Werkeinführung: Georg Friedrich Händel ~ Judas Maccabäus

Konzerteinführung

Wir schreiben das Jahr 168 v. Chr. Antiochus IV. Epiphanes, König des Seleukidenreiches, besiegt im Sechsten Syrischen Krieg die ägyptischen Könige Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII. In Folge dessen nimmt er auch das zum Ptolemäerreich gehörende Jerusalem ein. Um die Hellenisierung der Region voranzutreiben, erläßt er ein Religionsedikt, das den Jahwe-Kult verbietet, und zwingt die Juden ihrem Glauben durch Opferungen für die heidnischen Götter öffentlich abzuschwören. Als ein Abgesandter des Antiochus nach Mondein, einer kleinen Stadt unweit von Jerusalem, kommt und die Einwohner zu opfern auffordert, stößt er auf den heftigen Widerstand des Priesters Mattathias. Dieser versteckt sich fortan mit Gleichgesinnten in den Bergen und beginnt einen Partisanen- und Freiheitskampf gegen die seleukidischen Besatzer, der beim jüdischen Volk Zustimmung findet und ihm neue Hoffnung gibt. Bald darauf wird Mattathias jedoch krank und 161 v. Chr. stirbt er schließlich.

An diesem Trauerpunkt der Geschichte beginnt eines der wohl erfolgreichsten Oratorien des im barocken London wirkenden Komponisten Georg Friedrich Händel (1685 – 1759). Keine Pauken, keine Trompeten, getragene, durch Punktierungen fast schleppende Melodien in Moll bestimmen die Ouvertüre, die bald in eine aggressive Fuge mündet und hieran schließt sich der erste Klagegesang der Israeliten an. Simon, ein Sohn des verstorbenen Priesters Mattathias, weiß jedoch das jüdische Volk aufzubauen, indem er seinen Bruder Judas, den Makkabäer (von aramäisch makkaba – der Hammer), als neuen Anführer der Befreiungsbewegung vorschlägt. Enthusiastisch und vom Volk gefeiert tritt dieser sein Amt an.

Inzwischen hat Judas seine Armeen versammelt und ist gegen die Feinde gezogen. In Jerusalem feiern die Israeliten den Erfolg ihrer Kampfhandlungen und stimmen Triumphgesänge an. Doch die Stimmung wird bald durch Nachrichten weiterer, herannahender Truppen des Seleukidenkönigs getrübt. Erneut muß Judas in den Kampf ziehen und seinen Schlachtruf begleiten bald Pauken und Trompeten. Händel setzt beide Instrumente an dieser Stelle zum ersten Mal ein – ein Effekt, der nicht überwältigender sein könnte. Doch Simon mahnt Judas, vor seinem Auszug noch den Tempel, der durch die auferlegten, heidnischen Gebräuche geschändet wurde, zu reinigen und neu zu weihen, damit Gott ihnen bei ihren Geschicken helfe. Noch heute feiern Juden an Chanukka, dem Lichtfest, jährlich diese Weihe, mit der der dritte Teil des Oratoriums beginnt.

Judas hat Erfolg gegen die Feinde und feierlich ist sein Siegeseinzug in Jerusalem, doch bittet er darum, der Gefallenen zu gedenken, zu denen auch sein Bruder Eleasar gehört. Der Botschafter, den er während der Kämpfe nach Rom entsandt hatte, kehrt ebenfalls mit erfreulichen Neuigkeiten zurück. Rom hat ein Abkommen mit Israel geschlossen, um es vor weiteren Angriffen zu bewahren. Das Oratorium endet in Hymnen und Lobgesängen.

Die Handlung des „Judas“ bietet Raum für ausgedehnte musikalische Affekte, die zum Teil sogar wortmalerisch ausgestaltet sind. Von Trauer über Hoffnung bis Begeisterung ist das Spektrum weit gestreut. Ähnlich wie der „Messiah“ ist auch „Judas Maccabaeus“ eher reflektorisch als dramatisch angelegt. Es geht um zentrale Werte wie Freiheit, Gemeinschaft, Glaube und Gesetz. Vor allem das Volk kommt in den Rollen des Chores, der Israelitin und des Israeliten zum Zuge und steht für den kollektiven Gedanken, den Händel zu erfassen suchte.

Denn wie die Israeliten in „Judas Maccabaeus“, stand auch das englische Volk unter einer direkten, nationalen Bedrohung. Im Spätsommer 1745 hatte der katholische Thronprätendent Charles Edward Stuart, unter Geschichtskundlern besser bekannt als „Bonnie Prince Charlie“, weite Teile Schottlands eingenommen und rückte mit seinen Truppen weiter auf das völlig unvorbereitete England vor, um sein Erbrecht einzufordern. Dessen Großvater, Jakob II., wurde nämlich während der „Glorius Revolution“ von 1688 aus England vertrieben und durch seine Tochter, Maria II., und den protestantischen Wilhelm von Oranien ersetzt, in deren Folge die Könige aus dem Hause Hannover auf den englischen Thron kamen. Gegen diese Bedrohung aus dem Norden sandte König Georg II. seinen Sohn Wilhelm August, den Herzog von Cumberland, und seine Truppen. Händel stand der englischen Königsfamilie durchaus nahe, hatte er doch schon die Krönungshymnen für Georg II. geschrieben. Schnell komponierte er zur Erbauung des englischen Volkes Anfang 1746 sein weniger bekanntes „Occasional Oratorio“. Als nach der Schlacht von Culloden im April 1746 deutlich wurde, dass die Gefahr gebannt war, begann er die Arbeit an „Judas Maccabaeus“, das er dem siegreichen Feldherrn Cumberland widmete.

Die Uraufführung im April 1747 war ein Riesenerfolg und half dem Komponisten auch aus der psychischen und finanziellen Krise, in der er sich seit dem Boykott englischer Adelsdamen gegen seine Oratorienaufführungen befand. Händel hatte die Türen seines Hauses nun zum ersten Mal dem Bürgertum geöffnet und es strömte nur so herbei, um seine Musik zu hören. Um sein Publikum weiter zu begeistern, übernahm er nach und nach immer mehr Sätze in den „Judas“, die in anderen Stücke Anklang gefunden hatten, ohne jedoch vom ursprünglichen Material zu streichen. So ist z.B. der berühmte Chor „See, the conqu’ring hero comes“ eigentlich dem Oratorium „Joshua“ entnommen, das erst später entstand.

Schon zu Händels Lebzeiten ist das Stück in vielen verschiedenen Varianten erklungen. Puristen beschränken sich heutzutage auf die Version der Erstaufführung, andere spielen hingegen das gesamte Material, das mehr als zweieinhalb Stunden Spielzeit umfaßt. Die Berliner Singakademie unter ihrem Direktor Achim Zimmermann wird bei ihrer Aufführung am 29. Oktober 2006 einen Mittelweg wählen, den Text aber im englischen Original belassen.

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