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Am Anfang war das Bild?

Sonntag, 05. Oktober 2008

„Am Anfang war das Bild“ – so kommt es mir häufig vor, wenn ich lyrische Texte lese. Bevor ein Autor den ersten Vers verfasst oder die ersten Begriffe beisammen hat, steht ein initiierendes Element. Wenn ich selber etwas schreibe, so steht am Anfang jeder Verschriftlichung zunächst ein Bild, welches mir vor dem geistigen Auge vorschwebt. Ich visualisiere eine Landschaft oder eine Situation in Bildern, wobei diese Landschaft sich dann in einem Text manifestiert. Manchmal kommt es mir bei der Betrachtung von bildender Kunst so vor, als sei diese Kunst bereits Lyrik. Ich stelle auch immer wieder fest, dass ich einen Text beim Lesen wieder in jenen bildhaften Ursprungszustand visualisierend zurückversetze in dem er in ähnlicher Form im Kopf des Autors vermutlich auch schon manifest war. Der Prozess geht also in beide Richtungen.

Text lesen –> Bild visualisieren
Bild visualisieren –> Text schreiben

Wenn ich bildende Kunst anschaue fehlen eigentlich nur das Lesen und das Visualisieren. Die Visualisierung ist praktisch schon existent in Form einer realen Leinwand. Der Unterschied zwischen dem Eindruck von bildender Kunst und konventioneller Lyrik scheint mir irgendwie sehr klein zu sein (was das Endprodukt im Kopf angeht). Es finden sich meines Erachtens auch Parallelen zwischen abstrakter Kunst und moderner Lyrik. Bei so manch modernem Text sehe ich ein chaotisches Klecksgewirr (nun nicht ironisch gemeint).

Da ich selber nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinblicken kann, kann ich nur vermuten, dass euch das ähnlich geht. Aber ich denke jeder Mensch nimmt dies auch wieder ein wenig anders war. Ich persönlich habe jedenfalls durch die Beschäftigung mit der Lyrik eine neue Sensibilität gegenüber bildender Kunst entwickelt, obwohl ich mich mit selbiger kaum beschäftigt habe. Dies könnte auf die ähnlichen Prozesse im Gehirn, beim Lesen und Verarbeiten von Lyrik und beim Betrachten von bildender Kunst, zurückzuführen sein. Geht euch das auch so?

Liebe Grüße
Jonas

Die lyrische Eingangspforte

Montag, 11. Juni 2007

Hallo liebe Leser, da diese Seite nun wieder voll einsatzbereit ist, möchte ich einen kleinen lyrischen Impuls geben und stelle euch daher diese Sammlung meiner Lieblingsgedichte – und einer Kurzinterpretation dazu – vor. Ich habe diese Sammlung mit „Lyrische Eingangspforte“ betitelt, da sie für mich das widerspiegelt, was mir den Einstieg in die Dichtung so versüßt hat: Die Reichhaltigkeit fremder Lyrik. Es wäre natürlich toll, wenn ein wenig dieser Begeisterung auf andere Leser abfärben würde!

I Einleitung

II Gedichte und deren Interpretation
II.1 Wünschelrute [Joseph Freiherr von Eichendorff]
II.2 Der römische Brunnen [Conrad Ferdinand Meyer]
II.3 Die römische Fontaine [Rainer Maria Rilke]
II.4 Die Beiden [Hugo von Hofmannsthal]
II.5 Eingelegte Ruder [Conrad Ferdinand Meyer]


I Einleitung

Die lyrische Eingangspforte

Fern ab von wissenschaftlicher Pedanterie möchte ich in diesem Faden zu einem kleinen Spaziergang durch einige Gedichtklassiker einladen und damit ein wenig von jener Begeisterung und Freude, an diesen Meilensteinen der deutschen Lyrik vermitteln, welche mich regelmäßig neu erfasst. Mir persönlich waren die klassischen Werke wie ein Tor in eine faszinierende Welt, in der Worte ihre eigene Beschränktheit überwinden und das scheinbar Unmögliche schaffen: Die Welt des rein Verbalen zu überwinden und in einem „Schiff“ aus Sprachlichem das Sprachlose zu erreichen. Diese wertvolle Eigenschaft zeichnet Lyrik vor allem aus: Ihre Fähigkeit Dinge zu transportieren die normalerweise zur Sprachlosigkeit verdammt in uns allen eingesperrt sind. Diese faszinierende Eigenschaft ist sogleich auch Wesenskern und Zweck der Lyrik. Dadurch unterscheidet sich Lyrik fundamental von einem Sachtext herkömmlicher Art. Zwar werden, und dies sicherlich auch zu Recht, oft formale Merkmale angeführt, wie das Vorhandensein von Versen, Reimen oder anderen typischen stilistischen Mitteln, aber im Kern ist es doch immer jene „überverbale“ Eigenschaft, welche Lyrik erst zu dem macht was sie wirklich ist: eine „Versprachlichung“ des „Unsagbaren“ Diesem Unsagbaren auf die Schliche zu kommen und es gleichsam im Gedicht gefangen zu setzten, ist eines jener Hauptanliegen des Dichters. Es galt und gilt also in erster Linie den Bohrer an die „Nuss“ anzusetzen und das Innere hervorzuholen um daraus ein „lyrisches Gericht“ zu kochen, welches uns nicht nur kognitiv, sondern auch mit allen Sinnen anzusprechen vermag. In dieser Nuss verbirgt sich eben jenes Wesen der Sache, welcher man bestrebt ist, sich lyrisch anzunähern.

Hinweis:
Wie bei allen Gedichten, welchen man sich intensiv annähern möchte, empfiehlt es sich das Gedicht auswendig zu lernen. Es ist tatsächlich so, das ein auswendig gelerntes Gedicht viel eher dazu in der Lage ist, seine ganze Wirkung zu entfalten. Ferner ist ein lautes Lesen außerordentlich wichtig um subtile Eigenschaften eines lyrischen Kunstobjektes klarer erfassen zu können. In diesem Zusammenhang sei auf ein Zitat von Rilke verwiesen:

Wie vielen Lesenden fehlt noch die wirkliche Beziehung zum Gedicht, weil sie in stillem Darüberlesen seine besonderen Eigenschaften nur eben streifen, statt sie zu erwecken.


II Gedichte und deren Interpretation

Ich möchte nun einige Gedichte, die mir besonders gefallen haben, vorstellen und mit zum Teil unkonventionellen Interpretationsversuchen einige der Punkte aufgreifen, die mir erwähnenswert erscheinen. Alle Interpretationen sind hierbei aber keine Musterlösungen oder Ähnliches, sondern immer nur Produkt meiner persönlichen Wahrnehmung. Ein bescheidener Abriss meiner eigenen Ansichten und Vermutungen also (umfangreiche und wissenschaftlich korrekte Interpretationen gibt es im Netz bereits in großer Zahl). Beginnen werde ich mit einem sehr kurzen, aber zugleich unsagbar schönen Gedicht von Joseph Freiherr von Eichendorff, der von 1788 bis 1857 lebte und als herausragender Vertreter der deutschen Spätromantik gilt.


II.1 Wünschelrute [Joseph Freiherr von Eichendorff]

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Dieses Gedicht zeichnet sich zu allererst durch sein zeitloses Wesen aus. Ferner besticht es durch seine prägnante und elegante Art eine universelle Sache auf den Punkt zu bringen. Was macht dieses Gedicht so zeitlos? Seine Form ist es sicher nicht, da diese mit ihrem fierhebigen Trochäus und den sauberen Reimen eher als altmodisch (eben klassisch) zu bezeichnen ist. Dennoch steckt inhaltlich weit mehr dahinter als es zunächst den Anschein haben mag. So dachte ich beim Lesen des Gedichtes unwillkürlich an die moderne Technik und Wissenschaft, welche das physikalische Wesen der Dinge „wachruft“ und zum „Singen“ bringt. Welche Kraft beispielsweise schlummert in den Atomen und wird durch das „Zauberwort moderner Technik“ auf teilweise gravierende Art wachgerufen(Kernspaltung)? Aber es gibt natürlich auch unzählige weitere Ebenen, welche diese Zeilen ansprechen. So schlummert beispielsweise in einem Musikinstrument eine geradezu unendliche Klangfülle, die nur darauf wartet wachgerufen zu werden. Der Musiker ist im Besitz des „Zauberwortes“, welches in diesem Falle seiner Fähigkeit entspricht, das Instrument zu bedienen. Aber auch Menschen sind „Dinge“ in denen etwas schlummert und nur darauf wartet wachgerufen zu werden. Für den Begriff „Zauberwort“ stehen also eine Fülle an Dingen und auch die „Dinge“ sind ungezählt. Formal erscheint das Gedicht selbst bereits wie ein Zauberspruch: Ein kurzer eleganter Spruch, der uns in Erstaunen versetzt.

Hinweis:
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass meine Interpretation das Gedicht aus seinem geschichtlichen Zusammenhang herauslöst und es aus einer aktuelleren Perspektive heraus betrachtet. Wer Interesse an den Intentionen des Autors hat und an den Bedeutungen die es damals inne hatte, sei auf die mannigfaltigen Interpretationen im Netz verwiesen.


II.2 Der römische Brunnen [Conrad Ferdinand Meyer]

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Dieses Gedicht ist ein Paradebeispiel für die vollendete Verschmelzung von Form und Inhalt. Das Objekt wird gewissermaßen sprachlich herausgemeißelt, wobei am Schluss kein Wort zu viel und keines zuwenig übrig bleibt. Seine sprachliche Qualität wird aber erst beim lauten Lesen wirklich erfahrbar. Sowohl klanglich als auch optisch wird dieses Gedicht zu dem was es beschreibt: Zum Wesen eines römischen Brunnens. Die gewählte auftaktige Versform (Jamben) unterstreicht das aufstrebende Element eines solchen Brunnens. Das Gedicht besteht aus acht Versen, wobei jeder zweite Vers eine neue Schale nennt. Beim Lesen fließt der Leser ähnlich dem Wasser durch die einzelnen Verse. Die zweifachen „Und“ und die verkürzte letzte Zeile am Ende des Gedichtes sorgen für ein langsames zur Ruhe kommen des herabstrebenden Wassers. Aber auch rein kognitiv ist das Gedicht absolut stimmig aufgebaut. So fügt sich ein Bild nach dem Anderen in eine Kausalkette ein, die den dynamischen Vorgang des Auf und Ab, des Nehmens und Gebens wunderbar aufzeigt. So kann man während dem Lesen mit dem Wasser verschmelzen und ihm durch alle Etappen des Ruhens und Strömens wunderbar folgen. Hierzu ein Zitat Martin Heideggers: „Das allgemeine Wesen eines römischen Brunnens als Wahrheit ins Werk gesetzt“.


II.3 Römische Fontäne (Villa Borghese) [Rainer Maria Rilke]

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Ich habe dieses weitere Brunnengedicht bewusst eingebracht, da es, ebenfalls auf sehr wortmalerische Art, einen anderen Aspekt des römischen Brunnens beleuchtet. Wir erinnern uns: Bei C.F Meyers Brunnen ist alles in ständiger Bewegung, der Lesefluss passt sich dem unaufhaltsamen Fluss des Wassers perfekt an und sorgt durch seine „Pausenlosigkeit“ für eine gewisse „Atemlosigkeit“ beim Leser. Ganz im Gegensatz dazu steht die Römische Fontäne Rilkes, bei welcher das Wasser seine Bewegung leise und ruhig offenbart. Hier steigt kein Strahl in die Luft, hier fällt kein Wasser in eine Schale – Ja, man hat fast den Eindruck selbst das herabfließende Wasser befände sich im Stillstand. Das Wasser neigt sich von der oberen Schale in die Nächste und es lässt sich träumerisch in die Letzte nieder. Besonders raffiniert sind in diesem Zusammenhang Rilkes Bilder, die im Auge des Lesers nie ein vollkommen klares Bild entstehen lassen, sondern immer nur eine Ahnung, welche eine angenehme ruhige Spannung beim Leser erzeugt. Der Vers:“ Ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend“ illustriert diesen Umstand auf wunderbare Weise und bedarf, denke ich, keiner weiteren Erläuterung.

Besondere Raffinesse beweist Rilke wenn es darum geht, dass Metrum bewusst an bestimmten Stellen zu variieren, um den Inhalt klanglich zu unterstützen. Er tut dies mit einer Leichtigkeit und Präzision, welche beeindruckend ist. Betrachten wir hierzu die erste Strophe des Gedichtes und unterziehen wir Selbige einer metrischen Analyse:

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxX
xXxXxxXxXxXx
xXxXxXxXxX

x = unbetonte Silbe
X= betonte Silbe

Zunächst erkennen wir, dass es sich um jambische Verse, mit jeweils fünf Hebungen handelt. Im dritten Vers erkennt man bei genauerem Hinsehen, dass sich dort eine Unregelmäßigkeit des alternierenden Schemas befindet. Es handelt sich um eine Doppelsenkung, dass heißt, dass sich dort zwei unbetonte Silben nacheinander befinden. Ich möchte nun dazu ermuntern den Vers mehrmals laut zu lesen und auf den Klang speziell an dieser Stelle zu achten (insbesondere auf das Wort „oberen“). Ferner schlage ich vor den Inhalt zusätzlich zu visualisieren, sich also das Wasser vorzustellen, welches leise herabmurmelt. Es ist hierbei höchst erstaunlich wie sehr Klang und Inhalt harmonieren. Die Doppelsenkung vertont an dieser Stelle das leise Murmeln des herabsinkenden Wassers auf wunderbar feinsinnige Art uns Weise. Die Subtilität derer Rilke sich so bedient, kann jedoch nur dann zur Gänze erfahrbar werden, wenn man das Gedicht sehr intensiv auf sich wirken lässt, wobei lautes Lesen als unverzichtbar erscheint. Das nachfolgende Gedicht möchte ich in diesem Zusammenhang ergänzend beifügen um aufzuzeigen, dass gezielte Brüche im Metrum zur sprachlichen Vollendung eines Gedichtes beitragen können.


II.4 Die Beiden [Hugo von Hofmannsthal]

Sie trug den Becher in der Hand
– Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand,
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Analog zu den klanglichen Finessen der Römischen Fontäne kann auch dieses Gedicht als Paradebeispiel für sprachliche Eleganz herangezogen werden. Die Verschmelzung von Form und Inhalt kommt besonders frappierend in Strophe drei/ Vers drei zur Geltung. Die nachlässige Gebärde des Reiters spiegelt sich in den Mehrfachsenkungen sehr ausdrucksstark wieder. Der Leser sei an dieser Stelle dazu ermuntert das Gedicht laut zu lesen und auf den Klang, besonders an dieser Stelle, zu achten.


II.5 Eingelegte Ruder [Conrad Ferdinand Meyer]

Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.

Nichts das mich verdroß! Nichts, das mich freute!
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!

Unter mir – ach, aus dem Licht verschwunden –
Träumen schon die schönern meiner Stunden.

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?

Die formale Schlichtheit steht in lebhaftem Kontrast zur inhaltlichen Tiefe, welche dieses Gedicht so eindrücklich macht. Gegenstand dieses Gedichts ist zunächst ein in Gedanken versunkenes „Lyrisches Ich“ in einem Ruderboot. Die Person blickt ins Wasser und betrachtet hierbei die, von den eingelegten Rudern, herabfallenden Tropfen. Dieses Bild fängt gewissermaßen an sich zu verselbstständigen, wobei die Tropfen zu Metaphern werden, welche die vergangenen Stunden beschreiben. Die Gegenwart, hier in Gestalt eines „schmerzlosen Heute“ rinnt nieder und wird unmittelbar zur nahen Vergangenheit. Dieser Blick auf die nahe Vergangenheit wird ab Strophe drei zu einem Blick auf eine fernere Vergangenheit erweitert, in welcher die erlebten Stunden noch schön waren [Träumen schon die schönern meiner Stunden]. In der letzten Strophe „ergreift“ diese ferne Vergangenheit das Wort und richtet sich mit einer Frage an das lyrische Ich [sind im Licht noch manche meiner Schwestern?]. Anders ausgedrückt: Erwarten mich in der Zukunft noch Stunden, welche dieselbe Schönheit innehaben wie die bereits vergangenen? Das Gedicht erzeugt mit seinen Bildern eine melancholisch, hoffnungsvolle Atmosphäre, welche sich in der Kürze der acht Verse zu einem lyrischen Erlebnis verdichtet. Mir persönlich bedeutet dieser Text sehr viel, wobei er nicht unmittelbar wirkte, sondern erst nachdem ich ihn eingehend betrachtet hatte.

Ich hoffe diese Interpretationen waren unterhaltsam und haben euch gefallen. Wenn ich weitere Gedichte hinzufüge (und es gibt so viele die mir sehr am Herzen liegen), gehts natürlich auch in diesem Faden weiter

Viele Grüße
GEO

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Der Zauber der Sprache aus informationstheoretischer Sicht

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Die Sprache ist ein, was die informationstheoretische Betrachtung betrifft, hochgradig redundantes Konstrukt. Wenn wir jemandem eine Information auf Basis der Sprache übermitteln, so liefern wir unserem Gegenüber gleich ein Vielfaches der relevanten Informationsmenge. Diese Tatsache wird bei computerbasierten Komprimierungsverfahren ausgenutzt um Texte zu komprimieren . Völlig klar, dass solch ein Kompressionsverfahren nicht die semantischen Redundanzen und Irrelevanzen, sondern nur jene auf der „Zeichenebene“ entfernt. Diese Redundanz der Sprache hat, und darum soll es nun hier gehen, jedoch noch einen ganz anderen witzigen Nebeneffekt: Es lassen sich im Text „geheime“ Nachrichten verstecken, wobei hierbei die Informationsmenge ausgenutzt werden kann, die nicht zur Übertragung der primären Information notwendig ist. Um das zu erreichen wird der irrelevanten Informationsmenge eine „geheime“ Information aufgeprägt.

kleines Beispiel: „das Wetter gefällt niemandem“
das Metrum könnte man so bestimmen: xXxxXXxx

Nun steckt in diesem Metrum bereits ein einfacher digitaler Binärcode mit dessen Hilfe man im Metrum selber Informationen codieren könnte.
(Hier könnte man das Metrum als ein Datenbyte mit 8 Bit verstehen: 01001100)
Übrigens: Unser Gehirn verarbeitet auch diese 8 Datenbits (meist unterbewusst), da uns der „Klang“ des Metrums ja auch beeinflusst.
Aber nicht nur Metren enthalten dieses ,zur Chiffrierung notwendige, Informationspotenzial. Auch das gesamte hochkomplexe Geflecht der klang bestimmenden Vokale oder Konsonanten ist hochgradig informationsgeladen und ließe sich sicherlich ausnutzen. Das Interessante ist nun aber, dass dies nicht nur eine witzige und verschrobene Spielerei ist, sondern Alltag. Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, verarbeitet unser Hirn ständig solche, nicht direkt erkennbaren, Subinformationen, welche sich irgendwo im Dickicht der Sprache verbergen. Beim gesprochenen oder gar gesungenen Wort wird diese Subinformationsvielfalt besonders krass spürbar. Wenn wir in ein Konzert gehen, wollen wir ja nicht nur den Informationsgehalt des gesungenen Textes genießen, sondern die gigantische Subinformationsfülle, welche sich in den klanglichen Nuancen verbirgt.

Ich glaube das der „Zauber“ der Lyrik in der kunstvollen Ausnutzung der „Subinformationsmenge“ besteht, also darin dem Hirn neben der einfachen ersten Bedeutungsschicht auch weitere Informationsschichten zu präsentieren, die dann oft unterbewusst wirken und uns daher so sprachlos machen. Wer kennt es nicht: Das Gefühl des fassungslosen Staunens und Ergriffenseins nach dem Lesen eines sehr guten Gedichtes. Nein: wir sind nicht ergriffen weil uns der oberflächliche Informationsgehalt beeinflusst, sondern weil uns Informationen auf unterschwellig verlaufenden Kanälen erreicht. Irgendwo in den Texten steckt Information, welche uns so stimuliert, dass wir vom Text begeistert sind. Besonders gut sind Texte, bei denen wir nicht erklären können warum wir so ergriffen sind. Der Text wirkt einfach, ob wir wollen oder nicht.

Was mich an der Sprache so fasziniert ist eben ihre undurchschaubare Tiefe, welche letztlich auf ihrer Informationsdichte beruht, von der wir nur einen kleinen Teil bewusst verarbeiten. Eventuell empfindet ihr das ähnlich – Über Hinweise, Denkanstöße, weiterführende oder vervollständigende Anmerkungen und Anregungen würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße
GEO

Der Dichter schreibt die Rechnung …

Samstag, 21. Oktober 2006

„Der Dichter schreibt die Rechnung. Die Addition überlässt er dem Leser.“
Karol Irzykowski (1873-1944), poln. Literaturkritiker

Weshalb, so könnte man sich nach dem Lesen dieses kurzen und prägnanten Zitates fragen, präsentiert der Dichter dem Leser nicht gleich die Summe der Addition, also das Ergebnis?
Ich denke, dass im Kern dieser Frage sogleich eine wichtige Entdeckung zu machen ist, welche uns letztlich die Eigenschaften von Lyrik näher bringen, oder verdeutlichen kann. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Wesen einer Rechnung und den Prozessen im Kopf des Rechnenden. Die Rechnung könnte man als Anweisung verstehen, welche uns in eine bestimmte Richtung und auf ein bestimmtes Ergebnis hinlenkt. Der Rechnende erhält Informationen und eine Anweisung, wie diese Informationen zu verwerten sind. Aus dieser „Verwertung“ resultiert dann ein entsprechendes Ergebnis. Auf mathematischer Ebene kann ein Ergebnis jederzeit zu der entsprechenden Rechnung mitgeliefert werden, so dass eine Errechnung vom Empfänger nicht mehr notwendig ist. Übersetzt man die Begriffe „Rechnung“ und „Ergebnis“ nun aus der Mathematik auf die lyrische Ebene, so treten die Unterschiede klar hervor: Eine Rechenaufgabe (im lyrischen Sinne) entspräche nun einem Gedicht und das Ergebnis der Wirkung, welche dieses Gedicht im Leser verursacht. Diese Wirkung kann, und das ist fundamental, niemals fertig mitgeliefert werden. Der Dichter schreibt also eine Rechnung, deren Ergebnis nur vom Lesenden selber berechnet werden kann. Dieses Ergebnis ist individuell an den entsprechenden Leser angepasst und liegt gleichsam in selbigem gefangen. Das bedeutet, dass dieses Ergebnis nicht weitervermittelt werden kann. Erinnern wir uns: Eine mathematische Aufgabe muss nur einmal berechnet werden, wobei dieses Ergebnis dann ohne Probleme an andere Personen weitergegeben werden kann. Im Umkehrschluss ist aber auch die Warte des Dichters sehr interessant. Was macht also ein Dichter? Er verwertet Ergebnisse, die man eigentlich nicht weitergeben kann, dergestalt, als das er Rechnungen schreibt, deren Lösungen eben diesen „Ursprungsergebnissen“ sehr nahe kommen. Ein „Ursprungsergebnis“ könnte beispielsweise ein Gefühl oder eine Stimmung sein, welche es zu verdichten gilt. Gefühle und Stimmungen sind also „Ergebnisse“, die einer „Rechnung“ bedürfen, um in gewissen Grenzen vermittelbar zu werden. Um es Faustformelartig zu konkretisieren: Rechnung = Gedicht, Addition = Lesen und Verarbeiten des Gedichtes, Ergebnis der Addition = Wirkung im Leser.