Archiv für März 2008

Suchanfrage vom 30.03.08

Sonntag, 30. März 2008

Bei Blicken in meine Blogstatistik sorgen die Suchanfragen, mit denen Leute auf meine Seite gefunden haben, immer für die meiste Erheiterung. Ab und an sind da aber auch interessante Fragen formuliert, zu denen ich mich einfach äußern muß. Wo, wenn nicht hier?

Die anonyme Suchanfrage des heutigen Tages lautet:

Wie findet man Kinderpornographie?

Liebe Leute, ich muß auch einmal etwas zum Thema Kinderpornographie sagen, weil es ja derzeit in aller Munde ist. Man findet sie nicht, indem man bei Google nach ihr sucht und das ist im Zeitalter von IP-Tracking, Zensur und staatlicher Überwachung auch eine ganz dumme Idee, das zu tun, weil dann demnächst das SEK vor eurer Tür steht und ihr gesellschaftlich nie, nie wieder Fuß fassen werdet, selbst wenn man bei euch nicht fündig wird. Wenn ihr deutlich Erwachsenen euch sexuell zu Menschen hingezogen fühlt, die das 16 Lebensjahr noch nicht überschritten haben, dann empfehle ich ganz dringend den Gang zu einer Beratungsstelle für Pädophilie. Es gibt dieser wenige, aber es gibt sie. Ich halte es für fragwürdig, Aspekte menschlicher Sexualität als krankhaft zu betiteln (vor 30 Jahren waren auch Schwule krank), aber sie muß ihre Grenzen haben, wo sie die Selbstbestimmung der Beteiligten einschränkt. Kinder sind nicht in der Lage, sich in dieser Frage frei zu entscheiden und ihr solltet deshalb Wege finden, mit eurem Begehren umzugehen, ohne die Jugend zu gefährden. Die seelischen Schäden, die ihr sonst u.U. zufügt, sind nie, nie wieder zu heilen. Laßt euch da helfen!

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Die rhetorische Periode

Donnerstag, 27. März 2008

Die rhetorische Periode ist ein Ordnungsprinzip formaler Sprache, das meine Sicht auf den freien Vers verändert und geschärft hat. Die Ästhetik der Ausgewogenheit von Wiederholung und Variation, aber auch die Freiheit und Flexibilität individueller Musterbildung erzielen eine spezifische Wirkung und üben einen besonderen poetischen Reiz aus.

Die rhetorische Periode

Ich habe früher oft Texte kritisiert, die sich nur durch optische Zeilenumbrüche als Gedichte zu erkennen gaben, sonst aber formal der Prosa entsprachen. Die Kritisierten wandten ein, dass es sich doch um freie Verse handle, aber ich hatte daran stets meine Zweifel. Mit dem Begriff „Vers“ verband ich einen Grad an Formalisierung, der über Prosa hinausgeht; „frei“ bedeutete für mich nur, dass die sprachliche Formalisierung nicht nach dem einheitsstiftenden metrischen Prinzip funktioniert, sondern nach einem fein ausgewogenen Spiel von Wiederholung und Variation, von Dynamik und Pause, Spannung und Entspannung, Regelaufbau und Regelbruch, etc. pp.

In Manfred Fuhrmanns „Antiker Rhetorik“ (im übrigen eine insgesamt sehr empfehlenswerte Lektüre) stieß ich schon vor einigen Jahren auf das formale Prinzip der rhetorischen Periode, das ich für einen wichtigen Aspekt zum Verständnis des freien Verses halte. Das trifft natürlich auch auf den metrischen Vers zu, denn kein zeitliches Ereignis in ihm ist einheitlicher, als die wiederholte Abfolge von Hebung und Senkung. In der rhetorischen Periode haben wir es aber mit syntaktischen Einheiten zu tun, die sich als Kola oder Kommata in einer sehr sorgsam gegliederten Binnenstruktur präsentieren. Zu solchen Kola oder Kommata finden sich Worte, Phrasen und Sätze. Jeder Linguistikstudent wird die hierarchischen Stemma kennen, die sich aus einer Satzanalyse ergeben. Bei einer rhetorischen Periode liegt eine wie auch immer geartete Form von Symmetrie innerhalb dieses Stemmas vor.

Ein Beispiel des Fachbereichs Linguistik der Uni Potsdam:

  1. Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld missbrauchen? Willst du uns mit deiner Tollheit noch lange verhöhnen? Merkst du nicht, dass deine Dreistigkeit vermessen ist?
  2. Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld missbrauchen? Bis wann soll deine Tollheit uns noch verhöhnen? Wie weit wird zügellose Dreistigkeit sich noch vermessen?

Inhaltlich haben beide Texte gleichen Gehalt. Formal unterscheiden sie sich aber erheblich voneinander, wodurch sie eine völlig andere Wirkung entfalten. Sehr deutlich zeigt der zweite Text ein Ordnungsprinzip, das auf der Parallelisierung der syntaktischen Einheiten beruht, ergo der rhetorischen Periode entspricht. Jeder der drei Sätze im zweiten Text ist grammatisch gleich oder sehr ähnlich gebaut. Es handelt sich um drei Fragesätze, die zuerst eine adverbiale Angabe, dann das finite Verb, dann das Subjekt, dann das Akkusativobjekt und zu letzt ein infinites Verb anführen.

adverbiale Angabe finites Verb Subjekt Akkusativobjekt infinites Verb
Wie lange noch willst du unsere Geduld mißbrauchen?
Bis wann soll deine Tollheit uns verhöhnen?
Wie weit wird zügellose Dreistigkeit sich vermessen?

Das Prinzip der Wiederholung ist hier also die Parallelisierung der Phrasen. Variation findet sich im ersten Satz durch die eingeschobene Anrede „Catilina“, in nachfolgenden durch das eingeschobene Partikel „noch“, im letzten durch die Rückbezüglichkeit des Objektes „sich“ und in vielen weiteren, kleinen Details. Doch die Parallelisierung ist nur eine Möglichkeit der syntaktischen Ordnung, weitere könnten die Reihung (a1, a2, a3), der Chiasmus (a1 b1 a2 b2), der Krebs und Spiegelung (a1 b1 b2 a2), die Mehrung (a ab abc), die Identität (a, a, a) und dergleichen mehr sein. Die Einheiten können Phrasen, wie Wortgruppen sein, können einzelnde Wörter betreffen (z.B. in der Aufzählung), können Wortarten betreffen oder ganze Sätze.

Die rhetorische Periode präsentiert sich also formal geschlossen, in ihrer Ordnung aber in sich sehr variabel und flexibel. Pausen entstehen an Nahtstellen, aber die Länge der Pausen ist unterschiedlich, ebenso schwankt die Betonungsstärke der betonungstragenden Elemente. Sie ist reizvoll locker gebunden, wirkt aber weder willkürlich, noch wie ein stechschrittiger Marsch. Die Schwierigkeit besteht nicht so sehr in der grammatischen Sachkenntnis (die kann man sich zur Not anlesen, wenn man sie nicht intuitiv mitbringt), sondern in der Sensibilität für Maß und Gewichtung von Einheiten und daraus resultierenden Klangphänomenen, wie Pausen und Betonungen. Die Ästhetik zerbricht hier, wie überall, an einem zu hohen Maß an Wiederholung (daraus folgt Langeweile), ebenso wie an einem zu hohen Maß an Variation (daraus folgt Unordnung).

Von der rhetorischen Periode zum freien Vers

Man kann dieses freie Ordnungsprinzip der rhetorischen Periode über syntaktische Aspekte hinaus weiterspinnen und z.B. auch den Bereich der Phonetik, Semantik und Morphologie mit einbeziehen. Sogar Annäherungen an metrische Prinzipien durch Musterbildung in Silbenzahlen und -längen/Betonungen ist denkbar. Als Beispiel dient der erste Absatz von Friederike Mayröckers „Ode an einen Ort“:

Heimstätte meiner Träume: Hütte Thron Türme Gebälk
Glocken Taubenschwarm vielflügelig verbrieft
geschnäbelt ins graue Licht
ätzend den Trauerhimmel
mit Botschaft von Dir zu mir:

Obwohl dieses Gedicht nicht metrisch ist, zeigt schon die erste Zeile ein deutlich höheres Maß an formaler Gebundenheit als jede Prosa. „Heimstätte meiner Träume: Hütte Thron Türme Gebälk“ – Hier wird vorallem viel mit dem Reim gearbeitet, die syntaktische Figur schließt sich im Zweiten Teil der Zeile dieser Reimschematik an. Man beachte Zunächst die Häufung an /t/ /ä/ /äu/ und /ü/. Dann folgt die Sequenz „Träume – Hütte – Thron – Türme – Gebälk. Dies ist syntaktisch gesehen eine Reihung, Aufzählung, lautlich ist sie am /o/ von Thron gespiegelt: ä-ü-o-ü-ä. Semantisch wird der Traum zur Spiegelachse, denn die vier folgenden Begriffe sind Lokalitäten (Orte), ebenso wie die „Heimstätte“ am Anfang der Zeile. Es finden sich weitere Klangparallelen zwischen /ei/ und /äu/ und zwischen /äu/ und /ü/. Auch das /h/ wird exponiert. Das harte Gebälk am Schluß sprengt diese Klangkaskade schroff auf, nicht nur durch seinen stimmhaften, gutturalen Anfang /g/, sondern auch und vorallem sein gutturales und stimmloses Ende /k/ (harte Kadenz). Wir haben es hier mit einem Paradebeispiel dür den freien Vers zu tun, nicht metrisch, nicht prosaisch, sondern ein Ding in der Mitte.

Eine solche formale Strukturierung von Sprache macht den grafischen Zeilenumbruch als Kennzeichnung poetischer Sprache meines Erachtens überflüssig, da die Sprache selbst schon ausreichend poetisch ist, um nicht als Prosa verkannt zu werden (was nicht heißt, dass der Zeilenumbruch keine berechtigte Funktion hätte). Aber hier zeigt sich, warum auch die im Fließtext gedruckten „Petites poèmes en prose“ von Baudelaire auch ohne optische Gliederung durch Zeilenumbrüche immer noch als verses libres zu erkennen sind.

Ich habe mich selbst nie an den vers libre gewagt, weil ich ihn in der Tat für ein Wagnis, ein höchst anspruchsvolles Unterfangen halte. Aber ich habe sehr schöne freie Verse gelesen und mich in Prosatexten schrittweise in der freien formalen Musterbildung probiert. Der freie Vers ist und bleibt ein äußerst interessantes sprachliches Phänomen; die rhetorische Periode hat mir geholfen, mich dafür zu sensibilisieren.

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Quellen:

  • Manfred Fuhrmann, „Die antike Rhetorik“, Artemis & Winkler, 19954, S. 139f
  • Mayröcker zitiert aus: Karl Otto Conrady, „Das grosse deutsche Gedichtbuch“, Athenäum Verlag, 1977

Suchanfrage vom 27.03.08

Donnerstag, 27. März 2008

Bei Blicken in meine Blogstatistik sorgen die Suchanfragen, mit denen Leute auf meine Seite gefunden haben, immer für die meiste Erheiterung. Ab und an sind da aber auch interessante Fragen formuliert, zu denen ich mich einfach äußern muß. Wo, wenn nicht hier?

Die anonyme Suchanfrage des heutigen Tages lautet:

Darf man ein Gedicht kopieren, wenn man den Autor drunter schreibt? | Darf ich ein Gedicht ins Internet stellen?

Man muß hier unterscheiden zwischen dem Kopiervorgang selbst und der Weiterveröffentlichung des Kopierten im Internet. Kopieren darf man (macht man ja schon, wenn man eine Seite im Browser aufruft), Weiterveröffentlichen grundsätzlich nicht, auch nicht, wenn man den Autor angibt. Und zwar weil das Urhebergesetz besagt, dass man den Autor (zum Schutz vor Mißbrauch seines Werkes) um Erlaubnis bitten muß, damit dieser ggf. Bedingungen mit einem aushandeln kann.

Im Netz gibt es inzwischen viele Autoren, die unter bestimmten Lizenzen veröffentlichen, z.B. CreativeCommons. Diese Lizenzen geben die Bedingungen an, unter denen man kreative Werke weiterveröffentlichen darf. Dann muß man den Autor nur fragen, wenn man unter abweichenden Bedingungen veröffentlichen möchte. Anständige Verfasser- und Quellenangaben sind aber meist unabdingbar.

Wenn man nicht weiß, wer der Autor eines Gedichtes ist, verbietet sich also quasi schon die Weiterveröffentlichung, weil man weder über die Lizenzen Bescheid weiß, noch nachfragen kann. Wenn man sich unsicher ist, wer der Verfasser eines Gedichtes ist, hilft es in gewissen Fällen auch, einfach einen beliebigen Vers aus dem Gedicht in Gänsefüßchen in eine Suchmaschine einzugeben und in den Ergebnissen nach der ältesten Veröffentlichung Ausschau zu halten.

Erläuterung des Gesetzestextes

Auszug aus dem Urhebergesetz der BRD:

§1 Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes.
§12 (1) Der Urheber hat das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist.
§13 Der Urheber hat das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist.
§14 Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.
§51 Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.
§63 (1) 1Wenn ein Werk oder ein Teil eines Werkes in den Fällen des § 45 Abs. 1, der §§ 45a bis 48, 50, 51, 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 sowie der §§ 58 und 59 vervielfältigt wird, ist stets die Quelle deutlich anzugeben.

§1 – Das bedeutet, dass jedes irgendwo veröffentlichte Gedicht welches Verfassers auch immer, automatisch urheberrechtlich geschützt ist und der Verfasser sein Recht am Werk geltend machen kann, wenn er es verletzt sieht.
§12(1) – Nicht du bestimmst, dass es okay ist, wenn du ein fremdes Gedicht auf deine Seite stellst, sondern der Autor. Auch wenn der Text schon auf anderen Seiten steht, du mußt den Autor um Erlaubnis bitten, es auch auf deine Seite setzen zu dürfen.
§13 – Unter ein fremdes Gedicht darfst du nicht einfach deinen eigenen, keinen oder einen anderen Namen schreiben (Plagiat), sondern nur genau das, was der Autor mit dir verhandelt hat.
§14 – Wenn du mit einem fremden Gedicht oder Auszügen daraus Schabernack treibst, es z.B. veränderst oder in einen unpassenden Kontext einbettest, dann hat der Autor alles Recht der Welt, dich dafür zur Verantwortung zu ziehen.
§63 Außer dem Fall §51 (Zitat) trifft in der Situation „Gedicht ins Internet“ keiner der im Gesetzestext angeführten Ausnahmefälle zu, d.h. wenn du Teiles eines Gedichtes zitierst, dann bitte mit Angabe des Titels, des Verfassers und der Quelle, wobei ein Zitat natürlich im Umfang angemessen kurz sein muß. Du darfst nicht den gesamten Text ungefragt einstellen, auch nicht mit den geforderten Angaben, weil das den Umfang des Zitats übersteigen würde.

So, bevor du also einen fremden Text einfach auf deiner Seite einstellst, solltest du dir wirklich ganz sicher sein, dass der Verfasser damit einverstanden ist, bzw. du dich gesetzeskonform verhältst, sonst kann es u.U. nämlich ganz schön teuer werden, wenn eine anwaltliche Abmahnung ins Haus schneit.

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Suchanfrage vom 24.03.08

Montag, 24. März 2008

Bei Blicken in meine Blogstatistik sorgen die Suchanfragen, mit denen Leute auf meine Seite gefunden haben, immer für die meiste Erheiterung. Ab und an sind da aber auch interessante Fragen formuliert, zu denen ich mich einfach äußern muß. Wo, wenn nicht hier?

Die anonyme Suchanfrage des heutigen Tages lautet:

Warum verändert sich Sprache?

Sprachwandel hat innere und äußere Faktoren. Zu den äußeren Faktoren zählt z.B. die Vermischung von Volksstämmen durch Ein- und Auswanderung, wofür das Türkendeutsch ein schönes Beispiel ist. Auch die Festlegung akademischer Standards kann Sprache beeinflussen, jüngst passiert durch die Rechtschreibreform der Rot-Grünen-Koalition. Ebenso beeinflussen Medienwechsel wie der Buchdruck oder der Siegeszug des Internets die Sprache, aber auch Epidemien und die damit einhergehende Ausrottung von Sprechergruppen können Sprache verändern. Zu den internen Faktoren zählen Lautwandelerscheinungen, so sagt man im Süden Deutschlands z.B. eher Apfel und nicht wie im Norden Appel. Aber auch lexikalische Veränderungen (also Änderungen in der Bedeutung von Wörtern) sind bekannt, so hatte das englische „gay“ früher eine ganz unverfängliche Bedeutung. Auch die Morphologie und Syntax sind Veränderungen unterworfen. Sebastian Sick vermißt z.B. zunehmend den Genitiv in der deutschen Sprache. Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen für die Veränderung von Sprache. Dass sie sich verändert ist natürlich und zeugt von ihrer Lebendigkeit. (Mehr dazu unter Lebendige Sprache verändert sich)

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Warum heißt Ostern eigentlich Ostern?

Sonntag, 23. März 2008

Ich muß ja zugeben, weder besonders religiös, noch besonders feiertagsgeil zu sein, weshalb mir Ostern eigentlich wurscht ist. Aber als ich gerade so saß und grübelte, schoß mir diese Frage in den Kopf. Ostern ist doch ein ganz schön komisches Wort dafür, dass einer gekreuzigt wird. Gut, klar, eigentlich handelt es sich ursprünglich um ein heidnisches Fest zum Frühlingsäquinoktium, ebenso wie Weihnachten eigentlich die Wintersonnenwende gefeiert wurde. Aber die Weihnacht ist eben auch nach der geweihten Geburtsnacht Jesu Christi benannt.

Die Wikipedia verrät, dass sich außer mir schon ein paar andere Leute diese Frage gestellt haben und dass zwar sinnvolle Lösungen gefunden, aber nie bewiesen werden konnten. So gehen die einen Thesen eher auf die heidnischen Bräuche, die anderen eher auf die christlichen ein. Jakob Grimm nahm z.B. an, dass es eine germanische Götting namens Ostara (ae. Eostrae) gab, die ungefähr gleichbedeutend mit der griechischen Göttin, Eos, war. Denn Ostern war der Name für ein heidnisches Lichtfest und Eos war die Göttin der Morgenröte. Der mittelalterliche Theologe, Honorius von Autun (fl. 12. Jh.), leitete Ostern von Osten ab, der Himmelsrichtung, in der die Sonne aufgeht, was ein Symbol für die Auferstehung ist. Auch wurde die österliche Taufe traditionell im Morgengrauen durchgeführt. Die Nähe von „easter“ und „east“ würde zu dieser Erklärung gut passen. Eine andere Erklärung schlägt vor, dass eher die weißen Taufkleider ausschlaggebend für die benennung der Osterwoche als albae paschales waren und dass das ahd. Wort für alba „eostarum“ war. Ebenfalls auf die Taufe spielt die These des Namensforschers Jürgen Udolph an, der in diversen nordgermanischen Sprache den Wortstamm ausa („mit Wasser begießen“), bzw. austr („gießen“) ausgemacht haben will.

Na ja, so kann ich vermutlich also auch nicht klären, warum Ostern Ostern heißt. Aber als Mediaevist sympathisiere ich natürlich mit Honorius, zumal seine die älteste handfeste Erklärung ist. Habt ihr andere Thesen oder Ideen? Dann her damit!

Sind wir nicht alle ein bisschen Spitzer?

Donnerstag, 20. März 2008

Wenn man unter braven Bürgern das Thema staatliche Überwachung anspricht, rollen viele mit den Augen und sagen, sie hätten doch nichts zu verbergen, sie seien ja keine bösen Terroristen und deshalb sei das mit der Überwachung alles gar nicht so schlimm. Unser Bundesverfassungsgericht sieht aber in der zunehmenden Überwachung der Bundesbürger eine Gefahr für die freiheitlich demokratischen Grundlagen, die in unserer Verfassung formuliert sind.

Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt gerade ein sehr schönes Beispiel aus den USA. Vielleicht hat jemand mitgekriegt, dass der New Yorker Senator, Eliot Spitzer, in der letzten Woche Protagonist eines Skandals geworden ist, nachdem eine Hostess ausgesagt hat, Spitzer sei ihr Kunde gewesen. Nun ist Prostitution in den USA verboten und also hat sich auch Spitzer strafbar gemacht (mit welchen Geldern die Dame bezahlt wurde, frage ich gar nicht erst).

Wie kommt aber eine junge Frau, die ihr Geld als Hostess verdient, dazu, über einen Kunden auszusagen und damit ihre eigene Integrität zu gefährden? Ganz einfach, das FBI hat ein geheimes Tonband geleakt, auf dem beide zu hören sind. Der Senator wurde also akustisch überwacht, während er mit dieser Dame intim war. Welchen Grund hatte das FBI, Spitzer abzuhören und welchen Grund hatte es, die Daten jetzt an die NY Times weiterzureichen? Auch dafür gibt es eine einfache Erklärung. Spitzer machte in einem Artikel, „Predatory Lenders‘ Partner in Crime„, der Washington Post die Bush-Junta für die Immobilienkrise in den USA und damit für den derzeitigen Börsencrash mitverantwortlich. Nun ist dieser Umstand eigentlich jedem denkenden Menschen offenbar, aber Spitzer hat es gewagt, darüber zu sprechen und seine Stimme hatte Gewicht und deshalb wurde er unbequem, wie die Asia Times in einem Artikel „Why Spitzer was Bushwhacked“ sehr anschaulich darlegt. Was eignet sich da besser als ein Sexskandal, das hat bei Clinton doch auch schon funktioniert.

Das klingt nach einem James-Bond-Film? Ja, irgendwie schon. Aber Fakt ist, jeder hat etwas zu verbergen, ob es die Steuerhinterziehung in Lichtenstein ist, die heimliche Affäre mit der Sekretärin, die Zuneigung zum eigenen Geschlecht, der Rochus auf den Chef, das gelegentliche Flaschparken, Schwarzarbeiten, „illegale“ Downloads, den Absturz nach der letzten Party mit übermäßigem Alkoholgenuß, die Gute-Nacht-Tüte, das Näschen Koks, das Abo beim Pornokanal, usw. usw. Noch wird uns die freie Meinungsäußerung zugestanden, noch dürfen wir sagen, dass wir Frau Zypris als Bundesverfassungsrichterin für eine absolute Fehlbesetzung halten, noch gibt es keine Zensur.

Aber wenn wir das Gefühl haben, überwacht zu werden, dann sind wir eingeschüchtert und trauen uns auch im Privatraum bald nicht mehr zu sagen, was wir denken, geschweige denn lautstark für unsere Freiheit und die unserer Nachbarn einzutreten. Wer würde seinem Chef schon ins Gesicht sagen, dass er ein Arschloch ist? Wenn alles, was wir tun und sagen, ständig und überall auf Abruf gespeichert wird, mußt nur graben, wer sich durch unser bürgerrechtliches Engagement auf den Schlips getreten fühlt und früher oder später findet er das Band, das uns beim Sex mit einer Hure zeigt. Denn spätestens nach der Einführung des „Hackerparagraphen“, der Urheberrechtsnovelle, der Änderung des Sexualstrafrechts und allen Verboten, die uns demnächst Freiheiten nehmen werden, die wir einst besaßen, werden wir alle ein bisschen Spitzer sein.

Précis: Sprechhandlung und Sprachwerk; Sprechakt und Sprachgebilde

Montag, 17. März 2008

Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.

Diesmal bespreche ich wiederum einen Auszug aus Bühlers „Sprachtheorie“, diesmal den Abschnitt „Sprechhandlung und Sprachwerk; Sprechakt und Sprachgebilde“, der mich vor allem deshalb beeindruckte, weil darin die Auffassung von Sprachgebilden als Werke eines zielgerichtet formenden Sprechers etabliert wird; ein Umstand, der mein eigenes Dichten stark beeinflußt hat.

Sprechhandlung und Sprachwerk; Sprechakt und Sprachgebilde ~ Karl Bühler

Im Abschnitt „Sprechhandlung und Sprachwerk; Sprechakt und Sprachgebilde“ seiner „Sprachtheorie“ klärt Bühler den Inhalt und die Bedeutung der vier genannten Termini. Er beginnt, indem er darauf hinweist, dass jedes konkrete Sprechen nicht nur in Handlungen eingebunden, sondern auch selbst Handlung sei, da es auf ein Ziel hin gesteuert würde und alle zielgesteuerten Tätigkeiten des Menschen Handlungen seien.
So beschreibt er zunächst die Sprachhandlung und das Sprachwerk, die in ihrer Konstitution beide Handlungen seien, sich jedoch dadurch unterschieden, dass sie unterschiedliche Ziele anstreben. Zielgesteuertes Sprechen entstünde, „wo das in einer Konzeption vorweggenommene Resultat des Tuns schon prospektiv die Betätigung am Material zu steuern beginnt und wo dann schließlich das Tun nicht mehr zur Ruhe kommt, bevor das Werk vollendet ist.“ (p.57, unten). Somit steht die Sprechhandlung unter dem Merkmal, dass das Werk (die empraktische Rede) dann vollendet ist, wenn es die Aufgabe, das praktische Problem der Situation zu lösen, erfüllt hat. Das Sprachwerk entsteht jedoch, wo ein Sprecher schaffend an der adäquaten sprachlichen Fassung eines gegebenen Stoffs arbeitet.
Die Sprechhandlung sei, laut Bühler, eingebunden in die aktuelle Sprechsituation der Sprecher, das Sprachwerk jedoch nicht. Letzteres „will entbunden aus dem Standort im individuellen Leben und Erleben seines Erzeugers betrachtet sein.“ (p. 58, oben). Es sei ein Sprachprodukt, welches der aktuellen Sprechsituation enthoben ist und selbstständig/autonom existiert und würde auf seine Entbindbarkeit aus der individuellen praktischen Kreszenz hin vom Sprecher gestaltet. Im Falle des hochgeübten kultivierten Sprechens flössen beide Sprecharten jedoch z.T. untrennbar ineinander.

Weiterhin sagt Bühler, dass hervorragende Sprachwerke der Forschung in einmaligen Zügen von besonderer Qualität bedeutsam seien, wobei jedoch Sprachkunstwerke der Lyrik, Dramatik oder Epik gemeint sind. Sinnvoll erscheint ihm auch die wissenschaftliche Betrachtung der Sprachwerke von bspw. Kindern, da auch für die Erfassung des Einzelnen geeignete Kategorien entwickelt werden müssten.

Für eine Theorie der Sprechhandlung hat die Psychologie einige Grundlagen geschaffen. So wird der Begriff „Handlung“ gemein als historischer Begriff betrachtet, was heißt, dass eine Handlung sich nicht punktuell, sondern im Verlauf vollzieht. Bühler selbst sieht in der Handlung zwei Determinationsquellen, das Bedürfnis und die Gelegenheit, wodurch sich das Aktionsfeld einer Handlung in zwei präsente Bestimmungsmomente der inneren und äußeren Situation gliedert. Die Einsicht der Duplizität des Aktionsfeldes und der nur historischen Fassbarkeit einer Handlung sieht Bühler als besonders wichtig an. Dahingehend sei die Historie einer Sprechhandlung vom ersten Auftauchen der Idee bis zur eigentlichen Handlung eine Aktgeschichte („Akt“/“agieren“ von lat. agere, actum). Die Diskussion, ob das Gehirn dabei analytische (ausgliedernde) oder synthetische (aufbauende) Arbeit leistet, sei für die Untersuchung der Aktgeschichte heute nicht mehr relevant.

Wie sich aus der Untersuchung des konkreten Sprechens („Parole“) eine Wissenschaft der Sprache („Langue“) allgemein ergeben könnte, zeigt der logische Charakter der Sprachgebilde (Sinn und Lautzeichen), den Bühler aufzeigt. So sei eine wichtige Erkenntnis der Sprachwissenschaft, dass Sprachgebilde als Produkt der Sprechhandlung oder als Sprachwerk aus den Umständen der konkreten Sprechsituation ablösbar sind. Die schematischen Relationen von Sinn und Lautzeichen würden den Gegenstand „Sprache“ konstituieren. Die Sprachgebilde selbst hätten intersubjektiven Charakter. Somit sei die Sprache als „Langue“ unabhängig vom einzelnen Sprecher und bestünde nur kraft einer Art Konvention zwischen den Gliedern der Sprachgemeinschaft. Darin begründet sich auch die These von der Idealität des Gegenstandes „Sprache“, der innerhalb der konkreten Sprechsituation so nie in Erscheinung treten wird, sondern nur bruchstückhaft in den Sprachgebilden, die ihn konstituieren, existent ist.

Juni 2004

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Quelle: Bühler, K. Sprachtheorie. (Auszüge), 1934, in: Hoffmann, L. (Hrsg.) Sprachwissenschaft. Ein Reader. De Gruyter, Berlin/NewYork, 1996

Werkeinführung: Beethoven ~ Christus am Ölberge | Szymanowski ~ Stabat Mater

Donnerstag, 13. März 2008

Am 11. April 2008 wird mein Chor, die Berliner Singakademie, sein drittes Abonnementkonzert in dieser Saison aufführen. Auf dem Programm stehen Ludwig van Beethovens „Christus am Ölberge“ und Karol Szymanowskis „Stabat Mater“. Das Ganze kommt ab 20:00 Uhr im Großen Saal des Konzerthauses Berlin (am Gendarmenmakrt) auf die Bühne. Unterstützung bekommen wir vom Konzerthausorchester und renommierten Solisten. Freunde, die Karten über mich bestellen möchten, bekommen 15% Rabatt auf die oberen drei Preiskategorien. Meldet euch einfach bei mir oder bestellt online! Aber nun zur Werkeinführung.

Werkeinführung

Als es im 19. Jahrhundert durch die Initiative Mendelssohns zur „Bach-Renaissance“ kam, gerieten die religiösen Oratorien des 18. Jahrhunderts langsam in Vergessenheit, und kaum jemand weiß heute noch, dass auch Ludwig van Beethoven, der uns in erster Linie durch seine Instrumentalwerke vertraut ist, ein solches Stück für Chor und Orchester komponiert hat. Obwohl die hohe Opuszahl einen späteren Entstehungszeitraum vermuten lässt, entstand Christus am Ölberge in der Zeit der Zweiten Sinfonie. Beide Stücke wurden am 5. April 1803 zusammen mit weiteren Werken im Theater an der Wien uraufgeführt.

Als während der Fastenzeit Opernaufführungen verboten waren, ließ Emanuel Schikaneder, der berühmte Direktor des genannten Wiener Theaters, publikumswirksame Konzerte aufführen. Beethovens Oratorium schien mit seinen vor der Passion Christi angesetzten Inhalten ein passender Ersatz. Gleichzeitig betrat Beethoven neues kompositorisches Terrain und konnte sich seinem Publikum erstmals mit einem Vokalwerk präsentieren. Trotz der Länge des Konzertabends, dem langwierige und anstrengende Proben vorausgegangen waren, wurde Christus am Ölberge von der Hörerschaft gut aufgenommen und zu einem der wenigen Erfolge, die dem Komponisten während seiner Lebzeit vergönnt waren. Die Allgemeine Musikalische Zeitung (AMZ) lobte das Oratorium als sensationellen Erfolg.

In seiner dunklen Tonart verweist die kontemplative Es-Moll-Einleitung bereits auf Fidelio, die einzige Oper Beethovens, die ebenfalls im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Musikalische Anklänge verweisen auch auf das Kompositionsstudium bei Antonio Salieri, erinnern an Carl Philipp Emanuel Bach, Mozart oder Haydn. Das Textbuch stammt von Franz Xaver Huber, einem Wiener Schriftsteller, der sich als Librettist bereits einen Namen gemacht hatte. Beethoven war davon nicht vollständig überzeugt: In einem Brief schrieb er 1824, er wolle lieber Homer, Klopstock oder Schiller vertonen, die er wegen ihrer dramatischeren Sprache dem reflexiven Ton Hubers vorzog. Dennoch veränderte er 1811 zur Drucklegung keine Silbe des von innerer Reflexion und Geistlichkeit getragenen Textes.

Thematisch ebenfalls in Richtung der Passion weist Karol Szymanowskis Stabat Mater, eine Kantate aus sechs Sätzen, die Aushängeschild des individuellen und facettenreichen Stils des polnischen Komponisten ist und diesen über Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht hat. Viele heterogene Einflüsse verschmelzen hier zu einem Tableau, so greift Szymanowski auf den Gregorianischen Choral oder die Parallelorgana der Pariser Notre-Dame-Epoche zurück, orientiert sich an der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts, aber auch den impressionistischen Klängen seiner Zeitgenossen Stravinsky und Ravel oder den rhythmischen Novitäten eines Alexander Skrjabin.

Besonders war Szymanowski aber um die Rolle der polnischen Musikkultur bemüht und suchte zeitlebens nach einem Nationalstil, während das Land erst 1918 überhaupt die Staatssouveränität erlangte. Bereits als Student schloss er sich der Berliner Gruppe „Junges Polen“ an, die sich als Konzertveranstalter und Herausgeber polnischer Kompositionen hervortat. Da er wegen einer Knieverletzung vom Kriegsdienst befreit war, lebte er während des Ersten Weltkrieges zurückgezogen auf dem ukrainischen Familiensitz, um sich fernab des Tumults seinen Kompositionen zu widmen.

Als das Grundstück aber während der russischen Revolution zerstört wurde, bekam auch er das menschliche Leid hautnah zu spüren, ein Leid, das auch aus seinem Stabat Mater bedrückend hervorschreit, in leisen Passagen unsicherer Angst oder gewaltigem Aufbrausen von Zorn und Verzweiflung. Anlass zu dieser ans Innerste rührenden Komposition hatte im Januar 1925 der Tod seiner Nichte gegeben, ein Jahr später liegt die Partitur vor, und 1929 kommt es in Warschau unter Grzegorz Fitelberg, einem Mitglied des „Jungen Polen“, zur umjubelten Uraufführung. Das franziskanische Gedicht um die Mater Dolorosa – Szymanowski legte eine polnische Variante zugrunde – wird zu einem überreligiösen Symbol der Trauer und Verzweiflung.

Am 11. April 2008 wird die Berliner Singakademie beide Werke gemeinsam mit dem Konzerthausorchester sowie Yoon Cho Cho (Sopran), Bogna Bartosz (Alt), Markus Schäfer (Tenor) und Mario Hoff (Bass) um 20:00 Uhr im Konzerthaus Berlin aufführen. Karten gibt es zwischen 8 und 25 € online auf http://berliner-singakademie.de (mit Lieferung nach hause) oder an Konzertkassen (mit selbst Rausgehen). Wir würden uns über Euren Besuch freuen.

Künstler gleich Gott

Freitag, 07. März 2008

„Künstler gleich Gott. Literarische Emanzipation bei Frauenlob“ ist die kurze Erläuterung einer These, die ich in meiner mündlichen Zwischenprüfung in Altgermanistik zur Disposition stellte. Für mich war sie vor allem deshalb spannend, weil es hier um ein neues Künstlerverständnis, nämlich den Dichter als Handwerker, geht. Da die Prüfung nur 20 Minuten dauerte und noch vier weitere Thesen zu besprechen waren, reichte die Zeit nicht für eine Vertiefung meiner Ausführungen. Aber es wäre schade, wenn ich mir all diese Gedanken gemacht hätte, um sie dann für mich zu behalten. Deshalb nun hier die Argumentation.

Künstler gleich Gott.
Literarische Emanzipation bei Frauenlob

„Frauenlobs Marienleich offenbart eine literarisch-künstlerische Emanzipation, die einhergeht mit einer individualisierenden, selbstbewußten Sichtweise auf das Verhältnis Mensch-Gott.“

Nachdem ich mich aufgrund meiner Zwischenprüfung eingehender mit Heinrich Frauenlob (= Heinrich von Meißen) und seinem Marienleich befaßt hatte, war ich zu der Auffassung gekommen, dass darin eine literarische Emanzipation zum Ausdruck kommt, in der sich ein neues Selbstverständnis des Dichters als schöpfendem Künstler offenbart.

Wir befinden uns mit dem Marienleich in einer Zeit um 1300. Aufgrund von Anspielungen in diversen Schmähschriften, die Frauenlob als Kind oder junges Meisterlein bezeichnen, nimmt man an, dass es sich um ein Jugend- oder Frühwerk des deutschen Dichter-Komponisten handelt. Das auffälligste und charakteristischste Merkmal, das wohl auch die zahlreichen Kritiker auf den Plan rief, ist die manirierte Rhetorik des Textes. Sie äußert sich in einer Fülle von schwer zugänglichen Bildern, Stilfiguren und Tropen und in diesem Falle auch in der Wahl einer komplexen und hochanspruchsvollen Bauform. Hier ist ein kleiner Auszug aus dem um die 500 Verse umfassenden Poem. Maria spricht:

ich binz, ein acker, der den weize zîtic brâhte her,
dâ mit man spîset sich in gotes tougen;
ich drasch, ich muol, ich buoc lind unt niht harte,
wan ich mit olei ez bestreich:
des bleip sîn biz sô suoze weich;
ich binz, der tou, dem nie entweich
diu gotheit, sît got in mich sleich.
mîn schar gar klâr var.
er got, si got, ich got: daz ich vor niemen spar.

(Verse 12, 25-33)

Dieser Sprachstil wird in der Literaturforschung „geblümter Stil“ genannt und er entspricht ungefähr dem hohen Stil der lateinischen Oratores, der in Lob- und Festreden gepflegt wurde. Hier finden sich linguistische Spitzfindigkeiten wie Genitivattributionen, Spiegelsymmetrie syntaktischer Kola, Parallelführungen oder seltene Wortwahl. Nun ist im gesamten Mittelalter Latein die Bildungssprache, also die Sprache der Bildungselite, die im Gegensatz zur Volkssprache nicht jedem zugänglich war. Durch die Ausschmückung der Volkssprache, wie sie im Marienleich offenbar ist, und ihre Anpassung an die lateinische Sprachästhetik passiert zweierlei: Auf der einen Seite kommt es zu einer Hermetik, da Frauenlobs Werke so nur noch einigen wenigen, speziell gebildeten Menschen zugänglich sind. Auf der anderen Seite kommt es aber auch zu einer Aufwertung der Volkssprache, wodurch eine Elite kultiviert wird, die die Volkssprache als Literatursprache kennen und schätzen lernt.

Dies birgt ein emanzipatorisches Moment, das in den Literaturen gesamt Mitteleuropas zu beobachten ist. Frauenlobs florentiner Zeitgenosse Dante Alighieri verfaßte italienische, von musikalischer Vertonung losgelöste Sonette und schrieb eine Abhandlung, „De vulgari eloquentia“, über die Angemessenheit der Volkssprachen (wohlgemerkt auf Latein). Meister Eckhart, ein deutscher Mystiker derselben Zeit, predigte in der Volkssprache, um auch dem einfachen Volk die Gottesmysterien verständlich zu machen. Ein Nachfolger Frauenlobs, der französische Dichter-Komponist Guillaume de Machaut, veranlaßte wohl die Sammlung und Konservierung seiner volkssprachigen Dichtungen. Dessen Schüler Eustache Deschamps erspinnt die Gesellschaft der boehmen Fumeurs und seine Zeitgenossin Christine de Pizan verfaßt eine Schrift in der sie die Darstellung der Rolle der Frau im berühmten „Roman de la Rose“ kritisiert. Die Volkssprache, sei es das Italienische, Französische, Englische oder Deutsche, wird mit der Lateinischen Sprache auf Augenhöhe gehoben und damit salonfähig gemacht.

In diesem Zusammenhang scheint auch der Dichter ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Konrad von Würzburg, ein Vorbild Frauenlobs, schrieb um 1250 die „Goldene Schmiede“, ein fast 2000 Verse umfassendes Mariengedicht von besonderem Reichtum. Obwohl die Gottesmutter mit Worten nicht hinlänglich gelobt werden könne, wie der Dichter anmerkt, wolle er in der Schmiede seines Herzens ein Loblied auf sie schmieden. Obwohl die „Goldene Schmiede“ ein Bravourstück ist, hält es der Dichter für nötig, seinen Namen in den Text einzuflechten, um auf dessen gekonnte Fertigung durch einen befähigten Künstler hinzuweisen. Eine solche Etikette braucht Frauenlobs Marienleich nicht mehr. Allein dessen Maniriertheit reicht aus, um jeden Zweifel an seiner Kunstfertigkeit auszuräumen. Beide unterstreichen ihre Künstlerauffassung aber durch bewußt gewählte Metaphern, die den Dichter als Handwerker darstellen. Während er bei Konrad Schmied ist, ist er in einem Spruch Frauenlobs Zimmermann:

Ja tun ich als ein wercman, der sin winkelmaz
ane unterlaz
zu sinen werken richtet,
uz der fuge tichtet
die höhe und lenge: wit und breit,   alse ist ez geschichtet;
und swenne er hat daz winkelrecht    nach sinem willen gezirket,
darnach er danne wirket, als man wirken kann.

(V.13.1-7)

Bei beiden tritt hier das Moment des „Wirkens“ zutage. In der Darstellung Marias geht Frauenlob aber weiter als Konrad. Nicht ihre Vermittlerposition zwischen Mensch und Gott ist zentrales Thema, sondern ihre Stellung als Zwitterpersönlichkeit zwischen Göttlichem und Menschlichem. Immer wieder wird im Zirkelschluß die von Gott geschaffene Maria in ihrer Eigenschaft als Gottesgebährerin stilisiert. Durch Maria ist Gott Mensch geworden. Dieser Schöpfungsakt scheint sie selbst gottgleich zu machen, was im Text durch ihre in exakter mathematischer Mitte positionierte Äußerung „ich got“ auch explizit geäußert wird.

Diese Darstellung Marias offenbart eine völlig neue Sichtweise auf das Verhältnis Mensch-Gott, das nicht mehr nur von der Menschwerdung Gottes, sondern auf einmal auch von der Gottwerdung des Menschen ausgeht. Diese vollzieht sich durch den Schöpfungsakt, der schöpfende Mensch rückt in die Nähe Gottes. Als in besonderer Weise schöpfender Mensch gilt sowohl Konrad als auch Frauenlob der wirkende Dichter. In seiner Meisterschaft ähnelt der dem höchsten Meister, dem schöpfenden Gott. Jahre später werden sich die Meistersinger an diesem Künstlerideal orientieren und sich zu Hauf auf Frauenlob, den Gründer der ersten Sängerschule, berufen.

März 2008
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Quelle: Barbara Newman, Frauenlob’s Song of Songs. A Medieval German Poet and His Masterpiece, Penn State University Press, 2007

Lebenszeichen mit Dodekakophonie und neuem Grundrecht

Mittwoch, 05. März 2008

Nachdem Leute nun schon anfangen, sinnfreie Kommentare unter meine Artikel zu posten, um auf ihre Heimseiten hinzuweisen, muß ich mal wieder ein Lebenszeichen von mir geben. Nein, ich bin nicht tot, ich hatte heute nur eine mündliche Prüfung und den letzten Monat mit der Vorbereitung verbracht. Das Gute daran ist, dass ich neue und spannende Themen für poetikrelevante Artikel gesammelt habe, die ich nun nach und nach hier veröffentlichen werde.

Ich habe zum Beispiel das Wort Kryptopolyphonie kennengelernt, dass außer in der Phonie nicht viel mit Dodekakophonie zu tun hat. Dodekakophonie ist allerdings eine Empfehlung, die ich hier schon lange aussprechen wollte. Der Berliner Entertainer Bodo Wartke erklärt auf sehr anhörliche Weise, was Dodekakophonie ist, um sie der Welt etwas näher zu bringen.

Auf Bodo Wartke haben mich die Berliner Clubnerds vom CCC aufmerksam gemacht, die sich über „PCdenzfall“ freuten. Aber es hat sich herausgestellt, dass Bodo Wartke mit seinen unkonventionellen Reimen und seinem Sprachwitz auch für Poetikbegeisterte durchaus unterhaltsam ist.

Ein anderer erfreulicher Fall, der bestimmt schon allen bekannt ist, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Mittwoch, bei dem auch ein neues Grundrecht, getauft „Grundrecht auf digitale Intimsphäre„, formuliert wurde. Wir erinnern uns: Im vergangenen Oktober hatte Andreas ja ein Stelldichein mit den wachen Richtern vom Bundesverfassungsgericht, um als sachverständige Auskunftsperson über den sogenannten Bundestrojaner aufzuklären. Und während man bei den Expertenanhörungen im Bundestag immer geflissentlich ignoriert wird, nehmen einen die Bundesverfassungsrichter offenbar ernst. Sie erkannten jedenfalls, dass die Festplatte für nicht wenige Bürger heutzutage zu einem ausgelagerten Gehirn geworden ist und dass der Staat kein Recht hat, dort heimlich rumzuspionieren. Ich kann jetzt jedenfalls meinen Ordner „Bombenbauanleitungen“ wieder in Notizen umbenennen, weil ich es nicht mehr als meine Bürgerpflicht erachte, ihn BND-tauglich navigierbar zu gestalten.