Archiv für Dezember 2006

Der Zauber der Sprache aus informationstheoretischer Sicht

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Die Sprache ist ein, was die informationstheoretische Betrachtung betrifft, hochgradig redundantes Konstrukt. Wenn wir jemandem eine Information auf Basis der Sprache übermitteln, so liefern wir unserem Gegenüber gleich ein Vielfaches der relevanten Informationsmenge. Diese Tatsache wird bei computerbasierten Komprimierungsverfahren ausgenutzt um Texte zu komprimieren . Völlig klar, dass solch ein Kompressionsverfahren nicht die semantischen Redundanzen und Irrelevanzen, sondern nur jene auf der „Zeichenebene“ entfernt. Diese Redundanz der Sprache hat, und darum soll es nun hier gehen, jedoch noch einen ganz anderen witzigen Nebeneffekt: Es lassen sich im Text „geheime“ Nachrichten verstecken, wobei hierbei die Informationsmenge ausgenutzt werden kann, die nicht zur Übertragung der primären Information notwendig ist. Um das zu erreichen wird der irrelevanten Informationsmenge eine „geheime“ Information aufgeprägt.

kleines Beispiel: „das Wetter gefällt niemandem“
das Metrum könnte man so bestimmen: xXxxXXxx

Nun steckt in diesem Metrum bereits ein einfacher digitaler Binärcode mit dessen Hilfe man im Metrum selber Informationen codieren könnte.
(Hier könnte man das Metrum als ein Datenbyte mit 8 Bit verstehen: 01001100)
Übrigens: Unser Gehirn verarbeitet auch diese 8 Datenbits (meist unterbewusst), da uns der „Klang“ des Metrums ja auch beeinflusst.
Aber nicht nur Metren enthalten dieses ,zur Chiffrierung notwendige, Informationspotenzial. Auch das gesamte hochkomplexe Geflecht der klang bestimmenden Vokale oder Konsonanten ist hochgradig informationsgeladen und ließe sich sicherlich ausnutzen. Das Interessante ist nun aber, dass dies nicht nur eine witzige und verschrobene Spielerei ist, sondern Alltag. Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, verarbeitet unser Hirn ständig solche, nicht direkt erkennbaren, Subinformationen, welche sich irgendwo im Dickicht der Sprache verbergen. Beim gesprochenen oder gar gesungenen Wort wird diese Subinformationsvielfalt besonders krass spürbar. Wenn wir in ein Konzert gehen, wollen wir ja nicht nur den Informationsgehalt des gesungenen Textes genießen, sondern die gigantische Subinformationsfülle, welche sich in den klanglichen Nuancen verbirgt.

Ich glaube das der „Zauber“ der Lyrik in der kunstvollen Ausnutzung der „Subinformationsmenge“ besteht, also darin dem Hirn neben der einfachen ersten Bedeutungsschicht auch weitere Informationsschichten zu präsentieren, die dann oft unterbewusst wirken und uns daher so sprachlos machen. Wer kennt es nicht: Das Gefühl des fassungslosen Staunens und Ergriffenseins nach dem Lesen eines sehr guten Gedichtes. Nein: wir sind nicht ergriffen weil uns der oberflächliche Informationsgehalt beeinflusst, sondern weil uns Informationen auf unterschwellig verlaufenden Kanälen erreicht. Irgendwo in den Texten steckt Information, welche uns so stimuliert, dass wir vom Text begeistert sind. Besonders gut sind Texte, bei denen wir nicht erklären können warum wir so ergriffen sind. Der Text wirkt einfach, ob wir wollen oder nicht.

Was mich an der Sprache so fasziniert ist eben ihre undurchschaubare Tiefe, welche letztlich auf ihrer Informationsdichte beruht, von der wir nur einen kleinen Teil bewusst verarbeiten. Eventuell empfindet ihr das ähnlich – Über Hinweise, Denkanstöße, weiterführende oder vervollständigende Anmerkungen und Anregungen würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße
GEO

Polygamie? Also das geht nun wirklich zu weit!!1!

Donnerstag, 07. Dezember 2006

Queer.de verleiht Julia Seeliger, die am vergangenen Wochenende überraschend in den Grünen-Parteirat gewählt wurde, den Homo-Orden. Ein Artikel berichtet freudig darüber. Seelig wolle die Ehe abschaffen oder vielmehr wolle sie eine Gleichberechtigung aller Lebensweisen, auch unkonventioneller wie homosexueller oder polygamer Partnerschaft, die man durch eine Abschaffung der Ehe ebenso effizient erreichen würde. Für mich, die ich seit Jahren für sexuelle und geistige Befreiung und Gleichberechtigung kämpfe, eigentlich eine prima Idee.

In den Kommentaren zum Artikel präsentiert sich die Queer-Community jedoch höchst konservativ und polyphob. „Gegen monogame Beziehungen zeitlich hintereinander im Leben ist nichts einzuwenden„, meint Gerd, aber sich gleich für polygame Beziehungen auszusprechen, das sei falsch. „Wir sind nicht im Islam, liebe Queer„, heißt es weiter und überhaupt: „Was haben die Inhalte von Frau Seeliger noch mit den Forderungen von homosexuellen Paaren zu schaffen?

Nicht nur, dass hieraus eine deutliche Unkenntnis der Lebensweisen muslimischer Gläubiger spricht, nein, auch Unlogik, Egoismus, Intoleranz und Borniertheit, sind Begriffe, die mir sofort in den Sinn kommen. Es ist geradezu erschreckend, welch kleinkariertes Denken diese Argumentation offenbart.

Vor gar nicht allzu langer Zeit war es gesetzlich Verboten, dass sich der Mann zum Manne gesellt. Sexuelle Beziehungen unter Frauen waren in der Tat so tabu, dass sie nicht einmal thematisiert wurden. Es war und ist noch immer ein Kampf, für die Freiheit solch unkonventioneller Ideen von Partnerschaft einzutreten. Wie oft erfahren Homosexuelle noch die Gewalt und Aggression jener, die sie für abnormal, widernatürlich, ekelhaft halten, die andere Lebensweisen schlicht nicht akzeptieren können, weil sie anders sind?

Und nun kommen diejenigen, die so lange wegen ihres „Andersseins“ unterdrückt wurden und werden selbst zu Unterdrückern „Andersseiender“? Polygame Beziehungen – undenkbar? Die Ehe abschaffen – undenkbar?

Da die Natur uns Menschen nun einmal mit nur zwei verschiedenen Geschlechtern geschaffen hat, ist eine reine Heterosexualität in einer polygamen Beziehung schon von der Logik her ausgeschlossen. Wer also behauptet, die Polygamie-Frage beträfte die Queer-Community nicht, hat schlichtweg nicht nachgedacht. Und da die Ehe nur ein signiertes Papier ist, das Menschen, die freiwillig einen Lebensvertrag eingehen, mit mehr Rechten ausstattet, wüßte ich nicht weshalb sie nicht entweder allen gleichermaßen gewährt oder eben als staatlich subventionierte Institution abgeschafft werden sollte. Das ist eine Frage der Gleichberechtigung und die sollte die Queer-Community nicht betreffen?

Ich bin enttäuscht und freue mich daher umso mehr darüber, dass queer.de den Orden für Frau Seeliger bereit gehalten hat und nicht für irgendeinen intoleranten Homo-Patrioten, der nicht einmal über den eigenen Tellerrand gucken kann.

4500 Jahre alte Reime

Dienstag, 05. Dezember 2006

Gerade bereite ich mit ein paar Komilitonen für’s Uni-Radio eine Literatur-Sendung vor. Es soll um den Reim gehen und wir wollen gucken, wie es ihm heute ergeht. Als Alt-Germanist stürze ich mich in einem Bericht erstmal auf seine Geschichte. Über den Stabreim und die Endreimgenese im germanischen Sprachraum habe ich ja ungefähren Überblick, aber jetzt hat mir eine befreundete Ägyptologin neues Terrain gezeigt: altägyptische Reime.

Aufgeschrieben wurden sie vor ca. 4500 Jahren in den Räumen und Gängen der Pyramiden der Könige und einiger Königinnen des Alten Reichs in Ägypten. Bei diesen Pyramidentexten handelt es sich um religiöse Totentexte, Dramatisches, Hymnen, Litaneien und Zaubertexte, die einiges an sprachmagischem Material enthalten unter anderem Reime. Diese Reime funktionieren nicht so, wie wir uns heute einen Reim vorstellen. Es handelt sich vielmehr um Alliterationen, die sich nicht unbedingt nur am Wortanfang befinden, sondern auch mittendrin oder am Ende stehen. Bekannt sind stabende Konsonanten, die auch in Gruppen oder permutierenden Verbindungen auftreten. Über die Vokale kann man hingegen wenig sagen, denn das altägyptische Schriftsystem zeichnet sie nicht auf.

Ein weiteres, sehr interessantes Beispiel für den ägyptischen Reim ist der sogenannte „Fingerzählreim“, der sich in zwei verschiedenen Papyri eines Totenbuchtextes befindet und nicht nur in Versendposition reimt, sondern sogar einen strophischen Aufbau und möglicherweise Parallelsyntax verfolgt. Der Fährmann weigert sich, den bittstellenden Toten über den Fluß ins Totenreich zu bringen, denn dieser könne, so unterstellt er, ja nicht einmal seine eigenen Finger zählen. Mit dem Fingerzählreim beweist der Tote aber, dass er das doch kann. Man kann sich das ungefähr vorstellen, wie diese Reime, die uns unsere Mütter immer vorgesprochen haben: „Das ist der Daumen. Der schüttelt die Pflaumen. Der liest sie auf, etc.“ Witzig finde ich, dass die altägyptischen Dichter offenbar schon vor denselben Selektions-Problemen standen wie wir heute: Zugunsten des Reims finden sich im Fingerzählreim z.T. ungewohnte Wortstellungen und -formen.

„Es kann kein Zweifel sein, daß wir es in unserem Fingerzähltext mit dem ältesten Beispiel des Reims in Ägypten und aller Wahrscheinlichkeit nach auch dem ältesten Reime auf Erden überhaupt zu tun haben“, heißt es bei Sethe.

Unter den jüngeren Hierogrammaten erfreut sich die Alliteration zunehmender Beliebtheit. Später finden sich aber auch identische Reime, etymologische Reime, Paronomasien und ähnliche parallelistische äquivoke Gebilde. Forscher nehmen heute an, dass die altägyprischen Reime keine Zufälle waren, sondern dass sie zum Schmuck der Sprache beitrugen und deren magische Wirkung positiv unterstützten. Zum Teil hatten sie sogar Gliederungsfunktion, so wie wir das vom heutigen Endreim her kennen.

Für mich war das ein spannender Exkurs, selbst ohne Altägyptisch zu können.
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  • Hermann Grapow: „Sprachliche und schriftliche Formung ägyptischer Texte“ in Leipziger Ägyptologische Studien, 1931
  • Firchow: „Stilistik in den Pyramidentexten“, Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1953
  • K. Sethe „Ein altägyptischer Fingerzählreim“ in Zeitschrift für ägyptische Sprache 54, 1918