Archiv für Mai 2007

Johannes Göddemeyer

Dienstag, 29. Mai 2007

Der Dr. Lepi-Freudespeicherer (LFS)

Man stell‘ es sich am besten vor,
wie eine Akku-Batterie.
Diese steckst du irgendwie
ans Hemd dir, oder hinter’s Ohr.

Auf einer Skala, eins bis zehn,
zeigt es dir deinen Freudenpegel.
(sechs bis acht wär‘ so die Regel…)
Und sollt‘ es mal darunter geh’n,

beziehst du, -falls der Akku voll,
und endorphinisch angereichert,-
eig’ne Freude! Selbstgespeichert!
Bleifrei, gratis, -einfach toll!

Und ging‘ der LFS zu End‘,
und ginge es dir wirklich übel;
dafür ist er kompatibel,
falls einer sich zum spenden fänd‘.

© Johannes Göddemeyer | Feb. 2004

flegeton

Dienstag, 29. Mai 2007

Der Gargoyle

Du kommst zu mir, wenn du, um Trost zu suchen,
Die Stadt verlässt, dem Alltag zu entfliehn.
Erklimmst die größere der alten Buchen
Um auf dem Sims den Stammplatz zu beziehn.

Legst vorsichtig die Hand auf meinen Rücken,
Vernarbt durch Regen, Taubenkot und Zeit.
Du fragst nach Sachen, die dich oft bedrücken,
Nach Sinn, nach Hoffnung und nach Wirklichkeit.

Du weinst. Du sagst, die andren würden leben
Ohne die Welt im Ansatz verstehn.
Sie würden immer nehmen, niemals geben.
Und blind und achtlos immer weitergehn.

Ich bin dein Beichtstuhl, Schulter, um zu weinen,
Dein Freund, ein Mentor, der dein Wort nicht stört.
Du sprichst zu mir, zu toten alten Steinen,
Als ob sonst keiner dich bemerkt und hört.

Du haderst schon in viel zu jungen Jahren
Mit dir, der Welt, und dem, was dich umgibt.
Du kannst nicht jederman von Leid bewahren.
Und doch hast du ein Herz in dir, das liebt.

Du bist so jung, so schön und voller Leben.
So wein doch nicht. Brich nicht dein Herz entzwei.
Ich kann mich nicht wie du von hier erheben,
Tu du�s und leb! Du bist so herlich frei.

© flegeton | Apr. 2006

Flam

Dienstag, 29. Mai 2007

[audio:flam1.mp3]
Bionik

Die 76eitung reißt uns in den Elektronensturm.
In Bit und Byte verschlungen wechseln Wort und Bild.
Die Firewall vernichtet seamless einen Wurm.
Er hätte fast des Treffens Glück brutal gekillt.

Durch 105nterpolation wirst Du zu meinem Traum.
Mit immanenter Fantasie gebridgtes Gap.
Und antialiassed Dein Bild im Schädelraum.
Hormongeglättet isotrop zum nächsten Step.

Noch rein platonisch fließt er, unser Datenstrom.
V101rtrauen virtualisiert das Fremdgefühl.
Die Netiquett‘ verhindert das Verbalpogrom,
Doch niemals zwischenmenschlich trautes Herzgewühl.

98erühren durfte ich Dich bislang leider nie.
Der Touchscreen war zwar teuer, doch er hat verfehlt,
Dass ich vor Bildschirmliebe in Dein Streicheln flieh‘.
So bleibt als Filter Datennebel ausgewählt.

101ntrückt wird unser Dialog schnell archiviert.
Von Deinen Worten da verlier ich sicher keins,
Das mir bei jedem Lesen Liebesglut gebiert,
Und sind wir auch im weiten Web nur Null und Eins.

© Flam | Jul. 2004

Danse_Macabre

Dienstag, 29. Mai 2007

Schlafe wohl, mein Bruder

Es war ein Tag,
Der keine Zahlen nennt –
Mit Stund‘ gefüllt,
Die Uhr im Stillstand rennt.

Apathisch‘ Blick
Zum dreckig‘ Laken hin,
Wo schlauchgeziert,
Du liegst als Kraken drin.

Im Ruhepuls
Der Technikweltenkunst
Erringst Du stumm
Von Teilzeitengeln Gunst.

Liquider Tod
Bekränzt Dich schliergeschäumt,
Welch Elixier –
Wenn’s einen Mund besäumt!

Mein lächelnd‘ Schlund,
Kein Pech, nur Glück, vielleicht –
Doch Trugschluß, nein:
Ein Tod bleibt unerreicht.

© Danse_Macabre | Mai. 2004
__________
Sehr zu empfehlen ist auch die Lektüre von Macabres Gedicht „Straßenbild„.

Corinne Plesar

Dienstag, 29. Mai 2007

Eisnymphe

für levampyre

Ich bitte dich, verzeih mein ungehörig‘ Flehen,
Doch diesen einen letzten Wunsch gewähre mir:
Auch wenn ich jämmerlich in deinem Eis erfrier,
Laß mich noch einmal deines Baches Quelle sehen.

Sie liegt verborgen tief in dunklen Gletscherspalten
Und ist von Männergier noch völlig unberührt.
Nur einmal hast du selbst mich zu ihr hingeführt.
Jedoch scheint sie mir täglich mehr noch zu erkalten.

Nun fürchte ich, die Quelle ist schon zugefroren.
Doch taue ich sie gern mit meines Herdes Glut.
Denn meines Feuers Opfer wärmt dein stockend‘ Blut
Und aus der Asche werd als Phönix ich geboren.

© Corinne Plesar | Jul. 2004

Da mir der Text gewidmet wurde, mußte ich darauf natürlich auch entsprechend eingehen und daraus entstand dann noch ein kurzer poetischer Dialog, den ich dir nicht vorenthalten möchte.

Feuervogel

Mein Phönix, ich gewährte dir dein süßes Bitten:
Dein Feueropfer taute, was dereinst gefrorn.
Denn auf der Suche nach der wilden Sehnsucht Born
Bist du die weißen Arme mir entlang geglitten.

Du gurrtest taubengleich mir süße Liebesreigen
Und spreiztest pfauengleich dein rotes Federkleid.
Von Vogeltugend angetan war ich bereit,
Dich hinzuführen, meine Quelle dir zu zeigen.

Erstorben zwischen Gletscherspalten bleib nun liegen!
Denn deine Lava, die umspühlte rasch mein Eis
Und schmelzend flossen Wasserströme deinem Fleiß –
Mit nassen Federn kann kein Feuervogel fliegen.

© levampyre | Jul. 2004

Phönix

Nun liege ich ermattet zwischen deinen Fluten
Und mein Gefieder, das einst schillernd dich betört‘,
Hat deiner wilden Wellen Macht nun ganz zerstört.
Doch dauert meine Schwäche diesmal nur Minuten.

Es trocknen schnell des Feuervogels feuchte Federn,
Und Wasserdampf steigt aus den Gletscherspalten auf.
Erfrischend plätschert wieder deines Baches Lauf,
verlockt mich allzu rasch zu neuen kühlen Bädern.

Ach, möge deine Quelle niemals mehr versiegen,
Und nimmermehr der Frost dein zartes Reich bedroh’n.
Nun ernte ich der Mühe tausendfachen Lohn
Und lasse dich mit meinen gold’nen Schwingen fliegen.

© Corinne Plesar | Jul. 2004

Kochen mal anders…

Donnerstag, 17. Mai 2007

Liebe geht durch den Magen, sagt man. In meinem Feiertagstipp zum Herrentag, geht durch selbigen auch die Poesie. Krister „K.rotte“ Hymon und Julian „Peter Silie“ Manz, die eigentlich aus einer ganz anderen kreativen Ecke stammen, haben ein Kochrezept für Gemüseeintopf poetisch und visuell umgesetzt und damit „wohl irgendwie ’n Glücksgriff gelandet“ (so ist das, Jungs!). Praktisch für den Mann von heute – der kann zur Feier des Tages etwas Leckeres kredenzen, ohne einen einzigen Blick ins Kochbuch werfen zu müssen. Film ab!

Bei youtube: Gemüseeintopf

Trauriges Jubiläum

Donnerstag, 17. Mai 2007

Rückblick auf 100 Rechtsscherereien

Als ich im November 2004 das erste Mal ein Gedicht von mir von jemand anderem veröffentlicht fand, war ich ein wenig stolz, aber auch bedrückt, meinen Namen nicht unter dem Text zu finden. In meiner jugendlichen Naivität dachte ich, es gehöre zur Allgemeinbildung zu wissen, dass ein kreatives Werk mit dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung automatisch urheberrechtlich geschützt ist und dass man den Verfasser fragen muß, ob man es weiterveröffentlichen darf. Doch als ich den Kontakt zu den verantwortlichen Forenmitgliedern suchte, mußte ich feststellen, dass nicht nur Unbildung, sondern zum Teil schnippische Ignoranz mir gegenüberstanden: „Hättest du haln n Kopierschutz einbauen müssen. Freu dich doch, dass du überhaupt gelesen wirst.“

Mich verletzte diese Ignoranz und ich begann neu über die freie Veröffentlichung und meine Rechte als Urheber nachzudenken. Ich wollte gelesen werden, ich wollte kopiert werden, aber ich wollte auch genannt werden und nicht anderen meine Lorbeeren schenken. Also stellte ich meine Gedichte unter CC-Lizenz und begann meinen Feldzug gegen die Unbildung. Ich durchforstete die Ergebnisse von Google & Co., recherchierte den verantwortlichen Usern hinterher und suchte den Kontakt. Der Großteil war sehr verständig, ergänzte fehlende Namen, Titel und Quellen und beteuerte mir mein Talent – einige waren aber äußerst harte Brocken, die meine Nerven bis auf’s äußerste Strapazierten. Von Löschung, Entstellung und Sperrung meiner Kommentare in Blogs und Foren, über Beteuerungen, man selbst hätte das Gedicht geschrieben bis hin zu Drohungen, man werde das Gedicht jetzt noch woanders veröffentlichen, um mich zu ägern und dann rumkommen, und mich verprügeln, hatte ich alles dabei.

Diese Extreme waren es dann auch, die mich schließlich im letzten Jahr dazu veranlaßten, meinen Pranger zu schließen und mich fortan nur noch an die (in solchen Fragen besser gebildeten) Betreiber solcher Community-Websites zu wenden. Ich möchte mich nicht mehr dem Streß aussetzen, denke aber nach wie vor, dass Aufklärung Not tut. Denn gestern abend habe ich die 100. unzureichende Veröffentlichung eines meiner Texte entdeckt und dies ist ein trauriges Jubiläum. Es kann doch nicht so schwierig und nicht zu viel verlangt sein, auch noch den Autornamen und den Titel zu kopieren. Es ist unfair und schlampig, es nicht zu tun – auch im Internet.

Fremdwörter für Wortfremde, heute: Parömiologie

Dienstag, 15. Mai 2007

Die gestrige Frage einer Freundin, ob ich denn wüßte, was „parömiologisch“ bedeute, mußte ich leider verneinen. Sie hätte das Wort in einem Fachtext gelesen, könne aber nichts damit anfangen. Weder aus diversen digialen und gedruckten Fremdwörterbüchern sei sie schlau geworden, noch aus dem Kontext, in dem das Wort verwandt wurde. Auch ich konnte mir dazu nichts zusammenreimen. Den Großteil meiner Bücher noch in Umzugskisten wissend, machte ich mich heute morgen erst mal im Internet auf die Suche.
Google: „Meinten sie praxiologisch?“
Nee, meinte ich nich… Allerdings fand ich einige wenige Texte, in denen das Wort auftauchte. Der Kontext deutete auf einen sprachwissenschaftlichen Gebrauch des Wortes hin, aber wirklich aufschlußreich war das nicht. Wortschatz, Uni Leipzig und DWDS lieferten 0 Ergebnisse. Ein „Wie schlau sind sie?“-Fremdwörter-Test, auf den ich zwischendurch stieß, ließ mich vermuten, dass der Focus seinen Lesern schmeicheln möchte. (Das dort abgefragte Wissen, reichte nicht einmal, um einem Troglodythen zu imprägnieren.) Was „parömiologisch“ bedeutet, hätten sie fragen sollen! Haben sie aber nicht…

Na ja, lange Rede kurzer Sinn. Die Suche ließ mich unbefriedigt meine Bücherkisten aufreißen und letztlich fand ich irgendwann in einer von ihnen mein „Wahrig. Fremdwörterlexikon“. Das hatte Folgendes zum Thema Parömiologie zu sagen: „Lehre von den Sprichwörtern [grch. ‚paroimia‘ Sprichwort, Denkspruch, Gleichnis + …logie„, und ich war endlich beruhigt und schlauer als vorher. 🙂

Seminararbeit: Das Liedgut des Jehannot de Lescurel

Montag, 14. Mai 2007

Das Liedgut des Jehannot de Lescurel. Zum musikalischen Anhang von Ms. F-Pn fr. 146 („Roman de Fauvel“), Freie Universität Berlin, WS 03/04
[Referat zum Proseminar „Probleme und Methoden der Musikwissenschaft. Musik um 1400“ der Musikwissenschaften, geleitet von Herrn Dr. Oliver Vogel]

1. Überlieferungssituation und biographische Thesen

Der Dichter und Komponist Jehannot de Lescurel ist und lediglich aus einer einzigen Handschrift namentlich bekannt, aus dem Manuskript des Roman de Fauvel (Gervais du Bus), welches unter dem Einfluss Chaillou de Pestains mit musikalischen Interpolationen versehen und zusammengestellt wurde. Darin findet sich sein Name zwei Mal: Zum einen ist er als Verfasser der Balladen, Rondeaux und Dits entez (sus Refroiz de Rondeau) im Index aufgeführt, zum anderen findet sich in einem der Liedtexte ein Akrostichon, das „Dame, Jehann de Lescurel vous salue“ (Nr. 29), lautet.

Die Lieder Jehannots sind nicht, wie die anderen Musikstücke, in den Roman integriert, sondern befinden sich im Anhang zischen einem Dit des Geoffrey de Paris und einer anonymen, französischen Verschronik, die man ebenfalls Geoffrey zuschreibt. Die Stücke sind fast ausschließlich einstimmig. Eine einzige Ausnahme, das dreistimmige Rondeau, „A vous douce debonnaire“, werden wir uns nachher gemeinsam näher ansehen. Sowohl Liedkorpus als auch Index führen nach Alphabet und Genre geordnete Werke bis zum Buchstaben „G“ auf. Diese Anordnung und der Abbruch bei „G“ legen die Vermutung nahe, dass das Gesamtwerk Jehannots weitaus umfangreicher gewesen sein dürfte. Es sind uns immerhin 21 Balladen, elf Rondeaux (davon eines doppelt) und zwei Dits überliefert.

Zu zahlreichen, zum Teil wie phantastische Heldenmärchen anmutenden Spekulationen über Jehannots Herkunft und Biographie regten die Musikforschung zwei Pariser Chroniken an. Diese berichten von der Hinrichtung einiger Kleriker im Jahre 1303, die wegen sexueller Vergehen an Nonnen gehängt wurden, unter ihnen ein gewisser Jehan de L’Escurel. Eine Urkunde der Cathédrale Notre-Dame de Paris aus dem Jahre 1304 berichtet weiterhin, dass das Vermögen dieses Jehan an dieselbige Kirche übergegangen ist, was auf eine Verbindung zwischen dem Kleriker Jehan und Notre Dame de Paris hinweist.

Diese Dokumente und der Fakt, dass der Dichter Jehannot aufgrund der Datierung des Fauvel-Manuskripts und sprachlicher, sowie inhaltlicher Aspekte der Liedtexte im Paris um die Jahrhundertwende lokalisiert werden kann, gaben Anlass dazu, den Dichter Jehannot mit dem erhängten Kleriker Jehan gleichzusetzen. Als Vater nahm man den vermögenden Grundbesitzer Pierre a L’Escurel, als Mutter Aalis à L’Escurel an, die vermutlich als Buchhändlerin tätig war. Beide Namen tauchen in verschiedenen Pariser Steuerrollen der Jahre 1296-1300 auf, müssen aber nicht unweigerlich familiär verbunden sein, geschweige denn mit dem Kleriker in Verbindung stehen. Der Name L’Escurel war anscheinend durchaus nicht einzigartig in Paris.

Ein Aspekt, der laut Vorwort der Lescurel Gesamtausgabe CMM30 (N. Wilkins) für die Identität von Dichter und Kleriker spräche, sei das Material des Manuskripts Montpellier H. 196, das musikalisches Material der Cathédrale Notre-Dame aus dem 13. Jh. aufführt. Jehannots Stil tauche dort in einigen Motetten auf, die Werke selbst sind jedoch anonym überliefert.

Fakt ist leider, dass es bisher keine sicheren Zeugnisse gibt, die Rückschlüsse auf die Identität des Dichters Jehannot de Lescurel zulassen, dessen Werke uns in Ms. F-Pn fr. 146 überliefert sind. Alle Hinweise bleiben bisher rein spekulativ.

2. Balladen und Rondeaux
2.1 Jehannot und die formes fixes

Mit dem Werk des Dichters und Komponisten Guillaume de Machaut, der von ~1300 bis 1377 in Frankreich lebte, wird im Bereich der Liedkunst die Entwicklung von Ballade, Virelai und Rondeau zu gattungsspezifischen, festen Liedformen, den so genannten formes fixes weitestgehend abgeschlossen. Die Lieder Jehannots bezeugen einen dieser Endphase vorangehenden Entwicklungsstand.

Im gesamten Liedœuvre des Roman de Fauvel, so auch bei Jehannot, wird nur zwischen Rondeaux einerseits und Balladen andererseits unterschieden. Der zweite Typus enthält dabei sowohl Stücke mit der Struktur der barförmigen Ballade mit Endrefrain, als auch der späteren chansons balladés, genannt Virelai.

Die Ursprünge der beiden Gattungen sind unklar, doch sowohl das altfranzösische Wort „Rondeau“, als auch das provenzalische „Ballade“ findet sich seit Mitte des 12. Jh. in literarischen Quellen belegt. Der Gebrauch der Begriffe deutet zunehmend eine literarische Emanzipation der Formen an. Mit ihnen verbinden sich bald Anspruch und Wert einer qualitativ verfeinerten, poetischen Sprache. So hebt die Schöpfung von Balladen bspw. laut König Alfons X. von Kastilien den Trobador bereits 1275 über den gewöhnlichen Spielmann hinaus.

Während das Rondeau als Begleitlied eines Rundtanzes (carole) relativ schnell zu einer feststehenden Form findet, ist dieser Prozess im Falle der Ballade weniger distinkt. Ihre Formen sind zunächst mannigfaltig. Neben Tanzliedern mit refrainartig-exklamatorischen Einwürfen, stehen Strophen mit festen Refrains oder Voltas (in Metrik, Reim und Musik identisch), bis sich irgendwann eine Art Grundform herausbildet, mit Refrain (R), Stollen (A), Gegenstollen (A‘), Strophenabschluss (B) und Refrain (R), wobei der Refrain selbst und der zu ihm zurückführende Strophenabschluss äußerst variabel bleiben (R AA’B R).

Den meisten Balladen Jehannots, sowie der Ballade „Ay amours“ aus dem Roman de Fauvel fehlt ein Refrain am Anfang des Liedes. Erst am Schluss wird ein solcher aufgeführt. Dieser ist jedoch so gestaltet, dass sich der erste Vers melodisch an den Refrain anschließen könnte, stünde dieser davor. Die Strophe selbst ist jedoch wie schon bei Guillaume li Vinier und Adam de la Halle barförmig (AAB) aufgebaut. Dieser Balladentypus wird später die Grundlage für die Ballades Guillaume de Machauts bilden.

Der andere unter dem Begriff Ballade bei Jehannot vertretene Typus, unterscheidet sich von dem erstgenannten dahingehend, dass sowohl am Anfang, als auch am Ende des jeweiligen Stückes ein Refrain auftritt, während der Strophenabschluss eine Volta darstellt, d.h. eine Versperiode, die in Metrik Reim und Musik mit dem Refrain identisch ist und nicht nur, wie in der barförmigen Ballade, auf diesen zurückführt. (A bb’a A) Diesem Typus entspricht die italienische Ballata und der sich später bei Machaut etablierende chanson balladé, genannt Virelai.

Während Virelai und Ballade auch im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts eher zur Einstimmigkeit tendieren, wird für das Rondeau die Mehrstimmigkeit bald zur Regel. Bereits im Liedkorpus Jehannots ist ein erstes, mehrstimmiges Rondeau aufgeführt, bei welchem die Melodien in einem Note-gegen-Note-Satz melismatisch zusammentreten. Dazu nun ein wenig mehr.

2.2 Analyse des Rondeaus „A vous douce debonnaire“

[audio:lescurel-w1.mp3]

Abb. 1: Noten (transkribiert + diplomatisch) [JPG]

Kommen wir nun zur Analyse des 3-stimmigen Rondels „A vous douce debonnaire“, die ich mit euch gemeinsam machen möchte. Da wir es hier nicht mit einer Motette zu tun haben (alle drei Stimmen singen denselben Text), können wir uns nicht, wie wir es aus den vorangegangenen Seminaren gewohnt sind, am Tenor des Stückes entlanghangeln. Wie ich jedoch bereits erwähnte, sind die Liedformen des frühen 14. Jahrhunderts literarisch emanzipierte Formen, d.h. die formale Struktur der Lieder sollte bereits in den Texten erkenntlich sein. Daher bitte ich euch zunächst, 5 Minuten selbstständig den Text zu beschauen. Die Gliederung dürfte in den Silbenzahlen, Reimen und Versparallelen deutlich werden.

A vous, douce debonnaire
   ai mon cuer donné
   ja non partiré.

Vo vair euil mi font atraire
a vous, dame debonnaire:
Ne ja ne m’en quier retraire   
   ains vous serviré
   tant com[me] vivré.
A vous, douce debonnaire
   ai mon cuer donné
   ja non partiré.
A: 1 7_a
B: 2 5b
B: 3 5b
a: 4 7_a
A: 5 7_a
a: 6 7_a
b: 7 5b
b: 8 5b
A: 9 7_a
B: 10 5b
B: 11 5b

Wir sehen also, dass es sich eindeutig um eine uns schon von Machaut bekannte Liedform, das Rondeau (AB aA ab AB) handelt, bei der am Anfang und am Ende des Stückes ein Refrain auftreten, dessen erster Teil am Ende der ersten Strophe wiederholt wird. Betrachten wir uns nun gemeinsam, wie sich die Musik auf diesen Text verteilt:

  • Was erklingt auf den ersten Vers?

Auf den ersten Vers verteilt sich die Musik der ersten 10 Takte (30 Brevis). Dabei ist die Vertonung melismatisch und die Melismen durchziehen den ganzen Text. Auf der 4. Silbe kommt es zu einer Kadenz auf E/G (T.5/15B). Ebenso kommt es auf der 8. Silbe (7_) zu einer Kadenz auf C/E (T.10/30B), mit der der erste Vers endet. Der Satz schreitet weitestgehend simultan (Note-gegen-Note) voran.

  • Was erklingt auf den zweiten und dritten Vers?

Auf den zweiten Vers verteilt sich die Musik der Takte 11-14 (12 Brevis). Die Vertonung ist am Anfang des Verses (T.11-12) weniger melismatisch als am Schluß, der Satz noch immer simultan. Der Vers endet auf der Kadenz A/F. Auf den dritten Vers verteilt sich die Musik der Takte 15-20 (18 Brevis). Die Melismen sind wieder über den ganzen Vers verteilt, der Satz bleibt simultan und endet auf F/C.

Mit Noten versehen ist also nur der Refrain, doch die Textur der übrigen Verse verrät uns, dass sie auf dieselben Melodien gesungen werden. Es kommt also zur Abfolge: ABaAabAB, wobei im B-Teil die zwei kurzen Verse zusammengefasst sind.

Beide Teile weisen ein binär-harmonisches Verhältnis auf, so umfasst die Musik des A- und des B-Teils jeweils 30 Brevis (10 Takte). Jeder Teil hat zwei Kadenzen, die eine Länge von 2×15, 12 und 18 Brevis haben und denen jeweils eine Brevis Pause als Gliederungselement nachfolgt. Darüber hinaus bleibt das Stück pausenlos. Die Schlusskadenz ist identisch mit der Initialis und einzige perfekte Konsonanz (1-5-8). Alle übrigen Kadenzen und Initialis-Klänge sind imperfekte Konsonanzen (1-3-8). Dies ist sehr deutlich zu erkennen, wenn man sich die Fundamenttöne des Stückes in einem Schema betrachtet.

Abb. 2: Fundamenttöne [jpg]

An diesem Schema wird neben den Kadenzen auch der Stimmverlauf sehr deutlich. So ist bspw. zu bemerken, dass Tenor und Cantus sich kreuzen, während das Triplum immer über diesen beiden Stimmen schwebt. Ebenfalls deutlich werden die extremen Sprünge des Tenors, die nur durch die melismatischen Verziehrungen der Melodie kaschiert werden. Es wäre daher plausibel, wenn diese Stimme von einem Instrument gespielt würde. Der Cantus bleibt in jedem Falle textierte Stimme, denn dieser ist uns als drittes Werk in Jehannots Liedkorpus als Einzelstimme überliefert. Dies zeigt auch, dass der Cantus die bedeutungstragende Stimme des Rondeaus ist, um die sich Triplum und Tenor gruppieren.

An unserem Fundamentton-Schema ist aber noch eine sehr interessante Auffälligkeit zu erkennen. Diese betrifft den ersten Teil des B-Teils, jenen, den wir schon vorhin als weniger melismatisch entlarvt haben. Wenn wir genau hinschauen, dann erkennen wir, dass Triplum und Tenor sich an dieser Stelle spiegeln. In den Takten 11-12 reicht diese Spiegelung bis in die Semibrevisgruppe hinein. Doch nicht nur das, auch die Fundamenttöne des Cantus spiegeln mit denen des Tenors, während sich beide Stimmen dabei sogar überkreuzen. Der Cantus erhebt sich hier über den Tenor. Dies und die Raffung der Passage bewirken an dieser Stelle eine unglaubliche, innere Spannung.

Es ist eigenartig, dass dieser Teil nur 12 Brevis hat, wo er doch ebenso viele Silben zählt, wie der darauffolgende. Eine Teilung in 2×15 Brevis wäre auch hier möglich gewesen und hätte damit sogar eine Symmetrie mit dem A-Teil aufgewiesen. Doch Jehannot entschied sich anders und er tat dies vermutlich aus poetischen Gründen.

Wenn wir uns an Christopher Pages Urteil zu dem anonymen Rondeau „Las, que me demanderoye“ erinnern, so bemängelte er daran, die starke Geste des A-Teils, die sich in ihrer formell bedingten, ständigen Wiederholung irgendwann selbst erbricht. Jehannot setzt die große Geste zu Beginn des B-Teils und erzielt damit nach der dreimaligen Wiederholung des A-Teils beim erneuten Einsetzen des B-Teils einen Effekt von geradezu überragender Wirkung.

2. 3 Zur musikwissenschaftlichen Bedeutung Jehannots

Das Œuvre Jehannots stellt in jedem Falle ein wichtiges Zeugnis für die vielschichtige Umbruchszeit zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit und zwischen schriftloser und schiftgebundener Praxis in der Musik um 1300 dar. Die Entwicklung der monodischen Gattungen wird daran ebenso deutlich, wie die Entwicklung neuer Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Jehannot sagt sich in seinen Liedern von dem engen Korsett modaler Schemata los und durchbricht darüber hinaus sogar deren ternäre Rhythmen. Durch die Vorteile der Mensuralnotation können nun erstmals auch kleinteilige Verziehrungen unterhalb der dreigeteilten Brevis notiert werden. Diese finden sich z.B. als Melismen über den ganzen Text verteilt, was die Lieder weitaus cantabler macht, als die älteren Conductus, die nur am Anfang und am Ende Melismen aufweisen. Kleine Notenwerte finden sich aber auch innerhalb schnell deklamierter, syllabischer Passagen. Eine Technik, die Jehannot von Petrus de Cruce übernimmt und hier zum ersten Mal auf die Monodie anwendet.

Mit seinem dreistimmigen Rondeau dürfte uns zudem wohl einer der frühsten, mehrstimmigen Liedsätze überliefert sein. Die hohe Qualität und die Kohärenz der Komposition lassen vermuten, dass Jehannot bereits gute Erfahrungen auf dem Gebiet der Mehrstimmigkeit hatte. Seinen Innovationsstatus beweist auch die Etablierung der zwei neuen Balladentypen. Sowohl die barförmige Ballade mit Endrefrain, als auch das Virelai begegnen uns als musikalisch-dichterische Formen bei Jehannot zum ersten Mal.

Sollte sich die zweifelhafte These der Identität von Dichter und Kleriker jemals bestätigen, wären diese zahlreichen Neuerungen bereits in der Zeit um Ende des 13. Jahrhunderts anzusiedeln. Also noch bevor sie im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts durch Philippe de Vitry und Johannes de Muris im Sinne einer „Ars Nova“ ausformuliert und etabliert werden.

Doch auch wenn sich dieser Verdacht nicht erhärten lässt und die Lieder also erst in den 1310er Jahren entstanden sein sollten, so dürfte Jehannot dennoch unter die frühen Wegbereiter der so genannten „Ars Nova“ gezählt werden.

3. Notation & Fragen zu Metrik und Rhythmik

Die frankonische Notation kennt grundlegend vier Notenwerte (Maxima, Longa, Brevis und Semibrevis) und drei Mensurverhältnisse (Maximodus, Modus und Tempus). Aus der Theorie wissen wir, dass eine Brevis den Teilwert von zwei oder drei Semibrevis haben kann. Die kürzeste Note, die demnach möglich wäre, wäre also eine Semibrevis im Tempus perfectum.

In der modifizierten Notation des Fauvel-Manuskripts, also auch in Jehannots Rondeau W1, finden sich Gruppen mit 2, 3 und sogar 4 Semibrevis, die insgesamt den Wert einer Brevis haben. Dies zeigt, dass es hier einen Notenwert geben muß, der kürzer ist, als der 3. Teil einer Brevis im Tempus perfectum. In der Theorie der „Ars Nova“ entspräche dieser Wert einer Minima. Ihr Notenzeichen existiert zu Jehannots Zeiten jedoch noch nicht, weshalb ihr Wert nicht eindeutig notiert werden kann.

Im Nachhinein bleibt fraglich, ob dennoch schon ein Verständnis für die Prolatio, also das Verhältnis zwischen Semibrevis und Minima, existierte oder nicht. Diese Leerstelle muß unweigerlich zu einem Transkriptionsproblem führen. Schauen wir uns an, wie Friedrich Gennrich, Nigel Wilkins und Elisabeth Aubrey es zu lösen versuchten.

Abb. 3: Transkriptionen: Gennrich, Wilkins, Aubrey [JPG]

Alle drei gehen davon aus, dass es sich im Falle von W1 um ein Tempus imperfectum handelt. Vermutlich lehnen sie sich mit dieser Entscheidung an eine Äußerung Philippe de Vitrys, der über die Motette „Adesto – Alleluia Benedictus“, die sich ebenfalls im Fauvel-Manuskript findet und ebenfalls solche Semibrevisgruppen aufweist, sagt, dass ihr Tempus imperfekt wäre. Darüber hinaus treten Gruppen mit zwei Semibrevis weit häufiger auf, als solche mit dreien. Dagegen spräche jedoch, dass in der „Ars Antiqua“ imperfekte Tempora eher selten waren. Letztlich kann das Tempus in W1 nicht zweifelsfrei bestimmt werden, da Semibrevis nie einzeln, sondern immer nur in Gruppen auftreten.

Was nun die Prolation betrifft, bewegen wir uns auf noch glatterem Eis. Während Gennrich eine imperfekte Prolation annimmt, übersetzt Aubrey eine perfekte. Wilkins nimmt hingegen für die Dreiergruppen imperfekte, für die Vierergruppen aber perfekte Prolation an, was inkonsequent erscheint.

Völlig unklar bleibt aber so oder so, inwiefern hier Alterations- und Diminutionsregeln auf die Prolation anwendbar sind. Gennrich alteriert in der Dreiergruppe, wohl von der Cauda verleitet, die erste Semibrevis, lässt aber in den Zweier- und Vierergruppen die Caudas unbeachtet. Wilkins und Aubrey beachten die Caudas in den Dreier- und Vierergruppen, nicht aber in den Zweiergruppen.

Ein sachkundiger Blick in das Manuskript zeigt aber, dass die Caudas mit zaghafter und von der Haupthand verschiedener Hand eingefügt wurden. Willi Apel betrachtet sie nicht als original. Dies würde bedeuten, dass sich unter Beachtung der frankonischen Diminutions- und Alterationsregeln andere Figuren für die Prolatio ergeben müssten. Probieren wir das mal selbst aus.

Abb. 4: Versuche zur Übertragung [JPG]

Bei all diesen Versuchen sind wir nun immer davon ausgegangen, dass es zu der Zeit bereits ein Verständnis für die Prolation gab, so dass also auch Diminutions- und Alterationsregeln auf die angewandt werden können. In den theoretischen Quellen wird darüber jedoch nichts berichtet und es ist durchaus anzunehmen, dass es ein solches Verständnis nicht gab. Zumal Stücke überliefert sind, in denen solche Semibrevisgruppen syllabisch vertont wurden. Dass es aber aufführungstechnisch möglich gewesen sein soll, in solchen Fällen Differenzierungen im Bereich von „16tel-Triolen“ zu singen, erscheint aus rein praktischen Gründen zweifelhaft. Wahrscheinlicher wäre, dass die Semibrevisgruppen in solchen Fällen einer unabhängig von einem Prolationsverständnis als undifferenzierte Teilwerte der Brevis verstanden wurden, ähnlich wie man es sich bei den Stücken Petrus‘ de Cruce vorstellen kann.

WS 03/04

Der Preis des Schweigens

Freitag, 11. Mai 2007

Als sie kamen, um die Juden zu holen, schwieg ich, weil ich kein Jude war. Als sie kamen, um die Kommunisten zu holen, schwieg ich, weil ich kein Kommunist war. Als sie kamen, um die Gewerkschafter zu holen, schwieg ich, weil ich kein Gewerkschafter war. Dann, als sie kamen, um mich zu holen, gab es keinen mehr, der für mich seine Stimme hätte erheben können.“ (Pastor Martin Niemöller)

Paragraph 129 (der Anti-Terror-Paragraph) wurde ausgeweitet, so dass nun auch als „terroristische Vereinigung gilt“, wer gemeinschaftlich Computersabotage, Zerstörung eines Bauwerks oder Brandstiftung betreibt. Promt gab es mit dieser Begründung vorgestern ein paar präventive Hausdurchsuchungen bei einer Reihe deutscher Globalisierungsgegner, die in Zusammenhang mit den Protesten zum G-8-Gipfel stehen, wie dem Berliner Solzialforum, der Antirassistischen Initiative und anderen linkspolitischen Aktivisten, wie heise berichtet. Und dem nicht genug, die Welt teilte mit, dass eine Ausweitung eben dieses Paragraphen in Planung ist. Demnach sollen nun auch Einzeltäter eine „terroritische Vereinigung“ sein dürfen und bestraft werden können, schon bevor sie terroristische Taten vollbracht haben.

Präventivstrafen, Verfassungsänderungen, Einschränkung der Freiheit und freien Meinungsäußerung (auch Kunst- und Internetzensur), Entmündigung, Überwachung, Vorratsdatenspeicherung (auch sexueller Vorlieben), Bundestrojaner, Kriminalisierung der Bürger, Schäuble, Schönbohm, Zypries, Wiefelspütz, Oettinger und Co. sprechen deutliche Worte. Dieses Blog befaßt sich mit Poetik, aber ich bin ein politisch engagierter Mensch und ich kann über diese Entwicklung nicht schweigen, während bei Freunden nebenan V-Männer eingeschleust und Rechner rausgetragen werden. Wann kommen sie und holen mich?