Archiv für September 2006

Chaosradio 117: Wahlcomputer

Mittwoch, 27. September 2006

Chaosradio ist die monatliche Live-Talk-Sendung des CCCB im Rahmen des Blue-Moon auf Radio Fritz. Diesmal geht es da um das Thema „Wahlcomputer“ und neben Holger, Ulrich und Tim ist diesmal auch mein Lieblings-Nerd Andreas wieder mit dabei, um euch zu erzählen, was es mit diesen „Wahlmaschinen“ auf sich hat, die demnächst die Zettelwahl ersetzen sollen. Der hat sich mit dem Thema nämlich jüngst sehr intensiv befaßt, wie ihr in seinem Blog nachlesen und heute Abend ab 22:00 auch bei Radio-Fritz hören könnt.

Jedem, dem sein letztes bisschen verbliebener Demokratie noch am Herzen liegt, empfehle ich, in die Sendung reinzuhören und sich mal von den Leuten, die sich damit auskennen, etwas über die Technik und deren Hintergründe erzählen zu lassen.

Falls ihr nicht im Raum Berlin-Brandenburg wohnt oder, wie ich, kein Radio besitzt, könnt ihr die Sendung auch über Livestream mitverfolgen oder später als Podcast herunterladen: Wahlcomputer. Der schleichende Untergang der öffentlichen Kontrolle.

Dem flatterhaften Kaffee kochen?

Mittwoch, 27. September 2006

Ich hatte ja vor kurzem vom positiven Verlauf meiner „Bewerbung um ein Praktikum beim Zwiebelfisch“ berichtet (/node/99). Einige vielversprechende E-Mail-Wechsel mit einer Redaktionsmitarbeiterin, bei der wir bereits eine Terminabsprache für ein Praktikum 2007 machten, ließen weitere Hoffnungen in mir keimen.

Im August bekam ich nun doch noch eine Absage von Herrn Sick und mußte erst einmal nachfragen, ob das jetzt das offizielle Schreiben zu meiner 2006 Bewerbung sei oder auch für 2007 gelte. Es gelte auch für 2007 antwortete mir die Redaktionsmitarbeiterin. Also doch kein Praktikum bei SpOn, dachte ich mir. Aber nett, dass Sick in seiner Ablehnung nicht vergaß, noch fleißig Werbung für seine nächste Lesung in Berlin zu machen. Zu schade, dass ich an dem Tag selbst ein Konzert habe, sonst wäre ich sicher hingegangen.

Wer weiß, was nun letztlich diesen späten Stimmungswechsel hervorgerufen hat. Vielleicht hat Herr Sick ja in meinem Blog gelesen, dass ich keinen Kaffee für ihn kochen möchte und sich dann in flatterhafter Gesinnung doch noch für irgendein weniger charkaterstarkes Blondchen entschieden und ich lebe weiterhin am Rande der Existenz, was vermutlich eh besser für mich ist.

So und an dieser Stelle höre ich nun auf zu jammern und mich selbst zu bemitleiden, denn mein Schatz bringt mir gerade einen frisch gebrühten Kaffee der frisch handgemahlenen Guatemala Antigua Bohne mit frisch aufgeschäumter, leicht gesüßter Biomilch, nicht zu verwechseln mit irgendeiner Plörre aus dem Büro-Kaffee-Automaten.

Mozart abgesetzt

Dienstag, 26. September 2006

Gestern hatte ich noch stark überlegt, ob ich darüber schreiben sollte, aber eigentlich ist es zu absurd: Die Deutsche Oper setzt Neuenfels‘ Inszenierung der Mozart-Oper „Idomeneo“ aus Angst vor islamistischen Anfeindungen vom Spielplan ab. Laut LKA sei der Stoff gefährdet, weil der kretische König in der Schlußszene neben Neptuns, Buddhas und Jesus‘ abgetrennten Kopf auch den Mohammeds auf einen Stuhl stelle. Da kann man eigentlich nur noch mit selbigem schütteln.

„Terror“ ist das Schlagwort der Stunde, das weiß jeder. Wir werden zu Sklaven unserer Angst, streichen uns in unserem Sicherheitswahn zuerst unsere freiheitlich demokratischen Rechte und verhelfen damit dem destopischen „1984“-Stoff auf die Bühne der Realität und als wäre das nicht genug des Übels, zensieren wir nun also auch unser abendländisches, kulturelles Erbe. So machen wir uns unsere schöne, neue Welt, auf dass sie auch „den Terroristen“ gut gefällt.

#edit: Ein Gutes scheint ja der Ganze Trubel um die Oper jetzt doch noch zu haben und wer weiß, vielleicht war ja auch genau das die Absicht der Intendantin. Das Nachdenken über die eigentlichen Auswirkungen des Terrors, Angst- und Panikreaktionen, hat die Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit getroffen und endlich, endlich beginnt sie sich zu fragen, ob Selbstzensur und Freiheitsbeschränkung im Namen der Sicherheit tatsächlich die richtigen Lösungen für dieses Problem sind.

stay fictional

Montag, 25. September 2006

Juli Zeh möchte die Authentizität zur Hölle jagen und dabei kann ich sie eigentlich nur unterstützen. Was ich schon seit einiger Zeit kritisch beäuge und gedanklich bereits in zwei Artikeln formulierte, ist jetzt auch im Literatur-Teil der ZEIT angekommen. Diese erkennt die Ursache für die zunehmend alarmierende Zensur literarischer Kunst in der Unfähigkeit der Leser und dem Unwillen der Autoren zwischen literarischen Fikts und realen Fakts zu unterscheiden und proklamiert die bewußte Hinwendung zur Fiktion und die Erneuerung des stillschweigenden Abkommens zwischen Leser und Autor.

Wettbewerb oder Bewerbungswette

Donnerstag, 21. September 2006

Wenn ich mir die Anzeigen zu einigen sogenannten Literaturpreisen und Schreibwettbewerben so anschaue, dann komme ich mir als Laienautor schon oftmals mehr als verarscht vor. Unter Ausnutzung unserer Unwissenheit und Unerfahrenheit werden wir mit kruden Angeboten gelockt, um dann Opfer von Werbemaschen und Ausbeutung zu werden. Die Teilnahme an seriösen Wettbewerben bleibt uns hingegen oftmals durch Auflagen wie den Nachweis einer eigenständigen Printveröffentlichung oder die Anmeldung durch den Verlag verwehrt.

Es klingt eigentlich nach einem prima Angebot: Kleinverlag X/Y veranstaltet einen Gedichtwettbewerb, an dem jeder Autor mit einer gültigen E-Mail-Adresse teilnehmen kann. Die Gewinnertexte werden auf der eigenen .de.vu oder mein-verlag.tk Homepage veröffentlicht und zusammen mit den übrigen Einreichungen kostenlos in einer Anthologie herausgegeben. Teilnehmer können den Band dann zu einem Vorzugspreis von nur X€ käuflich erwerben. Klasse! Wer von uns wollte nicht schon immer in einem echten Buch veröffentlicht sein? Beim zweiten Hinsehen entpuppt sich das ganze aber als eine Art Dauerwerbesendung und da man nun schon seine E-Mail-Adresse abgegeben hat, bleibt man auch in Zukunft nicht von lästigen Werbemails verschont.

Im Urhebergesetz gibt es einen Artikel [§32], der jedem Urheber eines kreativen Werkes, wie einem Gedicht oder einer Kurzgeschichte, ein Recht auf angemessene Vergütung zugesteht. Wird der Text eines professionellen Autors durch einen professionellen Verlag veröffentlicht, so wird vertraglich geregelt, dass der Autor für die Einräumung von Nutzungsrechten an seinem Text vom Nutzer bezahlt wird, meist bekommt er zusätzlich Freiexemplare. Kleinverlag X/Y erhebt die Veröffentlichung selbst zum Preis, kommt damit kostenlos an Material und schlägt noch sichere Profite aus dem Verkauf unter den Autoren (die natürlich ein Exemplar ihrer stolzen Veröffentlichung haben wollen). Damit sind geringe Produktionskosten und der Absatz des Produktes von vornherein gesichert. Dass die Qualität dabei auf der Strecke bleibt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche, interessiert aber scheinbar keinen.

Die Juroren beim Literaturpreis „Elysium“, den der Club der raren Schreibkunst e.V. 2005 durchführte, sahen sich z.B. unfähig unter den vielen, guten Einsendungen einen Gewinnertext zu bestimmen und wählten die Preisträger dann per Zufallswahl, indem sie alle eingereichten Texte in die Luft warfen und drei der fliegenden Zettel herausgriffen. Der Websiteverlag verzichtete 2005 ganz auf Juroren und eine Textauswahl. Es sollte ein Wettbewerb der Lyrikforen sein. Jedes Forum sollte selbst Texte auswählen, diese zusammenstellen, lektorieren und für den Druck vorbereiten, freilich honorarlos. Der Websiteverlag übernahm dann die Herstellung des Buches und den Verkauf. Gewinner des Wettbewerbes (und das schlägt dem Faß eigentlich den Boden aus) würde das Forum, dessen Buch sich am besten verkaufe. Also liebe Forenmitglieder: alle fleißig kaufen, wenn ihr wollt, dass euer Forum gewinnt!

Der FiFa-Verlag bittet in der Anzeige zu seinem gerade laufenden Schreibwettbewerb darum, nähere Informationen per E-Mail anzufordern. Das tat ich. Ich erhielt drei Antwortmails. Man wies mich darauf hin, dass die Einreichungsfrist eigentlich abgelaufen sei, ich aber trotzdem noch Texte einreichen dürfe, die dann an eine Jury weitergereicht würden, sobald ich meine Teilnahmegebühr von 10 € bezahlt hätte. Weitere Infos zum Wettbewerb würde ich auch erst nach Bezahlung erhalten. Das Geld würde natürlich gebraucht, um eine CD-R zu brennen, die per Post an alle Teilnehmer geschickt werde und alle Einreichungen als .doc-Files [!] enthalte. Mal abgesehen davon, dass man eine solche CD vielleicht überhaupt nicht haben möchte, weil eh nur ungefilterter Schund darauf ist, ist die auch für jeden, der nicht das teure MS-Office-Packet installiert hat, völlig nutzlos. Es sei denn, sie ist vergoldet, was man bei einem Preis von 10€ für eine postalisch verschickte CD-R mit fucking .doc-files vielleicht erwarten könnte. Wer nun aber partout diese 10 € nicht zahlen möchte, hat natürlich die Möglichkeit, um den Beitrag herumzukommen, z.B. indem er Bücher des Verlages kauft, rezensiert oder aber bezahlte Lesungen des Inhabers an seiner Schule vermittelt und weil es so schön ist und man ja seine E-Mail-Adresse schonmal abgegeben hat, bekommt man auch gleich noch den kostenlosen Newsletter des Verlages im Anhang, ob man will oder nicht. Dass es sich wiederum um ein praktisches .doc-File handelt, erleichtert nur die Entscheidung, es einfach ungeöffnet ins killfile zu hauen, wie es sich für Spam gehört. *PLONK*

Sich dann als anspruchsvoller Online-Poet dann auf die seriösen Wettbewerbe zu stürzen, mißlingt: Beim gerade laufenden Literaturwettbewerb des Hauses der Demokratie darf man nur dann teilnehmen, wenn man eine Veröffentlichung vorzuweisen hat. Die Nachfrage bestätigt, dass Beiträge in Anthologien oder im Internet natürlich nicht als Veröffentlichungen gelten. Lautet die Teilnahmebedingung aber, dass die eingereichten Texte unveröffentlicht sein müssen, wie beim Open-Mike-Wettbewerb der LiteraturWERKstatt Berlin, ist jeder Beitrag in einer Anthologie oder im Internet selbstverständlich eine Veröffentlichung. Nur, wer entweder am Fließband produziert oder sich bereits bei einem Verlag etabliert hat, kann da noch mithalten. Verstehe einer die seltsamen Gesetze der Wettbewerbe und Bewerbungswetten…

Kleinkind läßt grüßen

Mittwoch, 20. September 2006

Manchmal kommt man sich ja unter Hobbypoeten und Tagebuchdichtern im Netz echt wie im Kindergarten vor. Da äußert man sich in einem seiteneigenen Gästebuch kritisch über Inhalte und Gestaltung eines Web-Projektes und schon wird man vom wütenden Besitzer mit tausenden Spammails zugeseiert. Da erklärt er einem großmütig, er würde den Eintrag nicht löschen, weil er so einmalig wäre, schickt dann aber sarkastisch „Besucher-Awards“, lateinische Bauernweisheiten und zu guter letzt schlechte in Gedicht-Layout formatierte Texte in E-Mails an den Besucher, der es tatsächlich gewagt hat, Kritik zu äußern. Da läßt wirklich das Kleinkind grüßen. De profundis clamavi ad te, Domine.

Tipps zum Urheberrecht

Sonntag, 17. September 2006

Wer von uns Online-Poeten, kennt das nicht? Auf einer fremden Seite, vielleicht gar unter einem fremdem Namen prangt unser eigenes Gedicht, das da offenbar ganz ohne unser Wissen veröffentlicht wurde. Wenn dann das Gefühl der Verwunderung von dem der Wut abgelöst wird, fragt sich der eine oder andere: „Ja, dürfen die das denn, kann man da nicht was tun?“ Ja, man kann. Hier stelle ich einige Tipps für Online-Poeten zum Thema Urheberrecht zusammen. Wer Fragen oder Ergänzungen hat, fühle sich frei, diese hier anzubringen.

Das Urhebergesetz (UrhG)

Das Urhebergesetz (UrhG) ist ein Gesetz zum Schutz der Rechte von Urhebern kreativer Werke, wozu auch Gedichte und Essays, nicht aber Briefe gehören. Jeder, der ein kreatives Werk geschaffen und dieses irgendwo im Netz veröffentlicht hat, ist demnach Urheber und genießt den Rechtsschutz, den das Urhebergesetz für ihn bereitstellt.

Das Gesetz besagt unter anderem, dass der Urheber bestimmt, ob und in welcher Form sein kreatives Werk veröffentlicht werden darf [12(1)] und dass er ein Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft hat [13(1)]. Das heißt zu Deutsch, dass sich jeder, der euer Gedicht irgendwo veröffentlicht hat, selbst wenn er euren und nicht seinen Namen darunter schreibt, erst einmal strafbar macht, wenn er euch nicht vorher um Erlaubnis gebeten hat und ihr diese erteilt habt. Schreibt er dann auch noch seinen eigenen Namen drunter, plagiiert er also euer Werk, macht er sich doppelt strafbar, ganz davon abgesehen, dass das auch höchst unmoralisch ist. Einen Rechtsverstoß dieser Art könnt ihr also zur Anzeige bringen.

Nicht, dass ihr das jetzt falsch versteht. Jeder, der euer Gedicht privat kopiert, einem Freund per E-Mail schickt oder zu hause auf sein Klopapier druckt, darf das natürlich sowieso schon tun und macht sich auch nicht strafbar, wenn er euch vorher nicht um Erlaubnis bittet. Der rechtliche Schutz beläuft sich auf die öffentliche Nutzung. Wenn ihr euer Gedicht also unveröffentlicht in der Schublade bewahrt habt, ist das Ganze eh hinfällig.

Zitate und Quellenangaben

Ein weit verbreiteter Irrglaube besagt, es sei okay, fremde Werke zu veröffentlichten, wenn man nur gescheite Quellenangaben macht. Dass dem nicht so ohne weiteres so ist, sollte aus dem vorhergehenden Absatz deutlich geworden sein. Für Verwirrung sorgt vermutlich Artikel 63 UrhG, der die Nutzungsbeschränkung unter der Prämisse, dass Quellenangaben gemacht werden, aufzuheben scheint. Das tut er auch, jedoch gilt das nur für ganz bestimmte Sonderfälle, die man genau kennen sollte, z.B. für Zitate.

Zitate [§51] dürfen in einem „durch den Zweck gebotenen Umfang“ veröffentlicht werden, z.B. in eigenständigen wissenschaftlichen oder kreativen Sprachwerken. Wenn ihr z.B. eine längere Interpretation schreibt oder eine Buchbesprechung oder aber ein eigenes Gedicht, in dem ihr auf ein geschütztes Werk anspielt, so dürft ihr das, wenn [!] ihr gescheite Quellenangaben macht. Ohne Quellenangabe kein Zitat und ohne Zweck schon gar nicht.

Dauer und Schutz

Jedes kreative Werk eines Zeitgenossen, egal ob es in einem Printmedium oder im Internet, ob es von einem namhaften Autoren oder von Mausi und Pinki auf ihrer Knuddelshomepage veröffentlicht wurde, ist durch das Urhebergesetz geschütz, steht also unter dem „Copyright“ seines Urhebers. Wann das Copyright verlischt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich, normalerweise gilt es bis zu 70 Jahre nach dem Tod seines Verfassers [§64]. Wurde ein Werk pseudonym veröffentlicht, gilt das Copyright bis zu 70 Jahre nach der Veröffentlichung [§66].

Maßnahmen bei Verstoß

Jeder Inhaber, Administrator oder Anbieter einer deutschen Website hat die Pflicht, ein Impressum (oder gleichwertige Kontaktmöglichkeiten) auf seiner Seite anzubringen, so dass er im Falle von Rechtsverstößen erreichbar ist. Sucht also zunächst einmal nach Kontaktdaten. Habt ihr welche gefunden, wendet euch an die Verantwortlichen. Weist sie auf den Rechtsverstoß hin, gebt die Stelle an und am besten auch die Referenz auf das UrhG und bittet sie, den Text entweder von der Seite zu nehmen oder in eine Form zu überführen, die euch angemessen erscheint, z.B. mit eurem Copyright-Symbol darunter. (Was genau getan werden soll, entscheidet ihr.) Setzt am besten auch eine Frist, bis zu der das Ganze geschehen sein soll. Reagiert der Verantwortlich nicht, wendet euch an die nächst höhere Instanz oder laßt von einem Anwalt eine Abmahnung schicken. (An der Abmahnung verdient übrigens nur euer Anwalt und nicht ihr.)

Falls es zu Streitigkeiten kommen sollte, kann es von Vorteil sein, wenn ihr von der rechtswidrigen Veröffentlichung einen Screenshot habt. Dazu installiert ihr entweder ein kostenloses Programm oder nutzt die Print-Taste auf eurem Rechner. Falls ihr dann eine E-Mail schickt, laßt euch den Empfang bestätigen, bei einem Fax hebt das Protokoll auf.

Solltet ihr auf einer Seite tatsächlich kein Impressum finden, was ebenfalls rechtswidrig wäre, könnt ihr über einen Unix-Rechner eine Whois-Abfrage machen. Wenn euch kein Unix-Rechner zur Verfügung steht, könnt ihr eine solche Abfrage auch über folgenden Web-Client machen: http://www.gulli.com/tools/whois/. Dort gebt ihr einfach die Domain z.B. „gedichte.com“ ein und klickt auf go.

Urheberschaft beweisen

Es kann unter Umständen dazu kommen, dass ihr eure Urheberschaft beweisen müßt. Das könnt ihr auf verschiedene Wege tun. Am einfachsten ist es, wenn ihr beweist, dass ihr der/die Erste ward, der/die das Gedicht veröffentlicht hat. Dabei hilft euch jede Veröffentlichung mit Zeitstempel, z.B. ein Eintrag in einem öffentlichen, nicht von euch administrierten Forum, ein Cache oder ein Screenshot mit Datum. Falls ihr mit einem Text öfter im Netz vertreten seid, kann auch Gewicht haben, dass ihr als Urheber öfter genannt seid, als bpsw. der Plagiator. (Deshalb ist es vielleicht überhaupt sinnvoll, auch dafür zu sorgen, dass das so bleibt.) Außerdem könnt ihr Zeugen bereitstellen, die für euch aussagen. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, schickt sein Gedicht in einem versiegelten Umschlag per Einschreiben an sich selbst. Der Brief bekommt dann einen amtlichen Zeitstempel bei der Post. Zuhause öffnet ihr ihn nicht. Erst wenn es um die Wurst geht, also ihr in echter Bedrängnis seid, eure Urheberschaft beweisen zu müssen, öffnet ihr den Brief unter Zeugen.

Lizenzen

Wenn ihr z.B. wie ich, den Open Access Gedanken unterstützt, und die kostenlose, öffentliche Zugänglichkeit eurer kreativen Werke sicher stellen wollt, könnt ihr nach §31 UrhG allgemeine oder spezielle Nutzungsrechte, sogenannte Lizenzen oder Commons aussprechen. Auf Creative Commons könnt ihr euch rechtlich wasserdichte Lizenzen zusammenbasteln oder ihr denkt euch selbst was aus, nur juristisch wasserdicht muß es eben sein. Ich erlaube z.B. generell die Veröffentlichung meiner Gedichte, sofern einige Bedingungen eingehalten werden, wie z.B. die Nennung meines Namens. Ihr könnt über Lizenzen aber auch eure Vergütung bei Print-Veröffentlichungen regeln, denn auch darauf habt ihr laut UrhG ein Recht [§32(1)].

Wie finde ich Rechtsverstöße?

Den einen macht nicht heißt, was er nicht weiß, den anderen schon. Falls ihr euch sicher seid, dass es euch egal ist, was mit euren Texten im Netz passiert, könnt ihr diesen Abschnitt außer Acht lassen. Für alle anderen hat sich folgende Methode bewährt:

Da man davon ausgehen kann, dass die poetischen Verse eines Gedichtes relativ einmalig sind, nehmt ihr einfach eine charakteristische Zeile aus eurem Gedicht (nicht den Titel) und gebt ihn in Gänsefüßchen, „ein Vers aus meinem Gedicht“, bei Google oder MSN oder einer anderen Suchmaschine ein. Die Suche liefert euch dann alle von der Maschine indizierten Seiten, auf der sich diese Zeile in genau der Form befindet. Die Ergebnisse könnt ihr euch dann genauer angucken.

und sonst?

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Privatleute ganz unterschiedlich reagieren, wenn sie auf Rechtsverstöße angesprochen werden. Die einen argumentieren unsinnig oder beschimpfen euch, die anderen erzählen, sie hätten nichts davon gewußt. Wie dem auch sei, ich halte es für wichtig, sie trotzdem über das Urhebergesetz aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass es auch für Veröffentlichungen im Internet gilt. Provider oder sonstige Anbieter kennen sich mit den rechtlichen Grundlagen eigentlich genug aus und reagieren meist sehr schnell.

Letztlich bleibt zu sagen, dass es in den wenigsten Fällen ein Zeichen von erhabener Kunst ist, wenn ein Gedicht rechtswidrig veröffentlicht wird. Es zeugt meist nur von der Ahnungslosigkeit der Verantwortlichen. Also keine falschen Hoffnungen, ihr Sprachgenies! 😉

© Claude LeVampyre
http://abgedichtet.org

Dieser Text darf gerne, auch in gekennzeichneten Auszügen, kopiert und veröffentlicht werden, vorausgesetzt er bleibt weiterhin kostenlos zugänglich und sein Verfasser und die Quelle bleiben weiterhin genannt.

Werkeinführung: Georg Friedrich Händel ~ Judas Maccabäus

Freitag, 15. September 2006

Konzerteinführung

Wir schreiben das Jahr 168 v. Chr. Antiochus IV. Epiphanes, König des Seleukidenreiches, besiegt im Sechsten Syrischen Krieg die ägyptischen Könige Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII. In Folge dessen nimmt er auch das zum Ptolemäerreich gehörende Jerusalem ein. Um die Hellenisierung der Region voranzutreiben, erläßt er ein Religionsedikt, das den Jahwe-Kult verbietet, und zwingt die Juden ihrem Glauben durch Opferungen für die heidnischen Götter öffentlich abzuschwören. Als ein Abgesandter des Antiochus nach Mondein, einer kleinen Stadt unweit von Jerusalem, kommt und die Einwohner zu opfern auffordert, stößt er auf den heftigen Widerstand des Priesters Mattathias. Dieser versteckt sich fortan mit Gleichgesinnten in den Bergen und beginnt einen Partisanen- und Freiheitskampf gegen die seleukidischen Besatzer, der beim jüdischen Volk Zustimmung findet und ihm neue Hoffnung gibt. Bald darauf wird Mattathias jedoch krank und 161 v. Chr. stirbt er schließlich.

An diesem Trauerpunkt der Geschichte beginnt eines der wohl erfolgreichsten Oratorien des im barocken London wirkenden Komponisten Georg Friedrich Händel (1685 – 1759). Keine Pauken, keine Trompeten, getragene, durch Punktierungen fast schleppende Melodien in Moll bestimmen die Ouvertüre, die bald in eine aggressive Fuge mündet und hieran schließt sich der erste Klagegesang der Israeliten an. Simon, ein Sohn des verstorbenen Priesters Mattathias, weiß jedoch das jüdische Volk aufzubauen, indem er seinen Bruder Judas, den Makkabäer (von aramäisch makkaba – der Hammer), als neuen Anführer der Befreiungsbewegung vorschlägt. Enthusiastisch und vom Volk gefeiert tritt dieser sein Amt an.

Inzwischen hat Judas seine Armeen versammelt und ist gegen die Feinde gezogen. In Jerusalem feiern die Israeliten den Erfolg ihrer Kampfhandlungen und stimmen Triumphgesänge an. Doch die Stimmung wird bald durch Nachrichten weiterer, herannahender Truppen des Seleukidenkönigs getrübt. Erneut muß Judas in den Kampf ziehen und seinen Schlachtruf begleiten bald Pauken und Trompeten. Händel setzt beide Instrumente an dieser Stelle zum ersten Mal ein – ein Effekt, der nicht überwältigender sein könnte. Doch Simon mahnt Judas, vor seinem Auszug noch den Tempel, der durch die auferlegten, heidnischen Gebräuche geschändet wurde, zu reinigen und neu zu weihen, damit Gott ihnen bei ihren Geschicken helfe. Noch heute feiern Juden an Chanukka, dem Lichtfest, jährlich diese Weihe, mit der der dritte Teil des Oratoriums beginnt.

Judas hat Erfolg gegen die Feinde und feierlich ist sein Siegeseinzug in Jerusalem, doch bittet er darum, der Gefallenen zu gedenken, zu denen auch sein Bruder Eleasar gehört. Der Botschafter, den er während der Kämpfe nach Rom entsandt hatte, kehrt ebenfalls mit erfreulichen Neuigkeiten zurück. Rom hat ein Abkommen mit Israel geschlossen, um es vor weiteren Angriffen zu bewahren. Das Oratorium endet in Hymnen und Lobgesängen.

Die Handlung des „Judas“ bietet Raum für ausgedehnte musikalische Affekte, die zum Teil sogar wortmalerisch ausgestaltet sind. Von Trauer über Hoffnung bis Begeisterung ist das Spektrum weit gestreut. Ähnlich wie der „Messiah“ ist auch „Judas Maccabaeus“ eher reflektorisch als dramatisch angelegt. Es geht um zentrale Werte wie Freiheit, Gemeinschaft, Glaube und Gesetz. Vor allem das Volk kommt in den Rollen des Chores, der Israelitin und des Israeliten zum Zuge und steht für den kollektiven Gedanken, den Händel zu erfassen suchte.

Denn wie die Israeliten in „Judas Maccabaeus“, stand auch das englische Volk unter einer direkten, nationalen Bedrohung. Im Spätsommer 1745 hatte der katholische Thronprätendent Charles Edward Stuart, unter Geschichtskundlern besser bekannt als „Bonnie Prince Charlie“, weite Teile Schottlands eingenommen und rückte mit seinen Truppen weiter auf das völlig unvorbereitete England vor, um sein Erbrecht einzufordern. Dessen Großvater, Jakob II., wurde nämlich während der „Glorius Revolution“ von 1688 aus England vertrieben und durch seine Tochter, Maria II., und den protestantischen Wilhelm von Oranien ersetzt, in deren Folge die Könige aus dem Hause Hannover auf den englischen Thron kamen. Gegen diese Bedrohung aus dem Norden sandte König Georg II. seinen Sohn Wilhelm August, den Herzog von Cumberland, und seine Truppen. Händel stand der englischen Königsfamilie durchaus nahe, hatte er doch schon die Krönungshymnen für Georg II. geschrieben. Schnell komponierte er zur Erbauung des englischen Volkes Anfang 1746 sein weniger bekanntes „Occasional Oratorio“. Als nach der Schlacht von Culloden im April 1746 deutlich wurde, dass die Gefahr gebannt war, begann er die Arbeit an „Judas Maccabaeus“, das er dem siegreichen Feldherrn Cumberland widmete.

Die Uraufführung im April 1747 war ein Riesenerfolg und half dem Komponisten auch aus der psychischen und finanziellen Krise, in der er sich seit dem Boykott englischer Adelsdamen gegen seine Oratorienaufführungen befand. Händel hatte die Türen seines Hauses nun zum ersten Mal dem Bürgertum geöffnet und es strömte nur so herbei, um seine Musik zu hören. Um sein Publikum weiter zu begeistern, übernahm er nach und nach immer mehr Sätze in den „Judas“, die in anderen Stücke Anklang gefunden hatten, ohne jedoch vom ursprünglichen Material zu streichen. So ist z.B. der berühmte Chor „See, the conqu’ring hero comes“ eigentlich dem Oratorium „Joshua“ entnommen, das erst später entstand.

Schon zu Händels Lebzeiten ist das Stück in vielen verschiedenen Varianten erklungen. Puristen beschränken sich heutzutage auf die Version der Erstaufführung, andere spielen hingegen das gesamte Material, das mehr als zweieinhalb Stunden Spielzeit umfaßt. Die Berliner Singakademie unter ihrem Direktor Achim Zimmermann wird bei ihrer Aufführung am 29. Oktober 2006 einen Mittelweg wählen, den Text aber im englischen Original belassen.

Interpretation: Le vampir ~ Charles Baudelaire

Freitag, 08. September 2006

[M]Eine Interpretation

Ich habe einmal gelesen, dass der Deutungsspielraum der symbolistischen Lyrik in der tendenziellen Beliebigkeit der Sinngebung gipfelt. Ich glaube heute nicht mehr an diese Beliebigkeit, wohl aber an den bewußt geöffneten Deutungsspielraum. „Le vampir„, ein Strophengedicht aus den „Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire führt mir dies immer wieder exemplarisch vor Augen. Viel habe ich darum schon gerätselt und viel glaubte ich darin erkannt und entdeckt zu haben. Mein heutiger Stand der Erkenntnis beruht auf der Annahme, dass der Vampir eine Metapher für eine Emotion ist.

Es wurde aber oft spekuliert, Baudelaire hätte mit dem Vampir auf seine langzeitige Geliebte, die Mulattin Jeanne Duval, angespielt. Ich bin mit solchen biographistischen Thesen äußerst vorsichtig und zurückhaltend und vertraue lieber nur dem, was tatsächlich im Text steht. Als sicher kann diesbezüglich gelten, dass es sich beim Dämon um ein weibliches, lyrisches Du handelt, denn darauf deuten die weiblichen Adverbialformen folle, parée, etc. hin. In ihrer Übertragung schreibt Fahrenbach-Wachendorff: „Du, die wie ein Messerstoß“, um da Zweifel über das Geschlecht auszuräumen. Dass das lyrische Du aber identisch mit dem Vampir ist („Le vampir“ verweist eindeutig auf ein Masculinum), bezweifle ich. Ebenso bezweifle ich, dass das lyrische Ich die lyrische Du töten will, wie man es aus Strophe vier vielleicht herauslesen könnte.

Ich mache meine Interpretation an der These fest, dass das lyrische Ich gar kein Opfer der lyrischen Du ist, sondern vielmehr ein Opfer seiner eigenen Schwäche und dass der Vampir eine Metapher für den daraus erwachsenden und zerstörerischen Selbstkonflikt ist. Gucken wir uns den Text dazu mal genauer an. Das lyrische Ich beschreibt seine Gebundenheit an die lyrische Du (Infâme à qui je suis lié – Ruchlose, an die ich gebunden bin) in Stophe drei als Sucht (Säufer, Spieler). Es ist süchtig nach der lyrischen Du, von deren charismatischer, souveräner Ausstrahlung es sich geradezu magisch angezogen fühlt. Wie überwältigend ihre Erscheinung/ihr Erscheinen auf das lyrische Ich wirkt, beschreibt Strophe eins (Messerstoß, Eindringen, etc.). Es ist von der Situation völlig überrumpelt, es fühlt sich angezogen und ist dieser Anziehung gegenüber völlig machtlos. Es erkennt seine Schwäche und um sich diese nicht eingestehen zu müssen, entwirft es sich in der Opferrolle, sieht sich als Opfer der femme fatale. Klar, so wie sie ihn überwältigt hat, muß es mit böser Magie zugegangen sein, ergo muß Sie ein Dämon sein und dass man gegen einen Dämon nicht bestehen kann, das ist ja wohl logisch.

Ganz so einfach ist es aber für das lyrische Ich dann doch nicht und hier beginnt der spannende Konflikt. Das lyrische Ich bewundert die Dämonin für ihre Macht und Stärke, die Inbegriff dessen sind, wonach es strebt – sein Ideal. Natürlich kommt es davon nicht los. Zugleich sind ihre Tugenden aber Spiegel seiner eigenen Untugend, der Machtlosigkeit und Schwäche, die Inbegriff dessen sind, was es anwidert – sein Spleen. Daher will es von ihr loskommen und jetzt kommen Schwert und Gift ins Spiel. Diese sollen ihm die Feigheit erretten (sécourir la lâcheté), quasi bewahren. Seine Feigheit besteht nämlich darin, dass es lieber den Tod leiden und so vor der schmerzhaften Selbsterkenntnis bewahrt bleiben würde, als sich durch ihre Anwesenheit seine Schwäche eingestehen zu müssen. Aber er ist in der Tat so feige, dass er nicht einmal dazu imstande ist. Der Dialog mit dem ihn auslachenden Schwert und Gift ist Metapher für den Ekel, den das lyrische Ich daraufhin vor sich selbst empfindet. Es ist in eine Sackgasse geraten, aus der es sich nicht mehr herausreden kann. Bringt es sich nämlich um, wäre das eine ebenso deutliche Bestätigung seiner Schwäche, wie es nicht zu tun. Verzweiflung! Sein Vampir (ton vampir – eindeutige Besitz- und Geschlechtszuweisung) ist es, der ihn aussaugt und krank macht, was ihn aber aussaugt, ist sein eigener innerer Konflikt (für den die lyrische Du ja eigentlich überhaupt nichts kann). Mit dem Umstand seines Selbstmordes, das wird ihm durch den fiktiven Dialog bewußt, würde er diesen Konflikt, den er durch den Tod dann beigelegt zu haben glaubt (le cadavre – der Leichnam), aber nur wieder beleben (ressusciter). Das bedrückende Fazit ist, dass der Selbstmord kein Ausweg ist.

Eine Zensur findet nicht statt.

Mittwoch, 06. September 2006

Pamphlet zur Freiheit der zeitgenössischen Kunst und ihrer Schöpfer

Zur Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft heißt es in Artikel 5 GG, die Kunst sei frei und eine Zensur fände nicht statt. Geradezu lächerlich erscheint einem da die Geschichte eines befreundeten Dichters, von der ich schon im Artikel „Mein lyrisches Ich“ berichtete. Dieser Fall spitzt sich nun zu und ich halte es für meine Pflicht als Verfechter der künstlerischen Freiheit, weiter davon zu berichten.

Im August 2005 veröffentlichte der Dichter ein Gedicht mit dem Titel „Befriedigung“, in dem er einen Pädophilen aus der Ich-Perspektive auftreten ließ. Ein Bürger, dem der Text anstößig erschien, zeigte ihn daraufhin bei der Polizei an, die auch promt die Rechner des Dichters konfiszierte, ohne aber irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, dass er sich anders als intellektuell und künstlerisch mit diesem Thema befaßt hätte. Dennoch wird er aufgrund seines Gedichtes nun der Verbreitung von Kinderpornographie beschuldigt und muß sich deswegen demnächst vor einem Gericht behaupten.

Dazu muß man sagen, dass es sich bei besagtem Gedicht nicht um Pornographie, sondern eindeutig um ein Sonett, also Kunst handelt. Wenn wir uns an unseren Deutschunterricht erinnern, wissen wir, dass das Sonett eine der ältesten, strengsten, heute noch beständigen lyrischen Strophenformen ist, quasi eine Königsdisziplin der Dichtkunst. Ihre Ursprünge hatte sie vermutlich im Italien des 14. Jahrhunderts und wurde bereits vom Dante Zeitgenossen Petrarca am kaiserlichen Hof Friedrichs des II. in Sizilien, aber auch von Shakespeare, Gryphius, Rilke, Baudelaire und vielen anderen Größen der Dichtkunst gepflegt. Sie begegnet uns am häufigsten in der Form zweiter Quartette und zweier Terzette, die auf bestimmte Weise gereimt sind und sich zumeist antithetisch gegenüber stehen. Seinen Ursprüngen in der amour courtoise nach ist das Sonett klassischerweise von amourösen Inhalten geprägt.

Mit genau so einem Text haben wir es also im Falle „Befriedigung“ zu tun. Während in den Quartetten auf geradezu klassisch-romantische Weise durch einen Liebespreis eine Liebe-Leid-Problematik vorbereitet wird, kontern die Terzette mit einer Szenerie im Bett bei der Erfüllung der Leidenschaften des lyrischen Ichs. Erst im letzten Vers wird dem Leser schockartig bewußt, an wem das lyrische Ich seine Lust stillst, nämlich an der eigenen Tochter.

Das Gedicht erzeugte, wie vom Dichter provoziert, unterschiedlichste, z.T. heftige Reaktionen, die einen fühlten sich angeekelt, andere hielten es für platt, auf diese Weise Aufmerksamkeit für die eigenen Texte zu heischen, noch andere fanden es toll, wie das Thema umgesetzt war und wieder andere tangierte es zunächst nicht weiter. Zur letzten Gruppe zähle ich mich selbst. Aufmerksam wurde ich auf den Text nämlich erst, als der Dichter um Mithilfe bei der Gegenwehr gegen die Beschlagnahmung seiner Rechner bat.

Natürlich ist „Befriedigung“ anstößig, auch wenn der Text (abgesehen von dem letzten Wort „ficken“) keinerlei anstößige Sprache enthält. Er ist anstößig allein aufgrund seiner Umsetzung, aufgrund des Umstandes, dass hier ein Ich spricht und aufgrund der Tatsache, dass für viele Leser eine Identität zwischen Autor-Ich und lyrischem Ich besteht, von der mir schon in der Schule eingetrichtert wurde, dass sie inexistent ist und dass es höchst bedenklich für die Betrachtung von Kunst sei, von ihr auszugehen.

Also sollte anhand des Textes und der öffentlichen Auseinandersetzung des Dichters mit dem Thema (er veröffentlichte um die selbe Zeit ein Haibun, das sich explizit gegen Kinderpornographie aussprach) doch wohl jedem klar gewesen sein, dass es sich dabei eher um Kunst, denn um Propaganda pro Pädophilie handelt und dass die Aktivitäten seines lyr. Ichs keine Rückschlüsse darauf zulassen, dass der Autor ein Befürworter der Handelungen seines Protagonisten wäre, im Gegenteil. Dem war offenbar nicht so und wenn man die Konfiszierung der Rechner des Dichters vielleicht noch mit dem Argument, man müsse solch einer Sache ernsthaft nachgehen, denn schließlich könne es ja doch sein, dass da was faul ist, zustimmen mag, so überschreitet eine gerichtliche Anklage wegen der Verbreitung von Kinderpornographie meines Erachtens nach deutlich die Grenze in Richtung Kunstzensur. Dagegen sollte ein jeder Künstler, dem seine Freiheit lieb ist, aufbegehren. Schweigt nicht!

Wo kämen wir hin, wenn wir aus Angst vor staatlicher Verfolgung nicht mehr thematisieren können, was möglicherweise Anstoß erregt, wenn wir zweifelhafte Themen, wie Pädophilie oder Terrorismus (um nur die brisantesten Schlagworte zu nennen) nicht mehr auf die Art zur Sprache bringen könnten, die wir uns nach unserem künstlerischen Plan auserkoren haben? Wir würden uns hüten, gefährdete Themen künstlerisch umzusetzen und uns damit im Vorfeld selbst zensieren. Unumstritten große Werke der Weltliteratur, wie z.B. Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ oder Vladimir Nabokovs „Lolita“, wären vielleicht nie entstanden. Welch ein kultureller Verlust wäre das!

Ich denke, durch Vorfälle wie diesen wird der Weg in eine Vorzensur geebnet und Zensur sollte, wie Kurt Tucholsky in seinem Artikel „Kunst und Zensur“ schon erkannte, allenfalls vom Publikum selbst stattfinden, nämlich durch ihre An- oder Abwesenheit bei der Aufführung, sprich ihr Rezeptionsverhalten. Die Vorstellung, dass Menschen vor Inhalten geschützt werden müßten, von denen man annimmt, sie hätten schädliche Auswirkung, ist sowieso eine überkommene. Das wird jedem klar, der sich an die Zensierung von Ovids „Ars Amatoria“ wegen angeblicher Pornographie oder Baudelaires „Fleurs du Mal“ wegen angeblicher Gotteslästerung erinnert, ganz zu schweigen von den systematischen Schriftverboten des NS-Regimes.

Sollte mein Freund und Dichter wegen seines Sonettes tatsächlich der Verbreitung von Kinderpornographie schuldig gesprochen werden, wäre das ein kulturelles Armutszeugnis. Es spräche deutlich für die Aussage des renommierten Kunst-Anwaltes Joachim Kersten: „Die Geschichte der Kunstfreiheit in Deutschland ist eine Geschichte ihrer fortwährenden Einschränkung.“ Ich für meinen Teil werde alles in meiner Macht stehende dafür tun, dies zu verhindern.