Baudelaire. Portrait eines poète maudit

Charles Baudelaire, der am 9. 4. 1821 in Paris geboren wurde, gilt heute als das wahre Sinnbild des poète maudit – das verkannte Genie, das ewig durch die grausame, unschöne Welt ziehen muß, Liebe suchend und Elend findend. Doch der Flaneur Baudelaire hat seine Geburtsstadt selten verlassen. Nachdem er 1836- 39 das Collège Louis- le- Grand besucht hatte, führte er als Dandy ein freies Leben in der Pariser Bohème, wo er u.a. Nerval, Champfleury, Gautier, Dupont, Balzac und seine langjährige Geliebte Jeanne Duval kennenlernte. Obwohl er nie ein festes Metier hatte, arbeitete er gelegentlich als Kunst- und Literaturkritiker, Journalist oder Redakteur. Doch sein Streben nach einer perfekt schönen Dichtungssprache, veranlaßt ihn bald, sich auf das Schreiben von Gedichten zu konzentrieren. In vollendet schönen Versen bringt er nun sein unüberbrückbares Leid und seine Unerfüllten ästhetischen Sehnsüchte in einer als gänzlich unpoetisch empfundenen Welt zum Ausdruck. Meist sucht er den Ausweg aus seiner pessimistisch getönten Befindlichkeit in einem sozial unverbindlichen, oft mystisch und okkult gefärbten Ästhetizismus.

In seinem 1857 erscheinenden Gedichtband „Les Fleures du Mal“, seinem Haupt- und Lebenswerk (an einigen Gedichten arbeitete der Poet über dreißig Jahre), thematisiert Baudelaire die Diskrepanzen der menschlichen Seele. Er verdeutlicht ihren Zwiespalt zwischen Spiritualisierung und Animalisierung, Reinheit und Schmutz, Aufschwung und Verzweiflung, Genuß und Ekel- eben Spleen und Ideal, wie einer der Auszüge aus dem Band betitelt ist. Da es Baudelaire als seine Aufgabe ansieht, eine zeitlose, absolute und autonome Idee des Schönen in der Poetisierung der Gegenwart zum Erscheinen zu bringen, ist seine poetische Leitfigur der Dandy, der Flaneur, der dem banalen Leben den Stil ästhetischer Eleganz entgegensetzt und gegen die etablierte Macht, die Reinkarnation des Häßlichen, durch Beharrung auf Schönheit und die illusionslose Enthüllung ihres zugleich „göttlichen“ und „satanischen“ Wesens revoltiert. Deutlich tritt in den „Fleures du Mal“ Baudelaires leidenschaftliche Auflehnung gegen alle Konventionen der trivial- bürgerlichen Gesellschaft, Moral und Religion hervor. So reichen seine Textinhalte von morbider Erotik bis zu ekstatischer Frömmigkeit. Doch der Poète maudit ist seiner Zeit weit voraus und noch im selben Jahr werden die „Fleures“ wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral gerichtlich angeklagt und einige Gedichte daraus sogar verboten.

Dennoch schafft es Baudelaire, einen Kreis von Dichtern um sich zu scharen, die durch Moreas, der der neuen Strömung ihren Namen gibt, bald als Symbolisten bekannt werden. Baudelaire, Verlaine, Rimbaud, Mallarmé, u. a. berufen sich auf das Prinzip L’ Art pour l’ art, welches das Kunstwerk als ein eigengesetzliches und eigenwertiges Gebilde ansieht, das frei von allen Bindungen ist, ob religiöser, ethischer oder politischer Art. Auf die unbedingte Verständlichkeit ihrer Werke kommt es ihnen nicht mehr an. Ihr Hauptwert liegt vielmehr in der kunstvollen Form, der Klang- und der Wortmagie. So nutzen sie Wörter mit assoziativen Klangwirkungen und sprachkünstlerische Akzentuierungen von Rhythmus, Melodie und Satzbau. Durch Klangfarbe, Sprachmusik und Lautmalerei werden geschickt Synästhesien hergestellt, die Korrespondenzen und Analogien zwischen verschiedenen Sinnbereichen suggerieren. Traum- und Albtraumbilder überlagern sich, fließen ineinander und verschmelzen. Angestrebt wird eine weitgehende Autonomie der genutzten Symbole. Diese soll eine Verschlüsselung des Gemeinten bewirken und bietet so nicht nur Spielraum für die Interpretation der Werke, sondern führt sogar bis hin zur tendenziellen Beliebigkeit ihrer Sinngebung. Denn das Ziel der Symbolisten war es, hinter den Erscheinungen, Zuständen, Wortfassaden und Sprachgesten tiefere, verborgene Schichten des Seins, des Lebens und einer neuen Subjektivität zu erschließen.

Mit seinem 1868 im Postum erschienen Werk „Petits Poèmes en Prose“ ebnet Baudelaire den Weg für den Vers libre. Er berichtet von Rauscherlebnissen in „Les Paradies artificiels. Opium et Haschisch“ und schreibt zahlreiche kunstkritische Aufsätze, wie „La Peintre de la vie moderne“ oder „Curiosité esthétique“. Auf einer Reise durch das ihm verhaßte Belgien kommt es 1866 auf Grund von Konflikten mit Verlegern, Presse und Zensur und durch seinen exzessiven Lebensstil zum gesundheitlichen Zusammenbruch Baudelaires. Am 31. 8. 1867 verstirbt er in Paris und hinterläßt seinen Anhängern eine moderne, zeitgemäße, jedoch zugleich überzeitliche Lyrik.

Nov. 2001
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  • Ch. Baudelaire: Les Fleures du Mal, franz./dt. Reclam 1998
  • Die französische Literatur, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1988
  • Lexikon der französischen Literatur, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1987
  • J.P. Sartre: Baudelaire. Ein Essay, Rowohlt 1997
  • Bertelsmann Discovery, 1997

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