Archiv für die Kategorie 'Poly-Tick'

Guttenberg hat abgeschrieben

Freitag, 18. Februar 2011

Ganz ehrlich, ich glaube ja, der hat gar nicht abgeschrieben, sondern hat abschreiben lassen – natürlich nicht absichtlich. Aber das konnte ja Keiner ahnen, dass der Ghostwriter sich da einen Flockigen macht. Man hätte das natürlich, in Anbetracht des Plans, sich als Politiker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu begeben, vor der Abgabe mal genauer prüfen können. Muß man ja als Mitglied der finanziellen Elite auch nicht selbst machen, sondern kann das genauso gut „outsourcen“, wie das Verfertigen einer Promotionsarbeit selbst. Denn das ist ja schon ganz schön peinlich jetzt, in solch einem Kontext und in solch einer Position beim Betrügen erwischt zu werden!? Von einem so aalglatten Minister erwartet man schließlich, dass er weniger schlampig agiert. Das hat ja selbst Kristina Schröder besser hingekriegt (Link)! (mehr …)

Musikpiraten – Weihnachtslieder unter CC-Lizenz

Mittwoch, 17. November 2010

Eigentlich müßte ich ja Monteverdi analysieren. Aber jetzt blogge ich doch wieder… Ich möchte nämlich einerseits auf eine grandiose Aktion des Musikpiraten e.V. aufmerksam machen, andererseits an einem ganz bestimmten Punkt dieser Aktion auch Kritik üben. Die Rede ist von Creative Commons-lizenzierte Notenblätter für Advents- und Weihnachtslieder gesucht.

Hintergrund der Aktion ist der Besuch der GEMA (VG-Musikedition) in diversen Kitas und Kindergärten und deren Forderung, für dort kopiertes Notenmaterial Gebühren zu zahlen (heise berichtete). Schließlich seien auch Editionen gemeinfreier Lieder urheberrechtlich geschützt. Das ist zwar korrekt, neigt aber zu absurden Auswüchsen in der Musikpraxis, die wir auch als erwachsene SängerInnen nur zu gut kennen. Daher ruft der Musikpiraten e.V. nun dazu auf, Editionen gemeinfreier Weihnachtslieder bei ihm einzureichen, bzw. auch neue zu komponieren. Die Editionen alter und neuer Lieder soll sich an ein kindliches Publikum richten, darf einstimmig oder mehrstimmig, mit oder ohne Begleitinstrumente sein. Eine prima Sache eigentlich – aus Neukomponisten-Perspektive gibt es m.E. allerdings einen Haken. (mehr …)

Rap News – Nachrichten mit Rhythmus und Reim

Montag, 01. November 2010

Heute habe ich mal wieder einen Beitrag zu einem der ganz urpsrünglichen Themen dieses Blogs: Dichtkunst. Spannenderweise ist sie diesmal um eine politische Dimension erweitert, also keine Kunst um der Kunst Willen. Ich bin erst spät zum Rap gekommen, weil ich ihn musikalisch meist als extrem monoton und die Texte als chauvinistische „Meiner-ist-größer“-Botschaften wahrgenommen habe (was wohl leider auf einen großen Teil der Szene immer noch zutrifft). Aber es gibt auch guten Rap, gut gereimten, gut rhythmisierten, gut figurierten und geformten Rap. Rap, der sprachlich und inhaltlich Spaß macht und zu dieser Sorte gehören die Rap News von TheJuiceMedia (Giordano Nanni & Hugo Farrant), die man dertage bei Youtube findet. Hier ein erster Eindruck: (mehr …)

Buchtipp: Lob der offenen Beziehung

Montag, 23. August 2010

Mein Freund Oliver Schott hat ein Buch geschrieben, „Lob der offenen Beziehung„. Er ist Philosoph und geht das Thema ganz philosophisch von der Vernunftebene an. Das Büchlein ist keine praktische Anleitung, wie man am besten eine offene Beziehung führt, sondern eine Erörterung der Vorteile, die die offene Beziehung als echte Alternative zur Monogamie bieten kann. (mehr …)

Im Mittelalter gab es kein Copyright

Freitag, 14. Mai 2010

Das Copyright ist eine Erfindung der Neuzeit. Die Rechte der Autoren kamen erst mit der Einführung des Buchdrucks und der Notwendigkeit organisierter Produktionsprozesse durch Verlage, Druckereien, etc. Das habe ich gerade wieder in Jan-Dirk Müllers „Aufführung – Autor – Werk“ gelesen, den ich im vorigen Post zusammengefaßt hatte. Der Text gehört quasi zur Grundausbildung eines jeden mediävistischen Literaturwissenschaftlers. Aber ich denke, er ist auch für die aktuelle Piratenbewegung und Copyright-Debatte von Interesse. Er spricht über unsere moderne Auffassung von Autorschaft und davon, dass diese nicht gesetzt, sondern eine von uns konstruierte ist.

Im Mittelalter gab es nämlich „DEN Autor“ nicht und es gab nicht „SEIN Werk“. Es gab viele Vortragende in einer mündlichen Kultur, in der Texte variabel waren und der jeweiligen Vortragssituation angepaßt wurden. Aufmerksamkeit und Lob galten dabei dem Vortragenden, der nicht zwangsweise mit dem Verfasser identisch sein mußte. Denn bedient hat man sich von überall her. Das Kopieren, Ändern und Verwenden von Texten, Formen und Melodien war Gang und Gäbe. Ein Werk dem Publikum auf vollendete Weise darzubringen, war die Kunst und nicht etwa, als erster auf eine Idee gekommen zu sein. „Der Verfasser eines Textes erwirbt an diesem Text kein Eigentum; er stellt etwas her, das anderen zum Gebrauch sich anbietet“, schreibt Müller. Die Vorstellung von einem „geistigen Eigentum“ wäre einem Minnesänger oder mittelalterlichem Zuhörer wohl ziemlich bescheuert vorgekommen.

Müller berichtet dies freilich nicht im Zusammenhang mit der Copyright-Debatte, sondern zeigt sich von einem wissenschaftlichen Disput um den Status einer zwischen mündlicher und schriftlicher Kultur stehenden Literatur inspiriert. Ebenso wie aber die mit dem Buchdruck um 1500 einhergehende Medienrevolution zu einer Neubewertung des Autorbegriffs geführt hat, wie Müller erläutert, scheint mir das bei der aktuellen Medienrevolution auch der Fall zu sein. Der Mythos vom Verfasser-Genie und seiner allumfassenden Gewalt über sein Werk beginnt mit der Einführung des Internets und anderer digitaler Kopien in dem Maße zu bröseln, wie er vor 500 Jahren mit der Erfindung des Buchdrucks erstarkte. Brauchen wir den Autor heute noch oder lebt unsere Kultur durch die Beteiligung und Kreativität aller an ihr teilnehmenden Personen?

In einer schriftlichen Kultur hatte die Kopie materiellen Wert und war entsprechend mit finanziellen Risiken verbunden. In der digitalen Kultur kostet eine Kopie ungefähr genausowenig wie in einer mündlichen. Insofern rücken wir der mündlichen Kultur des Mittelalters und ihrer aufgelockerten, offenen Auffassung von Autor und Werk wieder ein Stück weit näher. Genau an diesem Punkt geraten wir aber in gesellschaftlichen Konflikt. Da gibt es auf der einen Seite Menschen, die noch voll umfänglich an das „geistige Eigentum“ glauben und mental am Autor und seinem Werk festhängen. Da gibt es auf der anderen Seite die, die solche Vorstellungen für überkommen oder zumindest fragwürdig halten. Die einen haben Angst, ihren Status zu verlieren, die anderen fühlen sich unterdrückt und wollen sich emanzipieren.

Ich kann beide Seiten nachvollziehen. Ich bin selbst Autor (gewesen) und verband damit Eitelkeiten und Privilegien. Mir kommt das alles aber zunehmend albern vor und Texte wie der von Müller bestätigen mich darin. Vielleicht ist die Vorstellung von Autor und Werk vor dem Hintergrund der Entwicklung zu einer digitalen Kultur eine Sackgasse.

Kollateralschäden – collateralmurder.com

Montag, 05. April 2010

Collateral Murder

Nachdem im „internationalen bewaffneten Konflikt“ in Afghanistan nun drei deutsche Soldaten „für das Vaterland gefallen“ sind, erlaubt Verteidigungsminister Guttenberg endlich den Gebrauch des unschönen und tabuisierten Begriffs „Krieg“ in der Umgangssprache (s. Kriegsrhetorik mit Widersprüchen). „Friedensmission“ war auch so ein Euphemismus, den wir uns lange anhören mußten.

Was die „Koalition der Willigen“ 2003 im Irak begann, war aber ein Krieg, ein Präventivkrieg sogar, der mit der akuten Bedrohung begründet wurde, die vom Irak ausgehe. Am 12. Juli 2007 wurden dort zwei Reuters-Journalisten und neun bis 14 weitere Zivilisten, darunter wohl auch zwei Kinder von US-Militärs aus einem Hubschrauber heraus angegriffen und getötet. Die Whistleblower-Seite WikiLeaks hat heute während einer Pressekonferenz in Washington ein entsprechendes Video veröffentlicht, das die Bluttat dokumentiert. Trotz seiner Brisanz hat es diese Story bisher nicht in die Mainstreampresse geschafft. Bevor sie totgeschwiegen wird, blogge ich sie hier lieber. Vielleicht wollt ihr das ja auch tun.

Reuters hatte nach dem Vorfall 2007 mehrfach erfolglos versucht, über den Freedom of Information Act (FOIA) an den Videomitschnitt des US-Militärs zu gelangen (s. Reuters seeks US army video of staff killed in Iraq). 2007 hatte bereits die New York Times über den Angriff und die Tätung der Journalisten berichtet (s. 2 Iraqi Journalists Killed as U.S. Forces Clash With Militias). Das US-Militär behauptete zunächst, nichts mit dem Angriff zu tun zu haben und sagte später, es habe sich um bewaffnete, shiitische Milizen gehandelt. Das auf Wikileaks veröffentlichte Video zeigt aber deutlich, dass es sich um unbewaffnete Zivilisten handelte. Im Audiostream, einem im Video transkribierten Mitschnitt des Funkverkehrs der Militärs, sind zudem abschätzige, unterkühlte und gehässige Kommentare der US-Soldaten, sowie Gelächter über die Situation zu vernehmen.

Das Video sowie dazugehörige Dokumente können unter http://collateralmurder.com abgerufen werden. Vorsicht, es ist wirklich bedrückendes und erschütterndes Material.

Update #1: 6.4.10, 10:30 Uhr

Wir hatten gehofft, wenigstens heute Morgen Berichterstattung in der deutschen Mainstreampresse zu finden. Aber außer der Frankfurter Rundschau, dem Handelsblatt und ein paar kleineren Medien hat es hierzulande keine Redaktion für wichtig erachtet, das Thema aufzugreifen. Schließlich geht es ja nicht um uns! Qualitätsjournalismus.

In den USA gab es Berichterstattung seit den frühen Abendstunden: AP, MSNBC, NYTimes und die englischen Mirror und Guardian brachten Beiträge. Aber insgesamt bleibt es viel zu ruhig angesichts des Inhalts des Videos.

Update #2: 6.4.10, 13:20 Uhr

Die Sueddeutsche ist das erste größere, deutsche Blatt, das etwas zu dem Video bringt (s. Video zeigt US-Soldaten bei Blutbad an Zivilisten).

Update #3: 7.4.10, 01:10 Uhr

Also im Verlaufe des Tages sind dann auch die deutschsprachigen Medien noch aus dem Osterurlaub zurückgekommen und haben über das Video berichtet. Es gab sogar einen Bericht in der Tagesschau vom 6.4.: s. Tagesschau über Wikileaks.

Kindesmißbrauch in der katholischen Kirche

Donnerstag, 25. Februar 2010

Folgende Mail habe ich heute unter an Herrn Bosbach geschickt:

Werter Herr Bosbach,

ich habe heute morgen einen Artikel im Onlinemagazin DER SPIEGEL gelesen (zum Artikel). Darin finden sich Informationen darüber, dass sie und andere CDU/CSU-Parteikollegen das Vorgehen unserer Justizministerin im Falle „Kindesmißbrauch in der katholischen Kirche“ kritisieren. Sie behaupten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger dürfe keine Kritik an der katholischen Kirche üben oder den Eindruck erwecken, die Kirche würde die Aufklärung der Mißbrauchsfälle verhindern.

Vor ca. einem Jahr habe ich die Dokumentation „Sex, Crimes and the Vatican“ der BBC gesehen (zur Doku). Darin geht es um die systematische Vertuschung von Mißbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Bereits 1962 soll der Vatican (unter Papst Johannes XXIII) ein Dokument herausgegeben haben, in dem er von Bischöfen verlangt, die Opfer von sexuellem Mißbrauch durch Priester und Bischöfe zu Schweigegelübten zu bewegen (zum Dokument). 2001 hat der Präfekt der Glaubenskongregation, einer gewisser Herr Ratzinger (heute auch als Papst Benedikt bekannt), darauf hingewiesen, dass diese Instruktionen nach wie vor Gültigkeit haben (zum Artikel).

Ich finde, dass der Mut unserer Justizministerin, diese durch den investigativen Journalismus belegten Vertuschungs- und Verschleierungs-Taktiken der katholischen Kirche öffentlich anzuprangern, nicht nur ein großes Lob, sondern auch ihre Unterstützung verdient hat. Die Kirchenführung sollte sich ihrer Vorbildfunktion bewußt sein und offen und transparent mit den jüngsten Anschuldigungen umgehen. Das jahrelange Versagen der katholischen Kirche, den sexuellen Mißbrauch an Kindern durch katholische Würdenträger zu verhindern, und die systematische Behinderung der Aufklärung von Mißbrauchsfällen durch die katholische Kirchen, dürfen wir nicht länger stillschweigend hinnehmen.

mit freundlichen Grüßen,
XXX

Update #1

Und eine weitere Quelle für die arrogante Taktik der katholischen Kirche: Frankfurter Rundschau

Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke war zu Gast bei der Sendung „Hart aber fair“ des WDR und wurde zum Fall des Mißbrauchsopfers Norbert Denef befragt. Dem Mann wurden vom Bistum Magdeburg 25.000 Euro Schweigegeld angeboten, damit er nicht darüber redet, dass er als Jugendlicher jahrelang von zwei Klerikern mißbraucht wurde. Dies hatte er wohl auch Herrn Ratzinger mitgeteilt, der meinte, der Papst würde jeden Tag dafür beten, dass Denef vergeben könne.

Werkeinführung: Deutsches Miserere ~ Paul Dessau

Mittwoch, 17. Februar 2010

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, mahnt Bertolt Brecht gegen das Vergessen deutscher Kriegsverbrechen. Beinahe in Vergessenheit geraten ist auch Paul Dessaus „Deutsches Miserere“, dem dieser Text entstammt. Das reich orchestrierte Oratorium, das 28 Epigramme der Brechtschen „Kriegsfibel“ in facettenreichen musikalischen Tableaux vertont, wurde bisher nur vier Mal aufgeführt. Am 5. März 2010 wird es um 20:00 Uhr im Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt unter Organisation und Mitwirkung der Berliner Singakademie und unter Leitung Achim Zimmermanns ein fünftes Mal auf einer deutschen Konzertbühne erklingen. Die 28 Bilder der „Kriegsfibel“ werden dazu von Maxim Dessau auf eine Leinwand über der Bühne projiziert. Gegen das Vergessen: Karten an den Abendkassen und im Vorverkauf an den Theaterkassen, unter 030 – 20309-2101 oder online unter www.berliner-singakademie.de oder für Freunde mit 30% Ermäßigung auf die oberen drei Preiskategorien auch bei mir persönlich zur Bestellung.

Deutsches Miserere ~ Paul Dessau

Freitag, 05.03.2010, 20:00 Uhr
Konzerthaus Berlin, Großer Saal
(ehem. Schauspielhaus am Gendarmenmarkt)

Martina Rüping, Sopran
Annette Markert, Alt
Thomas Volle, Tenor
Egbert Junghanns,Bass

Maxim Dessau, Videoprojektion

Berliner Singakademie
Berliner Mozart-Kinderchor und Berliner Mozartini

Konzerthausorchester Berlin

Leitung: Achim Zimmermann

Um 19:00 Uhr am selben Tag findet im Musikklub ein Einführungsvortrag von Prof. Dr. Frank Schneider statt. Dr. Schneider ist Musikwissenschaftler und ehemaliger Intendant des Konzerthauses Berlin.

Gegen das Vergessen – Konzerteinführung

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, mahnt Bertolt Brecht gegen das Vergessen und Verdrängen deutscher Kriegsverbrechen – ein Verdrängen, das in der Rezeption des „Deutschen Miserere“ von Paul Dessau (1894 – 1979) noch heute seinen traurigen Ausdruck findet. Das oratorische Werk, welches Epigramme aus Brechts „Kriegsfibel“ vertont, die Projektion der dazugehörigen Fotografien vorsieht und groß und facettenreich orchestriert ist, wurde insgesamt nur viermal aufgeführt. Eine Tonträger-Aufnahme existiert bis heute nicht.

Bereits 1942 trat Dessau mit der Bitte um Textmaterial an den von ihm bewunderten Dichter Brecht heran. Beide Künstler befanden sich im amerikanischen Exil, eine Niederlage Nazideutschlands gegen die alliierten Streitkräfte war nach Stalingrad bereits absehbar, und in der gemeinsamen Hoffnung auf ein befreites, demokratisches und sozialistisches Deutschland entstand 1947 ein „Deutsches Miserere“, das erste große Gemeinschaftsprojekt Brechts und Dessaus.

Obwohl Brecht nahezu keine neue Zeile für das „Deutsche Miserere“ schrieb, griff er mit seiner Kunstauffassung stark in die Komposition und deren Dramaturgie ein. Die Musik sollte immer dem Text dienen und nie sich selbst genügen. Dessau, der von diesem Ideal einerseits fasziniert war, andererseits aber auch Bewunderung für Arnold Schönberg und die Zwölftonmusik, eine höchst artifizielle Kompositionstechnik, empfand, probierte den Spagat. Auf der einen Seite steht die fast eisige Diktion der Brechtschen Epigramme durch Frauen-, Männer- und Kinderstimmen, auf der anderen Seite werden Cluster und Klangteppiche eines üppigen Orchesters beigemischt. Je 24 Bratschen, Celli und Kontrabässe, reichlich Bläser, darunter ein Heckelphon (ein oboen-ähnliches Holzblasinstrument) sowie ein Trautonium (ein Vorläufer des heutigen Synthesizers) gehören zur Besetzung. Selten erklingt das Ensemble jedoch in Gemeinschaft, jedes der 28 Bilder ist unterschiedlich besetzt und auch in der Dessauschen Dodekaphonie herrscht keine strenge Systematik. Dennoch wird der Zuhörer und -schauer zu keinem Zeitpunkt in Heiterkeit entlassen, sondern durch die Texte, die Musik und die Projektion der Kriegsbilder stets appellierend herausgefordert.

In den USA wurde das „Deutsche Miserere“ nie aufgeführt. „Denn es geht uns an, unsere Entwicklung, unser Elend und unser Weiterkommen“, wird Dessau selbst dazu zitiert. Doch auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1948 wurde das Oratorium nur selten gespielt (UA 1966 in Leipzig). Denn einerseits waren die Aufführungen durch die vorgesehene Ausstattung teuer und aufwendig, andererseits sorgte Dessaus Ambivalenz zwischen Kunst und Ideologie auch in seiner neuen Wahlheimat, der DDR, für Probleme. Seine Bewunderung für Arnold Schönberg und die Benutzung der Zwölftonmusik in seinen Kompositionen wurde mit Argwohn betrachtet und brachte ihm viel Kritik von offiziellen Stellen ein. Dessau wurde zwar mit staatlichen Auszeichnungen überhäuft, aber oft auch durch Nichtaufführung seiner Werke übergangen. Deshalb verwehrte er sich gegen die Vereinnahmung seiner Person durch den Staat und bewahrte sich zeitlebens eine kritische Haltung.

Auch 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hat das „Deutsche Miserere“ nicht an erschütternder Brisanz verloren. „Der Schoß ist fruchtbar noch“: Noch immer existiert nationalsozialistisches Gedankengut in deutschen Köpfen, noch immer werden Auschwitz und andere Bühnen deutscher Kriegsverbrechen geleugnet und noch immer ist der deutsche Gehorsam, der blind für Unterdrückung, Ausbeutung und Manipulation ist, charakteristisch. Ohne die zahlreichen Menschen, die Hitler und seiner faschistischen Ideologie gefolgt sind, wäre Nazideutschland undenkbar gewesen und auch jetzt noch muss gegen dieses Vergessen gekämpft werden.

Die Aufführung des „Deutschen Miserere“ am 5. März 2010 im Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt wird insgesamt die fünfte sein. Unter der Leitung Achim Zimmermanns werden um 20:00 Uhr im Großen Saal die Berliner Singakademie, das Konzerthausorchester, der Berliner Mozart-Kinderchor, die Berliner Mozartini und namhafte Solisten Dessaus Oratorium auf der Bühne darbieten. Mit der Projektion der Bilder aus der „Kriegsfibel“ von Bertolt Brecht ist der Filmregisseur und Sohn Dessaus, Maxim Dessau, betraut.

Claudia Furtner
i. A. der Berliner Singakademie e.V.

Neues von der Judäischen Volksfront

Freitag, 23. Januar 2009

Okay, in Zeiten der Krise im mittleren Osten darf man solche Witze vielleicht gar nicht mehr machen. Aber kennt ihr das noch – die Verwirrung um die judäische Volksfront und die Volksfront von Judäa aus „Life of Brian“?

So komme ich mir immer wieder vor, wenn Zeitungen über Angelegenheiten der Sing-Akademie zu Berlin schreiben. Das Hamburger Abendblatt berichtet nämlich vom Montezuma-Urteil des BGH. Gut, das mag vielleicht nach 20 Jahren Mauerfall irgendwie total unklar sein, aber in Berlin gibt es aufgrund der einstigen Teilung zwei Singakademien und die Berliner Singakademie, also die Vereinigung, die 1963 im ehem. Ostteil gegründet wurde, ist nicht die Klägerin im Urheberrechtsstreit. Es ist in der Tat die Sing-Akademie zu Berlin, die die alleinigen Rechte am Notenarchiv der 1791 gegründeten Singakademie, der auch Größen wie Goethe, Schiller und Mendelssohn angehörten und durch die die Laienchorbewegung in die Existenz kam, für sich beansprucht. Dieses Archiv wurde 1999 aus Kiew zurück nach Berlin geführt und wird seitdem krakenartig von den Kollegen bewacht. Dies zeigte sich überdeutlich, als man 2005 beim Düsseldorfer Kulturfestival „Altstadtherbst“ die 2002 im Archiv wiederentdeckte Verdi-Oper „Montezuma“ aufführte, woraufhin die Sing-Akademie zu Berlin als Hüterin des Grals einen Schadensersatz verlangte.

Und schon damals liefen bei uns die Telefone mit wütenden Anrufen aufgebrachter Bürger heiß. Es war gar nicht so einfach, diesen und all den Berichterstattern da draußen beizubringen, dass die judäische Volksfront, ähem, die Berliner Singakademie und die Sing-Akademie zu Berlin zwei Paar Schuhe sind. Die Berliner Singakademie hat mit dem Archiv, mit Montezuma und dem Urheberrechtsstreit nichts zu tun und ist selbst der Meinung, dass Musik nur dann sinnvoll ist, wenn sie auch zu Gehör gebracht wird. Vielen Mitgliedern ist dabei unklar, wie sich die Kollegen als Urheber einer 100-Jahre alten Musik betrachten können. Nun hat auch der BGH dieser Paragraphenreiterei ein Ende bereitet und entschieden, dass die Sing-Akademie zu Berlin keine Verwertungsrechte an der Oper hat.

Ich selbst bin seit 10 Jahren Mitglied der Berliner Singakademie und kenne das ewige Hin und Her um die Namensschwestern nur zu gut. Für das Neben- und Miteinander der beiden Singakademie könnte 2009 jedoch neue Meilensteine bringen. In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag Felix Mendelssohns zum 200. Mal. Beide Singakademie berufen sich auf diesen Traditionsträger und um sein Jubiläum gebührend zu feiern, haben Konzertveranstalter beide Singakademien zu gemeinsamen Konzerten eingeladen. Ich hoffe für uns, die Tradition der Laienchorbewegung und natürlich für das Musikleben Berlins, dass diese Zusammenarbeit den Blick für gegenseitige Sympathien eröffnen und die Kollegen zur Reflexion anhalten möge: Warum sollten sich nach 20 Jahren der Wiedervereinigung denn nicht beide Singakademien zu einer einzigen zusammentun?

I’m shocked, i tell, ya!

Donnerstag, 07. August 2008

Welch Erkenntnisreicher Donnerstag-Vormittag: Auch Geistesgrößen haben Sex! Ja, sie besitzen sogar Pornos, unglaublich, aber wahr. Auch Leute, die viel Zeit auf das Erdenken und Schreiben von Kurzgeschichten verwenden, die ein wenig nach Ficken auf LSD klingen, sind nicht befreit davon, ihrem Sexualtrieb zu fröhnen. Der Spiegel – auch genannt die Bildzeitung für Akademiker – hält das für einen Skandal.

Denn ein Forscher entdeckte Kafkas Pornosammlung, die dieser wohl im Haus seiner Eltern versteckt hielt und, nein, es handelt sich nicht um Blümchenszenen mit schwedischen Hippies. Kafka war ein knallhart versaut Perverser. In den Heftchen finden sich sodomistische und lesbische Szenen. Wer hätte das gedacht! Der arme Britische Kafka-Forscher wird nie wieder ruhig schlafen können. Nachdem Kafkas Kurzgeschichten doch so geistesruhig und märchenhaft sind, wurde ihm durch diesen Fund seine heile Welt zerstört. Legen wir eine Schweigeminute für die verstorbene Naivität ein, dass ein Autor, der kafkaeske Kurzgeschichten schreibt, nicht auch eine Vorliebe für Kafkaesken Porno hätte.

Nun, liebe Leser läßt sich angesichts dieser Gesellschaftlichen Scham und Empörung nur hoffen, dass ich entweder nie so ein angehimmelter Autor werde, wie Kafka. (Die braven Forscher würden mit Sicherheit an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie meine Pornosammlung entdecken.) Oder wird hoffen einfach mal, dass die Menschheit in Sachen Sex endlich mal ein bisschen Entspannter wird.