Mein lyrisches Ich

Dass Gedichte, in denen sich der Autor autobiographisch selbst in Szene setzt, im Internet populär sind, war mir schon immer bewußt. Suizid, selbstverletzendes Verhalten (SVV) oder Mißerfolge in der Beziehung – persönliche, aber deswegen trotzdem nicht unbedingt individuelle Schicksale werden in epischem Detail geschildert. Im Bemühen um Authentizität appelieren die Texte an das Mitleidpotential ihrer Leser und finden dankbaren Absatz.

Aber auch in der Literaturszene außerhalb des WWW liegt Autobiographisches voll im Trend. So bekommt man bei Lesungen oder Slams in den Berliner Kneipen, Cafés und Clubs fast nur noch schwach zusammengezimmerte Stories aus dem Berliner Studenten- und Jungfamilienleben zu hören, wo Alltagsbanalitäten zu heldenhaften Abenteuern und philosophischen Lebensweisheiten aufgemotzt werden. Die Verlage wollen da nicht außen vor bleiben und hypen Romane im Format “Crazy” (Benjamin Lebert), was erst jünst wieder Clemens Meyers “Als wir träumten” auf der Leipziger Buchmesse verdeutlichte.

Wohin die literarische Beschränkung auf inszenierte Faktion, ja, Faktion, führt, hat mir der Fall eines Kollegen ins Bewußtsein gerufen. Dieser hatte im internet ein Gedicht über Pädophilie aus der Sicht eines Pädophilen veröffentlicht, woraufhin sein Rechner polizeilich beschlagnahmt wurde. Die Option, dass ein lyrisches oder Erzähler-Ich eine zum Zwecke des künstlerischen Ausdrucks vom Autor geschaffene, fiktive Figur, eine Rolle, ein Charakter ist, der Punkt, an dem das Wort Dichtung sich mit dem Wort Fiktion überschneidet, wird zunehmend aus dem Bewußtsein der Leser und Autoren verdrängt. Die Beschränkung auf Selbstoffenbarendes bedeutet nicht nur Selbstzensur; auch der Zensur von außen stehen damit alle Türen offen. Denn wo Autoren gewohnheitsmäßig mit ihren literarischen Figuren identifiziert werden, wird es auch schwerer werden, Tabus künstlerisch zu reflektieren und thematisieren.

Beim Nachdenken über künstlerische Freiheit und den Verlust derselben gewinnt dieser Gedanke für mich zunehmend an Bedeutung und ich erkenne immer mehr, worin meine Abneigung gegen das Wort Authentizität eigentlich begründet liegt. Auch wenn mir bewußt ist, wieviel von meinen persönlichen Ansichten und Überzeugungen in meine Texte einfließt und auch wenn ich weiß, dass man es heutzutage vermutlich nur noch nackt auf’s Titelblatt schafft, will ich mein lyrisches Ich nicht auf der Bühne meiner Gedichte strippen lassen.

14 Kommentare zu “Mein lyrisches Ich”

  1. Thomas a.k.a. Roderich
    August 28th, 2006 10:45
    1

    Hallo LeV,

    habe deinen Beitrag erst jetzt gelesen und möchte ihn nicht unkommentiert lassen.

    Mir ist ebenfalls schon aufgefallen, dass Autobiographisches heute mehr Leser zu finden scheint als das früher der Fall war. Allein, wenn man sich ansieht, welche Absatzzahlen die Machwerke eines Dieter Bohlen mit seiner Biographie erreichen. Hier stellt sich die Frage, ob das Leben in unserer Wohlstandsgesellschaft so banal, simpel und sorgenfrei geworden ist, dass der Leser über das eigene Leben hinwegschielen und einen voyeuristischen Blick auf das Leben anderer Menschen, die es scheinbar aufregender oder schwieriger haben, tätigen. Quasi: Wenn bei mir schon nichts los ist, dann will ich wenigstens was lesen, was andere tatsächlich erlebt haben. Vielleicht, um den Gedanken abzuwehren, dass es heutzutage bei uns grundsätzlich nichts mehr zu „erleben“ gibt, wie man das angesichts des eigenen, langweiligen Seins zu glauben meint.

    Auf der anderen Seite gibt es diese mitteilungsbedürftigen Teenies, denen es so schlecht geht, die – wenn man ihren Aussagen trauen kann – ständig nur an Selbstmord und gefallene Engel zu denken scheinen und die, wie man in den Internetforen sehen kann, äußerst mitteilungsbedürftig sind. Oberflächlich betrachtet scheinen diese beiden „Trends“ ziemlich gegensätzlich zu laufen – einerseits das belanglose Leben eines braven, mitteleuropäischen Durchschnittsbürgers und andererseits diese Armee von suizidgefährdeten Teenies. Doch im Grunde sehe ich hier gemeinsame Ursachen: Das Fehlen von tatsächlichen Problemen und Herausforderungen. Wenn das Leben zu banal wird, muss man sich künstlich Probleme und Sorgen schaffen, da es immer noch besser zu sein scheint, ein kummervolles Leben zu führen als ein langweiliges. Insofern lassen sich dann auch die Suizidgedanken der Teenies begründen, die wohl nur in wenigen Fällen psychologisch klar begründbar sind. Aber natürlich kann man damit wunderbar hausieren gehen: Seht her, was ich für ein armes Schwein bin. Und auf diese Art und Weise kann man sich die Aufmerksamkeit beschaffen, die einem sonst versagt bleiben würde, da man eben im Grunde nichts bieten kann, was Aufmerksamkeit verdienen würde.

    Interessanterweise sind (zumindest für mich) jedoch genau die Texte, die aufgrund dieses Geltungsbedürfnisses entstehen (und ich möchte hier durchaus die wie Pilze aus dem Verlagsboden sprießenden Semi-Promi-Biographien einschließen, da auch diese aufgrund von Geltungsbedürfnis geschrieben werden, wenngleich auch aus einem anderen Hintergrund heraus) nicht im geringsten authentisch. Authentisch ist ein Text für mich viel mehr dann, wenn er getragen von der Gedankenwelt des Autors ist, der sich mit einem Thema oder Problem auf die ihm bestmögliche Art und Weise auseinandersetzt. Denn dann offenbart der Autor tatsächlich ein wenig von sich selbst. Nämlich, wie er über ein Thema denkt bzw. welche Betrachtungsmöglichkeiten ihm über ein Thema schlüssig erscheinen – man kann auch andere Sichtweisen als die eigene ausdrücken und dennoch authentisch sein, wie ich finde. Meiner Ansicht nach ist unser Kollege, dessen Computer beschlagnahmt worden ist aufgrund seines Gedichtes, das sich mit Pädophilie auseinandersetzt, authentischer als all die kleinen Ich-bin-so-arm-weil-ich-ritze-Kinder, da er versucht hat, sich einem schwierigen Thema gedanklich zu nähern und dadurch seine Sichtweise, wie man sich der von ihm beschriebenen Perspektive nähern kann, offengelegt hat. Das mag jetzt kompliziert klingen, aber es ist im Grunde ganz einfach: Dadurch, dass er sich Gedanken über die Perspektive eines Pädophilen gemacht hat, hat er der Leserschaft gezeigt, wie er selbst über die Welt aus der Sicht eines Pädophilen denkt und damit hat er, mit Verlaub, die Hosen weiter runtergezogen als all die Möchtegern-Suizidler.

    So viel jedenfalls zu meinen eigenen verworrenen Gedanken. Ich hoffe, du hast mir so halbwegs folgen können. Nicht, dass mein Beitrag nun irgendwie von Bedeutung wäre, aber ich wollte meinen Senf einfach mal hier ablagern – vielleicht kocht ja noch jemand ein passendes Würstchen dazu.

    In diesem Sinne: Mahlzeit und viele Grüße

    Thomas

  2. LeV
    August 29th, 2006 22:30
    2

    Mal abgesehen davon, dass ich mein Leben ganz und gar nicht als langweilig empfinde, muß ich gestehen, dass Geltungsbedürfnis, Anerkennung und der Wunsch nach dem Besonderen unleugbare Begleiter unseres Lebens sind. Ich würde das keinem Menschen zum Vorwurf machen. Weshalb man sich dann aber doch wieder nur das Banale sucht, ist mir ein Rätsel, das zu lösen ich nicht kompetent genug bin.

    Das Banale ist die eine Seite, eine andere sind jene, durchaus etablierte Autoren, die sich auf den Realismus beschränken, jene Autoren, die eine Kurzgeschichte mit dem Satz: „Als gestern Morgen mein Wecker klingelte“, beginnen. Wo ist die Faszination für die Fiktion geblieben, frage ich mich, die bewußte Freude des Autors daran, einfach Dinge zu erfinden und damit etwas ins Leben zu rufen, dass es (in der Realität) vorher nicht gab. Ich sage ja nicht, dass das eine dem anderen vorzuziehen wäre. Aber ich meine, dass doch mindestens beide gleichberechtigt nebeneinander stehen. Davon bekommt man als Leser leider kaum noch etwas mit und dementsprechend schreibt man dann wohl auch.

    Wenn wir Autoren aber vergessen, dass wir ein Recht auf Fiktion haben, dann werden das auch unsere Leser blad vergessen und sie werden uns verschreien und zum Teufel jagen, sobald wir etwas schreiben, dass nicht mit der Realität übereinstimmt. Wir beschränken unsere künstlerische Freiheit, indem wir sie nicht ausnutzen. Das finde ich bedauerlich.

  3. Thomas
    August 30th, 2006 00:25
    3

    Hallo LeV,

    ich habe das mit dem langweiligen Leben keinesfalls auf dich bezogen – im Gegenteil, ich denke, dass wir Schreiberlinge jedenfalls ein interessantes Leben haben, zumindest fiktiv. 😉

    Allerdings denke ich schon, dass heutzutage vieles zu einfach geht – es werden einem die gebratenen Tauben ja schon in den Mund geschoben. Unterhaltung erfolgt via Fernsehen, Kindererziehung auch. Das Leben an sich mit all seinen Widrigkeiten und Entbehrungen ist bloß ein Schatten der Vergangenheit, über den man lacht, wenn Opi wieder anfängt zu erzählen, wie es damals im Krieg war.

    Nicht, dass ich den Fortschritt nicht gut heißen würde, aber man wird bequemer, da sich keine echten Herausforderungen mehr stellen. Insofern wird Banalität zum Alldurchdringenden und in der Banalität von autobiographischen Erlebnissen und „Events“ (um in der heutigen Sprache zu sprechen) findet man Züge eines Lebens, das vielleicht aufregender sein könnte als das eigene (obwohl es, bei genauerer Betrachtung, das wahrscheinlich gar nicht ist).

    Wahrscheinlich liegt es tatsächlich an uns Schreibenden, etwas mehr Pfeffer in die ganze Sache reinzubringen. Wenn wir schließlich nicht nach Herzenslust fabulieren, wer soll das dann tun (außer den Politikern natürlich, aber das ist ein anderes Thema)? Also – zeigen wir den Menschen, was es heißt, zu leben. Nehmen wir uns selbst an der Nase und gehen mit gutem Beispiel voran. Ergötzen wir uns nicht an der uns umgebenden Banalität, sondern schreiben wir über das Außergewöhnliche. Ich bin jedenfalls dabei.

    Viele Grüße

    Thomas

  4. LeV
    August 30th, 2006 09:59
    4

    Die Politiker fabulieren (übrigens ein schönes Wort) und behaupten, sie sprächen die Wahrheit. Ich möchte fabulieren, ohne so tun zu müssen, als schriebe ich die Wahrheit. Mich interessiert als Autor eben die Dichtung und nicht so sehr die Wahrheit; darüber habe ich ja auch schon in einem Gedicht reflektiert.

    ps.: Das mit dem langweiligen Leben hatte ich auch nicht auf mich bezogen. 😉

  5. Mattes
    September 4th, 2006 14:41
    5

    Oh, Gott bewahre, natürlich ist das mit dem langweiligen Leben auf keinen Fall auf uns bezogen. „Wir“ führen ein dermaßen aufregendes und erfülltes Leben, dass wir nicht einmal Zeit finden, darüber zu schreiben, geschweige denn, sämtliche vorhandenen Internetforen vollzuklieren. Nein, das überlassen wir diesen eklig mitteilungsbedürftigen Seelenbaustellen, diesen jammernden und jämmerlichen Teenies, die sich gegenseitig besabbern.
    „Wir“ erfinden uns und denen Welten, wobei das auch irgendwie erstaunlich ist, weil unsere Welt doch schon so prall und geil ist, aber wir sind eben erstaunlich. So erstaunlich, wie „unser Kollege“, der regelmäßig damit auffällt, kleine, verklemmte Fickgedichte mit dem pädophilen Kick auszustatten, was aber doch trotzdem wahnsinnig interessant ist. Das hier erwähnte Gedicht, welches zur Beschlagnahme und Ermittlung führte, beschreibt lediglich einen lustvollen Fick mit einem verbotenen Früchtchen, welches in der letzten Zeile als Töchterchen des lyrischen Ichs gekennzeichnet wird: ‚Wie herrlich, meine kleine Tochter zu ficken’ oder so ähnlich. Ganz klar: Einfühlen in die Welt eines Pädophilen und künstlerisch höchst wertvoll. Ja, ja, gut dass der „Babyficker“ Allemann damals auch auf offener Bühne verhaftet wurde. Wurde er nicht? Wie kömmts?
    Zurück zu uns Seelenritzern, die wir zu schwach, zu feige, zu verklemmt sind, unsere Vorstellungen zu leben und lieber darüber schreiben. Ja, wir mit diesen wahnwitzig aufregenden Leben, welche uns so überlegen diesen Teenies machen. Ja, das will was heißen, dass wir als akademische Mitzwanziger oder ich als Doppelzwanziger den 13-jährigen Haupt- und Realschülern dieser Welt sprachlich voraus sind. Und das wir mehr Bücher gelesen und uns mehr Ideen geborgt haben, über die wir nun mehr schlecht, als recht reflektieren, jedenfalls schlecht genug, dass uns kein vernünftiger Verlag haben will und wir uns daher notgedrungen gegenseitig abfeiern müssen in unseren Blogs und Foren. Da ist überhaupt kein Unterschied zu den kleinen Schlitzern, außer dass die vermutlich erfolgreicher „dichten“ und die ihnen entgegenschwappende Begeisterung ehrlicher ist, als unser aller Deal.
    Können „wir“ nicht einfach unser Ding machen, unsere Befriedigung abholen, uns gegenseitig einen runterholen, ohne uns noch über andere erheben zu müssen? Erhöhen wir uns selbst, wenn wir andere erniedrigen? Ist vorstellbar, dass ein heutiger Baudelaire so über „uns“ redete, wie wir über die vermeintlichen Hilfsschüler und dass wir ihn dafür um so höher achteten? Das werde ich nie verstehen, warum „wir“ Oberarschgeigen uns ständig mit Unterarschgeigen messen müssen. Ist das „unser“ Maßstab?
    Schaut gefälligst nach oben. Es heißt zwar „Per aspera ad astra“ aber mit dem rauen Pfad ist was anderes gemeint, vertraut mir.

  6. LeV
    September 4th, 2006 17:03
    6

    Hallo Mattes, was ich an dem Vorfall bemerkenswert fand, war, dass ein Gedicht die Ordnungshüter veranlaßte, eine Ordnung zu behüten, von deren Unordnung man hätte gar nicht ausgehen brauchen, weil klar sein sollte, dass Dichtungen erdichtet und Autor und lyr. Ich getrennt zu betrachten sind. Man ist aber aufgrund der (zugegebenermaßen fragwürdigen, aber dennoch) Rollenkonstellation eines literarischen Textes [!] davon ausgegangen, in die Privatssphäre des Autors eindringen und seinen Rechner konfiszieren zu müssen. Macht dich das nicht stutzig!? Womit dürfen wir als nächstes rechen – mit unserer Verhaftung und der Verbrennung unserer Bücher aufgrund ihrer zweifelhaften Inhalte? Und wer bestimmt eigentlich, was zweifelhaft ist und was nicht? Geht das nicht stark in Richtung (wenn auch passiver) Zensur, wenn wir uns als Autoren nicht mehr trauen können, in unseren Texten ein Ich sprechen zu lassen, weil wir Angst haben müssen, dass man das auf uns persönlich bezieht und uns deshalb daraus einen Strick dreht, egal wie wir nun wirklich zu dem Thema stehen und was wir eigentlich mit unserem Text bezwecken wollten?

    Wenn ich sehe, dass in den Köpfen der Leser und inzwischen sogar vieler Autoren, lyr. Ich und Autor-Ich verschmelzen, dann sind das die brennenden Fragen, die ich mir stelle. Ob das „Fickgedicht“ nun künstlerisch wertvoll, ein „Teenie-Ritzgedicht“ selbstdarstellerischer als anderes Geschreibsel oder die Veröffentlichung in einem sogenannten etablierten Verlag ein und einziges Zeichen schriftstellerischer Befähigung ist, ist angesichts dessen aber sowas von nebensächlich für mich, dass ich mich angesichts deiner Antwort stark an dieses Zitat aus Monty Python’s Meaning of Life, „What was that about hats again?“, erinnert fühle.

  7. Mattes
    September 5th, 2006 13:15
    7

    Denk deinen Ansatz konsequent weiter. Ich schreibe jetzt ein Gedicht aus der Sicht eines Rassisten und zwar ohne erkennbare Brüche und/oder Distanz. Ein Gedicht, das ganz ernsthaft die Überlegenheit der weißen Rasse deklariert und die dummen Bimbos dort einordnet, wo sie hingehören. Oder lyrische Ichs, welche die Vernichtung unwerten Lebens fordern, das Verbot entarteter Kunst, die Auslöschung Israels oder wahlweise des Islam etc.pp.

    Ich bin nicht gegen Denkverbote und ich bin grundsätzlich gegen Zensur. Wenn aber einer meint, beispielsweise volksverhetzende Schriften veröffentlichen zu müssen, dann darf man demjenigen gerne einmal genauer auf die Finger schauen.

    Was hättest du gesagt, wenn auf dem bewussten Rechner nun Kinderpornographie gefunden worden wäre und dieser Dichter vielleicht á la Pete Townshend vorgebracht hätte, diese nur im Rahmen seiner Recherchen für seine Gedichte heruntergeladen zu haben?

    Nein, nein, Lev, ich glaube schon, dass es in Ordnung ist, bei einem miesen, kinderfickverherrlichenden Gedicht die Sachlage zu überprüfen. Der Staat hat auch eine Fürsorgepflicht für seine Kinder, nicht nur für seine selbsternannten Künschtler. Falls du nicht einverstanden bist, sag du mir, wo die Grenze ist. Aber bitte daran denken, dass diesem Jemand unter Garantie der Rechner zurückgegeben und sein Machwerk auch nicht verboten wurde, wenn, ja, wenn die Ermittlung nichts weiter ergeben hat, als ein paar miese Gedichte.

    Gruß
    Mattes

  8. LeV
    September 5th, 2006 14:57
    8

    Du hast einige falsche Prämissen in deiner Argumentation, Mattes. Erstens verherrlichte das Gedicht die Kinderpronigraphie nicht und zweitens besteht zunächst einmal ein Unterschied zwischen Literatur und Propaganda.

    Dessen ungeachtet bin ich mir bewußt darüber, dass es durchaus propagandistische Literatur gibt, die nicht zu verharmlosen ist, und meine dass, je nach Sachlage, solchen Schriften nachgegangen werden muß. Aber einer Sache nachgehen bedeutet nicht, gleich mit der Tür ins Haus des Verfassers zu fallen. Ich bin sicher, genauere Beobachtungen im Vorfeld hätten ergeben, dass diese Schrift nichts mit einer Propaganda in Richtung Kinderpornographie zu tun hat. Ich hatte online einiges mit dem besagten Verfasser zu tun und mir ist nicht aufgefallen, dass er irgendwann mich oder sonst irgendwen von der Sache der Pädophilie oder sonst irgendeiner Amoralität zu überzeugen versucht hätte. Gleich in den Privatraum eines Autors einzudringen und seine persönlichen Sachen zu durchsuchen, deutet allerdings stark in Richtung Überwachungs- und Polizeistaat und ich finde das bedrohlich, wenn man bedenkt, dass ein Mensch solange als unschuldig gilt, bis ihm seine Schuld bewiesen wurde.

  9. Mattes
    September 5th, 2006 16:16
    9

    Ich bin mir nicht sicher, Lev, ob du dich an das Gedicht richtig erinnerst. Ich meine, der Autor beschreibt darin aus der Sicht des lyrischen Ichs eine bislang unbefriedigte, sexuelle Obsession und ergeht sich in der Vorstellung der Erfüllung seiner Lust. In der letzten Zeile lässt er dann quasi die Katze aus dem Sack, wenn der finale Akt in dem Bekenntnis kumuliert, wie herrlich es doch sei, seine kleine Tochter zu ficken. Punkt. Das ist also im wahrsten Sinn des Wortes ein kinderfickver-herrlich-endes Gedicht. Das zum Einen.

    Mit der Tür ins Haus gefallen ist wohl auch niemand. Es versteht sich doch von selbst, dass bei bestimmten Verdachtsmomenten sinnvollerweise die Beschlagnahme eines PC nicht vorher angekündigt werden sollte. Wenn du jetzt verharmlosend schreibst, ein genauerer Blick hätte ausgereicht, dann verrate doch einmal, wie du so verdammt sicher sein kannst, dass dieser Verfasser ausschließlich unter diesem Pseudonym tätig war/ist und du alle seine Aktivitäten kennst. Und, auch nicht ganz unwichtig, wer soll (sich) denn alle diese Blicke leisten?

    So, wie du Ermittlungen bereits als Polizeistaatmethoden diffamierst, bliebe in einem Staat nach deiner Facon wohl ziemlich jeder Kriminelle unbehelligt. Denn natürlich müssen Rechtsgüter abgewogen werden, das gerade ist ja das tägliche Geschäft und die Mühsal der Justiz. Und ebenso natürlich kommt es dabei auch zu unbilligen Härten, das ist unvermeidbar, es sind Menschen beteiligt. Nach deiner Lesart verliert ein Mensch aber bereits seine Unschuld, wenn nur gegen ihn ermittelt wird. Das ist lächerlich, zumal in diesem Fall. Es hat erstens keine standrechtliche Erschießung stattgefunden und zweitens hat der Beschuldigte tatsächlich voller Absicht ein provokantes Werk geschrieben. Er hat so getan, als ob und dabei auf möglichst große Aufmerksamkeit spekuliert. Nun, die hat er dann auch bekommen und da er seine einstweilige Erschießung ja auch noch zu Werbezwecken missbrauchte, war ihm das alles offenbar noch angenehm.

    Wessen hat sich die Justiz also schuldig gemacht? Dass sie die Problematik des Kindesmissbrauches ernst nimmt? Dass sie dieses Rechtsgut höher bewertete, als die Unverletzlichkeit des Tagebuchs desjenigen, der auf dem Rücken missbrauchter Kinder nach Aufmerksamkeit giert? Du scheinst hier Immunität noch für solche einzufordern, die, maskiert und mit Spielzeugpistolen bewaffnet, Gewaltverbrecher nachahmen und in Banken rennen und sich dann wundern, wenn es Ärger gibt. Sie wollten doch nur verdeutlichen, dass eine Bank auszurauben nichts ist, verglichen damit, eine Bank zu besitzen. Ich könnte allerdings wetten, dass du bei solchen „Aktionskünstlern“ weniger verständnisinnig wärst, als bei diesem Literatendarsteller. Spätestens dann, wenn du als Bankkundin dir anlässlich einer solchen Aktion das Höschen nassgemacht hättest.

    Nein, ich täusche mich natürlich, du findest alles großartig, was im Gewande der Kunst und der Meinungsfreiheit marschiert und jede/r, die/der sich Künstler nennt, hat gefälligst totale Narrenfreiheit zu genießen und steht folglich über dem Gesetz. Und wenn es doch mal unklar sein sollte, was Kunst sei und was nicht, dann fragen wir die geistige Elite. Oder dich. Genau, wir fragen einfach dich und du bestimmst das dann. Ohne Berufungsmöglichkeit. Wo kämen wir denn da hin?

    Gruß
    Mattes

    P.S.: Erinnerst du dich an Stockhausens Meinung zu 9-11? Das war seiner Meinung nach das ultimative Kunstwerk. Das ist schön, denn egal, ob es nun die Bin-Laden- oder die Bush-Kamarilla war, wir dürfen nicht mal deren PC’s beschlagnahmen.

    P.P.S.: Ja, klar, DAS war echt polemisch, ich weiß.

  10. LeV
    September 5th, 2006 18:11
    10

    Wie du richtig erkannt hast, „hat der Beschuldigte tatsächlich voller Absicht ein provokantes Werk geschrieben.“ Das war jedem des Denkens fähigen Menschen offensichtlich, sogar dir. Der „Beschuldigte“ hat sich aber mit dem Umstand, ein provokatives Werk geschrieben zu haben, vor dem Gesetz keiner Straftat schuldig gemacht, so sehr dich das auch stören mag. Und so sehr sich der Verfasser auch über die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit gefreut haben mag, so wenig hat er es verdient, von dir mit verurteilten Verbrechern auf eine Stufe gestellt zu werden. Du selbst hast dich durch seinen Text offenbar am meisten provozieren lassen, dass du meinst im Recht zu sein, wenn du nun auch noch offen über mich herziehst.

    Wie ich schon in der Diskussion zur „Rückeroberung des öffentlichen Raumes“ zum Ausdruck brachte: Du darfst wiederkommen, wenn du dich abgekühlt hast. Vorerst hast du dich hier mit deinem Beitrag selbst disqualifiziert.

  11. Mattes
    September 6th, 2006 12:40
    11

    Du hast Schaum vor dem Mund, da redet es sich schlecht. „Provokant“ heißt lediglich, den Widerspruch herausfordernd. Und wenn einer schreibt, Kinderficken ist geil, dann fordert das selbstverständlich den Widerspruch heraus und wenn einer das schreibt, obwohl er es natürlich nicht so meint, was will er denn dann? Dann will er, dass die Öffentlichkeit sich empört und darüber ein Denkprozess in Gang kommt, damit die Empörung größer wird, damit evtl. die Strafen verschärft, mindestens aber die Gesellschaft wachsamer wird. Oder nicht?

    Und was hat er erreicht? Man empörte sich, ich auch. Die Gesellschaft wurde wach, der Staatsanwalt ermittelte. War das nicht Sinn und Zweck der Übung? Ist es da nicht bigott, sich hinterher zu beklagen?

    Ich stelle ihn doch nicht auf eine Stufe mit verurteilten Verbrechern, wo denn? Das tatest doch du, indem du die Ermittlung bereits als Verlust der Unschuld ansahst. Ich kann nur den Kopf schütteln, dass du die Provokation dieses Gedichtes akzeptierst (ich übrigens auch, ich habe nicht die Polizei gerufen), aber eine Infragestellung deiner Argumente nicht.

    Ich habe bei dem Gedicht, als es seinerzeit veröffentlicht wurde, lediglich angemerkt, wie schwach es sei, wie fehl es gehe und für wie armselig ich es halte. Mit der öffentlichen Kreuzigung wurde es bedauerlicherweise geadelt. So wie ich jetzt hier durch deine Blockade. 😉

  12. LeV
    September 6th, 2006 13:15
    12

    Mattes, egal ob es handwerklich perfekt war oder nicht, es war ein Sonett mit klassischem antithetischen Aufbau. Das hat jeder, der halbwegs Ahnung von Poetik hat, sofort gesehen. Allein das deutet stark darauf hin, dass es sich um Kunst und nicht um Pronographie handelt. Auf dem Rechner des Autors wurden keinerlei Hinweise dafür gefunden, dass er sich anders als intellektuell und künstlerische mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Dennoch geht dieser Fall jetzt in die zweite Runde und er wird sich vor einem Gericht für die Verbreitung von Kinderpornographie verantworten müssen. Mir stehen die Haare zu Berge bei diesen Aussichten, die ich kommen sah.

    Argumente à la, na dann könnten ja jetzt die Nazis kommen und Sonette darüber schreiben, wie toll es wäre, Juden zu vergasen, sind Totschlagargumente, denen jeder brave Bürger kopfnickend zustimmen würde. Aber was Nazis vielleicht irgendwann mal machen, ist für diesen speziellen Fall vollkommen irrelevant. Ich werde mich in einem separaten Artikel noch einmal zu diesem Thema äußern und wäre froh, wenn wir die Diskussion dann dorthin verlagern könnten, falls es dir nötig erscheint, hier weiter zu diskutieren.

  13. Mattes
    September 6th, 2006 19:46
    13

    So wird das eben unterschiedlich bewertet. In meinen Augen ist er ein dilettantischer Schmutzfink, der sein Unvermögen mit vermeintlichen Grenzverletzungen kaschieren will. Unter dem Deckmantel der Kunst verbreitet er seinen halbgaren Mist, der allerdings auch in meinen Augen nicht strafbar, sondern nur unappetitlich ist. Allerdings bin ich mir nicht so sicher, ob die echten Schmutzfinken, also die auch in deinen Augen Kriminellen erkennen können oder auch nur wollen, dass ein klassisches Sonett in keinem Fall so vordergründig gemeint sein kann, wie es geschrieben ist. Den antithetischen Aufbau erinnere ich übrigens nicht. Ich erinnere mich aber, dass gerade das Fehlen eines solchen Aufbaus in einem Forum kritisiert wurde. Es mangelte meiner Erinnerung nach absolut an Distanz, kein Wort ließ den Eindruck aufkommen, der Schreiber wolle etwa das Gegenteil ausdrücken. Es wurde auch nicht um mehr Reflexion in Sachen Pädophilie geworben, es ging nicht um die ebenso furchtbare, wie nicht zu leugnende Tatsache, wonach häufig gerade frühere Opfer später zu Tätern werden oder oder oder. Nein, es handelte davon, wie großartig es ist, kleine Mädchen zu ficken.

    Und, sorry, selbstverständlich ist es ein pornographisches Werk, nicht nur weil es sich um eine obszöne Darstellung geschlechtlicher Vorgänge handelt. Besonders pornographisch empfand ich den Versuch, die Opfer solchen Missbrauches zur Mehrung des eigenen Ruhmes erneut zu missbrauchen. Ich gönne ihm jedenfalls all diesen Ärger von Herzen. Und wenn eines meiner Kinder betroffen wäre, bin ich sicher, ich versuchte noch als Belastungszeuge gegen diese Art der künstlerischen Vermarktung aufzutreten.

    Wenn das Ganze nun in die „zweite Runde“ geht, du bist ja offenbar gut informiert, wie ist denn die erste ausgegangen, wo doch nichts weiter auf seinem Rechner gefunden wurde? Oder meintest du mit der ersten Runde die Ermittlungen und mit der zweiten die Anklage? Dann ist aber doch noch immer nichts entschieden, was erregt dich dann so? Ich frage noch einmal: Er hat doch voller Absicht die Grenzen verletzt und wollte eine Reaktion. Als die Ermittlungen anfingen, stellte er das noch großmäulig ins Netz und kommentierte: Jetzt erst recht! Da läuft also alles nach Wunsch.

    Ich frage noch einmal: Verlangst du Immunität für alle künstlerisch verbrämenden Schriftsetzer? Warum ist das Judenvernichtungssonett ein Totschlagargument? Warum ist das irrelevant, wo du doch ganz klar geschrieben hast, dass ein Blick gereicht hätte, um den Kinderfickverherrlicher als unschuldigen Künstler zu erkennen? Aber meinetwegen ohne Nazis: Ist jedes Kinderfickgedicht, welches eindeutig poetische Stilmittel aufweist, per se unverdächtig? Und zum speziellen Fall: Ist dir auch bekannt, dass es beileibe nicht das einzige Kinderfickgedicht dieses Künstlers ist?

    So, für meinen Teil war es das. Du hast deine Solidarität mit diesem Dichter, ich mein Unverständnis öffentlich gemacht. Ich bin ganz sicher, dass du aus den besten Motiven handelst – ich unterstelle da nichts bzw. das Gegenteil – meine aber, du gehst bei der Einschätzung dieses Werkes fehl.

  14. LeV
    September 7th, 2006 14:04
    14

    Ich kann es nicht fassen, Mattes. Du findest es also okay, was deinem Kollegen widerfährt, nur weil er deiner Meinung nach zu wenig Distanz zu seiner Darstellung übte, durch Provokation Ruhm zu ernten versuchte und der Inhalt des Textes pornographisch war? Ich gehe davon aus, dass du dich selbst unter diesem Blickwinkel ebenfalls als „dilettantischen Schmutzfinken“ bezeichnen und dir eben jene Aufmerksamkeit, die deinem verhaßten Antagonisten gerade zuteil wird, auch für dich und deine Werke wünschen würdest. Das wäre nur konsequent, erinnere ich mich an deine dichterischen Anfänge: Fäkal- und Fickgedichte, persönliche Hetze und sonstige Provokation des Lesers waren da an der Tagesordnung und auf der Welle der Empörung der Massen fühltest du dich als Surfer gerade wohl. (Und sage mir nicht, so sei es nicht gewesen, ich selbst war Opfer deiner kindischen Angriffe!) Hattest du auf Worttümpel.de nicht einst selbst ein Gedicht pädophiler Thematik veröffentlicht? Dass du nun öffentlich derart über deinen Kollegen herziehst, erscheint mir (entschuldige meine Direktheit) wie die Rache eines Eifersüchtigen und dumm, ja, äußerst dumm.

    Du hältst es für dumm, NPD-Plakate abzuhängen, weil das den Methoden der Nazis selbst, nämlich der Zensur fragwürdiger Inhalte, gleichkommt. Aber das Verbot eines Sonetts vermeintlich pronographischen Inhaltes und die rechtliche Diskreditierung seines Verfassers riskierst du. Welchen Prinzipien entspricht das deiner Meinung nach? Wolltest du nicht, wie du in einem anderen Kommentar so selbstlos proklamiertest, zur Not mit deinem Leben für die Meinungsfreiheit einstehen?

    Selbst wenn der Verfasser vollkommen überzeugt davon wäre, dass Pädophilie eine tolle Sache ist und dieser Ansicht mit seinem Sonett Ausdruck verliehen hätte, so denke ich, dass das noch immer ein Akt der freien Meinungsäußerung wäre, der nicht zensiert werden sollte, das gilt konsequenterweise natürlich auch für Judenvergasergedichte. Natürlich gefallen uns solche Inhalte nicht, aber ich gehe grundlegend nicht davon aus, dass ein Mensch, anders als durch eigene Entscheidung vor vermeintlich gefährlichen Inhalten geschützt werden müßte und dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Triebtaten und der Verbreitung pornographischer Gedichte besteht, glaube ich auch nicht. Oder wieviele Kinder hast du gefickt, seit du das Sonett deines Kollegen gelesen hast? Bist du nicht vielmehr empört über die Darstellung und nun sicherer denn je, dass Pädophilie unschön ist? Frag dich mal, was der Text bei dir und anderen Lesern bewirkt haben könnte!

    Deine Haltung in diesem Fall zeugt schlicht und ergreifend von deiner persönlichen, wie auch immer begründeten Abneigung gegen den Dichter selbst und nicht von einer rationalen Reflexion der Sachlage. Mir liegt das Sonett vor und ich bin über den Stand der Dinge grob informiert. Was ich weiß und wie ich dazu argumentiere, kannst und solltest du in meinem Panphlet „Eine Zensur findet nicht statt“ nachlesen, das seit gestern verfügbar ist.

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