Archiv für September 2008

Wo man in Massenricht gut essen geht…

Sonntag, 21. September 2008

Also es gab ja schon durchaus unschöne und widerliche Streitereien zwischen Wikipedianern, die man gar nicht lesen mochte. Aber dann von Zeit zu Zeit trifft man auf solch erfrischende wie die Diskussion über die Relevanz der Erwähnung von Wirtshäusern in Massenricht [1].

Massenricht (wer kennt es nicht!) ist, so belehrt uns die Wikipedia, ein Ortsteil der Stadt Hirschau im Landkreis Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz in Bayern. Ein Rivisor hatte den Absatz über die Gastronomie des bayrischen Erdenfleckchens als irrelevant herausgestrichen und begründet, man würde solche Informationen schließlich auch nicht im Brockhaus finden. Darauf antwortet der Fürsprecher der Massenrichter Wirtshäuser:

Hm, so würd ich das nicht beurteilen. Ein Artikel über Massenricht würde im Brockhaus ohnehin nicht zum Stehen kommen. Gleichzeitig ist für eine Stadt wie München (die im Brockhaus gelistet ist) die Gründung eines Waldvereins kein herausragendes geschichtliches Ereignis. Für Massenricht wars das. Ebenso sind die Wirtshäuser für Massenricht eine durchaus sehr relevante Angelegenheit, weil sie wesentlich weitreichendere Bedeutung haben als Massenricht selbst. Alleinstellungsmerkmale für die Wirtshäuser in Massenricht waren sehr wohl genannt. z.B. habe ich beim Gasthaus Schiffl die Karpfen genannt, beim Rosenhof den Brand und den Tanzsaal und bei der Berghütte die Anziehungskraft für Wanderer. Die Kanzlei habe ich der Vollständigkeit halber erwähnt. Ich bin der Meinung, der revert sollte rückgängig gemacht werden.

Ist es nicht unglaublich liebenswürdig und zum Umfallen komisch, welch innige Verbundenheit mit dem Ortsteil Massenricht in dieser sauberen Argumentation zum Ausdruck kommt!? Ich fühlte mich an die kleinen Hobbits in „Der Herr der Ringe“ erinnert, habe Tränen gelacht und bin äußerst froh, dass die beiden Streithähne offenbar einen Konsens gefunden haben. Denn der Absatz über die Wirtshäuser steht nun berechtigterweise im Artikel. Sollte es mich jemals nach Massenricht verschlagen, dann weiß ich dank des heldenhaften Rettungseinsatzes dieses Liebhabers immerhin, wo ich essen gehen kann!

Sprache und Bewußtsein

Donnerstag, 18. September 2008

Der SpOn veröffentlicht gerade eine Reihe von Artikeln, in denen Wissenschaftler Thesen ihres Fachgebiets präsentieren, die sie alle irgendwie für wahr halten, aber nicht beweisen können. Darunter findet sich auch eine These des Philosophen Daniel C. Dennett, der behauptet, dass die Ausbildung des Bewußtseins mit der Fähigkeit zu sprechen einherginge.

„Ha!“, sage ich zu meinem Mann, mit dem ich dieses Thema schon oft wild diskutiert habe. Er Informatiker, ich Literaturwissenschaftler, haben wir beide irgendwie was mit Sprache und den logischen Systemen, die dahinter stehen, zu tun. Ich behauptete immer, dass Welt, also das was wir als uns und unsere Umgebung begreifen, nicht über das hinausgehen könne, was wir sprachlich formulieren können, weil sich unsere Gedanken irgendwie sprachlich manifestieren und wir Dinge, die wir uns vorstellen können, selbst wenn noch kein Name für sie existiert, immer sprachlich erfassen. Frei nach dem Motto: „Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt“, das ich hier schon öfter besprochen habe. Er ist hingegen der festen Überzeugung, sich auch Dinge vorstellen zu können, ohne dass sie im inneren Monolog beschrieben werden müßten, denn schließlich können ja Autoren, Künstler, Erfinder sich auch Dinge vorstellen, die eben noch keinen Namen haben.

Ganze Nächte haben wir uns mit diesem Thema um die Ohren geschlagen, doch beweisen konnte natürlich niemand seinen Standpunkt. Wir müßten ja in unsere Hirne gucken und erst einmal einig darüber werden, was überhaupt Bewußtsein ist. Für mich stehen Sprache und Denken in sehr engem Zusammenhang, vielleicht liegt es daran, dass ich in meinen Linguistikvorlesungen dahingehend sozialisiert wurde. Denken ist die Voraussetzung für Bewußtsein, man reflektiert sich und seine Umgebung, erinnert, spekuliert, benennt. Durch eine „Spiegelerfahrung“ bekommen wir überhaupt erst eine Vorstellung von dem, was wir sind und Sprache ist ein Teil davon, und zwar der akustisch (optisch) wahrnehmbare Teil unserer Gedanken, mit dem wir uns intersubjektiv über unsere Subjektivität austauschen können.

Ich persönlich kann mir ein Denken ohne Sprache nicht vorstellen. Dahingehend bekommt dieses Bibelzitat (ich schätze dieses Buch wegen kulturgeschichtlicher Aspekte): „Am Anfang war logos„, eine ganz interessante Deutung. Denn die Bedeutung des griechischen logos ist total unklar und reicht von „Wort“ über „Sprache“ über „Lehre“ bis hin zu „Denken“. Da kann sich jetzt jeder das passende einsetzen.

trotzdem – trotzdem

Sonntag, 14. September 2008

Wir saßen neulich bei einem Glas Rioja und Fischfilet am Mittagstisch, als mein Mann plötzlich verwundert bemerkte, dass man das Wörtchen „trotzdem“ einmal vorne und einmal hinten betonen kann. [Trotz-dem‘] es gestern regnete, ging ich spazieren. Es regnete, [trotz‘-dem] ging ich gestern spazieren. [Trotz‘-dem]? [Trotz-dem‘]? Seltsames Wort; ich grübelte. Müßte es nicht eigentlich trotz-des heißen? Trotz des gestrigen Regens ging ich spazieren! Obwohl es gestern regnete, ging ich spazieren. Es regnete, obwohl ich spazieren ging… Nein! das ist nicht sinnig.

Ich hatte mich im Zuge meiner Metrikbemühungen mit den Regeln der deutschen Wortbetonung befaßt und konnte mir demnach sehr gut erklären, warum es einmal [um‘-schrei-ben] und ein anderes mal [um-schrei‘-ben] heißt. Das sind nämlich verschiedene grammatische Phänomene und die Bedeutung ist auch jeweils eine andere. Denn das eine mal schreibt man etwas Existierendes neu und das andere mal sagt man etwas mit anderen Worten. Beim einen mal handelt es sich um ein Derivat des Verbes „schreiben“ mit dem betonten Präfix „um“, das sowohl synthetisch als auch analytisch auftreten kann: Ich schreibe den Roman um. Beim anderen mal handelt es sich um ein Adverb-Verb-Kompositum, das man nicht analytisch verwenden kann: Ich umschreibe es dir mit anderen Worten. (Ich schreibe es dir mit anderen Worten um, geht nicht.) Ähnlich ist es übrigens bei [ü‘-ber-set-zen] und [ü-ber-set‘-zen]. Man kann nämlich ans andere Ufer übersetzen oder einen englischen Roman ins Deutsche übersetzen.

Ich habe auch andere interessante Worte gefunden, bei denen der eigentlich feste Wortakzent von Derivat zu Derivat hüpft, obwohl es sich nicht um ein Fremdwort handelt: [miss-gön‘-nen], aber [Miss‘-gunst] und [wi-der-ru‘-fen], aber [Wi‘-der-ruf]. Auch hier ist klar, das eine ist ein Verb, das andere ein Substantiv. Aber trotzdem?

1. Trotzdem‘ es gestern regnete, ging ich spazieren.
2. Es regnete, trotz’dem ging ich gestern spazieren.
3. Es regnet, aber ich spaziere trotz’dem.
4. Trotz des Regens, ging ich gestern spazieren.

Es macht semantisch keinen großen Unterschied, ob ich [trotz-dem‘] oder [trotz‘-dem] sage. In den ersten beiden Beispielsätzen leiten beide trotzdems einen Nebensatz ein, an dessen Anfang sie stehen. Dennoch kann man im ersten Beispiel ein „obwohl“ einsetzen und im zweiten nicht, es sei denn man ändert die Satzordnung: Es regnete, obwohl ich gestern spazieren ging. Der Sinn ist nicht derselbe und besonders sinnvoll wird dieser Satz auch nicht, aber grammatikalisch ist er einwandfrei. „Obwohl“ ist, ähnlich wie „weil“ oder „dass“ eine Konjunktion, also könnte [trotz-dem‘] im ersten Beispiel auch eine sein.

Um was für eine Wortart handelt es sich aber beim zweiten Beispiel, um ein Adverb, eine Konjunktion? Vielleicht ist es ein Partikel, eine Präpositionen wie im vierten Beispiel wird es nicht sein. Wir kommen hier an die Grenzen der traditionellen Wortartenlehre. Der Umstand, dass die zweite Variante anders betont wird, läßt mich daran zweifeln, dass es sich um dieselbe Wortart handelt, auch wenn die Satzpositionen und Funktionen (am Anfang des Nebensatzes, den sie einleiten) dieselben zu sein scheinen.

Das [trotz‘-dem] im dritten Beispiel würde ich persönlich für ein Adverb halten. Als Adverb betrachtet der Duden Wörter wie „abends“ und „bald“, während er Wörter wie „sehr“ und „ziemlich“ für Partikel hält. Ich hätte auch letztere für Adverbien gehalten.

5. Ich komme bald. (Adverb)
6. Ich komme trotz’dem. (Adverb?)
7. Ich liebe ihn ziemlich. (Partikel?)
8. Ich liebe ihn trotz’dem. (Partikel?)

Ich würde das vorne betonte „trotzdem“ für ein Adverb halten, sowohl in Beispiel 2 als auch 3, denn man kann beide Varianten auch mit dem Wörtchen „bald“ um‘-schrei-ben, was ja ein duden-zertifiziertes Adverb ist.

9. Es wurde dunkel, bald ging ich heim.
10. Es wurde dunkel und ich ging bald heim.

Dass [trotz‘-dem] und [trotz-dem‘] unterschiedlich betont werden, könnte also daran liegen, dass es sich bei dem einen um ein Adverb, bei dem anderen um eine Konjunktion handelt und nur zufällig beide unflektierten Formen gleich aussehen. Wenn mir jetzt noch jemand den Unterschied zwischen Adverbien und Partikeln begreiflich machen könnte, würde der Knoten in meinem Kopf vielleicht platzen. Trotzdem‘ ich keine Ahnung habe, hilft mir das Nachdenken über solche Probleme trotz’dem. So ist das mit den linguistischen Sinnkrisen am Mittagstisch.