Archiv für Juni 2007

Lebendige Sprache verändert sich

Donnerstag, 28. Juni 2007

Konrad Lischka ärgert sich in einem plakativen Spon-Artikel über Anglizismen, neue Verben und ähnliche Eigendynamik der deutschen (Internet-)Sprache. Sittenstreng verurteilt er den Gebrauch von Wörtern wie „Googlen“ oder „downloaden“ und beschwört seine eindimensionale Betrachtung unter Berufung auf das stillschweigende Kopfnicken ach so vieler Spon-Leser.

Auch wenn ich ab und an mal Spon klicke – meine Zustimmung als Spon-Leser hat Lischka mit seinem Sprachspießertum nicht. Ja, ich gebe zu, ich gebrauche „downgeloaded“ auch lieber als „gedownloaded“, einfach weil es der mir gewohnten Morphologie entspricht. Aber dass das Wort so oder in ähnlicher Form im aktiven deutschen Sprachgebrauch ist, zeigt, dass es nicht nur von einer nicht wegzudiskutierenden Zahl Deutschsprechender angewandt, sondern offenbar auch verstanden wird. Was kann also verkehrt, schändlich oder ärgerlich an einem solchen Wort sein?

Natürlich verändert sich eine lebendige Sprache und es ist keine unerhörte Neuerung, dass dabei Wörter aus anderen Sprachen entlehnt und integriert werden. Gäbe es diese Möglichkeit zur Veränderung nicht, hätten heute viel gebrauchte lateinische Fremdwörter wie „Fenster“ oder „Mauer“ nie Einzug in die deutsche Sprache erhalten. Unerhört? In der Spätantike war eben Latein die schicke Fremdsprache, im 17./18. Jahrhundert war es Französisch und heute ist es eben Englisch. Sprachliche Veränderungen passieren nicht aus bösem Willen. Sie sind Zeugen der sich verändernden Umwelt oder reflektieren deren veränderte Wahrnehmung. Sie sind höchst pragmatischer Natur und in vielen Fällen auch Mittel zur Sprachökonomie. Es ist kompliziert zu sagen – das kannst du in der Internet-Suchmaschine Google eingeben – wenn es – das kannst du googeln – auch tut. Zumal hier auf einen Referenten verwiesen wird, für den in dieser Form vorher überhaupt noch kein deutscher Begriff existierte. Sprachveränderung ist auch semantische Bereicherung!

Was passiert, wenn man einer Sprache (aus welchen Gründen auch immer) die Möglichkeit zur Veränderung beschneidet, kann man deutlich am strengen Gebrauch des Lateinischen im Vatikan erkennen. Man könnte „Computer“ oder „Flugzeug“ sagen, aber dafür gibt es im Lateinischen ja keine Wörter, deshalb müssen da Hilfs-Konstruktionen erfunden werden. Für Computer steht dann Maschine, die Informationen anhand von binären Stromzuständen speichert… – ach so, für „Strom“ gibt es natürlich auch noch kein lateinisches Wort. Man kann es sich durch selbst auferlegte Normen also auch echt kompliziert machen – aber wer will das denn?

Wollen kann das nur die Klientel, der die Veränderungen in der Welt über den Kopf wachsen, weil sie mit deren Tempo nicht mehr mithalten kann oder will. Diese Klientel ärgert natürlich auch der Umgang mit neuen Wörtern, weil ihr das natürlich vor Augen führt, dass sie an irgendeinem Punkt in der Vergangenheit stehengeblieben ist und nicht mehr zur Gruppe der Versteher, der Checker, der Insider gehört. Natürlich zeugt auch für mich der unbewußte Gebrauch von Fremdwörtern oder deren unbeabsichtigte Verballhornung von sprachlicher Inkompetenz – die Verweigerung gegenüber natürlicher* Sprachentwicklung und deren daraus folgende pauschale Verurteilung tut es aber ebenso. Man muß sich einem Trend nicht sprechend anpassen, mitunter kann ein individueller Sprachgebrauch ja auch sehr schön sein. Aber mit dem Sprachhorizont einer knienden Ameise und dem Wortschatz der Dudenausgabe von 1880, disqualifiziert man sich trotz dilettantischem Getue in jedem Falle vor allen echten Sprachmagnaten.
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*edit: Da unklar ist, ob Sprache überhaupt etwas Natürliches ist, ist diese Formulierung fehl am Platze.

Gummiparagraphen

Mittwoch, 27. Juni 2007

A propos Gummiband. Nicht nur die Wirkung des Enjambements läßt sich als solches paraphrasieren, nein, auch unsere neueren Gesetze und Gesetzesentwürfe weisen zunehmend gatschigen Charakter auf, weshalb sie auch in den Mainstreammedien als Gummiparagraphen bezeichnet werden. Gummiparagraphen zeichnen sich durch den Gebrauch vieldeutiger Worte wie „Verantwortung“ oder „Absichten“ aus, und zwar den Gebrauch in einem Maße, das den gesamten Paragraphen schwammig macht. Das gefährliche daran ist, dass Richter erst interpretieren müssen und dass Recht und Unrecht somit stark von ihrer Interpretation abhängen. Der Bürger, für den diese Gesetze ja eigentlich gemacht sind, weiß daher vorher nie genau, ob sich eines Vergehens gerade schuldig macht oder nicht. Unter Umständen kommt es dann zu einer mit logischem Menschenverstand nicht mehr nachvollziehbaren Rechtsprechung, wie in diesem von SpOn berichteten Fall.

Ein Forenbetreiber haftet, weil sich ein anonymer User seines Boards in einer Weise über einen Dritten ausgelassen hat, die nach dem Empfinden des Dritten dessen Persönlichkeitsrecht angriff und weil dieser Dritte sich darob zu klagen veranlaßt sah. Natürlich greift man sich an den Kopf, nicht nur weil es eigentlich der freien Meinungsäußerung unterliegen sollte, sich über irgendwen auszulassen, nein, auch weil der Forenbetreiber, der nun für diese anonyme Meinungsäußerung wenig kann, dafür haften muß. Die Unsicherheit, die das hervorruft, ist groß. Sollten wir in Deutschland deswegen lieber darauf verzichten, sogenanntem „user created content“ auf unseren Seiten Raum zu bieten? Es könnte ja sein, dass wir sonst für etwas belangt werden, das wir weder meinen, noch sagten.

Erst vor kurzen waren wir zu Besuch im Bundestag, um der „demokratischen“ Abstimmung über den sogenannten Hackerparagraphen (§ 202c StGB) bezuwohnen, der ebenso schwammig ist und von vielen kompetenten Leuten darob stark kritisiert wurde. Ein Argument unserer Bundesregierung war, dass man das Gesetz ja wieder ändern könne, wenn es zu Problemen komme. Ich würde die Rechtsprechung im oben verlinkten Fall deutlich als Problem einstufen, doch über eine Änderung des schwammigen Telemediengesetzes wird nicht nachgedacht. Schließlich hat ein Richter hier Recht gesprochen und was Recht ist, kann ja nicht Unrecht sein. Oder doch?

Der Hackerparagraph ist bisher noch ein Entwurf, der erst noch vom Bundesrat verabschiedet und vom Bundespräsidenten unterschrieben werden muß, bevor er Gesetz wird. Bisher stellt er die Herstellung, den Vertrieb und den Gebrauch von Software zur Systemprüfung und -sicherung unter Strafe. Denn diese Software kann von Crashern benutzt werden, um in fremde Systeme einzudringen, diese auszuspionieren oder sonstig zu manipulieren. So weit so gut.

Was der Entwurf offenbar nicht bedenkt, ist, dass dieselben Tools auch von Administratoren benutzt werden, um ihre Systeme vor solcherlei Angriffen zu schützen. Packetizer, Firewalls und Anti-Viren-Programme fallen z.B. darunter. Wer sie benutzt, könnte sie eventuell demnächst eines Verbrechens schuldig machen. Die Bundesregierung glaubt, sie könne dieses Problem durch die Absichtsklausel lösen, d.h. dass die Handhabung solcher Software unter der Absicht, in fremde Systeme einzudringen, stehen muß, um strafbar zu sein. Nur ist natürlich schwer zu sagen, wer wann welche Absicht hat. Des weiteren kann auch ein Administrator die Absicht haben in ein System einzudringen, nämlich um dessen Sicherheit zu testen.

Die zwei Beispiele zeigen, dass es äußerst gefährlich ist, einem Gesetz durch schwammige Formulierungen zu viel Raum für die Interpretation zu lassen. Nicht nur, dass plötzlich niemand mehr vor dem Gesetz sicher ist, es wird auch dazu führen, dass wir uns aus Angst vor staatlichen Repressionen selbst beschränken. Da dies unsere persönliche Freiheit einschränkt, die durch mehrere Artikel des GG gesichert sind, gefährden schwammig Gesetze unsere Verfassung.
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Wenn dir weitere Beispiele schwammiger Gesetzgebung oder bereits aufgetretener Probleme durch schwammige Gesetzgebung einfallen, scheue dich nicht, sie hier vorzustellen! Gummiparagraphen sind nicht nur ein politisches, sondern auch ein linguistisches Problem.

Ideen zur markedness theory

Dienstag, 26. Juni 2007

Ich habe einmal für das Enjambement als Stilmittel argumentiert, dass es seine Wirkung nicht entfalten kann, wenn es in einem Text voller Zeilensprünge auftaucht. Das Enjambement ist ein Stilmittel, das, wenn sparsam und präzise angewandt, sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es beschleunigt einen Vers, indem es ihn überspannt wie ein Gummiband, das ungehalten nach vorne schnellt, sobald man es losläßt. Gibt es aber nur „überspannte“ Verse, so verliert die Figur ihre besondere Wirkung, ähnlich wie etwas Wichtiges, das man sich mit einem Stift markiert hat, nicht mehr hervorsticht, wenn der gesamte Text markiert ist.

An diesem Punkt kommt die markedness theory*1 ins Spiel, die ursprünglich mal von einem Phonologen entwickelt wurde, inzwischen aber auf die gesamte linguistische Forschung angewandt und ausgeweitet wird. Es geht um den Unterschied zwischen dem „Normalen“ und dem Besonderen, dem Speziellen, dem Markierten. Es ist z.B. so, dass der Plural eines Worte mehr Bedeutungen haben und in einem weiteren begrifflichen Kontext gebraucht werden kann, als der Singular eines Wortes, der oft auf einen sehr speziellen Referenten verweist und also markiert ist.

Markedness ist aber kontextabhängig. Normalerweise tanzt nur die Prima Ballerina auf den Zehenspitzen und die übrigen auf dem vollen Fuß, daher ist die Primaballerina als etwas Besonderes markiert. Tanzen aber in einer besonderen Choreographie alle Ballerinas auf den Zehenspitzen, wird jene besonders, die auf dem vollen Fuß tanzt. Markiert ist immer das Besondere, auch wenn die Art der Besonderheit vom Kontext abhängig ist.

In einem Text, in dem jedes Versende mit einem Zeilenende zusammenfällt, ist jener Vers besonders, der über das Ende der Zeile hinausschießt – unser Enjambement ist also markiert. Schießt aber jeder Vers über das Zeilenende hinaus, so verliert die Figur ihre markedness und sticht also nicht mehr in ihrer Wirkung hervor. Die Wirkung verpufft.

Im Kontext der Alltagssprache ist jedes Gedicht schon dadurch markiert, dass es sich einer poetischen also markierten Sprache bedient. Im Kontext des Gedichtes ist das Poetische aber „Normalzustand“ und plötzlich kann eine bewußt saloppe oder derbe Sprache zum Markierten werden. Das Bewußtsein (und ich meine damit internalisiertes Empfinden) für die markedness einer Sprachfigur, kann damit zum Kriterium für das artistische Maß ihrer Anwendung im poetischen Kontext werden.
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1. Ich weiß leider keine adäquate Übersetzung für den englischen Terminus. Markedness heißt auf deutsch „Deutlichkeit“, was aber den essentiellen Aspekt des „Markiert-Seins“ total unter den Tisch fallen läßt und also verundeutlicht.

Fehlendes Komma läßt Helene dreimal heiraten

Dienstag, 19. Juni 2007

Gerade lese ich sehr gespannt das Nachwort zu einer Ausgabe der Handschrift Nr. 2920 der östereichischen Nationalbibliothek, die Historikern auch unter dem Namen „Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin“ bekannt ist. Dies ist das höchst interessante Selbstzeugnis einer Frau aus dem 15. Jahrhundert, die Hofdame der Königin Elisabeth war. Königin Elisabeth wurde 1422 die Frau des Herzogs Albrecht V. von Österreich und war selbst Tochter des ungarischen Königs und deutsch-römischen Kaisers Siegmund. Durch ihren Auftrag war Helene Kottanner nach Albrechts Tod in den Kronenraub verwickelt, der dem posthum geborenen Königssohn Ladislaus die ungarische Herrschaft sichern sollte.

Von dieser Helene Kottanner weiß man nun, dass sie zweimal verheiratet war; zunächst bis 1431 mit Peter Székeles, dem Ödenburger Bürgermeister, später ab 1432 dann mit Johannes Kottanner, der sie auch nach Ungarn begleitete. Im Nachwort Karl Mollays ist aber von einer sehr ominösen, dritten Heirat die Rede:

Frau Helene heiratete nämlich im Jahre 1432 auf Empfehlung des Wiener Stadtrates und des Wiener Domprobstes mit Einwilligung ihres Vaters und ihrer nächsten Verwandten sowie mit Erlaubnis des Ödenburger Stadtrates Johannis Kottanner den Kammerherren des Domprobstes, der nach Angaben Uhrlitz erst 1426 seine Großjährigkeit erreichte, also wohl jünger als Frau Helene war.

Wenn man Mollay also glauben darf, heiratete Helene im Jahr 1432 mit Erlaubnis Johannis Kottanners, der zu diesem Zeitpunkt Ödenburger Stadtrat war, einen gewissen Kammerherren des Domprobstes, der nicht näher benannt ist. Was hat das zu bedeuten, fragt sich der aufmerksame Geschichtsstudent da. Ganz einfach: Es bedeutet, dass Kommata für das Verständnis geschriebener Sprache von ausschlaggebener Bedeutung sein können. In Wirklichkeit heiratete Helene nämlich 1432 Johannes Kottanner, den Kammerherren des Dompobstes, und zwar mit der Erlaubnis des Ödenburger Stadtrates, der nicht näher benannt ist. Für diese Erkenntnis habe ich eine Weile gebraucht und jetzt werde ich einfach weiterlesen.

Linkverbot zum Wohle der Kunst?

Donnerstag, 14. Juni 2007

Nach langer Zeit der absoluten Funkstille erhielt ich von einem Verfasser, dessen Gedicht ich auf meiner Seite verlinke, gestern abend eine Mail. Ich solle doch „bitte“ den Link zu seinem Gedicht entfernen, da er seinen Text vom Netz genommen hätte. Meine verwunderte Nachfrage nach der Sinnhaftigkeit dieses Entzugs ergab: Der Link sei nicht in seinem Sinne, ich solle ihn zum Wohle der Kunst entfernen, dann würde er auch seinen Text wieder einstellen und die Welt könne sich wieder an dem schönen Gedicht erfreuen.

Ja, wie blöd ist das denn?

Früher stand einmal der ganze Text auf meiner Seite. Der Autor hatte mir dessen Veröffentlichung erlaubt und sich geehrt gefühlt. Dann, nach einigen privaten Meinungsverschiedenheiten, verlangte er plötzlich von mir, den Text von meiner Seite zu entfernen. Ich tat es, auch wenn ich es total kindisch fand, aber als Urheber hatte er das Recht auf seiner Seite.

An dieser Stelle muß ich aber auf ein inzwischen 4 Jahre altes Urteil des Bundesgerichtshofs zum Thema deep linking hinweisen. Damals hatte die Handelsblatt Verlagsgruppe gegen den Nachrichten-Suchdienst paperboy geklagt, weil dieser auf die Artikel des Verlages in seinen Trefferanzeigen direkt verlinkt hatte (ihr wißt schon, Google macht das heute auch so). Der Bundesgerichtshof entschied für paperboy und für die Links. Nicht einmal der Urheber eines Textes kann also dessen Verlinkung verbieten.

Für mich bedeutet das: Der Link bleibt! Ich lasse mich nicht von einem Kindskopf mit einem lächerlichen Appell an meine Liebhaberei [!] unter Druck setzen. Ich lasse mir nicht meine Meinung verbieten und ich lasse mir nicht verbieten, darob selbstgewählte Inhalte zu verlinken. Dann muß der Autor eben damit leben, dass die Welt seinen Text zukünftig nicht mehr lesen können wird. Das ist schade für die Welt, schade für den Text, geschieht dem Autor aber ganz recht, denn wie redete er einst selbst daher: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

Die lyrische Eingangspforte

Montag, 11. Juni 2007

Hallo liebe Leser, da diese Seite nun wieder voll einsatzbereit ist, möchte ich einen kleinen lyrischen Impuls geben und stelle euch daher diese Sammlung meiner Lieblingsgedichte – und einer Kurzinterpretation dazu – vor. Ich habe diese Sammlung mit „Lyrische Eingangspforte“ betitelt, da sie für mich das widerspiegelt, was mir den Einstieg in die Dichtung so versüßt hat: Die Reichhaltigkeit fremder Lyrik. Es wäre natürlich toll, wenn ein wenig dieser Begeisterung auf andere Leser abfärben würde!

I Einleitung

II Gedichte und deren Interpretation
II.1 Wünschelrute [Joseph Freiherr von Eichendorff]
II.2 Der römische Brunnen [Conrad Ferdinand Meyer]
II.3 Die römische Fontaine [Rainer Maria Rilke]
II.4 Die Beiden [Hugo von Hofmannsthal]
II.5 Eingelegte Ruder [Conrad Ferdinand Meyer]


I Einleitung

Die lyrische Eingangspforte

Fern ab von wissenschaftlicher Pedanterie möchte ich in diesem Faden zu einem kleinen Spaziergang durch einige Gedichtklassiker einladen und damit ein wenig von jener Begeisterung und Freude, an diesen Meilensteinen der deutschen Lyrik vermitteln, welche mich regelmäßig neu erfasst. Mir persönlich waren die klassischen Werke wie ein Tor in eine faszinierende Welt, in der Worte ihre eigene Beschränktheit überwinden und das scheinbar Unmögliche schaffen: Die Welt des rein Verbalen zu überwinden und in einem „Schiff“ aus Sprachlichem das Sprachlose zu erreichen. Diese wertvolle Eigenschaft zeichnet Lyrik vor allem aus: Ihre Fähigkeit Dinge zu transportieren die normalerweise zur Sprachlosigkeit verdammt in uns allen eingesperrt sind. Diese faszinierende Eigenschaft ist sogleich auch Wesenskern und Zweck der Lyrik. Dadurch unterscheidet sich Lyrik fundamental von einem Sachtext herkömmlicher Art. Zwar werden, und dies sicherlich auch zu Recht, oft formale Merkmale angeführt, wie das Vorhandensein von Versen, Reimen oder anderen typischen stilistischen Mitteln, aber im Kern ist es doch immer jene „überverbale“ Eigenschaft, welche Lyrik erst zu dem macht was sie wirklich ist: eine „Versprachlichung“ des „Unsagbaren“ Diesem Unsagbaren auf die Schliche zu kommen und es gleichsam im Gedicht gefangen zu setzten, ist eines jener Hauptanliegen des Dichters. Es galt und gilt also in erster Linie den Bohrer an die „Nuss“ anzusetzen und das Innere hervorzuholen um daraus ein „lyrisches Gericht“ zu kochen, welches uns nicht nur kognitiv, sondern auch mit allen Sinnen anzusprechen vermag. In dieser Nuss verbirgt sich eben jenes Wesen der Sache, welcher man bestrebt ist, sich lyrisch anzunähern.

Hinweis:
Wie bei allen Gedichten, welchen man sich intensiv annähern möchte, empfiehlt es sich das Gedicht auswendig zu lernen. Es ist tatsächlich so, das ein auswendig gelerntes Gedicht viel eher dazu in der Lage ist, seine ganze Wirkung zu entfalten. Ferner ist ein lautes Lesen außerordentlich wichtig um subtile Eigenschaften eines lyrischen Kunstobjektes klarer erfassen zu können. In diesem Zusammenhang sei auf ein Zitat von Rilke verwiesen:

Wie vielen Lesenden fehlt noch die wirkliche Beziehung zum Gedicht, weil sie in stillem Darüberlesen seine besonderen Eigenschaften nur eben streifen, statt sie zu erwecken.


II Gedichte und deren Interpretation

Ich möchte nun einige Gedichte, die mir besonders gefallen haben, vorstellen und mit zum Teil unkonventionellen Interpretationsversuchen einige der Punkte aufgreifen, die mir erwähnenswert erscheinen. Alle Interpretationen sind hierbei aber keine Musterlösungen oder Ähnliches, sondern immer nur Produkt meiner persönlichen Wahrnehmung. Ein bescheidener Abriss meiner eigenen Ansichten und Vermutungen also (umfangreiche und wissenschaftlich korrekte Interpretationen gibt es im Netz bereits in großer Zahl). Beginnen werde ich mit einem sehr kurzen, aber zugleich unsagbar schönen Gedicht von Joseph Freiherr von Eichendorff, der von 1788 bis 1857 lebte und als herausragender Vertreter der deutschen Spätromantik gilt.


II.1 Wünschelrute [Joseph Freiherr von Eichendorff]

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Dieses Gedicht zeichnet sich zu allererst durch sein zeitloses Wesen aus. Ferner besticht es durch seine prägnante und elegante Art eine universelle Sache auf den Punkt zu bringen. Was macht dieses Gedicht so zeitlos? Seine Form ist es sicher nicht, da diese mit ihrem fierhebigen Trochäus und den sauberen Reimen eher als altmodisch (eben klassisch) zu bezeichnen ist. Dennoch steckt inhaltlich weit mehr dahinter als es zunächst den Anschein haben mag. So dachte ich beim Lesen des Gedichtes unwillkürlich an die moderne Technik und Wissenschaft, welche das physikalische Wesen der Dinge „wachruft“ und zum „Singen“ bringt. Welche Kraft beispielsweise schlummert in den Atomen und wird durch das „Zauberwort moderner Technik“ auf teilweise gravierende Art wachgerufen(Kernspaltung)? Aber es gibt natürlich auch unzählige weitere Ebenen, welche diese Zeilen ansprechen. So schlummert beispielsweise in einem Musikinstrument eine geradezu unendliche Klangfülle, die nur darauf wartet wachgerufen zu werden. Der Musiker ist im Besitz des „Zauberwortes“, welches in diesem Falle seiner Fähigkeit entspricht, das Instrument zu bedienen. Aber auch Menschen sind „Dinge“ in denen etwas schlummert und nur darauf wartet wachgerufen zu werden. Für den Begriff „Zauberwort“ stehen also eine Fülle an Dingen und auch die „Dinge“ sind ungezählt. Formal erscheint das Gedicht selbst bereits wie ein Zauberspruch: Ein kurzer eleganter Spruch, der uns in Erstaunen versetzt.

Hinweis:
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass meine Interpretation das Gedicht aus seinem geschichtlichen Zusammenhang herauslöst und es aus einer aktuelleren Perspektive heraus betrachtet. Wer Interesse an den Intentionen des Autors hat und an den Bedeutungen die es damals inne hatte, sei auf die mannigfaltigen Interpretationen im Netz verwiesen.


II.2 Der römische Brunnen [Conrad Ferdinand Meyer]

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Dieses Gedicht ist ein Paradebeispiel für die vollendete Verschmelzung von Form und Inhalt. Das Objekt wird gewissermaßen sprachlich herausgemeißelt, wobei am Schluss kein Wort zu viel und keines zuwenig übrig bleibt. Seine sprachliche Qualität wird aber erst beim lauten Lesen wirklich erfahrbar. Sowohl klanglich als auch optisch wird dieses Gedicht zu dem was es beschreibt: Zum Wesen eines römischen Brunnens. Die gewählte auftaktige Versform (Jamben) unterstreicht das aufstrebende Element eines solchen Brunnens. Das Gedicht besteht aus acht Versen, wobei jeder zweite Vers eine neue Schale nennt. Beim Lesen fließt der Leser ähnlich dem Wasser durch die einzelnen Verse. Die zweifachen „Und“ und die verkürzte letzte Zeile am Ende des Gedichtes sorgen für ein langsames zur Ruhe kommen des herabstrebenden Wassers. Aber auch rein kognitiv ist das Gedicht absolut stimmig aufgebaut. So fügt sich ein Bild nach dem Anderen in eine Kausalkette ein, die den dynamischen Vorgang des Auf und Ab, des Nehmens und Gebens wunderbar aufzeigt. So kann man während dem Lesen mit dem Wasser verschmelzen und ihm durch alle Etappen des Ruhens und Strömens wunderbar folgen. Hierzu ein Zitat Martin Heideggers: „Das allgemeine Wesen eines römischen Brunnens als Wahrheit ins Werk gesetzt“.


II.3 Römische Fontäne (Villa Borghese) [Rainer Maria Rilke]

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Ich habe dieses weitere Brunnengedicht bewusst eingebracht, da es, ebenfalls auf sehr wortmalerische Art, einen anderen Aspekt des römischen Brunnens beleuchtet. Wir erinnern uns: Bei C.F Meyers Brunnen ist alles in ständiger Bewegung, der Lesefluss passt sich dem unaufhaltsamen Fluss des Wassers perfekt an und sorgt durch seine „Pausenlosigkeit“ für eine gewisse „Atemlosigkeit“ beim Leser. Ganz im Gegensatz dazu steht die Römische Fontäne Rilkes, bei welcher das Wasser seine Bewegung leise und ruhig offenbart. Hier steigt kein Strahl in die Luft, hier fällt kein Wasser in eine Schale – Ja, man hat fast den Eindruck selbst das herabfließende Wasser befände sich im Stillstand. Das Wasser neigt sich von der oberen Schale in die Nächste und es lässt sich träumerisch in die Letzte nieder. Besonders raffiniert sind in diesem Zusammenhang Rilkes Bilder, die im Auge des Lesers nie ein vollkommen klares Bild entstehen lassen, sondern immer nur eine Ahnung, welche eine angenehme ruhige Spannung beim Leser erzeugt. Der Vers:“ Ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend“ illustriert diesen Umstand auf wunderbare Weise und bedarf, denke ich, keiner weiteren Erläuterung.

Besondere Raffinesse beweist Rilke wenn es darum geht, dass Metrum bewusst an bestimmten Stellen zu variieren, um den Inhalt klanglich zu unterstützen. Er tut dies mit einer Leichtigkeit und Präzision, welche beeindruckend ist. Betrachten wir hierzu die erste Strophe des Gedichtes und unterziehen wir Selbige einer metrischen Analyse:

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxX
xXxXxxXxXxXx
xXxXxXxXxX

x = unbetonte Silbe
X= betonte Silbe

Zunächst erkennen wir, dass es sich um jambische Verse, mit jeweils fünf Hebungen handelt. Im dritten Vers erkennt man bei genauerem Hinsehen, dass sich dort eine Unregelmäßigkeit des alternierenden Schemas befindet. Es handelt sich um eine Doppelsenkung, dass heißt, dass sich dort zwei unbetonte Silben nacheinander befinden. Ich möchte nun dazu ermuntern den Vers mehrmals laut zu lesen und auf den Klang speziell an dieser Stelle zu achten (insbesondere auf das Wort „oberen“). Ferner schlage ich vor den Inhalt zusätzlich zu visualisieren, sich also das Wasser vorzustellen, welches leise herabmurmelt. Es ist hierbei höchst erstaunlich wie sehr Klang und Inhalt harmonieren. Die Doppelsenkung vertont an dieser Stelle das leise Murmeln des herabsinkenden Wassers auf wunderbar feinsinnige Art uns Weise. Die Subtilität derer Rilke sich so bedient, kann jedoch nur dann zur Gänze erfahrbar werden, wenn man das Gedicht sehr intensiv auf sich wirken lässt, wobei lautes Lesen als unverzichtbar erscheint. Das nachfolgende Gedicht möchte ich in diesem Zusammenhang ergänzend beifügen um aufzuzeigen, dass gezielte Brüche im Metrum zur sprachlichen Vollendung eines Gedichtes beitragen können.


II.4 Die Beiden [Hugo von Hofmannsthal]

Sie trug den Becher in der Hand
– Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand,
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Analog zu den klanglichen Finessen der Römischen Fontäne kann auch dieses Gedicht als Paradebeispiel für sprachliche Eleganz herangezogen werden. Die Verschmelzung von Form und Inhalt kommt besonders frappierend in Strophe drei/ Vers drei zur Geltung. Die nachlässige Gebärde des Reiters spiegelt sich in den Mehrfachsenkungen sehr ausdrucksstark wieder. Der Leser sei an dieser Stelle dazu ermuntert das Gedicht laut zu lesen und auf den Klang, besonders an dieser Stelle, zu achten.


II.5 Eingelegte Ruder [Conrad Ferdinand Meyer]

Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.

Nichts das mich verdroß! Nichts, das mich freute!
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!

Unter mir – ach, aus dem Licht verschwunden –
Träumen schon die schönern meiner Stunden.

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?

Die formale Schlichtheit steht in lebhaftem Kontrast zur inhaltlichen Tiefe, welche dieses Gedicht so eindrücklich macht. Gegenstand dieses Gedichts ist zunächst ein in Gedanken versunkenes „Lyrisches Ich“ in einem Ruderboot. Die Person blickt ins Wasser und betrachtet hierbei die, von den eingelegten Rudern, herabfallenden Tropfen. Dieses Bild fängt gewissermaßen an sich zu verselbstständigen, wobei die Tropfen zu Metaphern werden, welche die vergangenen Stunden beschreiben. Die Gegenwart, hier in Gestalt eines „schmerzlosen Heute“ rinnt nieder und wird unmittelbar zur nahen Vergangenheit. Dieser Blick auf die nahe Vergangenheit wird ab Strophe drei zu einem Blick auf eine fernere Vergangenheit erweitert, in welcher die erlebten Stunden noch schön waren [Träumen schon die schönern meiner Stunden]. In der letzten Strophe „ergreift“ diese ferne Vergangenheit das Wort und richtet sich mit einer Frage an das lyrische Ich [sind im Licht noch manche meiner Schwestern?]. Anders ausgedrückt: Erwarten mich in der Zukunft noch Stunden, welche dieselbe Schönheit innehaben wie die bereits vergangenen? Das Gedicht erzeugt mit seinen Bildern eine melancholisch, hoffnungsvolle Atmosphäre, welche sich in der Kürze der acht Verse zu einem lyrischen Erlebnis verdichtet. Mir persönlich bedeutet dieser Text sehr viel, wobei er nicht unmittelbar wirkte, sondern erst nachdem ich ihn eingehend betrachtet hatte.

Ich hoffe diese Interpretationen waren unterhaltsam und haben euch gefallen. Wenn ich weitere Gedichte hinzufüge (und es gibt so viele die mir sehr am Herzen liegen), gehts natürlich auch in diesem Faden weiter

Viele Grüße
GEO

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Die Kunst, in 24 Stunden ein schlechter Dichter zu werden

Sonntag, 10. Juni 2007

Ich hatte mich schon immer gefragt, wie es kommen kann, dass so viele schlechte Dichter so viele schlechte Gedichte schreiben. Der Philosoph und Schriftsteller Fritz Mauthner hat eine Antwort: Sie müssen „Poetik. Eine Anleitung zur Dichtkunst“ gelesen haben. Mauthners Rezension zu dem anonym erschienenen Bändchen wirkt trotz ihres 120jährigen Alters in ihrer Sprachkomik sehr modern und hat mich Freudentränen lachen lassen. Mein Dank für diese (Wieder-)Entdeckung gilt Clarisse1 mit ihrem Blog Sinniges, Sinnliches, Sittliches. (mehr …)

Poesiefestival Berlin: 23.06. – 01.07.2007

Samstag, 09. Juni 2007

Ich sehe gerade, dass sich das alljährliche Poesiefestival in Berlin wieder nähert, immerhin schon zum 8. Male.Themenschwerpunkt ist diesmal Kanadische Dichtung, obwohl interessante Aspekte auch auf mediale Verbindungen zwischen Gedicht und Computer, aber auch Rap-Poetry eingehen. Das volle Programm findet sich auf der Seite der literaturWERKstatt Berlin. Falls jemand von den üblichen Verdächtigen Lust hat, mich zu begleiten, mich interessieren folgende Beiträge:

  • Colloquium: Das Bild in der Poesie, Sa 24.06., 11:00-15:30 Uhr
  • Wenn Dichtung politisch wird, Sa 24.06., 20:00 Uhr
  • AVATAR. Digitale Poesie (Poesiegespräch), Mo 25.06. 18:30 Uhr
  • Poesiegespräch mit Ulrike Draesner, Di 26.06., 17:00 Uhr
  • gedicht-computer-musik (Poesiegespräch), Do 28.06., 18:30
  • e.poesie (Kompositionen elektronischer Musik), Do 28.06., 20:00 Uhr
  • Dichtung und Rap (Poesiegespräch), Sa 30.06., 18:30 Uhr
  • …wir kommen mit beats, cuts und raps, Sa 30.06., 22:00 Uhr

Einige WP-Hacks

Freitag, 08. Juni 2007

Ich bin kein geübter oder gar geschulter Coder. Aber um mein Blog meinen Wünschen anzupassen fummel ich dann doch ab und zu im Quelltext herum. Um für mich zu dokumentieren, welche Änderungen ich im Code vorgenommen habe, aber auch um anderen WordPress Bloggern, die ähnliche Wünsche haben, ein Beispiel zu geben, möchte ich hier meine „WP-Hacks“ aufführen. Mein ist dabei relativ – ich versuche mit anzugeben, wo ich abgeguckt habe. 😉

excerpts + read more

Weil ich doch immer relativ lange Artikel verfasse, dachte ich, dass es der Übersichtlichkeit halber vielleicht sinnvoll ist, auf der front-page nur Textauszüge zu zeigen. Weil ich nicht jedesmal durch Handarbeit das „more-tag“ einfügen wollte, habe ich einfach in der index.php meines Themes anstelle der the_content() Funktion die the_excerpt() Funktion aufgerufen.

Nun wurde der „optional excerpt“ angezeigt, wo es aber keinen gab, da hörte der Text einfach nach 55 Zeichen mit einem […] auf. Weil es nicht intuitiv ist, dass man dann auf den Titel klicken muß, um den ganzen Artikel zu lesen, dachte ich mir, dieses […] müßte irgendwie zu einem „weiterlesen »“ Link werden. Also habe ich in der wp-includes/formatting.php die Funktion wp_trim_excerpt gefunden und die Zeile
array_push($words, '[...]');
einfach wie folgt abgeändert:
array_push($words, '<a href="' . apply_filters('the_permalink', get_permalink()) . '" rel="bookmark" title="more-link">weiterlesen &raquo; </a>');

Mein Dank geht an Jowra, moshu und das Team von WordPress.

post meta-data

Da ich die Diskussion auf meiner Seite fördern möchte, dachte ich, am Anfang jedes Posts, den Autor, die Zahl der Kommentare und den Link zur Kommentarfunktion anzugeben. Dazu ergänzte ich in der index.php, der achrive.php und single.php an der gewünschten Stelle (nämlich unter dem post-title) folgenden Code:
<p>von <?php the_author() ?><?php edit_post_link('Edit',' ',''); ?>
<?php if (('open' == $post-> comment_status)) {
// Comments are open ?>
| <a href="<?php the_permalink() ?>#comments"><?php comments_number('0 Kommentare', '1 Kommentar', '% Kommentare'); ?></a> | <a href="<?php the_permalink() ?>#respond">kommentieren</a>
<?php } elseif (!('open' == $post-> comment_status)) {
// Comments are closed ?>
geschlossen
<?php } ?>
</p>

reverse comments

Für mein Gästebuch habe ich einfach eine normale wp-page angelegt. In der functions.php meines Themes habe ich folgenden Code eingefügt, um die jüngsten Kommentare auf dieser Seite nach oben zu holen:
function reverse_comments($comments,$id)
{
if ($id == 54) {
$comments = array_reverse($comments);
}
return $comments;
}
add_filter('comments_array', 'reverse_comments',10,2);

Um auch noch die Nummerierung der Kommentare umzudrehen, so dass der älteste Kommentar tatsächlich 1 und der jüngste eben die Zahl der Kommentare ist, habe ich in der comments.php meines Themes zunächst

<?php if ($id == 54) { $commentcount = count($comments); $direction = -1; }
else { $commentcount=1; $direction=1; } ?>

vor dem Comment-Loop eingefügt. Dann habe ich die Zeile, in der das div mit der commentnumber generiert wird, gegen folgende ausgetauscht:

<div class="commentnumber"><?php echo $commentcount; $commentcount=$commentcount+$direction; ?></div>

Danke an Otto42.

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Links:

Précis: Linguistik und Poetik

Sonntag, 03. Juni 2007

Précis sind kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Thesen und Argumente wissenschaftlicher Fachaufsätze. Die meisten schrieb ich im Grundstudium zu sprachtheoretischen Texten.

Diesmal bespreche ich den ersten Teil von Roman Jakobsons Abschlußrede „Linguistics and Poetics“ (1958/1960), darin er anhand seines Sender-Empfänger-Modells sechs Funktionen der Sprache postuliert. Besonderen Wert legt er dabei auf die poetische Sprachfunktion.

Linguistik und Poetik ~ Roman Jakobson

Da ich heute 8 Stunden im Blockseminar zum Thema „Issues in Musical Semiotics“ saß, habe ich mir geschworen, am Abend keine geistigen Höchstleistungen mehr zu vollbringen. Dennoch kann ich mich der Aufbereitung eines kleinen Teils des dort Besprochenen nicht erwehren, zumal es schon lange mein Anliegen war, hier darüber zu sprechen. Es geht um die von Roman Jakobson in seiner Abschlußrede „Linguistics and Poetics“ entwickelte Theorie der sechs Sprachfunktionen.

In Anbetracht der Erkenntnisse des russischen Strukturalismus*1 scheint seine These naheliegend: Sprache hat mehr Funktionen als das bloße Übermitteln von Inhalten. Welche Funktionen das sind, entwickelt Jakobson anhand eines einfachen Sender-Empfänger-Models. Ein Sender sendet sein sprachliches Zeichen durch einen Kanal einem Empfänger, das heißt zu deutsch, einer spricht mit einem anderen, der zuhört. Das sprachliche Zeichen ist das akustische Signal, das der Zuhörer wahrnimmt und der Kanal ist die Verbindung, die zwischen beiden bestehen muß, damit sie Kommunizieren können. Der Kanal kann also z.B. das gesprochene Wort sein oder ein geschriebenes Buch oder auch die Internetverbindung zweier Chatter. Das sprachliche Zeichen hängt nicht in der Luft, es steht in einem Kontext. Beide sind durch den Code miteinander verbunden. Der Code ist etwas schwierig zu erklären; er ist das, einen Baum in der Landschaft mit dem Wort „BAUM“ verbindet, das wir verwenden, um über ihn zu sprechen. Er ist quasi eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, auf was für ein Ding sich das Wort „BAUM“ bezieht. (Wenn jemandem eine bessere Erklärung einfällt, nur zu!)

Jedem Element dieses Models, also dem Sender, dem Empfänger, dem sprachlichen Zeichen, dem Kanal, dem Kontext und dem Code ordnet Jakobson eine Sprachfunktion zu, welche ich erst auflisten, dann erklären möchte.

  • emotiv/expressiv → Sender
  • konativ → Empfänger
  • poetisch → sprachliches Zeichen
  • phatisch → Kanal
  • referentiell → Kontext
  • metalinguistisch → Code

Die referentielle Sprachfunktion ist jene, die wir mit dem Naheliegendem, dem „Übermitteln von Inhalten“ verbinden. Wir verwenden Sprache, um etwas über die uns umgebene Wirklichkeit (Kontext) und die darin befindlichen Dinge (Referenten) zu vermitteln. Sei es den Philosophen überlassen, an dieser Stelle über den Wahrheits- oder Wirklichkeitsgehalt dessen, was wir um uns und an uns wahrnehmen, zu spekulieren. Wichtig für die Linguistik ist die Feststellung, dass Sprache referenziert, also referentielle Funktion hat. Referentielle Sprache ist relativ wertfrei, das ist sie nicht, wenn sie dem Empfänger etwas über die Befindlichkeit des Senders vermittelt, was er fühlt, denkt, wünscht, braucht. Tut sie dies, nennt man das emotiv*2 oder expressiv. Die konative Sprachfunktion ist es hingegen, einen Apell an den Empfänger zu richten. Wenn man z.B. möchte, das jener das Fenster schließt, weil es kalt ist, so könnte man ihn sprechend dazu auffordern oder auch einfach bemerken, dass es ja ziemlich kalt sei und hoffen, dass er die implizite (hineingelegte) Aufforderung versteht. Meine Mutter neigt dazu, bei längeren Erklärungen an jeden Satz ein „Weißte!?“ anzuhängen. Das ist Berlinerisch und heißt so viel wie: „Verstehst du mich? Hörst du zu?“ Sie testet dann, ob ich ihr noch zuhöre (oder ob in der halben Stunde, in der sie mich nicht hat zu Wort kommen lassen, meine Gedanken vielleicht schon nach ganz woanders abgeschweift sind). Sprache dient also auch dazu, den Kanal zu testen, hat phatische Funktion, sagt der Linguist. „Der wer?“, wird der ein oder andere Leser fragen und ich sage: „Der Linguist, das ist ein ‚Sprachforscher‘.“ Schon haben wir uns über den Code verständnigt, abgecheckt, ob wir auch dieselbe Sprache sprechen. Jakobson nennt das die metalignuistische Sprachfunktion.

Eine Sprachfunktion fehlt noch, weiß jeder, der mitgezählt hat, das ist die poetische. Die interessiert alle Dichter ganz besonders, denn es geht um die Frage der Poetizität, also den Umstand, dass Sprache poetisch ist/sein kann. Für Jakobson ist Poetizität eine Strukturfrage. Wenn wir sprachliche Äußerungen, wie eine Phrase, einen Satz, einen Text produzieren, wählen wir aus, was wir referenzieren möchten (Selektion) und setzen danach die Worte zusammen (Kombination).

  • Der Hund hat Hunger.
  • Die Katze hat Hunger.
  • Die Katze hat Durst.

Die horizontale Achse, also die Auswahl zwischen Hund und Katze, sowie die Auswahl zwischen Hunger und Durst, ist die Selektion. Je nach dem, für welches Wort ich mich entscheide, kann ich nur bestimmte Worte kombinieren, also in der vertikalen Achse anhängen. ‚Der Baum hat Hunger‘ oder ‚Die Katze hat Blätter‘ sind Kombinationen, die eher befremdlich bis sinnlos erscheinen. Auf welche Regeln wir uns unbewußt berufen, wenn wir fühlen, dass etwas mit diesen Sätzen nicht stimmt, das herauszufinden versuchen die Linguistien unter den Semiotikern.

Bei der Entstehung eines Gedichtes (Jakobson geht freilich von Wortkunstwerken aus) passiert mehr als das. Prof. Dr. David Lidov, der Dozent meines Blockseminars, drückte das heute so aus: „Poetical function projects the axis of selection into the axis of combination.“ Also, die poetische Funktion projiziert die selektive Achse auf oder in die kombinatorische. Ich glaube, was er damit meint, ist Folgendes: Katze und Hund, aber auch Hunger und Durst sind Elemente zweier Kategorien, die neben anderen Elementen derselben Kategorie zur Auswahl stehen. Dem Dichter stehen aber Kategorien zur Verfügung, die über die Kategorien von „Alltagssprache“ hinausgehen, z.B. der Reim*3. Normalerweise sprechen wir nicht in Reimen. Der Umstand, dass aber Katze, Matratze, Glatze und Fratze sich reimen, läßt diese ansonsten heterogenen Worte zu Elementen einer möglichen Kategorie werden: ‚Katze kratzt mit Tatze Kratzer in Glatze auf Matratze, Fatzke zieht Fratze‘, fällt mir dazu spontan ein. Das ist nicht besonders tiefgründig, aber dafür sehr poetisch. 🙂

Die poetische Funktion von Sprache ist es, mit sich selbst zu spielen, hat der Dichter in mir oft räsonniert und dahingehend ist er wie ein Kind, das gerade die Welt entdeckt – er hat Spaß daran, beim Sprechen mit Sprache zu spielen oder um des Spiels mit Sprachen Willen zu sprechen.

Nun darf man sich das Ganze Brimorium um die sechs Sprachfunktionen nicht so vorstellen, dass jeder Aussage, die wir machen, ganz deutlich eine Sprachfunktion zuzuordnen ist. Bei sehr minimalistischen Äußerungen mag das noch angehen, wird unsere Rede aber komplexer, verschwimmen hier die Grenzen, und verschiedene Sprachfunktionen treten mit unterschiedlicher Dominanz nebeneinander auf. Alltagssprache kann poetisch sein, ist dies aber nicht in erster Linie. Sprache, die in erster Linie poetisch ist, findet sich z.B. in Gedichten, Tragödien, Romanen, also Texten der sogenannten ’schönen Literatur‘. Wer aber mal einen Roman gelesen hat, weiß, dass da irgendwie mehr passiert, als ein Spiel mit Sprache. Die Sprache in einem Roman ist nicht nur poetisch, sie ist auch (und zwar an zweiter Stelle) referentiell/narrativ – d.h. sie erzählt uns etwas und bezieht sich dabei auf die uns umgebende Wirklichkeit. Alle Texte, die an erster Stelle poetisch und an zweiter Stelle referentiell/narrativ sind, nennt man episch.

Bei Gedichten wird auch etwas referenziert, aber nicht an zweiter Stelle. „In Gedichten geht es um Gefühle“, habe ich im Lyrikforum oft gelesen. Das ist insofern richtig, als dass Gedichte uns Optionen subjektiver Emotionalität (oder besser Emotivität) vermitteln. Sicher ist das Ich eines Gedichtes nicht mit dem Sender, also dem Autor gleich zu setzen, aber das ist eine andere Geschichte. Fakt ist, wir nennen Texte, die an erster Stelle poetisch und an zweiter Stelle emotiv sind auch Lyrik.

Die von allen sicher schon erwartete Dramatik ist nicht so ohne weiteres anhand der Jakobsonschen Theorie der sechs Sprachfunktionen zu erklären. Zwar sind auch Dramen in erster Linie poetisch (man schaue sich nur die Shakespearschen Pentameter an!), allerdings gibt es keine Funktion, die an zweite Stelle treten könnte, die die Idee des Dialogs, der gesprochenen Rede als Unikum betrachtet. Dennoch dürfte aber anhand der an Jakobson entwickelten Gattungstheorie schon klar werden, weshalb es mehr als problematisch ist, jede Epik als Prosa zu bezeichnen, alles, was metrisch ist, aber Lyrik zu nennen*4.

Jakobson geht im weiteren Verlauf seines Textes auf metrische Besonderheiten der russischen und anderer Sprachen ein, was für mich an dieser Stelle erst einmal nicht weiter von Interesse ist. Hier sollte es insbesondere um die poetische Sprachfunktion und die daraus abgeleiteten literarischen Gattungen gehen.

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  1. Um es kurz und knapp, dafür aber auch oberflächlich und ungenau zu machen: Der Strukturalismus ist eine Theorie, die Sprache als System von Zeichen versteht. Die Zeichen haben eine Form (Signifikant/Ausdruck) und einen Inhalt (Signifikat/Sinn). Die Theorie der Zeichensysteme (Sprache ist eines, aber es gibt mehr) bezeichnet man hingegen als Semiotik/Semiologie.
  2. Ich erinnere mich an vor Jahren geführte, lange Debatten, die zu erklären versuchten, warum das Wort „emotiv“ anstelle von „emotional“ gebraucht wird und ich weiß noch, dass es etwas mit der Absicht des Senders zu tun hatte. Denn sein Seufzen muß kein Indix für seinen emotionalen Zustand sein, es kann genausogut sein, dass er den Empfänger nur glauben machen möchte, ihn bedrücke etwas. Kann mir das jemand noch mal genauer erklären?
  3. Man spricht bei poetischen Kategorien, wie Reim, Metrum, Metapher, Pleonasmus, etc. auch von Paradigmen. Wir erkennen unterschiedliche poetische Stile in verschiedenen Epochen anhand von Paradigmenwechseln.
  4. Denn ohne Zweifel sind prosaisch und metrisch Aspekte der Form, episch und lyrisch Asekte der Funktion und ein epischer Text kann ebenso metrisch sein, wie ein Lyrischer Text prosaisch sein kann.

Quellen/Links: