Bewerbung um ein Praktikum beim Zwiebelfisch
Berlin, 03. März 2006
Bewerbung um ein Praktikum beim Zwiebelfisch
Mein hochverehrter Online-Autor Zwiebelfisch,
mit großer Freude las ich von dem Angebot, das gestern, während der Lektüre, frei und frisch an meine Augenbälle 1 drang. Da wurd‘ ich rot. Vor Eifer war es, freilich! Denn mit allen Sinnen wollte ich sogleich mich wortgewandt empfehlen und Sie mit Versen ganz gezielt für mich gewinnen.
Das heißt, ich muß es Ihnen wirklich nicht verhehlen, den Platz für’s Praktikum, den will ich gerne haben. Nicht, weil Sie groß sind und ich klein, Sie hoch, ich tief, das ist es nicht, nein. Zauberschüler, Bürgen, Raben haben mich als Kind verzaubert und ich lief von da an diesen Trieben nach, um mich zu laben – am Antlitz jener Geister, die mich damals riefen 2.
Ja, schon klar, das klingt pathetisch. Theoretisch hab ich Kitsch auch gar nicht nötig. Denn ich lebe meinen Fetisch, Sprache, Spaß und Spiel, poetisch, und das sieht man, hört man, spürt man am Gewebe meiner wohlgewählten Werbungsworte besser, wie ich hoffe, als an trocknen Musterzetteln, Lebensläufen renommierter Grießbreifresser 3, die um die Gunst des Spiegel-Kolumnisten betteln.
In meinem hass-geliebten Lyrik-Onlineforum war ich schon oft Alburni-Fischer Alburnorum 4. „Die Metrik holpert. Diesem Vers dort fehlt das Verb“, so sprach ich Tölpel unbedacht zu den Kollegen. „Beim Dichten geht’s um Sprache nicht“, hielt man empört dagegen, „Gefühle sind’s allein und Emotionserwerb. Was bist du für ein Dichter, dass du das nicht weißt??? Spielst dich hier auf, du Oberlehrer, wirklich dreist!!1!“
So ist der Kindertraum vom Dichter-Sein zergangen, und mein Berufungsziel muß ich nun neu bedenken. Ich will die Hoffnung drum auf’s Fischerdasein lenken. In trüben Teichen Zwiebelfische einzufangen, das will ich eifrig lernen, ganz mit Herz und Seele, wenn ich mich Ihnen nun als Praktikant empfehle.
Mit freundlichen Grüssen
Claude LeVampyre
Zur Entstehung
Durch einen entsprechenden Hinweis in einer seiner Online-Kolumnen motiviert, hatte ich mich vor vier Wochen mit einem witzigen Schreiben um ein Praktikum beim Zwiebelfisch (Sebastian Sick, SpOn) beworben. Ohne Stockscheißern in den Arsch kriechen und unbezahlt Kaffee kochen zu wollen, dachte ich mir, dies sei genau das richtige für einen Sprachfetischisten wie mich. Also setzte ich mich auf meinen Hosenboden und bastelte an meiner Bewerbung. Anscheinend habe ich wohl zu wenig Reputationen für einen solchen Job, denn bisher habe ich noch nicht einmal eine Ablehnung erhalten. Wie dem aber auch sei, all meine Freunde fanden den Text so klasse, dass sie meinten, ich sollte ihn hier veröffentlichen. Da nun die Chancen auf irgendeine Antwort von Spiegel Online langsam aber sicher gegen Null tendieren, steht dem eigentlich nichts mehr entgegen. Um ehrlich zu sein, hatte es mir sowieso schon die ganze Zeit in den Fingern gejuckt. 😉
Update: Es gab einen Briefwechsel, in dem man mir in Aussicht stellte, diese Stelle irgendwann zu bekommen. Dann gab es einen Brief, der mir diese Aussicht wieder nahm. Dann, ein Jahr später, sah ich ein Bild des süßen, jungen Praktikanten, der diese Stelle an meiner statt bekommen hat – und mir war alles klar… *roll eyes*
__________
1. eine Anspielung auf Christian Morgensterns „Der Werwolf“
2. eine Anspielung auf Goethes „Der Zauberlehrling“
3. eine Anspielung auf Kurt Tucholskys „An das Publikum“
4. Alburnus alburnus [lat.] ist ein Karpfenfisch, dessen deutscher Name Ukelei oder auch Zwiebelfisch lautet.