Claude Debussy ~ 24 Préludes

Dies ist die zweite der beiden Reden, die ich für meine Zwischenprüfung im Fach Musikwissenschaft im April 2005 vorbereitete. Sie beinhaltet eine Biographie Debussys, eine Werkeinführung in die 24 Préludes und die Analyse Präludiums „Danseuses des Delphes“. Alle drei Teile sind knapp und sollten lediglich die Grundlage für ein sich entwickelndes Prüfungsgespräch zum Thema bilden.

Claude Debussy (1862 – 1918)

Claude Achille Debussy wurde im August 1862 im Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye als Sohn einer kleinbürgerlichen Familie geboren. Weder Vater, noch Mutter hatten musikalische Prägung, doch 1870 erhielt Debussy ersten Klavierunterricht von seiner Tante in Cannes. 1871 übernahm Antoinette Mauté die pianistische Ausbildung des Knaben, so dass er 1872 die Aufnahmeprüfung am Konservatorium schaffte.

In den Klassen von Marmontel (Klavier) und Lavignac (Solfège) machte er, trotzdem er der akademischen Institution gegenüber stets abgeneigt war, zunächst gute Fortschritte. Doch Misserfolge ließen ihn schon 1878 die pianistische Laufbahn anstelle eines aufgeben, um Komposition zu studieren. Dies tat er ab 1880 bei Guiraud und als Gsthörer bei César Franck. Für die Kantate „L’enfant prodigue“ erhielt er 1884 den Rom-Preis.

Die folgenden Jahre verbrachte er gemäß den Pflichten des Preisträgers überwiegend in der Villa Medici in Rom. Dort las er Shakespeare und Poe und lernte unter anderem Franz Liszt kennen, mit dem er Wagner und die alten Meister, Lassus und Palestrina studierte.

Die auf den Romaufenthalt folgenden Jahre nennt Lesure in seiner 1992er Monographie „les années symbolistes“ und in der Tat – zurück in Paris wurde die Gruppe der Symbolisten zu einem wichtigen Bezugspunkt für den jungen Komponisten. In den Pariser Cafés (z.B. dem berühmten Chat Noir) lernte er Jean Moréas, den Verfasser des „Mannifeste du Symbolisme“ (1882), Erik Satie, Paul Valéry, André Gide und andere Symbolisten kennen. Mit ihnen verband ihn nicht nur seine Begeisterung für alles Sphärische, sondern auch die Abkehr von den Prinzipien der normativen Tradition der Akadémie française.

Die 1887-89 komponierten „Cinq poémes de Baudelaire“, die von dieser literarischen Orientierung zeugen, brachten ihm nach 1880 die Annerkennung Stephan Mallarmés ein, der Einfluß auf die Poetik des Komponisten gewann und später die Textgrundlage für das „Prélude à l’après midi d’un faune“ lieferte. Ende der 1880er Jahre waren Debussys Vorstellungen weitgehend entwickelt. Er nahm regelmäßig an den Dienstag-Abend-Zusammenkünften im Hause Mallarmé teil und die Ideale des Mallarmé-Kreises, sowie die Ästhetik Poes wurden zum Orientierungspunkt Debussys.

Die Entstehung und Uraufführung der Oper „Pelléas et Mélisande“ bedeuteten einen Wendepunkt in seinem Leben und brachten ihm über den Kreis der Symbolisten hinaus Erfolg und Anerkennung ein. In „Pelléas“ hatte Debussys Poetik eine Form gefunden, die das Programm des literarischen Symbolismus auf musikalischer Ebene einlöste.

Zu einem spezifischen Klavierstil fand Debussy 1905 mit der Entstehung der „Isle joyeuse“ und der „Estampes“. 1910 und 1913 führen die zwei Bücher der „Préludes“ ihn zu voller Reife. Das 1911 entstandene Oratorium „Le Martyre de Saint Sébastian“ nach einem Text von Gabrielle d’Annunzio erntete scharfe Kritik seitens der katholischen Kirche und bezeugt einmal mehr Debussys Abkehr von den Konventionen der trivial-bürgerlichen Gesellschaft.

1912/13 lernte Debussy während der Zusammenarbeit mit den Ballets russes den Komponisten Igor Stravinsky kennen – eine fruchtbare Verbindung, die eine „Weichenstellung für die Musik des 20. Jahrhunderts“ bedeute, so Thomas Kabisch im MGG.

1915 ist das letzte produktive Jahr für den Komponisten. Mit „En blanc et noir“ und den „Douze Études“ legt er noch einmal Glanzstücke für das Klavier vor. Während der Fernbeschießung der Stadt im Frühjahr 1918 stirbt Debussy an den Folgen eines Mastdarmkarzinoms.

24 Préludes

Schon vor der Entstehung der Klavierpräludien hat sich Debussy der Form des Präludiums gewidmet. In der „Suite bergamasque“ und der Suite „Pour le piano“ verwendet er es in historisch motivierter Funktion als Einleitungs- und Eröffnungsstück, während er in dem die „Children’s Corner“ einleitenden „Dr. Gradus ad Parnassum“ seine Schablonenhaftigkeit persifliert.

In den „24 Préludes“ gibt er dem Präludium eine neue Wendung und konzipiert es als autonomes Charakterstück, in dem er seine Eindrücke einer literarischen Ästhetik auf musikalischer Ebene verarbeitet. In der Tat greifen die nachgestellten Titel zumeist auf lyrische oder epische Textvorlagen zurück, dürfen jedoch nicht (dagegen sprach sich der Komponist entschieden aus) programmatisch gedeutet werden.

Lange wurde die impressionistische Formlosigkeit der Musik Debussys verurteilt, doch formlos sind die Präludien gewiss nicht, solange wir Form im Sinne Adornos verstehen, als „Inbegriff der Momente insgesamt, durch welche ein Kunstwerk als ein in sich Sinnvolles sich organisiert“.

Form funktioniert bei Debussy nicht im klassischen Sinne, sondern nach dem Prinzip der Reihung, d.h. sie konstituiert sich während des gesamten musikalischen Prozesses durch die Aspekte von Wiederholung, Variation und Kontrast und ist für jedes einzelne Stück individuell. Die formelle Arbeit beläuft sich dabei nicht nur auf die Bereiche der Melodie, der Rhythmik und der Harmonik, sondern auch auf Dynamik und Figuration.

In seinen Klavier-Präludien wendet sich Debussy entschieden von einer Dur-Moll-Funktionsharmonik ab. Jeder Ton und jedes Intervall ist gleichberechtigt und dient gleichsam der Färbung des Stückes. Dieses Konzept findet in der Verwendung der grundtonlosen Ganztonleiter und pentatonischer Skalen (z.B. in „Voiles“, I.2) seinen Ausdruck. Einzug finden auch Kirchentöne (z.B. „La cathédrales engloutie“ I.10), Chromaik, Enharmonik und Mediantverwandtschaften. Es kommt zu Akkordschichtungen und die Parallelverschiebung von Akkorden und Intervallen wird zum zentralen Element.

Für die Organisation von Zeit wird das Verhältnis von Bewegung und Stagnation interessant, wie es bspw. in „Ce qu’a vu le vent d’ouest“ (I.2) ausgereizt wird. Die metrische Starre klassischer Rhythmen wird durch Anwendung von Synkopen (z.B. „General Lavine“, II.6?), Polyolen und rhythmischen Verschiebungen durchbrochen.

Ein Grund für die Andersartigkeit der Stücke ist aber vor allem die Organisation all dieser Elemente auf verschiedenen Ebenen. So klingen neben ostinaten Bewegungsfiguren (z.B. „Les tièrces alternées“, II.11) Orgelpunkte und melodische Linien heben sich deutlich von auf- und abwärts bewegenden Klangkaskaden ab. In „La porte del vino“ (II.?) wird dieses Prinzip bis zur Bitonalität ausgereizt.

Wie der Formprozess der Reihung durch Wiederholung und Variation genau funktioniert, möchte ich – sofern sie einverstanden sind – nun am Analysebeispiel „Danseuses des Delphes“ (I.1.) verdeutlichen.

Danseuses des Delphes

In den ersten zwei Takten wird auf drei Ebenen melodisches, rhythmisches und harmonisches Material vorgestellt. Zwischen einer Aufwärtsbewegung paralleler Quart-Sext-Akkorde und einer Abwärtsbewegung paralleler Oktaven findet sich ein chromatisches Motiv, welches die zentrale rhythmische Floskel aus punktierter Viertel- plus Achtelnote bringt.

In den darauf folgenden Takten wandert das chromatische Motiv in die Bassfigur, der Diskant nimmt die rhythmische Floskel auf, die dreimal zwischen g und a wechselt. Das h welches bei der vierten Wiederholung folgt, ist ein spannungsreiches Ereignis. Doch die absteigende Achtelkaskade bringt das Stück wieder zur Ruhe.

Diese ersten fünf Takte werden nun wiederholt, doch spaltet eine synkopische Verschiebung die aufwärts steigenden von den abwärts steigenden Elementen ab. Die Synkope und die Ausweitung zur Oktave bleiben dabei zentrales Variationsmoment.

In T.11 beginnt ein neuer Formteil. Zwar bleiben die Synkopen und auch die rhythmische Floskel mit anschließender Achtelkaskade erhalten, doch tritt neues Material hinzu. Das absteigende pentatonische Motiv, die aufsteigenden Dreiklangsparallelen und der Orgelton im Bass liefern einen neuen Höreindruck.

In einer Sequenz wird das Neue wiederholt und in der anschließenden Sequenzierung des chromatischen Motivs der Anfangstakte in T.15 wird die Sequenz selbst zum formbildenden Element erhoben.

Eine neue harmonische Spielerei schließt sich an, die den Kontrast zweier Varianttonarten bringt. So folgen in den Takten 16-20 drei Takte c-Moll auf zwei Takte C-Dur.

Nach der aufsteigenden Figur, die noch einmal den harmonischen Vorrat des gesamten Stückes aufführt, wirkt die Wiederaufnahme des chromatischen Motivs, der anfänglichen Harmonik und des Quartsprungs im Bass wie eine deutliche Reprise. Auf B-Dur klingt das Stück leise aus.

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