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Lai, Leich [poet. Formprinzip]

Sonntag, 27. Januar 2008

Gerade bereite ich mich auf eine Arbeit zu altfranzösischen Lais und eine mündliche Prüfung zu mittelhochdeutschen Leichen vor und habe deshalb den Kopf voller Ideen zu dieser unstrophischen, lyrischen Gattung. Aber jeder, dem ich davon erzähle, fragt erst einmal: „Leich, hä, was’n das?“ Dieser allgemeinen Unwissenheit soll hiermit Abhilfe herbeieilen.

1. allgemeine Einführung
1.1 Definition

„Die Bezeichnung lai/leich ist im Mittelalter ein Sammelbecken für monodische Werke in den Volkssprachen, die sich der Gleichstrophigkeit entziehen; Kontrapart bildet das Liedprinzip“, heißt es im MGG2 Artikel von Christoph März. Diese kurze Definition faßt die grundlegenden Prinzipien des poetischen Phänomens, das hier zur Disposition steht, ganz treffend zusammen, wie ich finde. Es gibt aber noch weitere Phänomene, die mit dem Begriff in Verbindung gebracht werden.

1.2 Lai-Arten

Dazu gehören zunächst die um 1160 von Marie de France verfaßten, märchenhaften Erzählungen in achsilbigen Reimpaarversen. Zu diesen ist keine Musik überliefert, Hinweise im Text und ein leeres Notensystem in einer der Quellen verweisen aber auf die Existenz von dazugehöriger Musik. Da Marie selbst sagt, sie hätte bretonische Vorlagen niedergeschrieben, wird diese Art des Lais auch lai breton genannt. Eine andere Bezeichnung ist lai narrativ. Ebenfalls in Richtung Bretagne und König Arthus weisen die strophischen Lais, die in diversen Romanen, allen voran dem Tristan en prose, als kurze Liedeinschübe den Helden der Geschichte in den Mund gelegt werden. Diese Lais sind metrisch und melodisch sehr einfach gebaut und man nennt sie lai arthurien. Die aufgrund ihrer Überlieferungslage für die Wissenschaft interessantesten Lais sind aber die lais lyriques, die im deutschsprachigen Raum auch leiche genannt werden. Sie nehmen als verhältnismäßig lange und komplexe lyrische Gattung schon im Repertoire der Troubadours, Trouvères und Minnesännger eine Sonderstellung ein und gelten wohl besonders im 13. Jahrhundert als Königsdisziplin der Lieddichtung.

Es gibt weitere Phänomene, die in dieser oder jener Quelle mit dem Begriff bedacht werden, die wichtigstens und häufigsten sind jedoch die drei oben genannten, allen voran das lyrische Lai.

1.3 Etymologie und Terminologie

Es gibt diverse Thesen zur Etymologie des Begriffs lai/leich, zum Beispiel von Ferdinand Wolf, Richard Baum oder Hermann Apfelböck, die den Begriff aus dem keltischen, germanischen, bretonischen oder lateinischen herleiten. Angeführt werden dabei das altirische loîd/laîd (Lied, 9.Jh.), das gotische laikan (springen, tanzen, bewegen), das althochdeutsche leih (Gesang, Melodie), das angelsächsische laic, lac (Gabe) und das mittellateinische laicus/laice. Obwohl beides nicht denselben Weg gegangen sein muß, vermischen einige dieser Thesen die Wort- und die Sachgeschichte miteinander. Weder über das eine, noch über das andere gibt es aber bisher einen wissenschaftlichen Konsens.

Denn als Gattungsbegriff taucht lai zuerst um 1140 in den Chansonniers der provenzalischen Troubadours auf. Darin tragen einige Stücke Titel wie „Lai Markiol“, „Lai non par“, etc. Im Norden Frankreichs findet sich der Begriff zuerst 1155 in Waces „Roman de Brut“. Marie de France rückt mit ihren 12 narrativen Lais den Begriff erstmals in bretonischen Kontext, in dem er in weiteren epischen Werken ab 1200 und 1210 auch in provenzalischen und mittelhochdeutschen Quellen zu finden ist. In diversen althochdeutschen Glossen findet sich der Begriff bereits ab dem 10. Jahrhundert im musikalischen Kontext, z.B. bei Notker („lied unde leicha“). Im deutschen Sprachraum lassen sich die frühesten Leiche um 1175 datieren.

1.4 Probleme bei der Definition

Die Definition des Begriffs ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Im Mittelalter werden unterschiedliche Phänomene lai genannt, die wiederum aber auch diverse andere Namen tragen können. Die Thesen zur Etymologie bringen nicht wirklich weiter und liefern allenfalls Spekulationen über das Ding an sich, das nicht zuletzt auch deshalb schwer zu fassen ist, weil es das Prinzip einer individuellen Formenphysiognomie verfolgt und darob ganz unterschiedliche Erscheinungen ausgebildet hat. Auch die Annäherung über ähnliche Formen, wie Sequenz, Planctus, Conductus, Descort, u.a. ist schwierig, weil diese ebenfalls nicht klar umrissen sind.

2. zeitlich-regionale Entwicklung
2.1 Lais als Volkspoesie

Bereits 1841 entwickelt Ferdinand Wolf die These, das Lai sei seinem Wesen nach eine Gattung der Volkspoesie und entwickle sich erst später zu einer höfischen Kunstform. Obwohl diese Behauptung aufgrund fraglicher Prämissen relativiert werden muß, stützt sie sich doch auf einige interessante Beobachtungen. Die (provenzalischen) Lais, welche heute als zur ältesten Schicht gehörig ausgemacht werden können, sind allesamt anonym überliefert. Sie weisen größtmögliche Formenvielfalt auf, sind weniger lang, dafür repetitiver und metrisch, wie melodisch einfacher gebaut als ihre mit Namen überlieferten provenzalischen und altfranzösischen Nachfolger. Erst im Verlaufe der Zeit entwickelt sich eine Tendenz zur Musterbildung heraus, bis das Lais im 14. Jahrhundert bei Guillaume de Machaut seine endgültige, normative Form erhält.

In eine ähnliche Richtung weist Bruno Stäblein mit seiner These zum descort. Der Begriff taucht im Provenzalischen irgendwann als Selbstbezeichnung in Stücken auf, die nach formalen und inhaltlichen Kriterien durchaus Lais sind und auch im selben Kontext überliefert werden. Stäblein behauptet, dies geschähe zur Abgrenzung der Troubadours-Kunst vom volkspoetischen Lais. Im altfranzösischen Sprachraum werden beide Begriffe aber synonym verwandt. Einziges distinktes Merkmal ist, dass Descorts inhaltlich ausschließlich um die „amour courtois“ kreisen (während Lais auch religiöse Topoi verfolgen) und in keinem Fall anonym überliefert sind.

2.2 Lais/Leiche vor 1300

Einen Konsens über die Entstehungsdaten einzelner Lais vor 1300 gibt es nicht, da diese größtenteils alle in denselben Quellen überliefert sind und man allein aufgrund kompositorischer Unterschiede keine handfesten Aussagen machen kann. Den Versuch einer Chronologie unternimmt David Fallows in seinem New Grove Artikel zum Lai, wobei er verschiedene Thesen der Lai-Forschung zusammenträgt. Es sind mehr altfranzösische Lais vor 1300 überliefert als provenzalische, was aufgrund der Quellenlage nicht verwundert. Es läßt sich feststellen, dass weniger Lais vor 1200 überliefert sind, die meisten aus der Zeit vor 1300 stammen und nach 1300 nur noch wenige komponiert werden.

2.3 Lais im Fauvel und bei Machaut

Zu diesen späten Beispielen gehören die vier französischen Lais im Roman de Fauvel, sowie die 19 Lais von Guillaume de Machaut. Im Register des Roman sind unter der Kategorie „proses et lays“ 27 Titel aufgeführt, davon drei französische und 24 lateinische Stücke. Aber das Register ist nicht nur an dieser Stellle fehlerhaft und so finden sich insgesamt 31 Stücke, die in diese Kategorie passen, von denen vier französische Lais sind; eines davon bezeichnet sich selbst als descort. Die restlichen Stücke sind lateinische Conductus oder Sequenzen („proses“), die dem Lai-Prinzip folgen, eines davon ist ein Kontrafakt des provenzalischen Lai Markiol. Die vier Lais gehören zum Modernsten, was der Roman musikalisch zu bieten hat und verweisen musikalisch bereits auf den Stil der Ars Nova, weshalb Leo Schrade Philippe de Vitry als Verfasser annimmt. Er glaubt, dass mindestens 3 der Stücke auch Guillaume de Machaut bekannt gewesen sein müssten, da sich direkte Einflüsse auf seine Lais nachweisen lassen. Während die Fauvel-Lais formal relativ flexibel bleiben, erhält die Gattung bei Machaut normativen Charakter und es kommt zur Ausbildung einer form fixe.

2.4 Kontinuität

Obwohl der Machaut-Schüler Eustache Deschamps in seiner Art de dictier (1392) beahuptet, Lais seien durchaus üblich, erscheint die Gattung im Roman de Fauvel und bei Machaut seltsam isoliert. Es ist fraglich, ob dies aufgrund einer schlechten Überlieferungslage zustande kommt oder weil das Lais einfach nicht zum üblichen Liedrepertoire der Zeit gehörte. Von keinem Zeitgenossen Machauts sind monodische Werke überliefert, allerdings ist auch kein Zeitgenosse so umfangreich überliefert wie Machaut. Die Melodien aus dem französischen Chansonrepertoire datieren nicht nach 1250 und so kommt es bis 1317, dem vermuteten Entstehungsjahr des musikalisch interpolierten Roman de Fauvel, zu einer Überlieferungslücke. Diese kann aber geschlossen werden, wenn man auf den deutschen Sprachraum ausweicht. Hier stammen zeitlich und stilistisch zwischenzuordnende Leiche von Hermann Damen und Heinrich von Meißen (Frauenlob). Aus der Zeit nach Machaut sind Lais nur noch aus dem Dichterzirkel um Eustache Deschamps, Christine de Pizan und Froissart überliefert. Diese sind allerdings nicht mehr musikalisch konzipiert, sondern rein literarisch. Somit steht Machaut mit seinen Lais in gewisser Hinsicht am Ende der Gattungsgeschichte.

3. poetische Form
3.1 allgemeine Prinzipien

Es gibt fast kein Lai, das dem anderen gleicht, jedes besticht durch individuelle Gestaltung und erschafft seine Regeln quasi aus sich selbst heraus. Das Gattungsprinzip, das sie alle miteinander verbindet ist die individuelle Formenphysiognomie, die in einem Verzicht auf Strophigkeit und sonstig regelhaft gesetzte Wiederkehr ihren Ausdruck findet. Jeder Vers ist unterschiedlich lang und verwendet andere Reimworte, kleinere Motive und Phrasen werden aber stetig wiederholt und variiert, bevor neues Material eingebunden wird, was zu einer oft komplexen, metrischen Binnenstruktur führt. Dies ist das zweite grundlegende Prinzip, welches in der Forschung mit „fortschreitende Repetition“ beschrieben wird. (Auch wenn es keine Strophen in dem Sinne gibt, handelt es sich formal um alles andere als „Prosa“. Größere Formabschnitte werden Versikel genannt.) Außerdem kommt es oft zur Verschleierung von Zäsuren und Kadenzen und zu Enjambements über die Versikelgrenzen hinaus. Die Enddifferenzierung in ouvert- und clos-Kadenzen, die Ausbildung paariger Komplexe (Doppelversikel), die Wiederaufnahme des Anfangs am Ende und die 12-„Strophigkeit“ werden im Verlaufe der Zeit formbestimmend. In den Melodien der Lais dominiert der G-Modus, während in den mhd. Leichen oft ein Terzengebäude über D oder F anzutreffen ist.

3.2 Verwandte Formen

Wegen dem doch etwas befremdlichen Prinzip der Unstrophigkeit ist das Lai immer wieder mit anderen Formen Verglichen und in generische Verbindung gebracht worden. Das ist zunächst der schon descort, von dem eigentlich ausgegangen wird, dass er unter das Lai zu subsummieren ist. Eine Identität wird auch zwischen dem frz. Lai und dem dt. Leich angenommen, obwohl der Begriff im dt. (vor 1210 bei Gottfried v. Straßbourg, der es aus dem frz. entnimmt) nie in Verbindung mit epischen und nur selten mit strophischen Werken steht.

Auch wurde immer wieder die Nähe zu lateinischen, unstrophischen Gattungen wie der Sequenz, dem Plactus und dem Condutus hingewiesen und in der Tat gibt es unter den frühen Lais einige Kontrafakturen, bzw. melodische Abhängigkeiten zu lateinischen Sequenzen und Plactus. Wobei hier nicht eindeutig ausgemacht werden kann, ob die volkssprachigen oder die lateinischen Stücke Vorlage waren. Bei Fauvel sind die lateinischen Strücke der Kategorie „proses et lays“ größtenteils Condutus. Allen gemeinsam ist der Verzicht auf regelhafte Wiederkehr metrisch-musikalischer Strukturen.

3.3 Beispiele

Ein durchaus kunstvolles Beispiel sind das erste und zweite Versikel des Lai des Hellequins „En ce douce temps d’esté“ aus dem Roman de Fauvel:

En ce douce temps d’esté, tout droit ou mois de may,
qu’amours met par pensé maint cuer en grant esmay,
firent les herlequines ce descort dous et gay.
Je, la Blanche Princesse, de cuer les em priai
et vous qu’em le faisant deîssent leur penser,
se c’est sens ou folie de faire tel essay
com de mettre son cuer en par amours amer.

Je, qui suis leur mestresse, avant le commencai
et en le faisant non de descort li donnay,
Quar selon la matere ce non si li est vrai.
Puis leur dis: „Mes pucelles, moult tres grant desir ai
qu’en fesant ce descort puissons tant bien parler
qu’on n’i truist que reprendre, que pour verité sai
que pluseurs le voudront et oir et chanter.“

I.) (Longa- Brevis und Semibrevis stehen im Verhältnis 1:3:9)
A 6 | 6a
B 6 | 6a
A 7_ | 6a
B 7_ | 6a
C 6 | 6b
B‘ 7_ | 6a (Kadenz variiert)
C‘ 6 | 6b (gesamter clos variiert)
(das ganze wird 1x wiederholt)

II.) (Loga-Brevis und Semibrevis stehen im Verhältnis 1:2:6)
A 6 | 6c
B 6 | 6c
C 7_ | 6d
C‘ 6 | 6d
A 6 | 6e
B 6 | 6e

Interessant ist an diesem Stück, dass die musikalische (Großbuchstaben) und die metrische Disposition nicht unmittelbar kongruent sind, was ungewöhnlich für die mittelalterliche Lieddichtung, nicht aber für das Lais selbst ist. Außerdem interessant ist der Umstand, dass hier mittels wörtlicher Rede eine Geschichte erzählt wird. Dies und auch die melodische Prosaik, sowie Länge des Lais lassen Zweifel an der reinen Lyrizität der Gattung aufkommen, die zwar von verschiedener Seite geäußert, aber nie eingehender untersucht wurden.

3.4 Das Lai als form fixe

Geschichtlich betrachtet ist das Lais alles andere als eine form fixe, es ist heterogen und sehr veränderlich. Allerdings strebt es mit zunehmender Entwicklung hin zu einer formalen Stabilisierung, die bei Guillaume de Machaut ihren Höhepunkt erreicht. Nur zwei seiner 19 Lais weisen eine andere Struktur, als die 1392 von seinem Guillaumes Schüler Eustache Deschamps beschriebene, auf. Die Norm lautet: 12 Teile von denen der erste und letzte in Form und Reim identisch sind, ohne dass sich Reimworte wiederholen, während die anderen 10 dahingehend individuell sind, doch jeder Teil muß vier Viertel haben. Bei Machaut wird mit dem letzten Versikel nicht nur die Form und der Reim, sondern auch die Musik des ersten Versikels wiederholt, diese erklingt jedoch für gewöhnlich eine Quarte oder Quinte höher oder tiefer.

Quellen

  • Christoph März: „Lai, Leich“, in: MGG2
  • David Fallows: „Lai“, in: New Grove2
  • Hans Tischler: „Die Lais im Roman de Fauvel“, in: Die Musikforschung, XXXIV/2 (1981), pp. 165, 169-171 (GfM)
  • Leo Schrade: „Guillaume de Machaut and the ‚Roman de Fauvel‘, in: Miscelánea en Homenaje a Monsenor Higinio Anglès, Barcelona: 1958-1961, vol.2, pp. 846-849

Einige Passagen dieses Artikels sind wortwörtlich in den Wikipedia-Artikel zum Lai (Fassung vom 13.09.08) übernommen worden, also nicht von mir geklaut, sondern von mir beigestiftet.

Précis: Das Organonmodell der Sprache

Donnerstag, 03. Januar 2008

Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.

Diesmal bespreche ich „Das Organonmodell der Sprache“ von Karl Bühler, den Text, in dem der Sprachpsychologe das erste Sender-Empfänger-Modell entwirft, anhand dessen er den Signalverkehr und erste zeichentheoretische Sprachfunktionen entwickelt. Das Modell ist wegweisend für die Semiotik.

Das Organonmodell der Sprache ~ Karl Bühler

Im Abschnitt „Das Organonmodell der Sprache“ seiner „Sprachtheorie“ entwickelt Bühler ein Modell des konkreten Sprachereignisses, also dieses Moments einer Interaktion zweier menschlicher Individuen, in dem eine lautliche Äußerung getätigt wird.
Dazu weist er zunächst einleitend darauf hin, dass Sprache ein Organum (grch. Werkzeug, Mittel) der Verständigung zweier Menschen sei und dass sämtliche Funktionen, die die Sprache übernimmt, sich letztlich auf diese eine reduzieren ließen, die Funktion der Mitteilung.
Innerhalb dieser Anordnung ließen sich in drei Fundamente identifizieren, die in einer Relation zueinander stünden. So sagt Mensch (A) dem Menschen (B) etwas über die Dinge der Welt (C) und bedient sich des Mittels der Sprache, welches sich in einem akustischen Signal konstituiert.
Wie nun aus dieser Konstellation ein Dialog entsteht, versucht Bühler anschließend zu klären, indem er auf die Wichtigkeit der Kausalbetrachtung aufmerksam macht. Danach produziere ein Sprecher (A) angeregt durch einen zeitlich vorausgehenden Sinnreiz (C) ein Schallphänomen, welches selbst wiederum Stimulus des Hörers (B) sei und diesen anrege, anschließend selbst zu sprechen u.s.f. Die Gründe für den daraus resultierenden Kreislauf sind also überwiegend lautliche Äußerungen, womit Bühler auf den Signalcharakter der Sprache verweist.
In Reflexion dieser Erkenntnisse der Sprachwissenschaft kommt Bühler auf den American Behaviorism zu sprechen, in dessen Programm der Zeichenbegriff des Signals (denn ein Signal ist ein Zeichen) einen logischen, weil zentralen Ort hätte. Er geht weiterhin auf die physikalischen Aspekte des Sprachereignisses ein, in dem er den Sprecher (A) als Sender, welcher ein akustisches Signal produktiv sendet, den Hörer (B) als Empfänger, welcher dieses akustische Signal selektiv empfängt und den Dialog als Signalverkehr spezifiziert.

Bühler konstruiert sein Organonmodell der Sprache also als ein Sender-Empfänger-Modell, wobei das komplexe Sprachzeichen diverse semantische Funktionen hat: „Es ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit des ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen.“ (p. 55, unten)

Juni 2004

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Quelle: Bühler, K. Sprachtheorie. (Auszüge), 1934, in: Hoffmann, L. (Hrsg.) Sprachwissenschaft. Ein Reader. De Gruyter, Berlin/NewYork, 1996

Quoth the server 404

Montag, 10. Dezember 2007

Normalerweise ist es ja die Aufgabe meines Mannes, pr0n-relevante Inhalte in seinem Blog zu posten. Aber wegen des in diesem Falle vorliegenden, hochgradig kreativen Umgangs mit Sprache, stehe ich diesmal dafür ein.


   Auf’s Bild klicken zum Vergrößern!

Das Bild/Gedicht gehörte zu den „The web’s most interesting stories on Sat 8th Dec 2007“ auf purrl.net, also zu den interessantesten Geschichten, die das Web am gestrigen Samstag zu bieten hatte und da sage noch mal einer, die Dichtkunst wäre am Ende. Wer das Original übrigens nicht kennt, sollte unbedingt hier nachlesen.

Gedichte nach der Fibonacci-Reihe

Samstag, 13. Oktober 2007


xkcd: Comic-Strip zur Fibonacci-Reihe (draufklicken!)

Unter den Finalisten der Blogging Scholarship 2007 habe ich das Blog der Neurowissenschaftlerin Shelley Batts entdeckt und die schreibt in ihrem neusten Artikel nicht nur über die Fibonacci-Reihe, sondern auch über Gedichte, die formal auf dieser Reihe basieren. Die Fibonacci-Reihe, oft auch in IQ-Tests abgefragt, ist der Natur, dass nach zwei vorgegebenen Zahlen, Null und Eins, jede weitere Zahl die Summe ihrer beiden Vorgänger ist, also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21… Ab der 13. Stelle entspricht, das wußte ich bisher noch nicht, der Quotient einer Fibonacci-Zahl mit ihrem Vorgänger dem Goldenen Schnitt, also dem Verhältnis A : B = A + B : A oder der Zahl Φ = 1,618033…, der auch in der Kunst eine bedeutende Rolle spielt. Ähnlich wie Pi (der gleichnamige Film von Darren Aronofsky ist empfehlenswert) tauchen auch Fibonacci-Spiralen in der Natur immer wieder gerne auf.

Weil ich Mathematik, sofern sie nicht abstrakt bleibt, immer für eine spannende Sache hielt, ihre Rolle in der Kunst (allen voran der Musik) nicht leugne und sowieso immer Spaß am Spiel mit Sprache hatte, möchte ich mich an dieser Stelle ebenfalls an einem ersten Fibonacci-Gedicht probieren. Vielleicht hat ja der ein oder andere Lust, es auch mal zu probieren.

Fibonacci

Geh
nach
draußen!
Sieh dich um!
Sieh die Welt dir an!
In allen Dingen, glaube mir,
findest wieder du der Zahlen Zeichen, so auch hier…

Übrigens, es gibt ja immer wieder Leute, die mir gegenüber behaupten, im Mittelalter hätte es keine Wissenschaft und Forschung gegeben: Leonardo Fibonacci lebte von ca. 1180 bis nach 1241, also im hohen Mittelalter in Pisa und ist der Verfasser des Liber abbaci, des Rechenbuchs.

Kreatives Mißverständnis

Dienstag, 25. September 2007

Die Werbebranche ist dafür bekannt, von linguistischer Warte aus wirklich kreativ mit Sprache umzugehen. Das beginnt bei der Verwendung von Endreimen wie „Haribo macht Kinder froh!“ oder Alliterationen wie „Geiz ist geil!“ und geht bis zur Erfindung von Neologismen wie „unkaputtbar“ oder der Ingnoranz grammatischer Verb-Valenzen in „Wohnst du noch oder lebst du schon?“. Der französische Fernsehsender Canal Plus hat jedoch die Polysemie für sich entdeckt und daraus einen hervorragenden Witz gemacht. Polysemie, das ist die Begebenheit, dass zwei identische Worte gleicher etymologischer Herkunft zwei unterschiedliche Bedeutungen haben. Die Wikipedia nennt als Beispiel „Pferd“, das einmal ein Reittier ist, ein andermal eine Figur in einem Schachspiel. Canal Plus nimmt sich nun den Kaiserpinguin (frz. l’empereur) vor, aber seht selbst! (Das französischsprachige Video hat englische Untertitel, der Witz dürfte aber auch nicht verlorengehen, wenn man nur wenig versteht.)

Semantisches Web

Montag, 24. September 2007

Software, die nicht nur einzelne Worte und Sprachmuster erkennt, sondern auch deren Inhalt im Kontext versteht? Das gibt es bisher nicht. Die FAZ berichtet aber von einem britischen Forscherteam um David Crystal, das ein System entwickelt hat, das angeblich genau das tun soll. Dazu haben die Linguisten in den letzten 15 Jahren systematisch Texte und Wörterbücher gefilzt, um daraus 2000 Kategorien zur inhaltlichen Klassifizierung von Wörtern zu erstellen. Den Aufwand zahlt die Firma Ad Pepper, die sich davon erhofft, zukünftig automatisch maßgeschneiderte Werbung auf Webseiten anbringen zu können.

Den Traum vom semantischen Web scheint mir dieses System aber noch nicht zu erfüllen. Leider spricht der FAZ-Artikel nur wenig über die Zusammensetzung und Verknüpfung der Kategorien sowie die Funktionsweise der maschinellen Zuordnung von Texten. Wenn ich es richtig zusammenspinne, werden die semantischen Informationen nicht textintern mitgeliefert werden, sondern von mittels Kategorien außen an den Text herangetragen, so dass das System Texte vor dem Hintergrund dieser Kategorien auf relevante Worte (!) scannen kann. Das birgt natürlich nach wie vor die üblichen Probleme: Die Maschine analysiert explizite, also wörtliche Bedeutung (die Kategorien wurden ja mithilfe von Wörterbüchern erstellt). Um Sprache korrekt zu verstehen, ist aber oftmals eine Kompetenz über implizite Bedeutung, über Konnotation oder außersprachliche Kontexte nötig, bedenken wir nur die Schwierigkeit, die semantische Figuren, wie Ironie oder Metaphern darstellen. Auch semantische Relationen, wie Hyperonymie, Referenzidentität, etc., sind kontextbildende Instanzen. Sicher wird Crystals Team auch irgendeine Form von Interkontextualität zwischen den Kategorien entwickelt haben, wie flexibel dieses System aber vor dem Hintergrund sich wandelnder Sprache, Kontexte und Diskurse mit „nur“ 2000 Kategorien ist, ist fraglich. Aktuell könnte es nur, Kraft seiner semantischen Sprachkompetenz, durch den Menschen gehalten werden – ein Aufwand, der auf Dauer vermutlich nur wenig effizient ist. (Ich finde es schon ausgesprochen schwierig, meine Blogbeiträge aussagekräftigen Kategorien oder Tags zuzuordnen.) Trotzdem ist das Ganze ein spannendes computer-linguistisches Projekt, das nur leider unter der Fuchtel der falschen Firma steht.

Mir fehlen die Worte

Freitag, 14. September 2007

Ein Gedicht wollte ich schreiben über die schöne Kuhle, die sich über der Mündung von Schlüssel- und Brustbein ungefähr auf Höhe des 7. Wirbels vorn am Hals befindet. Seit Stunden durchwühle ich Anatomie-Seiten im Netz auf der suche nach einem Wort für dieses pittoreske Halstal. Ich habe schöne Worte wie Clavicula oder Manubrium Sterni glernt. Auch die Vertebra ist hinten sehr prominens, wenn vorn an ihr die Trachea vorüberzieht. Im Mediziner-Latein kriegen sogar häßliche Wörter wie Kehlkopf schöne, neue Namen und heißen dann Larynx. Das erinnert an Syrinx, was Nymphe, Schilfrohr, Flöte und eine wunderbare Komposition von Debussy zugleich ist. Doch mein ausgesprochen schönes Halstal hat keinen Namen bekommen. Das ist Perversion der Sprache, dass solch schöne Dinge nicht mit schönen Begriffen bedacht werden und in poetischer Hinsicht ein Skandal. Wie soll ich denn jetzt ein Gedicht darüber schreiben?

#edit: Aha, es gibt also doch einen Begriff. Das Tal heißt Drosselgrube, habe ich jetzt nach langem Suchen herausgefunden, auf Mediziner-Latein Incisura jugularis oder auch Fossa suprasternalis. Na toll, das ist also die Grube, wo man hingreift, wenn man jemanden erdrosseln möchte. Großartig! Jugularis, das klingt schon als würde man gerade erdrosselt. *jürgelgürgel* Da kann man allenfalls ein Satyricon, aber kein Eroticon drüber schreiben: „Da fall ich vor der Dame um und plumse in ihr Jugulum.“ Das ist ja wirklich zum Haare raufen!

Neurokognition musikalischer Zeichen

Donnerstag, 12. Juli 2007

In diesem Semester ist es meine Abschlußaufgabe, ein musikalisches Stück meiner Wahl nach semiotischen Gesichtspunkten zu analysieren. Wie steht es aber um die musikalische Semiotik und welche Analysemethoden sollte ich anwenden? Um dieser Frage näher zu kommen, schaute ich mir an, wie Musik im Gehirn verarbeitet wird, in der Hoffnung, dadurch mehr über die Beschaffenheit musikalischer Zeichen zu erfahren. Meine Ergebnisse habe ich in diesem Essay zusammengefaßt.

Neurokognition musikalischer Zeichen

Auf der Suche nach einer musikalischen Semiotik, also einer Theorie des Zeichensystems Musik, ging ich von einer oft gehörten Behauptung aus, nämlich der These, dass Sprache und Musik sehr viel gemeinsam haben. Aber worin bestehen diese Gemeinsamkeiten? Sprache ist ein Zeichensystem, genau wie Musik. Aber die sprachlichen Zeichen (z.B. Wörter) sind größtenteils Symbole – es gibt eine stillschweigende Übereinkunft darüber, was sie bedeuten. Dog, chien oder Hund beziehen sich alle auf ein vierbeiniges Säugetier der Familie Canidae. Aber die Wörter haben mit dem Ding an sich nichts gemein. In der Musik ist das ein bisschen anders. Zwar gibt es auch dort Symbole, aber größtenteils können wir nicht sagen, eine Tonfolge, ein Motiv oder ein Rhythmus stünde für dieses oder jenes Ding in der Welt. Dennoch schient Musik eine Bedeutung zu haben, denn sie kann verschiedene Individuen in ähnliche Stimmung versetzen oder ähnliche Assoziationen bei ihnen hervorrufen. Aber wie funktioniert diese Verbindung zwischen der Erscheinungsform eines musikalischen Zeichens und seines Bedeutungsinhaltes?

Ich dachte mir, dass mir die Kenntnis darüber, wie ein musikalisches Signal im Gehirn verarbeitet wird, vielleicht bei der Frage weiterhelfen könnte, wie musikalische Zeichen beschaffen sind. Musik ist wie Sprache ein akustisches Signal zeitlicher Dimension, das charakterisiert durch Frequenz und Rhythmus durch’s Ohr in unser Bewußtsein dringt. Lange glaubte man, bei der Verarbeitung von Musik würden exakt die Areale auf der rechten Hirnhälfte aktiv, die auf der linken Seite für die Sprachverarbeitung zuständig sind, z.B. das Broca-Areal und das Wernicke-Areal. Experimente einer Forschergruppe des Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig1 lieferten dahingehend spannende Ergebnisse. Hörer reagierten auf musikalische Inkongruenzen, wie unerwartete oder dissonante Akkorde, mit einer starken Hirnaktivität in dem dem Broca-Areal gegenüberliegenden Bereich. Auch wenn das nicht für die Theorie Sprache links und Musik rechts spricht, so spricht es doch für einen semiotischen Aspekt. Wenn das Gehirn auf der rechten Seite in gleicher Weise gegen Störakkorde protestiert, wie es auf der linken Seite gegen grammatische Störungen in der Sprache protestiert, so ist das ein Indiz für eine musikalische Grammatik, also ein Regelwerk der Formenzusammensetzung musikalischer Zeichen.

Ebenso wie mich interessiert die Forscher nun, ob es demzufolge auch eine musikalische Semantik gibt. Trotz einiger Experimente scheint dies noch immer schwer zu sagen, denn man ist sich uneins darüber, welche Merkmale überhaupt eine musikalische Semantik evozieren. Es scheint dabei um Emotionen, Affekte, aber auch Programmatik und Bekanntheit gehen. So zeigten weitere Experimente des MPI-Teams z.B., dass das Gehirn relativ schnell auf bekannte Melodien reagierte, während es über unbekannte länger nachgrübelte. Womöglich gibt es sogar eine Art Lexikon, das musikalische Phrasen speichert, aber so richtig weiter bringen, tut mich das noch nicht.

Dies Frage nach der Semantik ließ mich nicht ruhig und ich wollte weiter in die neurologischen Verarbeitungsprozesse eindringen. Auf einen interessanten Ansatz stieß ich bei Jeff Hawkins, der einst am MIT künstliche Intelligenz erforschte und in seinem Buch „On Intelligence“2 über die Funktionsweise des Kortex‘ schrieb. Die Verarbeitung von auditiven, visuellen oder somatosensorischen Sinneseindrucken erfolgt nämlich in mehreren stemmatischen angelegten Schichten, die alle gleichermaßen versuchen die Muster und Sequenzen von Signalen wiederzuerkennen und Prognosen darüber anzustellen, welches Muster als nächstes die Wahrnehmung treffen müßte. Dabei nehmen die tiefer liegenden Schichten kleinteiligere, detailliertere Muster wahr, ordnen den zusammenhängenden unter ihnen einen „Namen“ zu und geben diesen „Namen“ an die nächst höhere Schicht weiter. Die nächst höhere Schicht nimmt dann schon einen nicht mehr ganz so kleinen, weniger detaillierten Teil des Musters wahr, ordnet Zusammenhängendem wiederum einen „Namen“ zu und gibt ihn an die nächst höhere Schicht weiter, bis dann im Assoziationsfeld ein ganzheitlicher Eindruck z.B. eines Gesichtes, einer Tonfolge oder eines gefühlten Gegenstandes ankommt. Gleichzeitig gibt jede Schicht ihre Prognose darüber ab, was die Wahrnehmung als nächstes trifft, denn anhand der Namensgebung werden bekannte Sequenzen erkannt. Zu jedem reinkommenden Signal gibt es also ein Feedback. Da alle Hirnregionen mehr oder weniger eng miteinander verknüpft sind und ein großes Netzwerk bilden, kann zum Beispiel auf den Höreindruck von Schritten das visuelle Feedback erfolgen, dass demnächst eine Person in meinem Blickfeld auftaucht. Auch an den motorischen Kortex wird ein solches Feedback weitergegeben. Die Prognose ist hier eine Handlungsanweisung, z.B. sich erschreckt umzudrehen, wenn man hinter sich im dunklen Wald plötzlich ein knackendes Geräusch hört und dabei ein bisschen Adrenalin auszuschütten.

Es ist ein Verhalten, eine Erkennensreaktion, die dem graphischen Muster |HUND| im Gedächtnis die Assoziation eines zottigen Vierbeiners hervorruft. Aber auch beim Hören einer Melodie etwas zu fühlen, ist ein Verhalten, denn das Gehirn reagiert auf das Erkennen eines musikalischen Musters oder einer musikalischen Sequenz mit bestimmten elektrischen Impulsen oder der Ausschüttung bestimmter Hormone, was wir u.U. als Gefühl wahrnehmen. Was wir assoziieren, wenn wir das Wort „Hund“ lesen, klärt uns über die Semantik der Sprache auf. Was wir assoziieren, wenn wir eine Melodie, einen Rhythmus, eine Sinfonie hören, verweist uns hingegen auf die Semantik der Musik, egal ob wir es abstrakt fühlend, denkend oder vor dem inneren Auge sehend assoziieren.

Auf meiner Suche nach einer Semiotik der Musik hat mich die Betrachtung der kognitiven Verarbeitung musikalischer Signale also schon sehr viel weiter gebracht. Ich habe Argumente gefunden, die für das Vorhandensein einer musikalischen Syntax (also einer zeichentheoretischen Formebene) sprechen und gleichzeitig eine Idee davon bekommen, wo nach einer musikalischen Semantik (also einer zeichentheoretischen Bedeutungsebene) zu suchen ist. Unklar ist nachwievor, welchen Regeln die musikalische Grammatik folgt und nach welchen Kriterien die semantische Assoziation erfolgt.

Es ist naheliegend, davon ausgehen, dass es die musikalische Grammatik nicht gibt. Denn ebenso wie sich das Griechische und das Indische sprachlich unterscheiden, unterscheidet sich auch die griechische von der indischen Musik. Beide folgen einem eigenen systematischen Regelwerk. Es ist Aufgabe der Musikethnologen und -historiker, näheres darüber in Erfahrung zu bringen. Doch auch hier mag man (wie Chomsky in bezug auf die Sprache) über mögliche universelle Aspekte spekulieren. Denn immerhin sind Grammatik und Semantik auch in einem Sprachsystem nicht immer sauber zu trennen und bedeuten tun letztlich alle sprachlichen Formen Dinge in der realen Welt. Zwischen der realen Welt in Indien und der in Griechenland gibt es viele Unterschiede – aber es gibt eben auch unleugbare Gemeinsamkeiten.

Die Zuordnung sprachlicher Formen zu ihren Bedeutungen in der realen Welt basiert auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, einem Code. Deshalb sprechen wir bei sprachlichen Zeichen von Symbolen. Im Gegensatz dazu stehen Ikonen, wo die Relation zwischen Form und Bedeutung eines Zeichens auf Ähnlichkeit basiert, und Indices, wo die Relation auf der Kontiguität von Zeichen und Bedeutung beruht. Wir haben uns irgendwann geeinigt, dass der haarige Vierbeiner der Familie der Canidae Hund oder dog oder chien heißt; als Kinder haben wir es von unseren Eltern so gelernt. Bei der Musik ist das nicht so einfach. Es steht fest, dass das graphische Zeichen der Viertelnote das zeitliche Längenverhältnis eines Tons von 1:4 kennzeichnet, einige haben sich geeinigt, dass das „ta-ta-ta-da“ am Anfang der Fünften Sinfonie von Beethoven ein Schicksalsmotiv ist und vielleicht mögen zwei Menschen auch darin übereinkommen, dass sie ein und dasselbe Stück beide als traurig oder agressiv empfinden. Aber systematisch untersucht hat man das bisher nur wenig, undzwar weil es noch keine etablierten Analysemethoden gibt. Die Musiksemiologie versucht, solche zu finden und anzuwenden und anhand ihrer Arbeit mehr Aufschluß über das Zeichensystem Musik zu erlangen.
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Quellen:

1. Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften: Spiegelbild der Sprache – Neurokognition von Musik, Leipzig 2004
2. Jeff Hawkins, Sandra Blakeslee: On Intelligence. How a new understanding of the brain will lead to the creation of truly intelligent machines, Times Books, New York 2004
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Ich bitte zu beachten, dass es sich bei diesem Text um einen Teilvorentwurf zu meiner inzwischen veröffentlichten Semesterarbeit Fumeuse speculations. An Essay on Musical Semiotics and a Semiotic Analysis of the Fourteenth Century Rondeau „Fumeux fume“ [Link] im Fach Musikwissenschaft handelt. 😉

det/dit – Oogn uff!

Mittwoch, 04. Juli 2007

Es gibt ja einen Grund dafür, dass der Berliner zwar Oogn für „Augen“, aber nicht oof für „auf“, sondern allenfalls uff sagt. Das liegt daran, dass [au] und [au] ganz früher mal zwei unterschiedliche Vokale waren. Alles, was früher schon Diphtong [au] war, wird im Berlinerischen heute zum Monophtong [o:]. Was aber früher Monophtong [u:] war (wie z.B. mhd. ûf), ist im Berlinerischen heute Diphtong [au] oder eben kruzes [u]. Vieles, was einem Nichtberliner willkürlich erscheinen mag, wie dieses [au] zu [o:] oder zu [u], ist in Wirklichkeit sehr regelmäßig, wenn man die Gesetzmäßigkeiten kennt. Dem Durchschnittsberliner ist das natürlich nicht bewußt, er macht es intuitiv richtig.

Mir ist aber an mir selbst eine andere Regelmäßigkeit aufgefallen und ich konnte bisher nicht ergründen, ob das nur in meinem Sprachgebrauch funktioniert oder ob es auch anderen Berlinern so geht. Die Rede ist von „det“ und „dit“. Im Artikel zum Berlinischen erklärt die Wikipedia, det hieße „das“ und dit hieße „dies“. Das kleine Lexikon der Berliner Mundart versteht unter det und dit in jedem Falle „das“ und die Tony Mahoni Kommentatoren auf Spreeblick streiten sich noch, ob es det im Berlinerischen überhaupt gibt.

Ick bin Berlina inna ßweetn Jeneration und bai mia is dit so, det ick dit fawende, wenn ick n Aatikl oder n Pronom meine, det ick aba det saje, wenn ick die Konjunktion meine.
Zu Deutsch: Ich als waschechter Berliner in der zweiten Generation verwende dit für den Artikel und das Pronomen „das“ und det für die Konjunktion „daß“ oder „dass“ – und zwar ziemlich regelmäßig. Vielleicht fällt es mir deshalb weniger schwer, nach einem Komma das richtige „das/s“ zu schreiben. Genausogut könnte es aber sein, dass ich den syntaktischen Unterschied zwischen einem Pronomen und einer Konjunktion so gefressen habe, dass ich zwischen det und dit auch im Berlinerischen Sprachgebrauch unterscheide.

Watt meint denn iha annan Berlina daßu?

Lebendige Sprache verändert sich

Donnerstag, 28. Juni 2007

Konrad Lischka ärgert sich in einem plakativen Spon-Artikel über Anglizismen, neue Verben und ähnliche Eigendynamik der deutschen (Internet-)Sprache. Sittenstreng verurteilt er den Gebrauch von Wörtern wie „Googlen“ oder „downloaden“ und beschwört seine eindimensionale Betrachtung unter Berufung auf das stillschweigende Kopfnicken ach so vieler Spon-Leser.

Auch wenn ich ab und an mal Spon klicke – meine Zustimmung als Spon-Leser hat Lischka mit seinem Sprachspießertum nicht. Ja, ich gebe zu, ich gebrauche „downgeloaded“ auch lieber als „gedownloaded“, einfach weil es der mir gewohnten Morphologie entspricht. Aber dass das Wort so oder in ähnlicher Form im aktiven deutschen Sprachgebrauch ist, zeigt, dass es nicht nur von einer nicht wegzudiskutierenden Zahl Deutschsprechender angewandt, sondern offenbar auch verstanden wird. Was kann also verkehrt, schändlich oder ärgerlich an einem solchen Wort sein?

Natürlich verändert sich eine lebendige Sprache und es ist keine unerhörte Neuerung, dass dabei Wörter aus anderen Sprachen entlehnt und integriert werden. Gäbe es diese Möglichkeit zur Veränderung nicht, hätten heute viel gebrauchte lateinische Fremdwörter wie „Fenster“ oder „Mauer“ nie Einzug in die deutsche Sprache erhalten. Unerhört? In der Spätantike war eben Latein die schicke Fremdsprache, im 17./18. Jahrhundert war es Französisch und heute ist es eben Englisch. Sprachliche Veränderungen passieren nicht aus bösem Willen. Sie sind Zeugen der sich verändernden Umwelt oder reflektieren deren veränderte Wahrnehmung. Sie sind höchst pragmatischer Natur und in vielen Fällen auch Mittel zur Sprachökonomie. Es ist kompliziert zu sagen – das kannst du in der Internet-Suchmaschine Google eingeben – wenn es – das kannst du googeln – auch tut. Zumal hier auf einen Referenten verwiesen wird, für den in dieser Form vorher überhaupt noch kein deutscher Begriff existierte. Sprachveränderung ist auch semantische Bereicherung!

Was passiert, wenn man einer Sprache (aus welchen Gründen auch immer) die Möglichkeit zur Veränderung beschneidet, kann man deutlich am strengen Gebrauch des Lateinischen im Vatikan erkennen. Man könnte „Computer“ oder „Flugzeug“ sagen, aber dafür gibt es im Lateinischen ja keine Wörter, deshalb müssen da Hilfs-Konstruktionen erfunden werden. Für Computer steht dann Maschine, die Informationen anhand von binären Stromzuständen speichert… – ach so, für „Strom“ gibt es natürlich auch noch kein lateinisches Wort. Man kann es sich durch selbst auferlegte Normen also auch echt kompliziert machen – aber wer will das denn?

Wollen kann das nur die Klientel, der die Veränderungen in der Welt über den Kopf wachsen, weil sie mit deren Tempo nicht mehr mithalten kann oder will. Diese Klientel ärgert natürlich auch der Umgang mit neuen Wörtern, weil ihr das natürlich vor Augen führt, dass sie an irgendeinem Punkt in der Vergangenheit stehengeblieben ist und nicht mehr zur Gruppe der Versteher, der Checker, der Insider gehört. Natürlich zeugt auch für mich der unbewußte Gebrauch von Fremdwörtern oder deren unbeabsichtigte Verballhornung von sprachlicher Inkompetenz – die Verweigerung gegenüber natürlicher* Sprachentwicklung und deren daraus folgende pauschale Verurteilung tut es aber ebenso. Man muß sich einem Trend nicht sprechend anpassen, mitunter kann ein individueller Sprachgebrauch ja auch sehr schön sein. Aber mit dem Sprachhorizont einer knienden Ameise und dem Wortschatz der Dudenausgabe von 1880, disqualifiziert man sich trotz dilettantischem Getue in jedem Falle vor allen echten Sprachmagnaten.
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*edit: Da unklar ist, ob Sprache überhaupt etwas Natürliches ist, ist diese Formulierung fehl am Platze.