählt wird, aber diese „vertritt“, der europäische Rat wird zum Regierungskabinet und der EU-Staatspräsident bleibt fünf 2 1/2 bis max. 5 Jahre im Amt. Außerdem gibt es natürlich neue Bürgerrechte für die EU-Bürger, was aber auch bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht nicht mehr das höchste Gericht der deutschen Bürger ist und dass Artikel 1-20 unserer Verfassung, also unsere Grundrechte, sekundär sind – denn was unser Recht und Unrecht ist, entscheidet dann die Jurisdiktion der EU. Ausführlich berichtet The Brussels Journal.

Trotz dieser weitreichenden Veränderungen und Machtverschiebungen, die die Verträge von Lissabon nach sich ziehen, schweigt sich die Mainstreampresse in Deutschland über diese Entwicklung aus und die Bürger bleiben uninformiert. Die Verträge sind undemokratisch und deren Unterzeichnung geschieht über unsere Köpfe hinweg. Vielen Dank, Frau Merkel!

Über den Hoffnungsträger Irland, wo die „No to Lisbon“-Kampagne des Präsidenten der Bewegung Libertas, Declan Ganley, bereits Gegner formiert, berichtet die Wiener Zeitung.

Thomas Beatie hat ein Mädchen geboren

Sonntag, 06. Juli 2008 13:25

Das war ja schon lange im Gerede: Thomas Beatie war schwanger, doch Thomas Beatie ist ein Mann. Als ich die ersten Bilder sah dachte ich, praise Photoshop! Aber die Story ging ein wenig anders. Thomas Beatie wurde als biologische Frau geboren, hat sich aber entschieden, von dieser Gotteswillkür loszusagen und sein Geschlecht in die eigene Hand zu nehmen. Er ist also inzwischen ein Mann. So weit so gut.

Nur hat Thomas eine Freundin, die leider aufgrund einer anderen Schnappsidee Gottes nicht schwanger werden kann. Damit die beiden trotzdem ein gemeinsames Kind haben konnten, entschied sich Beatie für eine künstliche Befruchtung und wurde also promt als erster Mann schwanger. Was für eine Schlagzeile!

Der Umgang mit dieser Besonderheit nimmt aber, gerade im prüden Amerika, oftmals eine hetzerische Note an. So erschien also vorgestern, nach der glücklichen Geburt, im „Hollywood Grind“ ein knapper Artikel, in dem es hieß:

Beatie’s world consists of finger pointing, snickers, and public confusion as to what she is … boy or girl? What makes Beatie think this kind of life, and environment, is mentally healthy for a child to grow up in? It appears Beatie was only thinking of herself, and not the child when she got artificially impregnated. In addition to not being able to live in a „normal“ family environment, Beatie’s daughter won’t have the benefit breast feeding provides either.

Das konnte ich natürlich nicht unbeantwortet lassen und schrieb darunter:

How could my mother be so inrresponsible to gave birth to me in this abnormal world, where people kill each other and abuse nature!? I’d rather been born into a world of only men-female, female-men, homo-, bi-, polysexual people, then to accept this. How could my mother possibly be so egoistic to produce another one, who’s standing up against intolerance and repression of minorities, rather than to raise me in a normal manner for a normal world. Holy shit, now i’m different, too and the normal world will hate me.

Wirklich, wer sich ernsthaft fragt, ob es mental gesund für ein Kind sein kann, von einer Mutter und einem Vater großgezogen zu werden, nur weil es vom Vater geboren wurde, der kann selbst in keiner gesunden Umgebung groß geworden sein, denn er hat mental noch ganz schön was aufzuholen!

Werkeinführung: Orff ~ „Catulli Carmina“ | Strawinksy „Les Noces“

Dienstag, 03. Juni 2008 17:00

Am 22.06.08 wird mein Chor, die Berliner Singakademie, sein 4. und letztes Abonnementkonzert in dieser Saison aufführen. Mit Carl Orffs „Catulli Carmina“ und Igor Strawinskys „Les Noces“ haben wir uns zwei Stücke mit extravaganter Besetzung herausgesucht: Solisten, Chor, Schlagwerk, vier Klaviere und Tänzer sehen die Komponisten vor. Ab 20:00 Uhr bringen wir dieses Programm im Großen Saal des Konzerthauses Berlin (am Gendarmenmarkt) auf die Bühne. Freunde erhalten ihre Karten wie immer bei mir zu reduzierten Preisen. Ansonsten besteht die Möglichkeit, Karten online zu bestellen. Nun aber weiter mit der Werkeinführung.

Werkeinführung

Carl Orff ~ „Catulli Carmina“

„Odi et amo. Quare id faciam?“ – „Ich hasse und liebe“, heißt es im berühmten Carmen 85, „warum muß ich das?“ Das Lied des Cäsar-Zeitgenossen Gaius Valerius Catullus nahm Carl Orff 1930 zum Anlaß, um einige A-Cappella-Gesänge um die Verse des römischen Dichters zu komponieren. Gleichsam leitete sein Entdecken für Orff eine Phase der Erkundung der klassischen Antike und der lateinischen Sprache ein, in deren Zusammenhang später auch die „Carmina Burana“ mit ihrem gewaltigen Eingangschor „O, Fortuna“ entstanden. Der Erfolg der „Carmina Burana“ veranlaßte Orff, sich 1940 noch einmal intensiver mit dem Catull-Stoff zu befassen.

Catull schreibt als einer der ersten Dichter aus der Ich-Perspektive über die Liebe und seine Verliebtheit in eine weibliche Ikone namens Lesbia. Hinter Lesbia, so vermuteten einige Literaturhistoriker, stehe die adlige Römerin Clodia Pulcher, zu der der Dichter ein heimliches Verhältnis gehabt haben soll. Über dessen Verlauf, vom Buhlen über das Zusammenkommen und schließlich bis zum Bruch, berichten angeblich die Lieder Catulls. Ganz so biographisch beurteilt man die Texte heute nicht mehr, und auch Carl Orff kommt es in seinen 1943 uraufgeführten „Catulli Carmina“ auf das Nebeneinander von Erfüllung und Verzweiflung in der Liebe an.

Die sechs frühen A-Cappella-Lieder erweitere er auf elf Stücke und rahmte diese mit einem von zahlreichem Schlagwerk und vier Klavieren begleiteten Ein- und Auszug, dessen Text der Lateinliebhaber Orff selbst verfaßte. Das Stück bekommt eine dramatische Dimension und wird zu einem Spiel im Spiel. Catull und Lesbia treten als Figuren einer Liebesgeschichte in drei Akten auf, die einige alte Herren erzählen, um den jungen Männern und Frauen in ihrer Runde ihren übermäßigen Liebeseifer auszutreiben. Wie im griechischen Theater greift der Chor immer wieder sinnierend ein und zählt in „Da mi basia mille“ unter anderem die Küsse des verliebten Paares. Trotz der Allgegenwärtigkeit des Scheiterns, die sich in der mehrmaligen Wiederholung des „Odi et Amo“ manifestiert, siegt am Ende der Eros, die umfassende Macht der Liebe.

In unserem Konzert am 22. Juni 2008 werden Tänzer und Tänzerinnen der Hochschule für Schauspielkunst, „Ernst Busch“, sowie der Staatlichen Ballettschule Berlin unter der Choreographie Louise Wagners das Bühnengeschehen um Catull und Lesbia darstellen. Wir freuen uns ganz besonders auf diese Zusammenarbeit, mit der wir dem selten aufgeführten Werk Carl Orffs ein Stück seiner ursprünglichen Konzeption zurückzugeben versuchen.

Igor Strawinsky ~ „Les Noces“

Anregungen für die „Catulli Carmina“ nahm Orff sicherlich auch von einem seiner Vorgänger, Igor Strawinky. Dieser dachte bereits 1913 das erste Mal daran, ein Stück für die Ballets Russes unter Sergei Djagilew zu komponieren, in dem auch gesungen werden sollte. Die Texte dafür schrieb der Komponist selbst und nahm dabei traditionelle russische Hochzeitslieder sowie Melodien der russischen Volksmusik zur Grundlage, ohne diese jedoch direkt zu zitieren.

Die Besetzung ist die gleiche wie bei Orff, Solisten, gemischter Chor und zahlreiches Schlagwerk, ungestimmt und gestimmt, darunter vier Klaviere. Anders als Orff wollte Strawinsky die Musiker jedoch auf die Bühne, zwischen die Tänzer platzieren, sichtbar und gegen jeden Versuch des kontemplativen Zuhörens ankämpfend. An eine solche Umsetzung war allerdings nicht zu jeder Phase der langen Entstehungsgeschichte von „Les Noces“ („Die Bauernhochzeit“, russ. „Swadjebka“) zu denken. Zehn Jahre überlegte und arbeitete Strawinsky an dem Werk, zum dem ihm zunächst eine ähnliche Orchestrierung wie in „Le Sacre du Printemps“ mit 150 Musikern vorschwebte. Auch an eine Aufführung mit zwei Harmonien, die automatisch auf einer Rolle gespeicherte Musik abspielen konnten, dachte er zeitweilig.

Doch diese Versionen verwarf er zugunsten einer neuartig reduzierten, mit klaren Klängen und rhythmischen Reizen gespickten Ballettkantate, die im Juni 1923 uraufgeführt wurde und einen frischen, deutlich von überladener Romantik abgewandten Zeitgeist verkörperte. In vier Bildern entfaltet sich das experimentelle Bühnenstück. Dabei wird die Zeremonie der Bauernhochzeit selbst gar nicht geschildert, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen vielmehr die Vor- und Nachbereitungen, das Verhalten der Hochzeitsgesellschaft und des Brautpaares, welches am Ende zur ersten Nacht ans gemeinsame Bett geführt wird.

Den Sängern und Sängerinnen verlangt Strawinsky dabei Höchstleistungen ab, schnelle Abfolgen dutzender russischer Silben werden gesungen, deklamiert und an einigen Stellen sogar laut geschrien: „Schtschi!“ Die kleinteiligen Melodiefetzen ordnen sich zu einer breiten und schier endlosen Klangkollage, die ähnlich wie die „Catulli Carmina“ eher auf Repetition als auf Verarbeitung setzt und dem gesamten Stück einen fortwährend pulsierenden Rhythmus mit wandernden Akzenten und Taktschwerpunkten verleiht.

Beide Werke werden wir, die Berliner Singakademie, am 22. Juni 2008 um 20:00 Uhr im Großen Saal des Konzerthauses Berlin auf die Bühne bringen, unterstützt von großartigen Solisten, Percussionisten, Pianisten und natürlich den jungen Tänzern und Tänzerinnen. Wir freuen uns auf dieses Programm und auf Ihren Besuch.

Wer regelmäßig per Mail über die Konzerte, Programme und News der Berliner Singakdemie informiert werden möchte, kann sich auch den von mir erstellten Newsletter bestellen.

Philharmonie in Flammen

Dienstag, 20. Mai 2008 15:09

#edit: Also der offizielle Stand ist, dass unser Konzert am Sonntag stattfinden kann. Auch ist der Große Saal so wenig beschädigt, dass der Konzertbetrieb ab Mitte Juni wieder aufgenommen werden kann. Also doch alles nicht so schlimm, wie es erst den Eindruck machte. Puh!

Gerade lese ich in den Nachrichten, dass die Berliner Philharmonie brennt. Oh, Schreck! Am kommenden Sonntag sollen wir dort gemeinsam mit dem Hugo-Diestler-Chor und dem Ensemberlino ein Konzert im Kammermusiksaal singen. Obwohl es in der Eilmeldung heißt, der KMS sei nicht betroffen, fürchte ich Schlimmstes für unsere Aufführung. Jetzt heißt es Daumendrücken für das gesamte Haus, die dort befindlichen Menschen und Instrumente.

Deutsche Metrik – so funktioniert’s

Samstag, 10. Mai 2008 12:28

Immer wieder wollen User von mir wissen, wie man das Metrum von Gedichten bestimmt oder wie man selbst metrische Verse schreiben kann. Das ist eigentlich ganz einfach, wenn man erst einmal begriffen hat, was es mit der Metrik überhaupt auf sich hat. Metrisch ist eine (deutsch-)sprachliche1 Äußerung nämlich dann, wenn sie eine regelmäßige Abfolge von betonten und unbetonten Silben aufweist. Und wer den Rhythmus nicht sowieso schon im Blut hat, der kann sich leicht über die Theorie eine Brücke bauen. Wie das funktioniert, möchte ich in diesem Post erklären. Sieben praktische Übungen für Anfänger und Fortgeschrittene sollen dabei helfen. | Ganzen Beitrag lesen …