Gummiparagraphen

A propos Gummiband. Nicht nur die Wirkung des Enjambements läßt sich als solches paraphrasieren, nein, auch unsere neueren Gesetze und Gesetzesentwürfe weisen zunehmend gatschigen Charakter auf, weshalb sie auch in den Mainstreammedien als Gummiparagraphen bezeichnet werden. Gummiparagraphen zeichnen sich durch den Gebrauch vieldeutiger Worte wie „Verantwortung“ oder „Absichten“ aus, und zwar den Gebrauch in einem Maße, das den gesamten Paragraphen schwammig macht. Das gefährliche daran ist, dass Richter erst interpretieren müssen und dass Recht und Unrecht somit stark von ihrer Interpretation abhängen. Der Bürger, für den diese Gesetze ja eigentlich gemacht sind, weiß daher vorher nie genau, ob sich eines Vergehens gerade schuldig macht oder nicht. Unter Umständen kommt es dann zu einer mit logischem Menschenverstand nicht mehr nachvollziehbaren Rechtsprechung, wie in diesem von SpOn berichteten Fall.

Ein Forenbetreiber haftet, weil sich ein anonymer User seines Boards in einer Weise über einen Dritten ausgelassen hat, die nach dem Empfinden des Dritten dessen Persönlichkeitsrecht angriff und weil dieser Dritte sich darob zu klagen veranlaßt sah. Natürlich greift man sich an den Kopf, nicht nur weil es eigentlich der freien Meinungsäußerung unterliegen sollte, sich über irgendwen auszulassen, nein, auch weil der Forenbetreiber, der nun für diese anonyme Meinungsäußerung wenig kann, dafür haften muß. Die Unsicherheit, die das hervorruft, ist groß. Sollten wir in Deutschland deswegen lieber darauf verzichten, sogenanntem „user created content“ auf unseren Seiten Raum zu bieten? Es könnte ja sein, dass wir sonst für etwas belangt werden, das wir weder meinen, noch sagten.

Erst vor kurzen waren wir zu Besuch im Bundestag, um der „demokratischen“ Abstimmung über den sogenannten Hackerparagraphen (§ 202c StGB) bezuwohnen, der ebenso schwammig ist und von vielen kompetenten Leuten darob stark kritisiert wurde. Ein Argument unserer Bundesregierung war, dass man das Gesetz ja wieder ändern könne, wenn es zu Problemen komme. Ich würde die Rechtsprechung im oben verlinkten Fall deutlich als Problem einstufen, doch über eine Änderung des schwammigen Telemediengesetzes wird nicht nachgedacht. Schließlich hat ein Richter hier Recht gesprochen und was Recht ist, kann ja nicht Unrecht sein. Oder doch?

Der Hackerparagraph ist bisher noch ein Entwurf, der erst noch vom Bundesrat verabschiedet und vom Bundespräsidenten unterschrieben werden muß, bevor er Gesetz wird. Bisher stellt er die Herstellung, den Vertrieb und den Gebrauch von Software zur Systemprüfung und -sicherung unter Strafe. Denn diese Software kann von Crashern benutzt werden, um in fremde Systeme einzudringen, diese auszuspionieren oder sonstig zu manipulieren. So weit so gut.

Was der Entwurf offenbar nicht bedenkt, ist, dass dieselben Tools auch von Administratoren benutzt werden, um ihre Systeme vor solcherlei Angriffen zu schützen. Packetizer, Firewalls und Anti-Viren-Programme fallen z.B. darunter. Wer sie benutzt, könnte sie eventuell demnächst eines Verbrechens schuldig machen. Die Bundesregierung glaubt, sie könne dieses Problem durch die Absichtsklausel lösen, d.h. dass die Handhabung solcher Software unter der Absicht, in fremde Systeme einzudringen, stehen muß, um strafbar zu sein. Nur ist natürlich schwer zu sagen, wer wann welche Absicht hat. Des weiteren kann auch ein Administrator die Absicht haben in ein System einzudringen, nämlich um dessen Sicherheit zu testen.

Die zwei Beispiele zeigen, dass es äußerst gefährlich ist, einem Gesetz durch schwammige Formulierungen zu viel Raum für die Interpretation zu lassen. Nicht nur, dass plötzlich niemand mehr vor dem Gesetz sicher ist, es wird auch dazu führen, dass wir uns aus Angst vor staatlichen Repressionen selbst beschränken. Da dies unsere persönliche Freiheit einschränkt, die durch mehrere Artikel des GG gesichert sind, gefährden schwammig Gesetze unsere Verfassung.
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Wenn dir weitere Beispiele schwammiger Gesetzgebung oder bereits aufgetretener Probleme durch schwammige Gesetzgebung einfallen, scheue dich nicht, sie hier vorzustellen! Gummiparagraphen sind nicht nur ein politisches, sondern auch ein linguistisches Problem.

4 Kommentare zu “Gummiparagraphen”

  1. deakanas
    Juni 28th, 2007 14:49
    1

    genau der gleichen Meinung 🙂
    am meisten hat mich vor allem das „Cybercrime Convention“
    Gesetz geärgert das „Hackertools“ verbietet, wobei das was ein „Hackertool“ ist.

  2. LeV
    Juni 29th, 2007 16:23
    2

    Es steht offenbar gerade sehr schlecht um die Änderung der 202c Novelle: Bundesrat will Hackerparagraphen durchwinken schreibt Heise heute.

  3. deakanas
    Juni 29th, 2007 18:26
    3

    jepp ich schreibe nochmal an den Bundespräsidenten 🙂
    vielleicht nutzt ja was.
    Hat ja schon öfters mal Gestze gestoppt 🙂

  4. LeV
    Juli 5th, 2007 13:58
    4

    Sehr beruhigend dieses Zitat von Frau Zypries: „Browser? Was waren jetzt noch mal Browser?“
    via
    http://netzpolitik.org/2007/kinderreporter-fragen-politiker-nach-dem-internet

    Frau Zypries hatte, wenn ich mich recht entsinne, 2001 zum ersten den Vorschlag gemacht, „Hackertools“ zu illegalisieren.

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