poeta feminas invocat
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poeta feminas invocat – Die Anrufung der Frauen
Ihr edlen Frauen von erlesener Gestalt,
von klarem Geist und reizvoll listigem Gemüt,
euch rufe ich mit innig brausender Gewalt,
um euer Ohr, um eure Gunst bin ich bemüht.
Mich peitscht die Sehnsucht, mich, den Sklaven von Kyther.
Im Reich der Venus, die mich einstmals reich beschenkt,
wer glaubt, daß dort die Einsamkeit sich kalt und schwer
herab ins Herz des sterbenden Poeten senkt?!
Ach, fände sich eine, die klug wie Athene,
wenn eine es gäbe, so schön wie Helene,
die zärtlich mich mit ihrem sanften Blick verwöhnt,
helas, die wäre es, die mir das Leben krönt!
So hört mich an, die ihr mir Rettung bringen könnt –
ich harre eurer Antwort – sei sie mir vergönnt!
II | Jul. 2003
Zur Entstehung
Das Poeta-Feminas-Sonett entstand zu einer Zeit, in der die Idee an eine „Karriere“ als Online-Poetin noch in weiter Ferne lag. Ich hatte mich schon immer für Dichtung interessiert und heimlich selbst einige Versuche unternommen. Aber mit „Die Hoffnung des Narren“ gelang mir zum ersten Mal ein Werk, von dem ich glaubte, dass es diesen Namen auch verdient. Ich war stolz auf die gelungene Umsetzung meines Plans, dachte aber noch nicht an eine Veröffentlichung in dem Sinne.
Erst mit „poeta feminas invocat“ kam mir der Gedanke, für ein Publikum zu schreiben oder viel mehr kam dieser Gedanke und brachte mir die Idee zur Umsetzung. Ich schaltete das Gedicht tatsächlich innerhalb einer kleinen lesbischen Community als Anzeige, natürlich um zu sehen, ob nicht vielleicht doch die eine oder andere passende für mich dabei wäre, vor allem aber aus Neugier auf eine erste Leserresonanz. Es war ein Test und er hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht, Lust auf mehr Publikum und Lust auf mehr dichterische Verführung. Trotzdem sollte es noch mehr als ein halbes Jahr dauern, bis ich einen Ort für organisierte Veröffentlichungen meiner Texte fand.
Einige fragen sich vielleicht, weshalb ich einen lateinischen Titel gewählt habe. Die Antwort ist, ich weiß es selbst nicht mehr so genau. Ich befand mich während dieser Zeit am Anfang meines Lateinstudiums und fand es irgendwie witzig, dass „poeta“ eines der wenigen maskulinen Worte ist, das der femininen a-Deklination folgt. Diese Dissonanz zwischen Genus und Sexus fand ich interessant, gerade in Bezug auf den Ort der Erstveröffentlichung und den Umstand, dass im Text selbst das Geschlecht des lyr. Ichs nicht genannt wird. Dies ermöglichte mir auch meinen geschlechtlichen Narrenstatus, den ich anfänglich im Web genoß – die meisten Leser können einfach nicht umhin, im lyr. Ich immer den Autoren zu sehen und an Homosexualität denkt man vielleicht einfach nicht als erstes, solange es einen nicht selbst betrifft. Später fügte ich den deutschen Anhang an, weil der Umstand eines lateinischen Titels an sich keine künstlerische Aufgabe erfüllt und ich meine Leser nicht unnötig mit Fremdsprachen schikanieren wollte.
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