Archiv für Mai 2007

und weiter geht’s…

Freitag, 11. Mai 2007

Meine Stammleser hatten es ja mitgekriegt, dass abgedichtet seit März (oder so) ruhte und nichts geschah. Das Problem war eine Inkompatibilität meines früheren CMS „drupal“ mit PHP5. Ich konnte mich nicht einloggen und also die Seite nicht mehr administrieren. Nun aber ist das System umgestellt. Abgedichtet läuft wieder unter WordPress (Wer drupal nie benutzt hat, weiß gar nicht, was für ein Segen das sein kann.) und ein neues Design gibt es auch.

Ich habe weitestgehend versucht, die alten Seiten, Beiträge und Kommentare zu retten. Einiges muß noch eingestellt werden, Bilder und Audio-Dateien wollen neu verlinkt werden und ein bisschen am Theme rumbasteln möchte ich auch noch. Alles in allem ist also noch einiges zu tun und ich bitte um Nachsicht, falls noch nicht alles so funktioniert, wie ihr das von früher gewohnt ward. Falls ihr Inhalte vermißt oder links nicht funktionieren, laßt es mich bitte wissen, damit ich daran arbeiten kann.

Der Grund, weshalb die Umstellung jetzt doch etwas überhastet stattgefunden hat, ist eigentlich ein trauriger. Ein Autor, dessen Gedicht ich früher auf meiner Seite hatte, schrieb mich gerade eben an, weil er unzufrieden mit einem meiner Beiträge war, von dem er glaubte, er verunglimpfe sein Lyrik-Forum. Nachdem ich ihm erklärte, dass ich sowieso nicht vorhatte, diesen Beitrag weiter zu konservieren, aber derzeit nichts an dessen Zustand ändern könne, drängte er mich, sein Gedicht [!] umgehend von meiner Seite zu löschen und kündigte an, in den nächsten Tagen zu überprüfen, ob ich dem nachgekommen wäre. Nun weiß ich sehr gut, welche Folgen es haben kann, einen urheberrechtlich geschützten Text ohne Erlaubnis des Verfassers zu veröffentlichen…

Es ist nicht das erste Mal, dass mich Autoren bitten, Texte, deren Veröffentlichung sie mir einst zugesagt haben, wieder von meiner Seite zu nehmen, weil sie mit meiner Meinung oder einer Formulierung nicht klarkommen. Es stimmt mich nach wie vor traurig, doch soll dies nicht den Neustart vermiesen. Ich wünsche allen neuen und alten Lesern viel Spaß auf meiner Seite und vielleicht will ja der ein oder andere zukünftig Gastautor werden.

edit #1: Dank FHs Hilfe werden jetzt auch die alten Feedadressen auf die neuen umgeleitet. Wer Abonnent eines Feeds ist, kann ja bei Zeiten mal rumschauen und seine Bezugsadressen updaten. Außerdem habe ich bemerkt, dass durch den überhasteten Umzug leider meine Link-DB verloren gegangen ist. Vielleicht kann ich ja im Verlaufe der Zeit wieder etwas neues Zusammenstellen, mal sehen.
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ps.: Alte Accounts habe ich (bis auf den von GEO) nicht übernommen. Wer wieder regelmäßig hier kommentieren und seine Kommentare ohne Freischaltung gleich posten oder im Nachhinein edieren möchte, der sollte sich einfach neu registrieren. Es ist aber nach wie vor nicht nötig, sich zu registrieren, um Kommentare zu schreiben.

Großer Bruder oder Psalm 23

Freitag, 11. Mai 2007

[audio:lev30.mp3]
Großer Bruder oder Psalm 23

Der Herr ist uns Hirte und uns wird nichts mangeln,
nicht Freiheit, nicht Würde, wenn er uns behütet.
Er führt uns auf sicheren Pfaden und Angern,
und wacht über alle und alles mit Güte.

Wo immer wir wandeln, da schaut uns sein Auge,
beim Shoppen, beim Bummeln und beim Demonstrieren,
beobachtet, speichert. Er weiß, was wir taugen.
Er sieht, wenn wir heimlich auf Klo masturbieren.

Er waltet und prüft, ob wir wider ihn sprechen,
Gebote befolgen, Gesetztes zerbrechen.
Wir sind seine Sklaven, denn wir fürchten die Strafe.
Wir preisen dich Hirte, du hütest uns Schafe.

XXX | Mai 2006

Zur Entstehung

Die Idee zu diesem Text basiert auf drei Inspirationsquellen, zum einen auf dem Lied „Parannóia“ des Brasilianischen Counters Edson Cordeiro, in dem er davon singt, wie bedrückend die Erkenntnis ist, dass Gott wirklich alles sieht. Zum zweiten inspirierte mich der Gedichtwettbewerb „Lyrical I“, den der CCC im letzten Jahr veranstaltete und auf dem 22C3 auswertete. Es ging darum, ein aktuelles Thema der Hacker-Szene umzusetzen. Die Kritik an den Methoden eines Überwachsunsstaates, die im Zuge 9/11 mit dem Einverständnis aller Bürger zunehmend durchgesetzt werden, lag da nahe.


Londoner U-Bahn-Plakat, gefunden auf Signs of the Times 1/2007

Der Plan war also eigentlich komplett, aber irgendwie wollte der Text trotzdem nicht auf’s Papier hüpfen, weshalb natürlich nichts zum Abgabetermin des Wettbewerbs fertig wurde. Erst später kam mir die dritte Idee, das ganze mit der als unheilvoll geltenden Zahl 23 zu verbinden, die in der Hacker-Szene eine ganz eigene Kultur genießt. An diesem Punkt fiel mir der König David Psalm ein, der nicht besser in die Thematik hätte passen können. Ich passte also diese Quelle an meine Bedürfnisse an und entwickelte daraus, was ihr hier lesen könnt. Damit war einerseits eine alternative Interpretation des Allüberwachendes Gottes, andererseits eine politische Metapher geboren.

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Für Vampire & Werwölfe

Freitag, 11. Mai 2007

Mein Gedicht „Le vampir“ ist der meistgeklaute Text meiner Feder. Am häufigsten entdeckte ich ihn auf den Seiten von MonstersGame, einem online Rollenspiel, bei dem Vampire gegen Werwölfe kämpfen. Irgendwann schenkte mir jemand zur Entschuldigung einen Account auf einem der Server und so kam auch ich dazu, dieses Spiel zu spielen. Für meine Charaktere, einen Werwolf und einen Vampir, hatte ich mir die Gedichte ausgedacht, die du hier lesen kannst. Später kamen auch Auftragsgedichte und ein Text zur Belehrung der Rollenspiel spielenden Gedichtediebe hinzu.

Bitte, vergiß nicht, dass auch diese Gedichte unter CC-BY-NC-ND-Lizenz stehen und nur dann auf der eigenen Homepage, dem eigenen Profil oder sonstwo verwandt werden dürfen, wenn du Titel, Widmung, Verfasser und Quelle in Form eines Backlinks auf meine Homepage http://abgedichtet.org mit angibst.

Symbiose

Vampire, Wölfe, ihr seid schlaue Fabelwesen,
kein Opfer kann sich nirgendwo vor euch verstecken,
denn ihr habt Zähne, Klauen und verbreitet Schrecken.
Das kann man überall so in den Büchern lesen.

Die Kinder fürchten euch, wenn durch die Alten
sie üble Mörder-Mären von euch sagen hören
und ihr im Traum sie heimsucht, um den Schlaf zu stören.
Wollt ihr dies Monster-Image weiterhin behalten?

Dann denkt daran, wo immer ihr euch Menschen zeigt,
verprellt nicht jene, die von euch Geschichten schreiben.
Denn euer Leben hängt allein an ihrem Treiben:
Ihr existiert nicht länger, wenn man von euch schweigt.

Es ist nicht eben leicht Gedichte zu verfassen
von Wölfen und Vampiren. Leicht ist das Kopieren
der Werke, die wir fantasieren. Zeigt Manieren,
denkt nach, seid fair, laßt unsre Namen nicht verblassen!

© levampyre, Mai 2008
http://abgedichtet.org

Für Vampir vielleicht auf Server 13

Und so hast du mich nun doch gefunden…
In der Finsternis hab ich auf dich gewartet.
Ich bin ganz anders als ein Mensch geartet,
ganz anders als ein Wolf, von Glanz umwunden.

Aus meinen Augen blicken funkelnd Jade-
steine, blaß die Haut, in Samt getauchtes
Alabaster und ein lang verbrauchtes
Lächeln zerrt die edle Maskerade.

Hab ich dich verängstigt, dich erschreckt?
Hier bist du eingedrungen – bleib bei mir!
Bin weder Mann, noch Weib, bin ein Vampir
und meine Kampfeslust hast du geweckt.

© levampyre, Dez. 2006
http://abgedichtet.org

Du folgtest achtlos, ahnungslos dem stillen Pfade,
der dich in meine unheilvolle Nähe brachte.
Nun wiege ich dich, zartes Menschenwesen, sachte
in meinen Armen und gewähre dir die Gnade,

die flehendlich dein Blick aus fahler Maskerade
erfragte. Laß der dumpfen Furcht, die ich entfachte,
ich, dein Häscher, uns entschweben! Nein, ich trachte
nicht nach deinem Leben – warte von Dekade

zu Dekade nur auf die verirrten Geister,
jene, die zu einer vollen Mahlzeit taugen,
um sie einen nach dem andern auszusaugen,

denn sie munden herrlich. Sieh! ich bin ein Meister
der Verführung – konnte ohne dein Bemerken
mich an deinem süßen, roten Blute stärken.

© levampyre, Dez. 2006
http://abgedichtet.org

Für Werwolf nicht auf Server 17

Flieht, Vampire, flieht! Ich werde zu euch kommen
und mich rächen, nehmen, was ihr mir genommen,
reißen euch die Haut von euren kranken Knochen,
bis ihr zahlt für das, was ihr an mir verbrochen!

Einst war ich ein Mensch und fern von euren Sitten,
bis ihr Monster mich mit Fäusten und mit Tritten
in den Krieg hineinzogt, den die Kindeskinder
bis auf’s Messer kämpfen wie besess’ne Rinder.

Lächerlich ist euer selbstverliebtes Treiben.
Teils könnt ihr nicht mal die eig’nen Namen schreiben!
Und dann kommt ihr, haltet euch für Todesboten,
doch in meinen Augen seid ihr nur Idioten…

So kämpf ich als Vampyrin einsam unter Wölfen.
(Den dummen Kötern ist ja trotzdem nicht zu helfen.)
Ich bin kein Wolf! Ich war es nie und werd‘ es nimmer.
Doch unter euch zu leben, wär‘ noch viel schlimmer.

© levampyre, Mai 2007
http://abgedichtet.org

Wenn der volle Silbermond
sich durch die blauen Wolken windet,
bleibt mein Wesen nicht verschont,
da sich das Tier zum Menschen findet.

Den Leib umwuchert stumpfes Fell,
hab messerscharfe Zähne, Krallen
und ich agiere rasend schnell.
An meiner Kunst wird jeder fallen.

Mein Heulen fährt durch alle Wipfel
und singt euch meinen Spott und Hohn.
Steig ich von meinem hohen Gipfel,
erwartet mich schon euer Lohn.

Zerfallt zu Staub nun, ihr Vampire!
Niemals brecht ihr meinen Bann.
Ihr glaubt, dass ich im Kampf verliere?
Probiert es aus, so greift mich an!

© levampyre, Dez. 2006
http://abgedichtet.org

Wie dumm, du bist so unbedarft ihr reingetappt,
in meine Falle, ach, du arme Kreatur!
Ich reiß dich, bis dein rotes Fleisch in Fetzen nur
von deinen müden Knochen tot herunterflappt.

Und tief beug ich mich hungrig über den Gewinn,
vergrab mein Wolfesantlitz in die blutge Masse.
Glaub nicht, du nackter Wurm, ich knie vor dir hin,
nur weil ich gierig schlingend nicht mehr von dir lasse!

Ich bin ein wildes Raubtier und ich raub dir alles,
dein Fleisch, dein Gold. Ich hab kein Mitleid, nein, ich krall es
mir einfach und verlaß den Ort des Todesfalles
Das nächste Opfer wartet schon, ich überfall es.

© levampyre, Dez. 2006
http://abgedichtet.org

Für Vampir NinYanna auf Server 17

Wenn Wölfe heulen und die kalte Luft
der Nacht Mäander formt, entsteige
auch ich, Vampir NinYanna, meiner Gruft
und stille wird’s, da ich mich zeige.

Des Mondes Licht fällt fahl auf die Konturen
der Weiblichkeit, die mich mit Glanz umhüllt.
Mein Kommen künden leise nur Lemuren,
ihr ahnt es, wartet meiner, Angst erfüllt.

Ich will euch jagen, Menschen, Höllenwesen
in gleicher Weise: Kampf und Blut und Raub.
Ihr fallt vor meiner Schönheit in den Staub.
Dort dürft ihr einsam und allein verwesen.

© levampyre, Jan. 2007
http://abgedichtet.org

Bewerbung um ein Praktikum beim Zwiebelfisch

Freitag, 11. Mai 2007

Berlin, 03. März 2006

Bewerbung um ein Praktikum beim Zwiebelfisch

Mein hochverehrter Online-Autor Zwiebelfisch,

mit großer Freude las ich von dem Angebot, das gestern, während der Lektüre, frei und frisch an meine Augenbälle 1 drang. Da wurd‘ ich rot. Vor Eifer war es, freilich! Denn mit allen Sinnen wollte ich sogleich mich wortgewandt empfehlen und Sie mit Versen ganz gezielt für mich gewinnen.

Das heißt, ich muß es Ihnen wirklich nicht verhehlen, den Platz für’s Praktikum, den will ich gerne haben. Nicht, weil Sie groß sind und ich klein, Sie hoch, ich tief, das ist es nicht, nein. Zauberschüler, Bürgen, Raben haben mich als Kind verzaubert und ich lief von da an diesen Trieben nach, um mich zu laben – am Antlitz jener Geister, die mich damals riefen 2.

Ja, schon klar, das klingt pathetisch. Theoretisch hab ich Kitsch auch gar nicht nötig. Denn ich lebe meinen Fetisch, Sprache, Spaß und Spiel, poetisch, und das sieht man, hört man, spürt man am Gewebe meiner wohlgewählten Werbungsworte besser, wie ich hoffe, als an trocknen Musterzetteln, Lebensläufen renommierter Grießbreifresser 3, die um die Gunst des Spiegel-Kolumnisten betteln.

In meinem hass-geliebten Lyrik-Onlineforum war ich schon oft Alburni-Fischer Alburnorum 4. „Die Metrik holpert. Diesem Vers dort fehlt das Verb“, so sprach ich Tölpel unbedacht zu den Kollegen. „Beim Dichten geht’s um Sprache nicht“, hielt man empört dagegen, „Gefühle sind’s allein und Emotionserwerb. Was bist du für ein Dichter, dass du das nicht weißt??? Spielst dich hier auf, du Oberlehrer, wirklich dreist!!1!“

So ist der Kindertraum vom Dichter-Sein zergangen, und mein Berufungsziel muß ich nun neu bedenken. Ich will die Hoffnung drum auf’s Fischerdasein lenken. In trüben Teichen Zwiebelfische einzufangen, das will ich eifrig lernen, ganz mit Herz und Seele, wenn ich mich Ihnen nun als Praktikant empfehle.

Mit freundlichen Grüssen
Claude LeVampyre

Zur Entstehung

Durch einen entsprechenden Hinweis in einer seiner Online-Kolumnen motiviert, hatte ich mich vor vier Wochen mit einem witzigen Schreiben um ein Praktikum beim Zwiebelfisch (Sebastian Sick, SpOn) beworben. Ohne Stockscheißern in den Arsch kriechen und unbezahlt Kaffee kochen zu wollen, dachte ich mir, dies sei genau das richtige für einen Sprachfetischisten wie mich. Also setzte ich mich auf meinen Hosenboden und bastelte an meiner Bewerbung. Anscheinend habe ich wohl zu wenig Reputationen für einen solchen Job, denn bisher habe ich noch nicht einmal eine Ablehnung erhalten. Wie dem aber auch sei, all meine Freunde fanden den Text so klasse, dass sie meinten, ich sollte ihn hier veröffentlichen. Da nun die Chancen auf irgendeine Antwort von Spiegel Online langsam aber sicher gegen Null tendieren, steht dem eigentlich nichts mehr entgegen. Um ehrlich zu sein, hatte es mir sowieso schon die ganze Zeit in den Fingern gejuckt. 😉

Update: Es gab einen Briefwechsel, in dem man mir in Aussicht stellte, diese Stelle irgendwann zu bekommen. Dann gab es einen Brief, der mir diese Aussicht wieder nahm. Dann, ein Jahr später, sah ich ein Bild des süßen, jungen Praktikanten, der diese Stelle an meiner statt bekommen hat – und mir war alles klar… *roll eyes*
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1. eine Anspielung auf Christian Morgensterns „Der Werwolf“
2. eine Anspielung auf Goethes „Der Zauberlehrling“
3. eine Anspielung auf Kurt Tucholskys „An das Publikum“
4. Alburnus alburnus [lat.] ist ein Karpfenfisch, dessen deutscher Name Ukelei oder auch Zwiebelfisch lautet.

Und neben dir

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev29.mp3]
Und neben dir

für A.B.

In stiller Nacht
bin ich heut aufgewacht,   ganz unverhofft und sachte.
Um dich im Schlafe nicht zu störn, setzt ich mich leise
auf meiner Seite unsres Lagers auf. Da brachte
dich eine kleine Regung auf geschickte Weise

   in meine Sicht.
Dort hob im Mondenlicht   sich deine Silhouette
in sanften Atemzügen sorglos auf und nieder,
die sonst so wild und tief, wenn wir in einem Bette
uns gierig lieben, in mich dringen, meine Glieder

   zum Beben bringen.
Da wollt ich dich umschlingen,   küssend dich erwecken.
Doch ach! des Schlummers Frieden lag auf deinen Wangen.
Kann denn der Schlaf dein Fühlen nicht einmal verstecken?
Du süße Sanftmut hast mich heillos eingefangen…

Und neben dir
entflammte meine Gier   den Kampf mit meinen Lüsten.
Du brummtest wohlig nur – ein Kind, das ohne Sorgen
von Nascherein noch träumend hängt an Mutters Brüsten.
Ich aber wachte geduldig, erwartete den Morgen.

XXIX | Feb. 2006

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Anno 1014 – Die Schlacht von Kleidion

Donnerstag, 10. Mai 2007

Anno 1014 – Die Schlacht von Kleidion

Wir kennen aus Geschichten so manche Wundermähr.
Drum will auch ich berichten, von Mühen groß und schwer,
von Heldentat und Kriegen, vom Leid, das alle quält,
von ehrenhaften Siegen; davon sei euch nun hier erzählt.

Es trug sich in den Zeiten, da ich geboren ward,
ein kämpferisches Streiten von kriegerischer Art
hier zu, in unsern Landen, dem Kaiserreiche Rom,
und viele Männer fanden den Tod im Tal beim blutgen Strom.

Seit über hundert Jahren hat man uns schwer bedrängt,
von Seiten der Bulgaren den Hass auf uns gelenkt.
Und Basileios‘ Mannen die rückten jährlich ein,
das Feindesheer zu bannen und Macedonien zu befrein.

Da ging es mit den Siegen mal hin und auch mal her,
mal war uns Gott gediegen und mal dem fremden Heer.
Doch eines Tages standen (dies Lied erzählt davon)
des Zaren grimme Banden zur Wehr beim Pass von Kleidion.

Sie hatten Palisaden, postierten Mann und Pferd
und hielten, uns zum Schaden, den Weg ins Land versperrt.
Die Unsren ritten brausend am Bergespass entlang
und gegen Zwanzig-Tausend; da war so manchem Angst und Bang.

Am Waldrand ging ein leiser, kaum merklich schwacher Wind,
am Feld, wo Zar und Kaiser zusamm‘ gekommen sind.
Und beide Lager blickten sich dort ins Angesicht,
wo Tiere sich erquickten im sommerlichen Sonnenlicht.

Schon hob man die Standarte, das heißt, wir griffen an,
die Hörner spielten Quarte zur Schlacht von Mann zu Mann.
Da brach in Windeseile herein in unsern Sturm
ein Haufen flinker Pfeile vom fernen Bogenschützenturm.

Die Vorhut, stark und mutig, ließ dies nicht unberührt;
so Viele fielen blutig. Der Streich war gut geführt.
Doch auch des Kaisers Streiter erreichten bald ihr Ziel:
Fußvolk, Schützen, Reiter vom Heer des Zaren Samuil.

Derweil hat Nicephorus Xiphias unbemerkt
im Schutz des dichten Torus aus Felsen, Blätterwerk
und Sträuchern seine Truppen, zu jeder List bereit,
um des Berges Kuppen herum geführt zur andern Seit‘.

Den Rücken ihrer Feinde, ganz heimlich, wie es schien,
erstürmte die Gemeinde der Stadt des Konstantin.
Bulgariens Armeen warn sichtlich überrascht.
Man hatte ungesehen von hinten listig sie erhascht.

Sie liefen auf der Lichtung umher und aufgescheucht
in jede Himmelsrichtung, ins nahende Gesträuch.
Rasch wurden sie gefangen. Dies wendete das Blatt
und setzte nach dem Bangen des Zaren Truppen restlos matt.

Doch ist an dieser Stelle das Lied noch nicht vorbei.
Es sei fortan noch Quelle für Tode, derer zwei,
Gewalt (Mein lieber Leser, sei mutigen Gemüts!),
und Ehr‘ durch unsern Cäsar. Der hohe Herr vergüt’s!

Der Zar mit seinem Sohne herrschenden Geschlechts
entrann der Kampfeszone im Eifer des Gefechts.
Er nahm des Jungen Rappen. Der hatte große Kraft,
Geschirr und Augenklappen; hat beide knapp nur fort geschafft.

Das Römerheer zog weiter den Pass entlang und nahm
rund 15.000 Streiter gefangen, wie es kam.
Und hinter Belasitsa erstürmte es zum Schluss
die Festung von Strumitsa im Tal beim Struma-Fluss.

Der Kaiser schickte weise den ersten General
nach Süden auf die Reise ins weite Axius-Tal.
Dort sollte er, um endlich Bulgarien zu zerstörn,
die letzten Truppen gänzlich zerschlagen, dann nach hause kehrn.

Dies tat er, doch bezahlte er leiblichen Tribut.
Der Kaiser aber aalte sich bald in seiner Wut.
Er tobte wie ein Drache, er schäumte wie ein Tier
und schwor den Mördern Rache, wie man sie nie gesehen hier.

Den Preis für den begangnen Mord am General
den zahlten die gefangnen Bulgaren hundert Mal.
Er ließ sie alle blenden, die 15.000 Mann,
und schickte sie auf Händen und Füßen kriechend heimwärts dann.

Von hundert Mann je einem ließ er ein Augenlicht,
um auf dem Weg die Seinen zu führen dicht an dicht
nach Prilep heim zum Zaren, der tief erschrocken war,
als seine treun Bulgaren er allesamt geblendet sah.

Der Zar, ungleich dem Kaiser, besaß ein weiches Herz;
es brach – er stöhnte heiser, dann fiel er niederwärts.
Er starb und kam zu Tode beim Anblick solcher Pein.
Die grausame Methode erschütterte ihm Mark und Bein.

Hier endet, lieber Leser, mein Lied der großen Schlacht
von Kleidion, als Cäsar des Römer-Reiches Macht
gestärkt hat. Herrn und Damen verstehen nun zumeist,
warum man ihn mit Namen seit dem Bulgarenschlächter heißt.

Januar 2006

Zur Entstehung

Im letzten Jahr rief die Stadt Uslar anlässlich ihres 1000jährigen Bestehens zu einem Literaturpreis mit dem Thema „Historie um 1006“ auf. Aufgabe war es, ein reales historisches Ereignis literarisch umzusetzen und zwar in Prosa oder, haltet euch fest, „epischer Lyrik“. Also habe ich diesen Widerspruch für mich mal als metrische Epik interpretiert, weil das in Bezug auf die Zeit um 1006 wohl das naheliegenste ist. Und wie will man auch historische Fakten lyrisch umsetzen?

Ich graste also mal die Wikipedia nach zeitlich passenden Ereignissen ab, deren literarische Umsetzung ich mir vorstellen könnte. Neben einem Großbrand in Hab-ich-vergessen und zahlreichen Papst-Toden, fand ich auch diese entscheidene Schlacht, die das Ende der byzantinisch-bulgarischen Kriege mehr oder weniger besiegelte, indem sie das 1. Bulgarische Reich enden ließ. Ich Recherchierte also in den angesagten Nachschlagewerken der Byzantinistik, um möglichst viel über diese Schlacht, die Rüstungen, Waffen, Strategien, Denkweisen, etc. zu erfahren.

Formal entschied ich mich für die Nîbelungenstrophe und auch die Sprache versuchte ich an diesen Stil anzupassen. Die erste Strophe ist sehr eng an das Original gelehnt: „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit | von helden lobebaeren, von grozer arebeit, | von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, | von küener recken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen.“ Personen, Plätze, grobe Ereignisse sowie das Selbstverständnis des Erzählers (Byzantiner bezeichneten sich als Römer) sind der historischen Überlieferung entnommen. Der Rest ist frei erfunden.

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Erschöpft

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev28.mp3]
Erschöpft

In Watte will ich betten dich
und mich, weil wir beisammen liegen,
an deinen warmen Körper schmiegen –
versunken, still und inniglich

Will aus der Schale deiner matten,
verträumten Augen mit den Lippen
das Rauschen deiner Liebe nippen
und deiner letzten Lüste Schatten.

Ich will, solang du mich umschlingst,
ein Liedchen summen dir zur Ruh
wenn nach getaner Arbeit du
erschöpft in meine Kissen sinkst.

XXVIII | Jan. 2006

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Dieser Text wurde hier erstveröffentlicht.

Et in Arcadia ego

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev27.mp3]
Et in Arcadia ego

für M.B.

Für nächsten Sommer schmiedest du schon Pläne
   und hast den Kopf voll mit verrückten Dingen,
      erreichst heut alles, was dich gestern mühte

und lachst so herrlich, dass ich’s gern erwähne.
   Du könntest Stunden, Tage so verbringen
      und kostest jeden Winkel dieser Blüte

Wenn aber in der Nacht des Lebens Weiche,
der kleine Schlaf, dich wachend findet, dessen
Geschicke zehrend sich nach Innen fressen,
dann führ auch ich die unsichtbaren Streiche,

weil ich dich in der Einsamkeit erreiche.
Dein Atem schwer und deine Lippen pressen
und so entreiße ich dich dem Vergessen,
dass stets auch ich durch dein Arkadien schleiche.

XXVII | Nov. 2005

Zur Entstehung

Der lateinische Satz „et in Arcadia ego“1 (dt. auch ich [bin] in Arkadien) begegnete mir zum ersten Mal 2000 als Titel eines Bildbandes von Wilhelm von Gloeden. Damals sprach ich noch kein Latein, aber ich war beeindruckt vom Wortlaut und seiner Wirkung, also versuchte ich mehr darüber zu erfahren. Von Vergil über Poussin nach Schiller führte mich meine Reise und ich lernte etwas über die Vorstellung des griechischen Hirtenparadieses Arkadien, das der Renaissance ein Ideal war. In ihrem exakten Wortlaut taucht die Phrase zuerst in einem Barockgemälde von Barbieri auf, wo sie als Grabinschrift vorkommt, die von zwei Arkadischen Hirten entsetzt betrachtet wird, und so zu einem Memento-Mori-Motiv wird. Der Tod spricht: Arkadien mag idyllisch sein, aber auch ich gehe dort um. Schon lange lag mir diese Thematik im Hinterkopf und wartete darauf, in Worte gehüllt zu werden.


Guercino Barbieri – „Et in Arcadia ego“

Dann irgendwann las ich im Worttümpel das Gedicht „Gefolge“ von Matthias Borchelt, das sich als Sonett travers präsentierte, eine Idee, von der ich damals sehr angetan war. Aber der Text nutzte nicht die Wirkung seiner Form, der Inhalt hatte sich in ein entgegengesetztes Kleid gepreßt und ich fühlte einen Bruch zwischen Inhalt und Form. Zuerst die leichten Terzette, bei denen man sofort an die Verlaineschen „festes galantes“ denkt, dann die schweren Quartette. Ich stellte mir eine inhaltliche Hinwendung zum grave vor und da plötzlich kam mir die Idee, das ganze mit dem Arkadien-Motiv zu verbinden. Ich versprach Matthias also ein Gedicht in dieser Form und mit diesem Inhalt. Meine Arbeit dauerte dann exakt vom 04.09.2005 bis 03.11.2005, also fast zwei Monate, und war ziemlich mühselig, da ein Sonett travers doch ungewohnt ist. Den fertigen Text habe ich dann gleich meinem Meister gewidmet.


Nicolas Poussin – „The Shepherds of Arcadia“

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1. Ein sehr spannender Artikel zur Deutung und Entwicklung von „Et in Arcadia ego“ findet sich bei Udo Leuschner.

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Vom Riechen, Sehen, Hören und Fühlen im Sommer

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev26.mp3]
Vom Riechen, Sehen, Hören und Fühlen im Sommer

In der größten Mittagshitze
(Düfte süßlich, wie Lakritze)
fährt ein leises Zittern durch die Äste.
Still und schnell, wie ungebetne Gäste,
die mit Diebestrieben in das Haus gedrungen,
ziehen Wolken auf und Luft drückt auf die Lungen.

Und die sturmgefärbten Wolkenformationen
quellen, um die Phantasien zu erproben,
morphen Fabelwesen, die, bizarr verwoben,
wabern zu den Klängen meiner Illusionen.

Da! es zuckt der erste Blitz durch das Gewühle,
grell, doch stumm, der Bote nahender Gewalten,
die sich leuchtend, flackernd himmelwärts entfalten –
Und von oben bricht hervor die nasse Kühle.

Wie aus Eimern schüttet nun der schwere Regen.
Bäche rinnen stürzend von den grünen Blättern.
Hinterm Rauschen hört man Donnerschläge schmettern,
bis die Stürme sich erschöpft zur Ruhe legen

Und die Sonnenstrahlen ihre Wege winden,
sich zu roten, gelben, blauen Bögen finden,
uns an unsern Nasenspitzen kitzeln,
spiegelnd Blitze in die Pfützen kritzeln,
wenn wir, um die Luft zu riechen,
wieder aus den Höhlen kriechen.

XXVI | Aug. 2005

Update vom 24.10.2011

Zur Entstehung

Es ist erstaunlich, ich lese diesen über sechs Jahre alten Text von mir heute wieder und mir läuft es kalt den Rücken runter. Synästhesie und Onomatopoeisis sind phantastische Stilmittel, sie entfalten eine enorme Wirkung, selbst wenn man einen Text selbst verfaßt hat, was ja immer noch mal etwas Anderes ist. Ich kann mich nicht mehr an den genauen Entstehungsprozess dieses Gedichtes erinnern, ich erinnere mich jedoch genau an das Sommergewitter, welches ich hier beschreibe. Es war 2005 in Holland auf einer großen Wiese, auf der die internationale Hackerelite ein Camp namens „What the Hack“ veranstaltete. Später wurde diese Veranstaltung „Waht the rain“ getauft, denn dieses Wetter war charakteristisch dafür. Aber es waren großartige Gewitter, die wir dort erlebten, mit orange gefärbten, dicken Quellwolken und einem ganz besonderen Licht. Ich habe versucht, diese besondere Atmosphäre auf allen Sinneskanälen abzubilden und darauf ja auch im Titel hingewiesen. Dies ist quasi ein Lehrgedicht für das Stilmittel der Synästhesie und wurde m.E. auch von einem Deutschlehrer, der seine Schüler darauf losließ, mal so bezeichnet.

Die große Wirkung entfaltet sich aber nicht dadurch, das alles Sinnesorgane und -eindrücke mal genannt werden, sondern in erster Linie durch die phonetischen Farb- und Form-Analogien, dunkle gegenüber hellen Vokalen, runde gegenüber spitzen Konsonanten. Dass Phoneme Farben und Formen haben, ist kein Problem pathologischer Synästhetiker. Jeder Mensch kann sie so wahrnehmen, weshalb auch jeder Mensch weiß, dass „Buba“ rund, „Kiki“ spitz, „moop“ dunkel und „miep“ hell ist. Das ist geradezu onomatopoetisch, der Klang des Wortes ahmt die Form, die Farbe, den Naturklang seines Referenten nach. Vilayanur Ramachandran hat sich als Neurologe mit der Synästhesie befaßt und ist zu sehr interessanten Erkenntnissen darüber gekommen, wie unser Gehirn funktioniert. Die Fähigkeit, Analogien zu bilden, ja, Metaphern und sonstige analogiebasierte Tropen zu verstehen, scheint in unseren Gehirnen hart-kodiert zu sein. Mich als Sprachkünstler ganz bewußt dieser synästhetischen Wirkungen der Vokale und Konsonanten zu bedienen, ist, als würde ich euch die Atmosphäre des Gewitters direkt ins Gehirn reinmalen.

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  • diskutiert wurde er auf gedichte.com

An dem Lindenbaum

Donnerstag, 10. Mai 2007

[audio:lev25.mp3]

An dem Lindenbaum, in dessen Schatten ich die Glieder dehn,
will ich ausgestreckt dem Klang der Brise lauschen.
„Klack-klack“ machen Äste und die Blätter rauschen.

„Klack-klack“ machen Schuhe junger Mädchen, die vorüber gehn,
an dem Lindenbaum, in dessen Schatten ich die Glieder dehn.

Wie die Sommerlüfte unter ihre kurzen Röcke wehn,
frech und frei die leichten Seidenstoffe bauschen,
dass am Rande Träumer heimlich Blicke tauschen,

an dem Lindenbaum, in dessen Schatten ich die Glieder dehn,
wo wir ausgestreckt dem Klang der Brise lauschen.
„Klack-klack“ machen Äste und die Blätter rauschen.

XXV | Jun. 2005

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